Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

1B 70/2020

Urteil vom 1. Mai 2020

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Chaix, Präsident,
Gerichtsschreiber Störi.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,

gegen

1. Peter Arnold, c/o Kantonsgericht Luzern,
2. Franziska Peyer-Egli, c/o Kantonsgericht Luzern,
3. Bruno Gabriel, c/o Kantonsgericht Luzern,
4. B.________, c/o Kantonsgericht Luzern,
Beschwerdegegner,

Staatsanwaltschaft Abteilung 3 Sursee,

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern.

Gegenstand
Strafverfahren; Ausstand,

Beschwerde gegen den Beschluss des Kantonsgerichts
Luzern, 2. Abteilung, vom 12. Dezember 2019
(4P 19 14).

Sachverhalt:

A.
Am 12. Dezember 2019 wies das Kantonsgericht Luzern das Ausstandsgesuch von A.________ gegen die Kantonsrichter Peter Arnold, Franziska Peyer-Egli und Bruno Gabriel sowie die Gerichtsschreiberin B.________ ab, soweit es darauf eintrat.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen sowie subsidiärer Verfassungsbeschwerde beantragt A.________ sinngemäss, diesen Entscheid aufzuheben und die Kantonsrichter Peter Arnold, Franziska Peyer-Egli und Bruno Gabriel, den Gerichtsschreiber C.________, einen weiteren, nicht identifizierbaren Mitarbeiter des Kantonsgerichts sowie seinen amtlichen Verteidiger, Rechtsanwalt D.________, in den Ausstand zu versetzen.

C.
Rechtsanwalt E.________, Luzern, der von A.________ als Zustelladresse bezeichnet wurde, teilt mit, dass zwischen ihm und A.________ kein Vertretungsverhältnis und unter seiner Anschrift keine Zustelladresse bestehe.

D.
Die Oberstaatsanwaltschaft verzichtet auf Vernehmlassung. Das Kantonsgericht beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid in einer strafrechtlichen Angelegenheit. Dagegen steht die Beschwerde nach Art. 78 ff
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 78 Grundsatz - 1 Das Bundesgericht beurteilt Beschwerden gegen Entscheide in Strafsachen.
1    Das Bundesgericht beurteilt Beschwerden gegen Entscheide in Strafsachen.
2    Der Beschwerde in Strafsachen unterliegen auch Entscheide über:
a  Zivilansprüche, wenn diese zusammen mit der Strafsache zu behandeln sind;
b  den Vollzug von Strafen und Massnahmen.
. BGG offen. Es ist allerdings Sache des Beschwerdeführers, sowohl darzulegen, dass die Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, soweit das nicht offensichtlich ist (Art. 42 Abs. 2
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 42 Rechtsschriften - 1 Rechtsschriften sind in einer Amtssprache abzufassen und haben die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten.
1    Rechtsschriften sind in einer Amtssprache abzufassen und haben die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten.
2    In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Ist eine Beschwerde nur unter der Voraussetzung zulässig, dass sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt oder aus anderen Gründen ein besonders bedeutender Fall vorliegt, so ist auszuführen, warum die jeweilige Voraussetzung erfüllt ist. 14 15
3    Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in Händen hat; richtet sich die Rechtsschrift gegen einen Entscheid, so ist auch dieser beizulegen.
4    Bei elektronischer Einreichung muss die Rechtsschrift von der Partei oder ihrem Vertreter beziehungsweise ihrer Vertreterin mit einer qualifizierten elektronischen Signatur gemäss Bundesgesetz vom 18. März 201616 über die elektronische Signatur versehen werden. Das Bundesgericht bestimmt in einem Reglement:
a  das Format der Rechtsschrift und ihrer Beilagen;
b  die Art und Weise der Übermittlung;
c  die Voraussetzungen, unter denen bei technischen Problemen die Nachreichung von Dokumenten auf Papier verlangt werden kann.17
5    Fehlen die Unterschrift der Partei oder ihrer Vertretung, deren Vollmacht oder die vorgeschriebenen Beilagen oder ist die Vertretung nicht zugelassen, so wird eine angemessene Frist zur Behebung des Mangels angesetzt mit der Androhung, dass die Rechtsschrift sonst unbeachtet bleibt.
6    Unleserliche, ungebührliche, unverständliche, übermässig weitschweifige oder nicht in einer Amtssprache verfasste Rechtsschriften können in gleicher Weise zur Änderung zurückgewiesen werden.
7    Rechtsschriften, die auf querulatorischer oder rechtsmissbräuchlicher Prozessführung beruhen, sind unzulässig.
BGG; BGE 133 II 249 E. 1.1; 353 E. 1), als auch, dass der angefochtene Entscheid Bundesrecht verletzt (BGE 135 III 127 E. 1.6 S. 130; 134 II 244 E. 2.1 und 2.2 S. 245 f.; je mit Hinweisen).

2.
Dem sich offenbar im Ausland aufhaltenden Beschwerdeführer war aus dem bisherigen Verlauf des Verfahrens bekannt, dass er verpflichtet ist, in der Schweiz eine Zustelladresse zu verzeigen (vgl. das erste in dieser Sache ergangene Urteil des Bundesgerichts 6B 727/2018 vom 20. Mai 2019). Er hat dem Bundesgericht eine ungültige Zustelladresse verzeigt, weshalb darauf zu verzichten ist, ihm die Beschwerdeantworten der Verfahrensbeteiligten zur Stellungnahme zuzustellen. Das schadet ihm insofern nicht, als diese für den Ausgang des Verfahrens unerheblich sind.

3.
Gegenstand des angefochtenen Entscheids war ausschliesslich das Ausstandsbegehren gegen drei Kantonsrichter und eine Gerichtsschreiberin. Soweit der Beschwerdeführer den Ausstand anderer Personen verlangt, geht die Beschwerde an der Sache vorbei. Hinfällig ist die Beschwerde in Bezug auf die Gerichtsschreiberin, die nicht mehr am Kantonsgericht tätig ist.

4.

4.1. Nach Art. 56 lit. f
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 56 Ausstandsgründe - Eine in einer Strafbehörde tätige Person tritt in den Ausstand, wenn sie:
a  in der Sache ein persönliches Interesse hat;
b  in einer anderen Stellung, insbesondere als Mitglied einer Behörde, als Rechtsbeistand einer Partei, als Sachverständige oder Sachverständiger, als Zeugin oder Zeuge, in der gleichen Sache tätig war;
c  mit einer Partei, ihrem Rechtsbeistand oder einer Person, die in der gleichen Sache als Mitglied der Vorinstanz tätig war, verheiratet ist, in eingetragener Partnerschaft lebt oder eine faktische Lebensgemeinschaft führt;
d  mit einer Partei in gerader Linie oder in der Seitenlinie bis und mit dem dritten Grad verwandt oder verschwägert ist;
e  mit dem Rechtsbeistand einer Partei oder einer Person, die in der gleichen Sache als Mitglied der Vorinstanz tätig war, in gerader Linie oder in der Seitenlinie bis und mit dem zweiten Grad verwandt oder verschwägert ist;
f  aus anderen Gründen, insbesondere wegen Freundschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder deren Rechtsbeistand, befangen sein könnte.
StPO hat ein Mitglied einer Strafbehörde u.a. dann in den Ausstand zu treten, wenn es in einer anderen Stellung in der gleichen Sache tätig war. Nach Art. 30 Abs. 1
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 30 Gerichtliche Verfahren - 1 Jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, hat Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht. Ausnahmegerichte sind untersagt.
1    Jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, hat Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht. Ausnahmegerichte sind untersagt.
2    Jede Person, gegen die eine Zivilklage erhoben wird, hat Anspruch darauf, dass die Sache vom Gericht des Wohnsitzes beurteilt wird. Das Gesetz kann einen anderen Gerichtsstand vorsehen.
3    Gerichtsverhandlung und Urteilsverkündung sind öffentlich. Das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen.
BV und Art. 6 Ziff. 1
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 6 Recht auf ein faires Verfahren - (1) Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Das Urteil muss öffentlich verkündet werden; Presse und Öffentlichkeit können jedoch während des ganzen oder eines Teiles des Verfahrens ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der Moral, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft liegt, wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen oder - soweit das Gericht es für unbedingt erforderlich hält - wenn unter besonderen Umständen eine öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde.
a  innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden;
b  ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung zu haben;
c  sich selbst zu verteidigen, sich durch einen Verteidiger ihrer Wahl verteidigen zu lassen oder, falls ihr die Mittel zur Bezahlung fehlen, unentgeltlich den Beistand eines Verteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist;
d  Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken, wie sie für Belastungszeugen gelten;
e  unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher zu erhalten, wenn sie die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder spricht.
EMRK, denen in dieser Hinsicht dieselbe Tragweite zukommt, hat der Einzelne Anspruch darauf, dass seine Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richter ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Liegen bei objektiver Betrachtungsweise Gegebenheiten vor, die den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen, so ist die Garantie verletzt (BGE 135 I 14 E. 2; 133 I 1 E. 6.2; 131 I 113 E. 4.4; 125 I 219 E. 3a).
Bei Rückweisungen an die Vorinstanz ist die Mitwirkung der am aufgehobenen Entscheid beteiligten Gerichtsmitglieder am neuen Entscheid verfassungsrechtlich in der Regel nicht zu beanstanden (BGE 131 I 113 E. 3.6 S. 120; 116 Ia 28 E. 2a; Urteil 1B 67/2014 vom 31. März 2014 E. 2.1 mit Hinweisen auf Rechtsprechung und Literatur). Es ist davon auszugehen, dass ein Gerichtsmitglied in der Lage ist, beim neuen Entscheid der Rechtsauffassung der höheren Instanz Rechnung zu tragen und deren Weisungen zu befolgen. Anders verhält es sich nur ausnahmsweise, etwa wenn ein Richter durch sein Verhalten oder durch Bemerkungen klar zum Ausdruck gebracht hat, dass er nicht willens oder fähig ist, von seiner im aufgehobenen Entscheid vertretenen Auffassung Abstand zu nehmen und die Sache unbefangen neu wieder aufzunehmen (BGE 138 IV 142 E. 2.3 S. 146; Urteil 1B 67/2014 vom 31. März 2014 E. 2.1).

4.2. Das Bundesgericht hat mit Urteil 6B 727/2018 vom 20. Mai 2019 das Urteil des Kantonsgerichts vom 16. April 2018 einzig aus einem formellen Grund - der Beschwerdeführer war entgegen der ausdrücklichen Bestimmung von Art. 87 Abs. 4
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 87 Zustellungsdomizil - 1 Mitteilungen sind den Adressatinnen und Adressaten an ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort oder an ihren Sitz zuzustellen.
1    Mitteilungen sind den Adressatinnen und Adressaten an ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort oder an ihren Sitz zuzustellen.
2    Parteien und Rechtsbeistände mit Wohnsitz, gewöhnlichem Aufenthaltsort oder Sitz im Ausland haben in der Schweiz ein Zustellungsdomizil zu bezeichnen; vorbehalten bleiben staatsvertragliche Vereinbarungen, wonach Mitteilungen direkt zugestellt werden können.
3    Mitteilungen an Parteien, die einen Rechtsbeistand bestellt haben, werden rechtsgültig an diesen zugestellt.
4    Hat eine Partei persönlich zu einer Verhandlung zu erscheinen oder Verfahrenshandlungen selbst vorzunehmen, so wird ihr die Mitteilung direkt zugestellt. Dem Rechtsbeistand wird eine Kopie zugestellt.
StPO nicht persönlich und damit nicht gehörig zur Berufungsverhandlung vorgeladen worden - aufgehoben. Dieser Zustellungsfehler lässt nach der zutreffenden Auffassung des Kantonsgerichts keineswegs auf eine Befangenheit der am Berufungsverfahren beteiligten Richter schliessen, der ihre Teilnahme an der Wiederholung der Berufungsverhandlung ausschliessen würde.
Damit setzt sich der Beschwerdeführer nicht sachgerecht auseinander. Er begründet seine Ausstandsbegehren vielmehr damit, das Kantonsgericht habe die Berufungsverhandlung vom 16. April 2018 dilettantisch und unprofessionell geführt, alle seine Beweisanträge abgewiesen, die Beweise falsch gewürdigt etc. Mit solchen Vorwürfen kann er indessen am 28. Januar 2020 ein Ausstandsbegehren schon wegen des Zeitablaufs - Ausstandsgründe sind unverzüglich vorzubringen - nicht mehr begründen. Hingegen steht es ihm frei, an der Berufungsverhandlung sämtliche Einwände formeller und materieller Natur gegen seine erstinstanzliche Verurteilung vorzubringen. Im vorliegenden Ausstandsverfahren sind sie unbeachtlich.

5.
Auf die Beschwerde ist im vereinfachten Verfahren nicht einzutreten. Auf die Erhebung von Gerichtskosten kann ausnahmsweise verzichtet werden, womit der Antrag auf unentgeltliche Rechtspflege hinfällig ist.

Demnach erkennt der Präsident:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft Abteilung 3 Sursee, der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern, dem Kantonsgericht Luzern, 2. Abteilung, und D.________, Luzern, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 1. Mai 2020

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Chaix

Der Gerichtsschreiber: Störi
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 1B_70/2020
Date : 01. Mai 2020
Published : 05. Juni 2020
Source : Bundesgericht
Status : Unpubliziert
Subject area : Zuständigkeitsfragen, Garantie des Wohnsitzrichters und des verfassungsmässigen Richters
Subject : Strafverfahren; Ausstand


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BGG: 42  78
BV: 30
EMRK: 6
StPO: 56  87
BGE-register
116-IA-28 • 125-I-209 • 131-I-113 • 133-I-1 • 133-II-249 • 134-II-244 • 135-I-14 • 135-III-127 • 138-IV-142
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1B_67/2014 • 1B_70/2020 • 6B_727/2018
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