104 Ia 17
6. Auszug aus dem Urteil vom 16. Februar 1978 i.S. B. gegen Bezirksanwaltschaft Zürich und Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich
Regeste (de):
- Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 6 Recht auf ein faires Verfahren - (1) Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Das Urteil muss öffentlich verkündet werden; Presse und Öffentlichkeit können jedoch während des ganzen oder eines Teiles des Verfahrens ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der Moral, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft liegt, wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen oder - soweit das Gericht es für unbedingt erforderlich hält - wenn unter besonderen Umständen eine öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde.
a innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden; b ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung zu haben; c sich selbst zu verteidigen, sich durch einen Verteidiger ihrer Wahl verteidigen zu lassen oder, falls ihr die Mittel zur Bezahlung fehlen, unentgeltlich den Beistand eines Verteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist; d Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken, wie sie für Belastungszeugen gelten; e unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher zu erhalten, wenn sie die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder spricht. - Eine Vorschrift, welche die Zulassung des Verteidigers zur Einvernahme des Angeschuldigten in das Ermessen des Untersuchungsbeamten stellt, ist verfassungsmässig (E. 4). Sie wird nicht willkürlich angewendet, wenn der Verteidiger von der ersten Befragung ohne Angabe besonderer Gründe ausgeschlossen wird (E. 3).
Regeste (fr):
- Art. 4 Cst.; art. 6 ch. 3 CEDH; enquête pénale.
- Une disposition qui place dans le pouvoir d'appréciation du fonctionnaire chargé de l'instruction l'admission du défenseur à l'interrogatoire du prévenu est conforme à la Constitution (consid. 4). Elle n'est pas appliquée arbitrairement lorsque le défenseur est exclu d'un premier interrogatoire sans indication de motifs spéciaux (consid. 3).
Regesto (it):
- Art. 4 Cost.; art. 6 n. 3 CEDU; inchiesta penale.
- È conforme alla Costituzione una norma che rimette l'ammissione del difensore all'interrogatorio dell'imputato al potere d'apprezzamento del funzionario incaricato dell'istruzione (consid. 4). Essa non è applicata arbitrariamente allorquando il difensore è escluso senza indicazione di motivi speciali dal primo interrogatorio (consid. 3).
Sachverhalt ab Seite 17
BGE 104 Ia 17 S. 17
Die Bezirksanwaltschaft Zürich führt gegen B. und weitere Beteiligte eine Strafuntersuchung. Als B. zu einer ersten Einvernahme vorgeladen wurde, ersuchte seine Verteidigerin um Verschiebung des Verhörs. Sie erklärte, dass sie daran teilnehmen möchte, am vorgesehenen Datum aber verhindert sei. Die Bezirksanwaltschaft lehnte das Gesuch mit der Begründung ab, die erste Befragung des Beschuldigten werde ohne Beisein eines Verteidigers durchgeführt. Gegen diese Verfügung rekurrierte B. erfolglos an die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Das Bundesgericht weist die gegen den Rekursentscheid erhobene staatsrechtliche Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2. Der Umfang der Rechte des Angeschuldigten auf Verteidigung bestimmt sich im schweizerischen Recht zunächst nach den kantonalen Verfahrensvorschriften. Wo dieser
BGE 104 Ia 17 S. 18
kantonale Rechtsschutz sich als ungenügend erweist, greifen die unmittelbar aus Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 6 Recht auf ein faires Verfahren - (1) Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Das Urteil muss öffentlich verkündet werden; Presse und Öffentlichkeit können jedoch während des ganzen oder eines Teiles des Verfahrens ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der Moral, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft liegt, wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen oder - soweit das Gericht es für unbedingt erforderlich hält - wenn unter besonderen Umständen eine öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde. |
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a | innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden; |
b | ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung zu haben; |
c | sich selbst zu verteidigen, sich durch einen Verteidiger ihrer Wahl verteidigen zu lassen oder, falls ihr die Mittel zur Bezahlung fehlen, unentgeltlich den Beistand eines Verteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist; |
d | Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken, wie sie für Belastungszeugen gelten; |
e | unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher zu erhalten, wenn sie die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder spricht. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
3. Der Beschwerdeführer rügt sinngemäss, die Annahme der kantonalen Instanzen, das zürcherische Verfahrensrecht erlaube es, die Verteidigerin des Beschwerdeführers ohne Angabe von besonderen Gründen von der ersten Einvernahme auszuschliessen, sei willkürlich. Diese Rüge ist nicht stichhaltig. Gemäss § 17 Abs. 2 StPO "kann" der Untersuchungsbeamte dem Verteidiger gestatten, den persönlichen Einvernahmen des Angeschuldigten beizuwohnen. Die Zulassung des Verteidigers ist somit in das Ermessen des Untersuchungsrichters gestellt. Dieses Ermessen ist nicht frei und ungebunden. Wie auch den Weisungen der Staatsanwaltschaft an die Bezirksanwaltschaften zu entnehmen ist, hat der Bezirksanwalt seinen Entscheid über die Zulassung des Verteidigers stets im Hinblick auf den Untersuchungszweck und dessen allfällige Gefährdung zu treffen. Die Staatsanwaltschaft weist darauf hin, dass in der Zürcher Praxis die Regel gelte, die Verteidiger zur ersten Einvernahme nicht zuzulassen, sofern die Vermutung bestehe, der Angeschuldigte werde sich in Anwesenheit des Verteidigers nicht frei und unbeeinflusst äussern. Die Abwesenheit des Verteidigers erleichtere es dem Untersuchungsbeamten, den Angeschuldigten unter Beachtung der prozessualen Regeln zu einer wahrheitsgemässen Aussage zu veranlassen. Es liegt im Rahmen des den Untersuchungsbehörden zustehenden Ermessens, wenn sie in der Regel die Verteidiger zur ersten Einvernahme nicht zulassen.
BGE 104 Ia 17 S. 19
Da die Untersuchungsbehörden die einzelnen Angeschuldigten nicht im voraus kennen, dient es nämlich der Wahrung der Rechtsgleichheit, wenn sie grundsätzlich alle Angeschuldigten gleich behandeln. Unter diesen Umständen sind die Behörden nicht verpflichtet, für den Ausschluss des Verteidigers von der ersten Einvernahme noch besondere Gründe, die sich auf den konkreten Fall beziehen, anzugeben. Für die Nichtzulassung zu weiteren Einvernahmen wird man dagegen in der Regel eine konkrete Begründung verlangen können, weshalb der Zweck der Untersuchung durch die Teilnahme des Verteidigers gefährdet werde. Jedenfalls kann der Entscheid der kantonalen Instanz, es sei zulässig, die Verteidigerin des Beschwerdeführers von der ersten Einvernahme ohne Angabe von besonderen Gründen auszuschliessen, nicht als eine willkürliche Handhabung der Strafprozessordnung betrachtet werden. Willkür ist im Fall des Beschwerdeführers umso weniger gegeben, als seine Verteidigerin verhindert war, am fraglichen Termin an der Befragung teilzunehmen, und der Bezirksanwalt ein Verschiebungsgesuch abgelehnt hatte. § 17 StPO gibt dem Verteidiger, wie das Bundesgericht mit bezug auf den im wesentlichen gleichlautenden Art. 118
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4. Der Beschwerdeführer macht im weiteren mindestens dem Sinne nach geltend, die Regelung von § 17 StPO, wonach die Zulassung des Verteidigers zur Einvernahme seines Mandanten im Ermessen des Untersuchungsbeamten stehe, sei an sich verfassungswidrig; analog zur Rechtsprechung des amerikanischen Supreme Court sei dem Angeschuldigten nach dem Prinzip der Waffengleichheit das Recht zuzugestehen, schon
BGE 104 Ia 17 S. 20
das erste Mal in Anwesenheit seines Verteidigers einvernommen zu werden. Die Staatsanwaltschaft hält jedoch dafür, dieses Recht könne weder aus der Bundesverfassung noch aus der EMRK abgeleitet werden; zur Wahrung der Rechte des Angeklagten genüge die Möglichkeit, die Auskunft an der ersten Einvernahme zu verweigern. Im Rahmen des heutigen Verfahrens ist nicht zu prüfen, wann einem inhaftierten Beschuldigten ein erster Kontakt mit seinem Verteidiger gestattet werden muss. Es ist zu untersuchen, ob ein Angeschuldigter, der sich in Freiheit befindet und deshalb vor der Einvernahme mit seinem Verteidiger Fühlung nehmen und sich beraten lassen kann, unmittelbar aus Art. 4
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BGE 104 Ia 17 S. 21
im neusten Verfahrensrecht des Bundes ihren Niederschlag gefunden hätte. Die Kantone regeln die Möglichkeit des Beschuldigten, zu seiner Einvernahme einen Verteidiger beizuziehen, ganz unterschiedlich. Nur wenige Kantone gewähren dem Beklagten ein Recht auf Teilnahme des Verteidigers an Befragungen, beschränken aber diesen Anspruch, wenn dadurch der Untersuchungszweck gefährdet würde. (R. HAUSER, Kurzlehrbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, Basel 1978, S. 195; SCHUBARTH, Die Rechte des Beschuldigten im Untersuchungsverfahren, besonders bei Untersuchungshaft, Bern 1973, S. 232 f.; P. HUBER, Die Stellung des Beschuldigten - insbesondere seine Rechte - in der Strafuntersuchung unter besonderer Berücksichtigung des Kantons Zürich, Diss. Zürich 1974, S. 153). Auf Bundesebene sieht Art. 39 Abs. 3 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht vom 22. März 1974 vor, der Beschuldigte könne, sofern es sich nicht um seine erste Vernehmung handle, verlangen, dass der Verteidiger zugegen sei. Auch diese strafprozessuale Norm des Bundes gestattet somit, den Verteidiger von der ersten Einvernahme auszuschliessen. Der Bundesgesetzgeber ist also auch in neuester Zeit bei der Überzeugung geblieben, es sei der Wahrheitsfindung förderlich und den Persönlichkeitsrechten des Angeschuldigten nicht abträglich, wenn die erste Einvernahme unter Ausschluss des Verteidigers erfolge. Unter diesen Umständen ist die Beschwerde auch unter dem Gesichtspunkt der bundesrechtlichen Mindestansprüche auf Verteidigung (Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |