TPF 2006 318, p.318

86. Auszug aus dem Entscheid der Beschwerdekammer in Sachen A. gegen Bundesanwaltschaft, Eidgenössisches Untersuchungsrichteramt vom 15. November 2006 (BB.2006.122)

Einvernahme des Beschuldigten; Anwesenheit des Verteidigers; Terminverschiebung.

Art. 118 BStP

Die Möglichkeit des Beizuges eines Verteidigers zur Einvernahme richtet sich nach dem anwendbaren Verfahrensrecht und lässt sich weder aus der Bundesverfassung noch aus der EMRK herleiten.

Die an der Einvernahme zur Anwesenheit berechtigten oder verpflichteten Personen sind vom Verhandlungstermin rechtzeitig zu benachrichtigen, haben aber keinen Anspruch auf dessen Verschiebung.

Interrogatoire de l'inculpé; présence du défenseur; renvoi de l'audience.
Art. 118 PPF

La faculté d'être assisté d'un défenseur lors d'un interrogatoire se détermine selon le droit de procédure applicable et ne peut être déduit ni de la Constitution fédérale, ni de la CEDH.

Les personnes dont la présence est autorisée ou obligatoire doivent être informées à temps de la date de l'audience; elles ne disposent cependant pas d'un droit au renvoi de celle-ci.

Interrogatorio dell'imputato; presenza del difensore; rinvio dell'udienza.
Art. 118 PP

La possibilità della presenza di un difensore all'interrogatorio è retta dal diritto procedurale applicabile e non può essere dedotta né dalla Costituzione federale né dalla CEDU.

Le persone che hanno il diritto o l'obbligo di assistere all'interrogatorio devono essere informate tempestivamente in merito alla data dell'udienza, ma non hanno il diritto di chiederne il rinvio.

TPF 2006 318, p.319

Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung, dass

- das Eidgenössische Untersuchungsrichteramt (URA) gegen A. und weitere Angeschuldigte eine Voruntersuchung führt; - das URA mit Schreiben vom 31. Oktober 2006 den Parteivertretern mitteilte, es würden in den kommenden Monaten zahlreiche Einvernahmen stattfinden;
- A. vom URA mit bei dessen Vertreter am 6. November 2006 eingegangenem Schreiben zu einer Verhandlung vom 20. November 2006 vorgeladen wurde;
- der Vertreter von A. mit Schreiben vom 6. November 2006 an das URA gelangte und eine Verschiebung der Vorladung nach Terminabsprache mit seiner Kanzlei beantragte;
- das URA mit Verfügung vom 8. November 2006 das Gesuch um Terminverschiebung abwies;
- A. (...) an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts gelangt und beantragt, es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Vorladung zu der auf den 20. November 2006 angesetzten Verhandlung abzunehmen (...);
- mit Blick auf den Ausgang des Verfahrens auf die Durchführung eines Schriftenwechsels verzichtet wurde (Art. 219 Abs. 1 BStP); - die Möglichkeit des Beschuldigten, zu seiner Einvernahme einen Verteidiger beizuziehen, sich nach dem anwendbaren Verfahrensrecht bestimmt und weder aus Art. 8 Abs. 1
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 8 Rechtsgleichheit - 1 Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
1    Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
2    Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung.
3    Mann und Frau sind gleichberechtigt. Das Gesetz sorgt für ihre rechtliche und tatsächliche Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit. Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit.
4    Das Gesetz sieht Massnahmen zur Beseitigung von Benachteiligungen der Behinderten vor.
BV noch aus Art. 32 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 32 Strafverfahren - 1 Jede Person gilt bis zur rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig.
1    Jede Person gilt bis zur rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig.
2    Jede angeklagte Person hat Anspruch darauf, möglichst rasch und umfassend über die gegen sie erhobenen Beschuldigungen unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, die ihr zustehenden Verteidigungsrechte geltend zu machen.
3    Jede verurteilte Person hat das Recht, das Urteil von einem höheren Gericht überprüfen zu lassen. Ausgenommen sind die Fälle, in denen das Bundesgericht als einzige Instanz urteilt.
BV oder aus Art. 6
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 6 Recht auf ein faires Verfahren - (1) Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Das Urteil muss öffentlich verkündet werden; Presse und Öffentlichkeit können jedoch während des ganzen oder eines Teiles des Verfahrens ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der Moral, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft liegt, wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen oder - soweit das Gericht es für unbedingt erforderlich hält - wenn unter besonderen Umständen eine öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde.
a  innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden;
b  ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung zu haben;
c  sich selbst zu verteidigen, sich durch einen Verteidiger ihrer Wahl verteidigen zu lassen oder, falls ihr die Mittel zur Bezahlung fehlen, unentgeltlich den Beistand eines Verteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist;
d  Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken, wie sie für Belastungszeugen gelten;
e  unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher zu erhalten, wenn sie die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder spricht.
EMRK hergeleitet werden kann (BGE 104 Ia 17, 19 E. 4; HAUSER/SCHWERI/HARTMANN, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl., Basel 2005, S. 393 N. 12);
- gemäss Art. 118 BStP der Untersuchungsrichter dem Verteidiger gestatten kann, bei der Einvernahme des Beschuldigten anwesend zu sein, sofern dadurch die Untersuchung nicht beeinträchtigt wird; - die zur Anwesenheit berechtigten Personen von Verhandlungsterminen rechtzeitig zu benachrichtigen sind, jedoch keinen Anspruch auf Verschiebung der Tagfahrt haben (vgl. HAUSER/SCHWERI/HARTMANN, a.a.O., S. 396 N. 20; TPF BB.2006.43 vom 14. September 2006 E. 5.2, BB.2006.63 vom 20. September 2006 und BK_B 016/04 vom 27. Mai 2004 E. 3.5);
- A. vorliegend vom URA über die vorgesehene Einvernahme vom 20. November 2006 rund zwei Wochen vorher und mithin rechtzeitig in Kenntnis gesetzt wurde;

TPF 2006 318, p.320

- A. keinen Anspruch auf Verschiebung der Einvernahme vom 20. November 2006 hat;
- der amtliche Verteidiger nach dem Grundsatz der effektiven bzw. effizienten Verteidigung die Interessen des Angeschuldigten in ausreichender und wirksamer Weise wahrnehmen muss und bei seiner Aufgabe die gleichen Rechte und dieselben Sorgfaltspflichten wie ein privater, erbetener Verteidiger hat (HAUSER/SCHWERI/HARTMANN, a.a.O., S. 165 f. N. 17 f.);
- es daher dem amtlichen Verteidiger obliegt, für eine angemessene Verteidigung von A. anlässlich der Einvernahme vom 20. November 2006 besorgt zu sein;
- sich die Beschwerde nach dem Gesagten sofort als unbegründet erweist und ohne vorgängigen Schriftenwechsel abzuweisen ist (Art. 219 Abs. 1 BStP);

(...)