S. 114 / Nr. 17 Ausübung der wissenschaftlichen Berufsarten (d)

BGE 75 I 114

17. Auszug aus dem Urteil vom 9. Juni 1948 i. S. Dr. A. Muheim gegen
Obergericht des Kantons Uri

Regeste:
Art. 33
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 33 Petitionsrecht - 1 Jede Person hat das Recht, Petitionen an Behörden zu richten; es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen.
1    Jede Person hat das Recht, Petitionen an Behörden zu richten; es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen.
2    Die Behörden haben von Petitionen Kenntnis zu nehmen.
BV und Art. 5
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns - 1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
1    Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
2    Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.
3    Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.
4    Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.
Üb. Best. z. BV. Darf für die Bewilligung zur Ausübung
des Anwaltsberufes, die gestützt auf ein ausserkantonales Fähigkeitszeugnis
erteilt wird, eine Abgabe von Fr. 130.­ erhoben werden?
Art. 33 Cst. et 5 disp. trans. Cst. Le canton qui admet à l'exercice du
barreau un avocat muni d'un diplôme d'un autre canton a-t-il le droit de
percevoir un émolument de 130 fr.?
Art. 33 CF e 5 disp. trans. CF. Il cantone che ammette all'esercizio
dell'avvocatura un avvocato munito del diploma d'un altro cantone ha diritto
di riscuotere una « tassa » di 130 fr.?

Aus dem Tatbestand:
A. ­ Dr. Anton Muheim ist Inhaber des luzernischen Fähigkeitszeugnisses für
Rechtsanwälte und betreibt in

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der Stadt Luzern ein Advokaturbureau. Am 28. April 1947 ersuchte er das
Obergericht des Kantons Uri, ihm die Ausübung des Anwaltsberufes im Kanton Uri
zu gestatten. Die Gerichtskanzlei Uri teilte ihm am 29. Mai 1948 mit, dass das
Obergericht am 16. April 1948 folgenden Beschluss über die Zulassung
ausserkantonaler Anwälte gefasst habe:
« Zur Erlangung der allgemeinen Bewilligung ist erforderlich:
a) Ein schriftliches Gesuch an das Obergericht.
b) Die Vorlegung:
1. Befähigungsausweis;
2. Leumundszeugnis der Heimatgemeinde
3. eines Zeugnisses der Disziplinarbehörden derjenigen Kantone, in welchen der
Gesuchsteller bisher seinen Wohnsitz hatte und seinen Beruf ausübte.
c) Die Erlegung einer Bewilligungsgebühr von Fr. 130.­ zusätzlich der
Schreibgebühren und Kanzleiauslagen.
Das Obergericht entscheidet nach Prüfung der Akten und allfälliger weiterer
Erhebungen sowie nach eingeholter Vernehmlassung der kantonalen
Prüfungskommission. »
Am 25. November 1948 erteilte das Obergericht Dr. Muheim die verlangte
Bewilligung. Der Beschluss wurde ihm am 16. Dezember 1948 gegen Nachnahme von
Fr. 134.­ (Fr. 130.­ Gebühr und Fr. 4.­ Kanzleikosten) zugestellt.
B. ­ Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 14. Januar 1949 beantragt Dr.
Muheim, den Beschluss des Obergerichtes vom 25. November 1948 bezw. 16. April
1948 mit Bezug auf die Gebühr aufzuheben. Zur Begründung wird geltend gemacht:
Gemäss § 10 der urnerischen Verordnung über die Ausübung des Anwaltsberufes im
Kanton Uri vom 12. Juni 1943 sei für die Bewilligung zur Berufsausübung a eine
angemessene Gebühr » zu bezahlen. Die vom Obergericht erhobene Gebühr von Fr.
130.­ sei nicht mehr angemessen. Sie sei um Fr. 30.­ höher als die Gebühr,
welche der Kanton für die Fürsprecherprüfungen verlange, und stehe in keinem
Verhältnis zur Beanspruchung des Obergerichtes bei der Prüfung des Gesuches.
Sie falle auch bei einem

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Vergleich mit den Gebühren anderer Kantone vollständig aus dem Rahmen. Durch
den Beschluss des Obergerichtes vom 16. April 1948 werde die in Art. 33
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 33 Petitionsrecht - 1 Jede Person hat das Recht, Petitionen an Behörden zu richten; es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen.
1    Jede Person hat das Recht, Petitionen an Behörden zu richten; es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen.
2    Die Behörden haben von Petitionen Kenntnis zu nehmen.
BV und
Art. 5
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns - 1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
1    Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
2    Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.
3    Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.
4    Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.
Üb. Best. z. BV vorgeschriebene Freizügigkeit wenn nicht illusorisch,
so doch erheblich erschwert. Der Beschluss und der gestützt darauf getroffene
Entscheid vom 25. November 1948 sei daher mit Bezug auf die Gebühren als
bundesverfassungswidrig aufzuheben.
C. ­ Das Obergericht des Kantons Uri beantragt, nicht auf die Beschwerde gegen
den Beschluss vom 16. April 1948 einzutreten und die gegen den Entscheid vom
25. November 1948 gerichtete Beschwerde abzuweisen. Es führt aus:
Für die generelle Bewilligung zur Ausübung des Anwaltsberufes im Kanton Uri
sei eine Gebühr von Fr. 130.­ nicht übersetzt. Wer um die generelle
Bewilligung nachsuche, beabsichtige eine regelmässige Praxis im Kanton oder
habe doch zum mindesten mehrere Fälle dort und rechne mit weitern Aufträgen.
Die Freizügigkeit werde daher durch die Gebühr von Fr. 130.­ weder verhindert
noch erschwert. Die Prüfungsgebühr könne nicht zum Vergleiche herangezogen
werden, weil sie wie die andern Studienkosten von den Eltern und Erziehern zu
zahlen sei; der Urner Anwalt habe zudem Wohnsitz im Kanton und müsse dort
seine Steuern und Abgaben entrichten. Das Obergericht habe bei der Festsetzung
der Gebühr sein Ermessen nicht überschritten.
Aus den Erwägungen:
3. ­ Nach Art. 5
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns - 1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
1    Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
2    Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.
3    Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.
4    Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.
Üb. Best. z. BV sind Anwälte, die in einem Kanton den Ausweis
der Befähigung erlangt haben, grundsätzlich befugt, ihren Beruf in der ganzen
Schweiz auszuüben. Die Kantone sind jedoch berechtigt, die Ausübung des
Berufes von der Einholung einer Bewilligung abhängig zu machen und hiefür eine
Gebühr zu erheben, d. h. ein Entgelt für die damit verbundene besondere
Inanspruchnahme der öffentlichen Verwaltung. Mehr als

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eine « angemessene Gebühr » und die « Kanzleikosten », wie § 10 der
urnerischen Anwaltsverordnung vom 21. Mai 1943 vorsieht, dürfen die Kantone
von einem Gesuchsteller aber nicht verlangen. Eine höhere Abgabe wäre mit der
in Art. 33
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 33 Petitionsrecht - 1 Jede Person hat das Recht, Petitionen an Behörden zu richten; es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen.
1    Jede Person hat das Recht, Petitionen an Behörden zu richten; es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen.
2    Die Behörden haben von Petitionen Kenntnis zu nehmen.
BV und Art. 5
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns - 1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
1    Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
2    Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.
3    Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.
4    Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.
Üb. Best. z. BV gewährleisteten Freizügigkeit
unvereinbar (vgl. BGE 23 I 479 ff.; 51 I 16 f.; 52 I 365) f.).
Die vom Obergericht des Kantons Uri beschlossene Abgabe von Fr. 130.­ hält
demnach nur vor der Verfassung stand, wenn sie noch den Charakter einer Gebühr
hat. Das ist der Fall, wenn sie in einem angemessenen Verhältnis zur amtlichen
Tätigkeit steht, für die sie erhoben wird. Erforderlich ist insbesondere, dass
sie dem Staat nicht mehr als seine Kosten ersetzt, wobei allerdings nicht
bloss die Auslagen und Bemühungen für den einzelnen Fall in Betracht fallen,
sondern auch ein entsprechender Anteil an den Aufwendungen für die staatlichen
Einrichtungen eingerechnet werden darf, die nötig sind, um die in Frage
stehende behördliche Verrichtung vornehmen zu können. Ist eine Abgabe höher
als der Kostenbetrag der staatlichen Leistung, wird sie zur Steuer (BGE 46 I
414
; 51 I 16 f.; 53 I 482; 56 I 515; 63 I 152; 66 I 8, 98; 72 I 394 ff.;
FLEINER: Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl., S. 425f.).
4. ­ Wer sich im Kanton Uri gestützt auf Art. 5
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns - 1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
1    Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
2    Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.
3    Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.
4    Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.
Üb. Best. z. BV um die
Bewilligung zur Ausübung des Anwaltsberufes bewirbt, hat dem Obergericht einen
Befähigungsausweis, ein Leumundszeugnis und ein Zeugnis der Disziplinarbehörde
der Kantone, in denen er wohnte und praktizierte, einzureichen. Das
Obergericht entscheidet nach Prüfung der Akten und allfälliger weiterer
Erhebungen sowie nach eingeholter Vernehmlassung der kantonalen
Prüfungskommission. Das Bewilligungsverfahren beschränkt sich demnach
ordentlicherweise auf die Prüfung einiger weniger Aktenstücke durch das
Obergericht und die Prüfungskommission. Diese geringfügige amtliche Tätigkeit
und die für den Staat mit dem

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Bewilligungsverfahren verbundenen Aufwendungen stehen in einem offenbaren
Missverhältnis zu der für die Bewilligung erhobenen Abgabe von Fr. 130­, auch
dann, wenn der Bedeutung der Bewilligung Rechnung getragen wird und
berücksichtigt wird, dass sich zwei Kollegialbehörden, worunter das
Obergericht, mit dem Gesuche zu befassen haben. Die Möglichkeit weiterer
Erhebungen rechtfertigt es nicht, dem Gesuchsteller in allen Fällen eine
Abgabe von Fr. 130.­ aufzuerlegen, zumal da ja die Kanzleikosten gesondert
berechnet werden. Der Beschluss vom 16. April 1948 ist daher jedenfalls
insoweit verfassungswidrig, als er Bewilligungen betrifft, die ohne weitere
Erhebungen, lediglich gestützt auf eine Prüfung der vorgeschriebenen Zeugnisse
erteilt werden. Ob anders zu entscheiden wäre, wenn weitere Erhebungen die
Regel bilden würden, braucht nicht geprüft zu werden, da nicht geltend gemacht
ist, dass diese Voraussetzung für den Kanton Uri zutreffe.
Ein Anzeichen dafür, dass die im Kanton Uri erhobene « Gebühr » von Fr. 130.­
in keinem angemessenen Verhältnis zur Leistung des Staates steht, sind auch
die von andern Kantonen erhobenen Taxen. Diese sind von wenigen Ausnahmen
abgesehen ­ wo möglicherweise besondere Verhältnisse vorliegen, weil
regelmässig Erhebungen vorgenommen werden ­ ganz wesentlich geringer. Mit der
ungewöhnlich hohen Abgabe, die das Obergericht Uri beschlossen hat, scheint
bezweckt zu sein, das Auftreten ausserkantonaler Anwälte im Kanton Uri zu
erschweren. Für diese Auffassung spricht jedenfalls, dass die Erteilung der
Bewilligung zur Ausübung des Anwaltsberufes im Kanton Uri, wenn sie mit einer
Prüfung verbunden ist, also zum mindesten die Prüfungskommission
unvergleichlich stärker belastet, nur Fr. 100.­ kostet. Anzeichen dafür, dass
diese Gebühr besonders niedrig angesetzt wurde und die dem Staate erwachsenden
Kosten nicht deckt, fehlen.
5. ­ Das Obergericht macht nicht geltend, dass im Bewilligungsverfahren des
Beschwerdeführers besondere

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Erhebungen angestellt wurden. Unter diesen Umständen war die von ihm
geforderte Abgabe von Fr. 130.­, mit den Kanzleikosten von Fr. 134.­,
offensichtlich übersetzt und keine Gebühr mehr, sondern zum Teil eine Steuer.
Der Beschluss des Obergerichtes vom 25. November 1948 ist daher als
verfassungswidrig aufzuheben. Das Obergericht hat die Abgabe angemessen zu
ermässigen und dem Beschwerdeführer das zuviel Bezahlte zurückzuerstatten.
Gebührencharakter hätte im Falle des Beschwerdeführers eine Abgabe von etwa
Fr. 50.­ - 70.­. Eine Gebühr in dieser Höhe entspricht einigermassen den
Ansätzen, die in Kantonen mit ähnlichen Verhältnissen üblich sind. Sie steht
auch im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtes, das
beispielsweise in BGE 23 I 480 ausführte, dass der Bezug einer « mässigen »,
Kanzleigebühr zulässig sei, und in BGE 51 I 16 ff. erklärte, die Gebühr für
die Erteilung der Bewilligung zur Ausübung des Arztberufes dürfe höchstens Fr.
20.­ betragen. Bei einem Anwalte liegen die Verhältnisse nicht wesentlich
anders als bei einem Arzt, jedenfalls trägt ein Ansatz von Fr. 50.­ - 70.­ den
Besonderheiten der Bewilligung zur Ausübung des Anwaltsberufes sowie der
Eigenart des urnerischen Verfahrens und der seitherigen Teuerung genügend
Rechnung.