Urteilskopf

91 III 87

17. Entscheid vom 29. November 1965 i.S. Bank in Langenthal.
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Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 88

BGE 91 III 87 S. 88

A.- In dem am 11. Juni 1963 über die Allemann fils SA, Welschenrohr, Kanton Solothurn, eröffneten Konkurse wurde der Kollokationsplan am 2. Oktober 1963 aufgelegt. Darin waren eine Reihe von Forderungseingaben, weil nicht genügend abgeklärt, im Sinne von Art. 59 KV "ausgestellt". So wurde einstweilen keine Verfügung getroffen über eine der Bank in
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Langenthal von der Roseba AG, Welschenrohr, "zur Kreditsicherung zedierte" Forderung von Fr. 1'263,458.15.
B.- In einem am 12. August 1964 aufgelegten Nachtrag zum Kollokationsplan wurde von der erwähnten Forderung ein Teilbetrag von Fr. 372'922.15 als der Bank in Langenthal als Zessionarin zustehend anerkannt. Diese Kollokation blieb unangefochten, erwuchs also formell in Rechtskraft.
C.- Im weitern Verlauf des Konkurses beschloss die ausserordentliche Konkursverwaltung, den Gläubigern der fünften Klasse eine Abschlagszahlung von 5% auszurichten. In der provisorischen Verteilungsliste vom 19. August 1965 setzte sie das auf jene anerkannte Teilforderung der Bank in Langenthal entfallende Betreffnis ein, lehnte die Auszahlung aber einstweilen ab mit folgender Bemerkung: "Betrag kann erst nach endgültiger Anerkennung ausbezahlt werden und wird deshalb vorläufig reserviert".
D.- Hierüber beschwerte sich die Bank in Langenthalbei der kantonalen Aufsichtsbehörde mit dem Begehren, ihre im Kollokationsplan anerkannte Teilforderung von Fr. 372'922.15 sei vorbehaltlos in die provisorische Verteilungsliste aufzunehmen, und die Abschlagszahlung von 5% sei nach Eintritt der Rechtskraft dieser Verteilungsliste vorzunehmen. Die Beschwerdeführerin rügte in erster Linie das Fehlen einer der angefochtenen Verfügung beigegebenen Grundangabe und ersuchte die Aufsichtsbehörde um Gewährung eines Replikrechtes gegenüber der zu erwartenden Vernehmlassung der Konkursverwaltung. Im übrigen machte sie geltend, die angefochtene Verfügung stehe im Widerspruch zur rechtskräftigen Kollokation; die "Reservierung" der Abschlagsdividende beruhe auf Willkür. Die Konkursverwaltung nahm zur Beschwerde folgende Stellung ein: Es bestehe ein Verdacht, dass die Geschäftsbeziehungen zwischen der früheren Firma Ad. Allemann fils SA und der Roseba AG auf "Machenschaften" der ehemaligen Geschäftsleitung beruhen, so dass auch die daraus entstandenen Forderungen in ihrem rechtlichen Bestand in Frage gestellt würden. Über den wahren Sachverhalt werde erst die hängige Strafuntersuchung Aufschluss geben können. Auf Ersuchen des Präsidenten der kantonalen Aufsichtsbehörde um nähere Angaben wies die Konkursverwaltung auf eine Buchexpertise der Schweizerischen Treuhandgesellschaft, Basel, hin. Dieser
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Bericht werde am 30. September 1965 dem Gerichtspräsidenten von Balsthal zur Verwendung in den Strafverfahren gegen Allemann und Fluri zugehen. "Unser Verdacht, dass selbst die anerkannten Forderungen nicht zu Recht bestehen, stützt sich ausser auf die allgemeinen Bemerkungen zur Geschäfts- und Buchführung der Ad. Allemann fils SA vor allem auf folgende Stellen des Berichtes ...." (Zitierung von Abschnitts- und Seitenzahlen).
E.- Ohne sich Einblick in den erwähnten Expertenbericht zu verschaffen, und ohne weitere Massnahmen zu treffen, hat die kantonale Aufsichtsbehörde die Beschwerde am 22. Oktober 1965 abgewiesen, im wesentlichen aus folgenden Gründen: Das Prinzip, wonach von einer einmal rechtskräftig gewordenen Kollokation nicht abzugehen ist, gilt nach der Rechtsprechung nicht unbedingt. Wurde eine Kollokation durch betrügerische Angaben erreicht, so erwachsen der Konkursmasse Schadenersatzansprüche, die sie selbständig einklagen oder mit der auf die Forderung entfallenden Konkursdividende, gegebenenfalls also auch mit einer Abschlagszahlung, verrechnen kann. Der Beschwerdeführerin steht die Anrufung des Richters offen, wenn sie die Annahme der Konkursverwaltung, die angemeldeten Forderungen gingen nicht in Ordnung, entkräften zu können glaubt. Die Aufsichtsbehörde hätte gegen die auf Verdachtsgründe gestützte Zurückhaltung der Abschlagszahlung nur einzuschreiten, wenn das Vorgehen der Konkursverwaltung völlig grundlos wäre und als willkürlich erschiene. Aus der Vernehmlassung der Konkursverwaltung ergibt sich aber, dass sie die rechtmässige Entstehung der Forderungen der Beschwerdeführerin aus ernsthaften Gründen in Zweifel zieht. Sie beruft sich auch auf einen Bericht der Schweizerischen Treuhandgesellschaft, der allerdings der Aufsichtsbehörde noch nicht zugänglich war.
F.- Gegen diesen Entscheid richtet sich der vorliegende Rekurs, womit die Bank in Langenthal an ihrem Beschwerdebegehren festhält.
Erwägungen

Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

1. Die mit der Beschwerde angefochtene "Reservierung" der auf die formell rechtskräftig kollozierte Teilforderung von Fr. 372'922.15 fallenden Abschlagszahlung von 5% bis zu
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näherer Abklärung gewisser nachträglich aufgetauchter Zweifel an der rechtmässigen Entstehung dieser Forderung bedeutet weder einen Widerruf der Kollokation selbst, dies auch nicht im Sinn einer Verrechnung von Schadenersatzforderungen, noch ist die Rekurrentin endgültig in die Klägerrolle, etwa gar mit Fristansetzung, verwiesen worden. Vielmehr ist die Auszahlung einstweilen nur aufgeschoben. Dennoch hat die Rekurrentin ein schutzwürdiges Interesse, die nach ihrer Ansicht ungerechtfertigte Verfügung durch Beschwerde anzufechten. Wird sie doch dadurch im Verhältnis zu andern Gläubigern benachteiligt, was um so mehr ins Gewicht fällt, als der Konkurs nun schon seit zwei Jahren dauert und den ungeduldig gewordenen Gläubigern eben deshalb eine Abschlagszahlung, also eine provisorische Verteilung von Konkurserlös, zugestanden wurde.
2. Die angefochtene Verfügung enthält keine eigentliche Begründung. Da normalerweise die formell rechtskräftige Anerkennung einer Forderung im Kollokationsplan die unverrückbare Grundlage der Verteilung bildet, bedarf es aber einer klaren Rechtfertigung, wenn die Konkursverwaltung ausnahmsweise, aus besondern Gründen, einem Gläubiger das auf ihn entfallende Betreffnis - sei es auch nur vorläufig, mit Vorbehalt späterer bestimmter Stellungnahme - vorenthalten zu sollen glaubt. Da in der Verfügung keine solchen Gründe angegeben waren, musste der Rekurrentin Gelegenheit geboten werden, auf die erst in der Vernehmlassung zur Beschwerde und in einem ergänzenden Bericht enthaltenen Vorbringen tatsächlicher Art zu replizieren; dies um so mehr, als die Rekurrentin in der Beschwerdeschrift ein dahingehendes Gesuch gestellt hatte. Die in der Ablehnung eines Replikrechtes unter diesen Umständen liegende Verweigerung des rechtlichen Gehörs (vgl. BGE 74 I 10) hat zur Folge, dass die betreffenden neuen Vorbringen der Rekursschrift noch zu berücksichtigen sind (Art, 79 Abs. 1 Satz 2 OG).

3. Die kantonale Aufsichtsbehörde ist freilich über das Recht der Rekurrentin, sich gegenüber den Vorwürfen der Konkursverwaltung Gehör zu verschaffen, nicht kurzerhand hinweggegangen. Sie ist der Auffassung, die - übrigens ganz unbestimmten - Vorbringen der Konkursverwaltung genügen auf jeden Fall zur Rechtfertigung der angefochtenen Verfügung; es lasse sich also demgegenüber gar nichts Triftiges einwenden. Denn der Umstand, dass die Konkursverwaltung aus
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dem in einem hängigen Strafverfahren ergangenen Expertenbericht gewisse Verdachtsgründe geschöpft habe, schliesse eine Willkür aus und rechtfertige die "Reservierung" des auf die Rekurrentin entfallenden Dividendenbetreffnisses hinlänglich. Bei dieser Sachlage sei eine nähere Abklärung der Tatsachen derzeit unnötig. Der Rekurrentin stehe die Anrufung des Richters frei, wenn sie die endgültige Stellungnahme der Konkursverwaltung nicht abwarten wolle. Und die Konkursverwaltung werde es sich überlegen müssen, ob sie gegenüber einer solchen Klage das Prozessrisiko auf sich nehmen dürfe. Diese Betrachtungsweise trägt indessen der Bedeutung der formell rechtskräftigen Kollokation nicht in zutreffender Weise Rechnung. Grundsätzlich darf die Konkursverwaltung auf eine solche Kollokation nicht zurückkommen. Nur wenn die Anerkennung im Kollokationsplan durch eine betrügerische Eingabe erschlichen wurde, nimmt sie an der Rechtskraft des Planes nicht teil und ist als nichtig zu betrachten. Ist die Forderung als solche nichtig, so kann dies allerdings auch gegenüber einem Zessionar geltend gemacht werden; denn dieser hat die Forderung (ganz abgesehen von der umfassenden, jedermann gegenüber zu beachtenden Wirkung einer Nichtigkeit in eigentlichem Sinne, Art. 20
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 20 - 1 Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
1    Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
2    Betrifft aber der Mangel bloss einzelne Teile des Vertrages, so sind nur diese nichtig, sobald nicht anzunehmen ist, dass er ohne den nichtigen Teil überhaupt nicht geschlossen worden wäre.
OR) mit allen ihr anhaftenden Mängeln erworben und ist daher ebenso wie der Zedent den gegen den Bestand der Forderung gerichteten Einreden ausgesetzt. Auf guten Glauben wird sich die Rekurrentin in dieser Hinsicht somit nicht berufen können. Eine Frage für sich ist es, ob die Zedentin ihrerseits bei Vornahme der Zession sich der Tatsache bewusst war, dass die Forderung nicht rechtmässig entstanden war, und ob sie auf solche Weise eine ungerechtfertigte Konkurseingabe und Kollokation veranlasste. Jedenfalls aber dürfen einem formell rechtskräftig kollozierten Gläubiger betrügerische Machenschaften nur entgegengehalten werden, wenn sie sich auf gewichtige Indizien stützen. Blosse Erklärungen und Mutmassungen der Konkursverwaltung genügen dazu nicht; die Indizien müssten nachgewiesen sein (BGE 88 III 132 und dort angeführte frühere Entscheidungen). Zu Unrecht lässt die kantonale Aufsichtsbehörde unbestimmte Verdachtsgründe genügen, was dazu führen müsste, dass die Rechtskraft einer Kollokation nachträglich bei jedem nicht ganz aus der Luft gegriffenen Zweifel vereitelt werden könnte. Nun steht allerdings dahin, was die Konkursverwaltung dem
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erwähnten Expertenbefund entnehmen konnte. In ihrem ergänzenden Bericht an die Aufsichtsbehörde beruft sie sich auf eine Reihe von Stellen dieses Berichtes durch Angabe von Seitenzahlen, jedoch ohne deren Inhalt wiederzugeben, und die Aufsichtsbehörde hat sich ihrerseits keinen Einblick in den anscheinend Ende September 1965 dem Richteramt Balsthal zugegangegen Befund verschafft. Sie hätte es angesichts der unüberprüfbaren Hinweise der Konkursverwaltung tun sollen, um sich instand zu setzen, sich entsprechend der ihr als Beschwerdeinstanz - auch in Ermessensfragen - zustehenden Überprüfungsbefugnis (BGE 85 III 120 /21, BGE 86 III 123 Erw. 2) ein selbständiges Urteil zu bilden. Unter Umständen liegt in der willkürlichen Beschränkung der eigenen Überprüfungsbefugnis eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs (BGE 84 I 227 ff.). Hier sind jedenfalls die zur Beschwerdeentscheidung unerlässlichen Untersuchungsmassnahmen unterblieben.
4. Die infolgedessen nicht spruchreife Angelegenheit ist zur Ergänzung des Verfahrens und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Nur wenn dem vorläufigen Ergebnis der Strafuntersuchung, insbesondere dem erwähnten Expertenbefund, und allfälligen zusätzlichen Feststellungen gewichtige Indizien für betrügerische Machenschaften zu entnehmen sein sollten, lässt sich die "Reservierung" der Abschlagszahlung gegenüber der Rekurrentin aufrecht erhalten. Sonst läge es der Konkursmasse ob, selbst die Klägerrolle zu übernehmen und den Richter anzugehen, wenn sie glaubt, die Abschlagszahlung zurückbehalten zu dürfen (BGE 88 III 133 am Ende).
Dispositiv

Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird dahin gutgeheissen, dass der angefochtene Entscheid aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die kantonale Aufsichtsbehörde zurückgewiesen wird.