S. 71 / Nr. 19 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (d)

BGE 66 III 71

19. Entscheid vom 19. Oktober 1940 i. S. Fliegler.

Regeste:
Arrestierung von Vermögen einer aufgelösten juristischen Person ist
(entsprechend der Zweckbestimmung des Arrestes, rasch wirksamen Schutz zu
gewähren, unter Vorbehalt der gerichtlichen Beurteilung der
materiellrechtlichen Fragen) auch dann aufrechtzuerhalten, wenn der
betreffende Verband keine Organe und Vertreter mehr hat, sein Weiterbestand
überhaupt bestritten ist und ein neuer Verband kraft öffentlichen Hechts als
Erwerber des Aktivvermögens auftritt. Lässt sich für das arrestierte Vermögen
keine Vertretung bestellen, so ist der neue Verband auf Sachhaftung zu
betreiben.
Séquestre des biens d'une personne morale dissoute. Conformément au but du
séquestre qui est de procurer une protection rapide, et sous réserve de la
solution du fond du débat par une autorité judiciaire, cette mesure
conservatrice doit être maintenue même lorsque la personne dont il s'agit n'a
plus d'organes ni de représentant, que son existence est contestée et qu'en
vertu du droit public une nouvelle personne morale apparaît comme propriétaire
de l'actif. Si un représentant ne peut être constitué pour les biens
séquestrés, il y a lieu de poursuivre la nouvelle personne morale sur ces
biens.
Sequestro dei beni di una persona giuridica che è stata sciolta. Conformemente
al suo scopo che è quello di procurare una protezione rapida, e sotto riserva
della decisione sul merito da parte di un'autorità giudiziaria, il sequestro
va mantenuto

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anche qualora la persona di cui si tratta non abbia più gli organi che la
rappresentano, la sua esistenza sia contestata e, in virtù del diritto
pubblico, una nuova persona appaia come proprietaria dell'attivo. Se per i
beni sequestrati non può essere costituito un rappresentante, devesi escutere
la nuova persona giuridica relativamente a questi beni.

A. ­ In einer im Jahre 1935 angehobenen, im März 1939 nach erfolgreich
beendigtem Prozess fortgesetzten Arrestbetreibung des Christlichen
Metallarbeiterverbandes Bezirk Saar gegen Otto Pick hat das Betreibungsamt
Basel-Stadt einen Erlös von Fr. 5401.40 erzielt. Diesen Erlös hat einerseits
ein angeblicher Gläubiger (früherer Angestellter) des erwähnten Verbandes,
Niklaus Fliegler, für einen Anspruch auf Abfindung, eventuell Schadenersatz,
mit Arrest belegen lassen. Anderseits hat die Vermögensverwaltung der
Deutschen Arbeitsfront G. m. b. H. Berlin den Erlös für sich beansprucht mit
der Behauptung, der Christliche Metallarbeiterverband Bezirk Saar bestehe
nicht mehr, und dessen aktives Vermögen sei kraft Reichsgesetzes vom 9.
Dezember 1937 und ministerieller Verfügung vom 24. März 1939 bereits mit
Wirkung seit Ende 1935 auf sie übergegangen, ohne dass sie anderseits, mit
Ausnahme bestimmter Fälle, für Schulden des aufgelösten Verbandes zu haften
habe.
B. ­ Bereits zuvor hatte denn auch die am 5. Juni 1939 für Fliegler
aufgenommene Arresturkunde dem als Schuldner bezeichneten Verband in
Saarbrücken nicht zugestellt werden können, sondern war mit dem Vermerk
zurückgekommen, die Firma des Adressaten sei erloschen; ebenso der
anschliessende Zahlungsbefehl. Da anderseits die Vermögensverwaltung der
Deutschen Arbeitsfront eine Schuldhaftung nicht anerkannte, betrachtete das
Betreibungsamt den Christlichen Metallarbeiterverband Bezirk Saar als ohne
Rechtsnachfolge erloschen und lehnte das Begehren der Ansprecherin um
Überweisung des erwähnten Verwertungserlöses wie dann auch deren Gesuch vom
25. Juni 1940 um Aufhebung des für Fliegler vollzogenen Arrestes ab.

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C. ­ Gegen beide Verfügungen erhob die Vermögensverwaltung der Deutschen
Arbeitsfront Beschwerde. Die kantonale Aufsichtsbehörde hat die erste
Beschwerde noch nicht beurteilt, die zweite dagegen am 23. September 1940
gutgeheissen und den Arrest aufgehoben. Aus den Gründen: Eine auf den Namen
einer nicht rechtlich existenten physischen oder juristischen Person als
Gläubiger laufende Betreibung könne jederzeit als nichtig aufgehoben werden;
gleiches müsse für die Person des Schuldners gelten. Nun habe sich ergeben,
dass der Christliche Metallarbeiterverband Bezirk Saar nicht mehr existiere;
daher könne das Arrestverfahren nicht durchgeführt werden. Der Arrest sei auch
nicht richtig prosequiert worden: «Der Zahlungsbefehl konnte nicht zugestellt
werden und eine Arrestprosekutionsklage hat er (der Gläubiger) nicht
eingeleitet».
D. ­ Fliegler zieht diesen Entscheid an das Bundesgericht. Er hält an der
Gültigkeit der Arrestlegung fest und beantragt, die dagegen gerichtete
Beschwerde der Vermögensverwaltung der Deutschen Arbeitsfront abzuweisen.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
zieht in Erwägung:
1. ­ Das mit dem Vollzug des Arrestbefehls beauftragte Betreibungsamt hatte
die Arrestierung vorzunehmen, ohne die Voraussetzungen des Arrestbefehls,
worüber die Arrestbehörde allein zu befinden hatte, nachzuprüfen (BGE 64 III
128
). Insbesondere hatte es sich nicht mit dem Bestand der von Fliegler
geltend gemachten Forderung und somit auch nicht mit der Frage zu befassen, ob
der als Arrestschuldner bezeichnete Christliche Metallarbeiterverband Bezirk
Saar noch existiere. Dem Gläubiger hatte Übrigens vor der Arrestbehörde blosse
Glaubhaftmachung obgelegen (Art. 272
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 272 - 1 Der Arrest wird vom Gericht am Betreibungsort oder am Ort, wo die Vermögensgegenstände sich befinden, bewilligt, wenn der Gläubiger glaubhaft macht, dass:476
1    Der Arrest wird vom Gericht am Betreibungsort oder am Ort, wo die Vermögensgegenstände sich befinden, bewilligt, wenn der Gläubiger glaubhaft macht, dass:476
1  seine Forderung besteht;
2  ein Arrestgrund vorliegt;
3  Vermögensgegenstände vorhanden sind, die dem Schuldner gehören.
2    Wohnt der Gläubiger im Ausland und bezeichnet er keinen Zustellungsort in der Schweiz, so ist das Betreibungsamt Zustellungsort.
SchKG). Der gerichtliche Entscheid und
die allfällige Schadenersatzpflicht des Gläubigers für ungerechtfertigten
Arrest blieben ohnehin

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vorbehalten (Art. 273). Auch konnte der Arrest sehr wohl ohne Mitwirkung des
Schuldners vollzogen und dann auch durch rechtzeitiges Betreibungsbegehren
gemäss Art. 278 I prosequiert werden. Die Person des Schuldners war allerdings
für die weitere Durchführung des Verfahrens, namentlich für die an ihn zu
bewirkenden Zustellungen von Bedeutung. Aber der Vorinstanz kann nicht
beigepflichtet werden, dass sich wegen der in dieser Hinsicht aufgetauchten
Schwierigkeiten die Betreibung als unmöglich erweise und der Arrest demzufolge
nicht festgehalten werden könne.
Die Vorinstanz geht davon aus, dass der als Schuldner bezeichnete Verband
nicht mehr existiere, und folgert daraus die rechtliche Unmöglichkeit der von
Fliegler anbegehrten Betreibung. Allein, ob eine juristische Person zu
bestehen aufgehört habe, ist nicht wie der Tod einer natürlichen Person
einfach Gegenstand tatsächlicher Feststellung, sondern eine vom materiellen
Recht beherrschte Frage, deren Beurteilung den Gerichten vorbehalten bleiben
muss. Den Betreibungsbehörden steht nicht zu, diese Entscheidung
vorwegzunehmen und, wenn sie zur Annahme der Nichtexistenz der als Schuldner
belangten juristischen Person gelangen, die Arrestlegung abzulehnen bezw. den
Arrestvollzug im Beschwerdeverfahren aufzuheben. Sie dürfen eine solche
Entscheidung auch nicht vorfrageweise treffen in dem Sinne, dass dem Gläubiger
freigestellt würde, den Richter anzurufen und im Falle des Obsiegens ein neues
Arrestgesuch zu stellen, wobei der gerichtliche Entscheid nun für die
Betreibungsbehörden verbindlich wäre. Würde dies zugegeben, so wäre dem
Gläubiger der rasche Schutz versagt, den der Arrest gewähren soll. Um seinen
Zweck zu erfüllen, ist der Arrest auch bei zweifelhafter materieller
Rechtslage zu vollziehen und das weitere dem gerichtlichen Verfahren zu
überlassen. Diesen Grundsatz hat das Bundesgericht bereits mit Bezug auf
Arrestgegenstände hervorgehoben, deren Vorhandensein sich nicht durch
tatsächliche Feststellung

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ermitteln lässt: Handelt es sich nicht um körperliche Sachen, sondern Rechte
wie z. B. einen Erbanteil, so ist die Arrestierung vorzunehmen, ohne Rücksicht
auf eine allenfalls erhobene Einrede, das betreffende Recht bestehe mangels
der dafür von der materiellen Rechtsordnung aufgestellten Voraussetzungen
nicht (BGE 54 III 48 Erw. 2). Ebenso ist es mit der Frage zu halten, ob eine
aufgelöste juristische Person noch als Rechtssubjekt fortbestehe und als
solches belangt werden könne. Indem die Vorinstanz als Betreibungsbehörde
diese Frage in Anwendung des zutreffenden deutschen Rechts verneint und aus
diesem Grunde den Arrest aufgehoben hat, hat sie nicht etwa in einer für das
Bundesgericht verbindlichen Weise ausländisches Recht angewendet, sondern
schweizerisches Verfahrensrecht verletzt, das den Betreibungsbehörden eine
solche Entscheidungsbefugnis nicht zugesteht.
2. ­ Es ist anerkannt, dass ein, wie hier, rechtzeitig gestelltes
Betreibungsbegehren den Arrest auch dann wirksam prosequiert, wenn es wegen
Fehlens einer verwendbaren Zustellungsadresse des Schuldners nicht ohne
weiteres durch Zustellung des Zahlungsbefehls vollzogen werden kann (BGE 64
III 64
). Im vorliegenden Fall erscheinen Nachforschungen nach einer Adresse
des aufgelösten Christlichen Metallarbeiterverbandes Bezirk Saar allerdings
als aussichtslos, und eine sogenannte öffentliche Zustellung, wie sie im
allgemeinen als letztes Mittel der Bekanntgabe vorbehalten bleibt, kommt auch
nicht in Frage gegenüber einem Vertand, der keine Organe noch sonstige
Vertreter mehr hat. Dagegen könnte die Entdeckung von Vermögen einer
juristischen Person ohne handlungsfähige Vertretung Anlass zur nachträglichen
Bestellung einer geeigneten Vertretung bieten, etwa, wie dies das
Betreibungsamt angeregt hat, in Form einer von der Vormundschaftsbehörde zu
bestellenden Beistandschaft für das betreffende Vermögen (vgl. BGE 54 III
196
). Auch dies ist aber im vorliegenden Falle nicht

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tunlich. Der Rekurrent hat bisher keine dahingehenden Schritte unternommen,
und die Vormundschaftsbehörde von Basel würde einem solchen Gesuch angesichts
der Eigentumsansprache der Vermögensverwaltung der Deutschen Arbeitsfront und
der dieser Ansprache zugrunde liegenden Rechtsvorschriften kaum entsprechen.
Auch das ist aber keine Grund, das von Fliegler eingeleitete Verfahren als
undurchführbar zu erklären. Es ist gar nicht nötig, den als Schuldner
bezeichneten alten Verband mittels einer Beistandschaft als fortbestehendes
Rechtssubjekt zu fingieren. Im Grunde geht es nicht um die Fortexistenz jenes
Verbandes, noch darum, ob die Vermögensverwaltung der Deutschen Arbeitsfront
dessen Vermögen erworben habe oder nicht, sondern darum, ob das noch
vorhandene Vermögen des alten Verbandes für dessen Schulden weiterhafte, auch
wenn es auf die neue Organisation übergegangen sein sollte. Das macht der
Rekurrent geltend, während die Vermögensverwaltung der Deutschen Arbeitsfront
das arrestierte Vermögen lastfrei erworben zu haben behauptet. Welches die
Rechtswirkungen einer Auflösung juristischer Personen als Träger passiven
Vermögens, insbesondere auf im Ausland liegendes Aktivvermögen seien, ist
wiederum eine Frage des materiellen Rechts. Behauptet jemand als Gläubiger des
alten Verbandes die Weiterhaftung solchen Aktivvermögens, so kann ihm nicht
verwehrt werden, den Streit vor den Gerichten zum Austrag zu bringen, und zwar
gegenüber demjenigen, dessen Rechte durch diese Prätention gefährdet werden,
also demjenigen, der das betreffende Vermögen zufolge lastfreien Überganges
unbeschwert für sich in Anspruch nehmen will. Fraglich ist nur, ob dies in
Verbindung mit einem Widerspruchsverfahren oder in anderer Weise geschehen
soll. Da nun der Christliche Metallarbeiterverband Bezirk Saar aufgelöst ist
und keine Vertretung mehr hat, ihn auch niemand schlechthin fortsetzen will
und der Rekurrent selbst nichts getan hat, um ein von der Vermögensverwaltung
der Deutschen Arbeitsfront verschiedenes Rechtssubjekt als handlungsfähigen

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Schuldner und (angeblichen) Eigentümer der Arrestobjekte herzustellen, ist der
Vermögensverwaltung der Deutschen Arbeitsfront unmittelbar die Stellung eines
passiven Subjekts des Arrest- und Betreibungsverfahrens einzuräumen, mit der
Massgabe, dass sie lediglich auf Haftung mit dem arrestierten Vermögen belangt
erscheint. Ihr sind also Arresturkunde und Zahlungsbefehl zuzustellen, wie
wenn sie als bereits anerkannte Eigentümerin der Arrestobjekte auf blosse
Sachhaftung betrieben würde. Dadurch wird den Rechten des Rekurrenten nicht
Abbruch getan; es bleibt ihm unbenommen, im Forderungsprozess den Übergang des
Vermögens des alten Verbandes auf die neue Organisation neuerdings zu
bestreiten und nur eventuell die Weiterhaftung trotz solchen Überganges
geltend zu machen. Anderseits erhält auch die Vermögensverwaltung der
Deutschen Arbeitsfront die ihr im Verfahren gebührende Stellung; könnte sie
doch die Arrestobjekte keinesfalls herauserhalten, ohne sich mit dem
Rekurrenten über deren Weiterhaftung auseinandergesetzt zu haben. Sie ist also
auf Verwertung der arrestierten Gegenstände zu betreiben, während die Frage,
ob sie persönlich als Schuldnerin hafte, sich erst auf Grund eines
Arrestbefehls gegen sie als Schuldnerin stellen würde.
3. ­ Die Ansicht der Vorinstanz, der Rekurrent hätte bereits Veranlassung
gehabt, gerichtliche Klage zu erheben, um den Arrest weiterhin zu
prosequieren, ist irrtümlich; läuft doch nach ausdrücklicher Bestimmung von
Art. 278 II SchKG eine solche Prosequierungsfrist, vorausgesetzt dass das
Betreibungsbegehren rechtzeitig gestellt ist, erst wenn der Schuldner (oder
der auf Sachhaftung Betriebene) Rechtsvorschlag erhoben hat.
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen und der angefochtene
Entscheid aufgehoben.