S. 221 / Nr. 47 Muster- und Modellschutz (d)

BGE 55 II 221

47. Urteil der I. Zivilabteilung vom 9. Juli 1929 i. S. Balloid, Basler
Celluloidwarenfabrik A.-G. gegen Walter-Obrecht A.-G.


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Regeste:
Muster- und Modellschutz. Begriff des schutzfähigen Musters oder Modelles. MMG
Art. 2, 3, 12 4 .

A. - Die Beklagte, Balloid, Basler Celluloidwarenfabrik A.-G., in Therwil,
hinterlegte am 26. Februar, 5. und 11. Mai 1925 beim Eidg. Amt für geistiges
Eigentum in Bern insgesamt 4378 Modelle von Frisierkämmen. Bei allen diesen
Kämmen handelt es sich um Abarten einer Grundform, die einen Kamm mit doppelt
geschweiftem Zahnfeld und einfach oder doppelt geschweiftem Rücken darstellt.
Auf Grund dieser Hinterlegungen versieht die Beklagte die Kämme, die sie in
den Handel bringt, mit dem Aufdruck «Déposé».
B. - Am 12./13. Dezember 1928 hob die Klägerin, O. Walter-Obrecht A.-G.,
welche seit Jahrzehnten in Mümliswil eine Kammfabrik betreibt, beim
Obergericht des Kantons Baselland die vorliegende Klage an, mit dem
Rechtsbegehren, «es seien die von der Beklagten vollzogenen
Modellhinterlegungen als ungültig zu erklären».
Zur Begründung dieses Begehrens macht die Klägerin geltend: Sämtliche
hinterlegten Kammformen entbehren der Neuheit. Kämme mit einfach und doppelt
geschweiftem Rücken seien schon lange im Gebrauch, ebenso sei das einfach oder
doppelt geschweifte Zahnfeld seit langem üblich. Die Klägerin stelle selbst
seit 1910 solche Kämme her. Die Kombination des geschweiften Rückens mit dem
einfach oder doppelt geschweiften Zahnfeld sei ebenfalls

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vorbekannt; sie selber fabriziere derartige Kämme seit 1912. Die Klage müsse
aber auch darum gutgeheissen werden, weil die Schweifung des Zahnfeldes
lediglich einen Nützlichkeitszweck, die Anpassung desselben an die Kopfform,
verfolge. Eine Neuerung, die in der Erreichung eines technischen Fortschrittes
bestehe, könne nur auf dem Wege des Patent-, nicht auf demjenigen des
Modellschutzes zum Gegenstand eines Sonderrechtes gemacht werden. Die
Formwirkung der geschweiften Zahnlinie sei eine sehr geringe, wie denn auch
die Beklagte selber in ihrer Propaganda stets den Nützlichkeitszweck ihrer
angeblichen Neuerung hervorgehoben habe.
C. - Die Beklagte hat Abweisung der Klage beantragt. Sie führt aus, sie habe
es von Anfang an darauf abgesehen gehabt, und es sei ihr gelungen, einen
besonders schönen, auf den Formsinn wirkenden Kamm herzustellen. Kämme mit
doppelt geschweifter Zahnlinie seien neu. Der Hinweis der Klägerin auf ihre
Musterbücher sei unbehelflich, denn sie habe die hienach hergestellten Kämme
in der Schweiz gar nicht, im Auslande nur sehr spärlich verkaufen können. Die
Klage müsse schon dann abgewiesen werden, wenn die Kämme der Beklagten auch
nur in der Schweiz neu seien. Richtig sei, dass die Schaffung eines Zahnfeldes
mit doppelter Schweifung (einer für die groben und einer für die feinen Zähne)
an sich einen Nutzeffekt verfolge; massgebend sei indessen, dass der ganze
Balloidkamm als Kombination verschiedener teilweise vorbekannter Elemente eine
originelle Wirkung auf den Formsinn ausübe. In der von der Beklagten
entfalteten Propaganda sei nicht nur auf den Nutzeffekt hingewiesen, sondern
es seien stets auch die ästhetischen Vorteile der von ihr hergestellten Kämme
betont worden.
D. - Mit Urteil vom 8. März 1929 hat das Obergericht des Kantons Baselland die
Klage gutgeheissen und demgemäss erkannt:
«Die von der Beklagten beim Eidg. Amt für geistiges Eigentum in Bern
hinterlegten Modelle Nr. 37159 vom

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26. Februar 1925, Nr. 37471 vom 5. Mai 1925 und Nr. 37501 vom 11. Mai 1925
werden als ungültig erklärt.»
E. - Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die Berufung an das Bundesgericht
erklärt, mit dem Antrag auf Abweisung der Klage.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Nach Art. 2 MMG und der Rechtsprechung des Bundesgerichts muss ein
gewerbliches Muster oder Modell, um schutzfähig zu sein, eine auf das Auge
wirkende, sich an das ästhetische Gefühl wendende äussere Formgebung
aufweisen, sei es in graphischer, sei es in plastischer Gestalt, mit oder ohne
Farben, die zum Zwecke hat, bei der gewerblichen Herstellung eines
Gegenstandes als Vorbild zu dienen (vgl. BGE 29 II 366; 35 II 675 f.; Urt. vom
15. November 1912 i. S. Scholl g. Gerike, Erw. 2). Es fragt sich, ob die von
der Beklagten hinterlegten Kammodelle diese Erfordernisse erfüllen. Auf den
gesetzlichen Schutz kann die Beklagte für die äussere Formgestaltung ihrer
Kämme jedenfalls insoweit nicht Anspruch erheben, als dieselbe
Nützlichkeitszwecken dient (MMG Art. 3). Das trifft für die Schweifung der
Zahnung offenbar zu, und es konnte auch der Anordnung, die darin besteht,
jedes der beiden Zahnfelder für sich in gleichartiger Weise zu schweifen, nur
das Bestreben zugrunde liegen, die Brauchbarkeit des Kammes noch zu erhöhen.
Die Beklagte hat selbst bei Anpreisung ihrer Kammodelle den
Nützlichkeitseffekt in den Vordergrund gerückt und den «Balloid-Kamm» als
denjenigen hingestellt, der sich «dem Kopfe» oder «der Kopfform anpasse»; dass
sie schon vor Zustellung der vorliegenden Klage den Plan gefasst hatte,
künftighin vorwiegend die ästhetischen Vorzüge ihrer Kammform hervorzuheben,
hat sie laut vorinstanzlicher Feststellung nicht darzutun vermocht, und diese
Feststellung ist nach Art. 81 OG für das Bundesgericht verbindlich. Selbst
wenn daneben von einer ästhetischen Wirkung, einem gefälligen Aussehen der
hinterlegten

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Kammodelle gesprochen werden könnte, so stünde diese Formwirkung doch in
engstem Zusammenhange mit der erzielten Nützlichkeitsfunktion, wie es sich bei
Frisierkämmen überhaupt um Gebrauchsgegenstände handelt, deren Wesen nicht
sowohl darin besteht, durch ihre äussere Erscheinung den Geschmack zu
befriedigen, als vielmehr darin, vermöge ihrer praktischen Verwendbarkeit
einen Nützlichkeitszweck zu erfüllen. Damit von einem Schutze unter dem
Gesichtspunkte des nach dem MMG allein in Betracht kommenden
«Geschmacksmusters» die Rede sein könnte, müsste sonst in ästhetischer
Richtung etwas vorliegen, was geeignet wäre, den Schönheitssinn zu
befriedigen: die ästhetische Wirkung darf nicht ein blosser Ausfluss, eine
notwendige Folge der mit der Formgebung bezweckten und ermöglichten
praktischen Vorzüge sein (vgl. BGE 38 II 314 und das bereits zit. Urteil i. S.
Scholl g. Gerike, Erw. 2). Im übrigen liegt die doppelte Schweifung des
Zahnfeldes und ihre Verbindung mit einer Rückenschweifung derart auf der Hand,
dass auch vom rein ästhetischen Standpunkt aus betrachtet nicht gesagt werden
könnte, die Beklagte habe damit etwas wirklich Eigenartiges zum Ausdruck
gebracht. Die Klage muss daher schon gestützt auf Art. 12 Ziff. 4 MMG
gutgeheissen werden, weil die hinterlegten Kämme nicht als Modelle im Sinne
des Gesetzes angesehen und geschützt werden können.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons
Baselland vom 8. März 1929 bestätigt.