S. 56 / Nr. 12 Muster- und Modellschutz (d)

BGE 54 II 56

12. Urteil der I. Zivilabteilung vom 31. Januar 1928 i.S. Alfred Bühler A.-G.
gegen A.-G. Möbelfabrik Horgen-Glarus.


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Regeste:
Muster- und Modellschutz:
1. Neuheitszerstörung Art. 12 Ziff. 1 MMG: es kommt auf das tatsächliche
Bekanntsein in den beteiligten (inländischen) Verkehrskreisen an, nicht auf
die Art, wie das Muster oder Modell bekannt geworden ist, z. s. ob durch
Vertrauensmissbrauch (Erw. 2 bis 4).
2. Verhältnis der allgem. Bestimmungen über Haftung aus unerlaubter Handlung,
insbes. aus unlauterem Wettbewerb, zum MMG. Unlautere Reklame (Erw. 5 u. 6).

A. - Die Beklagte, Alfred Bühler A.-G., suchte am 26. Juni 1926 durch ihren
Vertreter in Zürich, A. Hölzle, für einen von ihr hergestellten Klappstuhl für
Theater-, Kinematographen-, Konzert- und Vortragssäle beim Eidg. Amt für
geistiges Eigentum den Muster- und Modellschutz nach, und erhielt ihn am 27.
Juni 1926 unter der Nummer 39,261. Bei der Anmeldung machte sie den für ihren
Stuhl in Deutschland schon früher erwirkten Modellschutz nicht geltend.
B. - Am 30. Juni 1926 liess die Klägerin, A.-G. Möbelfabrik Horgen-Glarus,
unter der Nummer 39,269 das Modell für einen ähnlichen Stuhl schützen und
brachte diesen im Sommer 1926 in den Verkehr, indem sie ihn an das
Pfauentheater Zürich und das Orientkino Zürich verkaufte. Die Beklagte leitete
deswegen am 1. September 1926 gegen die Klägerin, bezw. deren Direktor Schaub
Strafklage wegen Modell- und Musterschutzverletzung ein. Sie machte geltend,
dass die an das Orientkino gelieferte Bestuhlung nichts anderes sei, als eine
direkte Nachahmung des Stuhles, den sie

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hergestellt und für den sie den Modellschutz in der Schweiz erlangt habe.
C. - In der durch die Bezirksanwaltschaft Horgen durchgeführten
Strafuntersuchung gab Schaub zu, dass dem Stuhlmodell der Klägerin dasjenige
der Beklagten, das er beim Direktor des Pfauentheaters in Zürich zu
besichtigen Gelegenheit gehabt habe, in der Hauptsache als Grundlage gedient
habe; er berief sich aber darauf, dass damals noch kein Modell des Stuhles der
Beklagten beim Eidg. Amt für geist. Eigentum hinterlegt gewesen und dass
derselbe mangels Neuheit im Zeitpunkt der Hinterlegung überhaupt nicht
schutzfähig sei.
D. - Am 20. November hob die Klägerin beim Handelsgericht Zürich die
vorliegende Klage auf Ungültigerklärung des der Beklagten erteilten
Modellschutzes Nr. 39,261 an, worauf das gegen die Klägerin eingeleitete
Strafverfahren bis nach Ausgang des Zivilprozesses eingestellt wurde.
E. - Die Beklagte beantragte Abweisung der Klage und stellte widerklageweise
folgende Rechtsbegehren:
«1. Die Klägerin und Widerbeklagte habe das Nachmachen und Nachahmen des der
Beklagten und Widerklägerin unter Nr. 39,261 geschützten Modells eines
Klappstuhles, sowie das Inverkehrbringen und Verkaufen des nachgemachten
Gegenstandes sofort zu unterlassen.
2. Sie habe der Widerklägerin 60000 Fr. nebst 6% Zins seit 28. Juni 1926 als
Schadenersatz zu bezahlen.
3. Der für die Widerbeklagte unterm 30. Juni 1926 eingetragene Modellschutz
Nr. 39,269 sei ungültig zu erklären.
4. Der Widerklägerin sei das Recht einzuräumen, das Urteil auf Kosten der
Widerbeklagten je zweimal in drei von der Widerklägerin zu bestimmenden
schweizerischen Zeitungen zu veröffentlichen.»
F. - Das zürcherische Handelsgericht hat mit Urteil vom 30. September 1927
erkannt:
1. Die Hauptklage wird gutgeheissen, und der der

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Beklagten unter Nr. 39,261 am 27. Juni 1926 für einen Stuhl erteilte
Modellschutz als ungültig erklärt.
2. Der der Klägerin unter Nr. 39,269 am 30. Juni 1926 für einen Stuhl erteilte
Modellschutz wird ebenfalls als ungültig erklärt, und es wird die Klägerin
ferner verpflichtet, der Beklagten 1000 Fr. Schadenersatz nebst 5% Zins seit
10. November 1926 zu bezahlen; im übrigen wird die Widerklage abgewiesen.
G. - Gegen dieses Urteil hat die Beklagte und Widerklägerin die Berufung an
das Bundesgericht erklärt, mit den Anträgen:
1. Es sei die Hauptklage abzuweisen, und die Widerklage auch in den Punkten 1,
2 und 4 gutzuheissen.
2. Eventuell sei die Sache zur Aktenvervollständigung bezüglich des
Quantitativs in Punkt 2 der Widerklage an das Handelsgericht zurückzuweisen.
H. - Die Klägerin und Widerbeklagte hat sich der Berufung angeschlossen und
beantragt, es sei die Schadenersatzforderung der Widerklägerin auch in dem von
der Vorinstanz zugesprochenen Betrage von 1000 Fr. nebst Zins zu 5% seit 10.
Dezember 1926 abzuweisen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Da die Klägerin und Widerbeklagte die Entscheidung der Vorinstanz, durch
welche der Modellschutz für ihren Klappstuhl als ungültig erklärt wurde, nicht
anficht, hat es bei dieser teilweisen Gutheissung der Widerklage sein
Bewenden. Streitig sind vor Bundesgericht einerseits das Rechtsbegehren der
Hauptklage auf Aberkennung des der Beklagten gewährten Modellschutzes,
andrerseits der übrige Inhalt der Widerklage.
2.- Im ersteren Punkte dreht sich der Streit darum, ob das Stuhlmodell der
Beklagten im Zeitpunkt der Hinterlegung beim Eidg. Amt für geist. Eigentum
(27. Juni 1926) neu gewesen sei oder nicht, was nach Art. 12 Ziff. 1 MMG davon
abhängt, ob es damals «im Publikum oder in den beteiligten Verkehrskreisen

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bekannt» war. Es ist der Vorinstanz beizustimmen, dass hiefür, entsprechend
der Regelung in Art. 4 Abs. 1
SR 232.14 Bundesgesetz vom 25. Juni 1954 über die Erfindungspatente (Patentgesetz, PatG) - Patentgesetz
PatG Art. 4 - Im Verfahren vor dem Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum12 (IGE)13 gilt der Patentbewerber als berechtigt, die Erteilung des Patentes zu beantragen.
PatG und der Rechtsprechung auf dem Gebiete des
Markenschutzes (BGE 39 II 116 ff. und Urteil vom 30. November 1927 i. S.
Carborundum Cy. c. Schmirgelscheibenfabrik A.-G.) nur die Verhältnisse im
Inland in Betracht kommen (vgl. auch § 1 Abs. 2 des deutschen Gesetzes
betreffend den Schutz von Gebrauchsmustern, sowie Prop. industr. Jahrg. 1903
S. 113 f.). Es ist deshalb ohne Belang, ob die Behauptung der Klägerin
zutrifft, dass ein mit dem Stuhl der Beklagten übereinstimmender Klappsessel
schon am 9. Februar 1926 im Ufapalast in Stuttgart verwendet und dort am 12.
Juni gl. J. vom technischen Assistenten der Klägerin gesehen worden sei.
3.- Was das angebliche Vorbekanntsein des Stuhlmodells der Beklagten in der
Schweiz anbetrifft, so hat die Vorinstanz aktengemäss und daher in für das
Bundesgericht verbindlicher Weise festgestellt, dass im Mai 1426 für die
Bestuhlung des Pfauentheaters in Zürich eine Konkurrenz ausgeschrieben worden
war, und an dieser sich neben andern Fabrikanten auch die beiden Parteien
beteiligt haben. Der Vertreter der Beklagten in Zürich, A. Hölzle, hat nach
seinen eigenen Angaben etwa gegen Ende Mai den Stuhl der Beklagten zur
Besichtigung durch den Verwaltungsrat des Pfauentheaters in das Bureau von F.
Rieser, Direktor der Genossenschaft Pfauen, an die Waldmannstrasse verbracht,
und das Modell hat dort wochenlang mit Modellen anderer Fabrikanten in einem
Raume bezw. Magazin zur Besichtigung gestanden. Der Stuhl ist daselbst
jedenfalls während des Monats Juni 1926 von den Angestellten der
Genossenschaft Pfauen und auch vom genannten Direktor den Personen, die sich
dafür interessierten, gezeigt worden, und er ist so nicht nur von den
Mitgliedern, den Verwaltungsräten und Angestellten der Genossenschaft, sondern
auch von andern Personen gesehen worden, die keine besondere Veranlassung
hatten, ihn mit

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Rücksicht auf den Umbau des Pfauentheaters zu besichtigen, so von Kinobesitzer
O. Beck in Winterthur, von K. Müller, der als Verwaltungsrat der Steinmühle
A.-G. für die Bestuhlung eines Kinos zu sorgen hatte, von den Architekten
Kaufmann, Flockiger und Leuenberger, sowie namentlich auch vom Direktor der
Klägerin, Schaub.
4.- Nach der Auffassung der Beklagten konnten diese Vorgänge deswegen nicht
neuheitsschädlich wirken, weil ihr Stuhlmodell dem Direktor des Pfauentheaters
lediglich zur Offerte und «unter Auflage der Geheimhaltung, im Vertrauen»
vorgezeigt und überlassen worden sei und die genannten Personen nur durch
Bruch einer Geheimnispflicht instand gesetzt worden seien, das Modell zu
besichtigen. Die Beklagte beruft sich dafür, dass das Bekanntwerden eines
Musters auf dem Wege der widerrechtlichen Durchbrechung eines Geheimnisses die
Neuheit des Musters nicht zerstöre, auf KOHLER, Musterrecht S. 80, Handb. d.
Pat. r. § 73 S. 193 f. und GUYER, Komm. z. MMG, Anm. 7 zu Art. 12. Allein zu
Unrecht. Aus dem Ausspruch KOHLERS, dass der Gebrauch ein offenkundiger sein
müsse und eine Verbreitung zu dem Zwecke, dass jemand im Vertrauen den
Gegenstand erproben soll, noch keine neuheitsschädliche Verwendung sei
(Musterrecht S. 80), könnte die Beklagte nur dann etwas zu ihren Gunsten
herleiten, wenn Hölzle sich darauf beschränkt hätte, anlässlich der
Konkursausschreibung das Stuhlmodell dem Direktor Rieser vertraulich und mit
der Verpflichtung zur Geheimhaltung zu überlassen und ebenso eventuell auch
anderen Interessenten, und diese die Geheimnispflicht tatsächlich innegehalten
hätten. Alsdann könnte in der Tat nicht angenommen werden, dass der Stuhl im
Publikum oder in den beteiligten Verkehrskreisen schon vor der Hinterlegung
des Modells bekannt gewesen sei. Hier stellt sich aber die Frage so, ob die
Bekanntgabe des Modells an Vertreter von Konkurrenzfirmen und sonstige
Drittpersonen durch Rieser, welche vorbehaltslos

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und keineswegs mehr als eine vertrauliche erfolgt ist, als neuheitsschädlich
anzusehen sei, und für die Beantwortung dieser Frage ist mit jener Erwägung
nichts gewonnen. Dasselbe ist bezüglich der Ausführungen KOHLERS über die
Vorbenützung einer Erfindung zu sagen: letztere müsse über den Kreis des
Vertrauten, des Treuverhältnisses hinausgehen; nur was darüber hinausgehe, sei
publik (Handb. d. Pat. r. § 73 S. 193). Wollte man ferner in Anlehnung an
CANTOR (Schutz von Gebrauchsmustern S. 349) darauf abstellen, ob mit dem
Geheimhaltungsbruch des zur Verschwiegenheit Verpflichteten bei der Benützung
habe gerechnet werden müssen oder nicht, so wäre der Beklagten
entgegenzuhalten, dass ihr Vertreter Hölzle (selbst vorausgesetzt, dass seine
Sachdarstellung vollständig zutreffen sollte), keine genügenden Massnahmen
getroffen hatte, um die Geheimhaltung zu sichern. Ja er gibt selber zu, sich
mit mündlichen Vorstellungen, die nicht einmal bewiesen sind, beim
Bureaufräulein Riesers begnügt zu haben, als er bei einem späteren Besuche bei
diesem gewahr wurde, dass das Stuhlmodell der Beklagten mit andern Mustern
zusammen im Kulissenraum verwahrt war. Es ist ferner zu beachten, dass jener,
von CANTOR in den Vordergrund gerückte Gesichtspunkt sich auf das deutsche
Musterschutzgesetz vom 1. Juni 1891 gründet; dessen § 1 Abs. 2 weicht vom Art.
12 Ziff. 1 des Schweiz. MMG wesentlich ab, indem er bestimmt, dass Modelle
insoweit nicht als neu gelten, als sie zur Zeit der auf Grund des Gesetzes
erfolgten Anmeldung bereits in öffentlichen Druckschriften beschrieben oder im
Inlande offenkundig benutzt sind. Während also das deutsche Recht die
neuheitszerstörende Wirkung von der Verwendung bestimmter Mittel abhängig
macht, die geeignet sind, die Kenntnis des Musters zu vermitteln, kommt es
nach schweizerischem Recht auf die Bekanntgabe als solche, den Effekt, an,
gleichgültig, wie er eingetreten sein mag, speziell ob nach dem ordentlichen
Gang der Dinge nicht vorausgesehen werden konnte, dass das

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angewendete Mittel eine Bekanntgabe zur Folge haben werde. Ist ein Muster oder
Modell in den massgebenden Verkehrskreisen vor der Hinterlegung tatsächlich
bekannt geworden, so kann es nach Art. 12 Ziff. 1 MMG selbst dann nicht mehr
als neu angesehen werden, wenn die Kenntnis auf der Verletzung einer
Geheimhaltungspflicht beruhen sollte (vgl. Sten. Bull. der BV, Jahrg. 1900 S.
113, BGE 29 II 162). Die Vorinstanz konnte deshalb füglich von einer
Aufklärung des zwischen den Aussagen Hölzles und Riesers bestehenden
Widerspruches darüber, ob dieser jenem gegenüber eine Geheimhaltungspflicht
wirklich eingegangen sei oder nicht, Umgang nehmen.
Dagegen hat sie in für das Bundesgericht verbindlicher Weise festgestellt,
dass im vorliegenden Falle die beteiligten Verkehrskreise, worunter als
Konsumenten insbesondere die Theater- und Kinematographenbesitzer und als
Produzenten die Konkurrenten der Beklagten in der Lieferung derartiger
Bestuhlungen fallen, verhältnismässig klein sind und dass jedenfalls ein
erheblicher Teil derselben den Stuhl kannte, bevor die Beklagte dafür den
Modellschutz auswirkte. Damit wird die Berufung der Beklagten auf das Urteil
des Bundesgerichts vom 23. Mai 1903 i. S. Fischer g. Dreifuss hinfällig, in
welchem ausgeführt wurde, es sei, damit von einem Bekanntsein in den
beteiligten Verkehrskreisen gesprochen werden könne, erforderlich, dass eine
grössere Mehrheit von Industriellen, Händlern und Abnehmern des Produktes das
Muster kenne (vgl. BGE 29 II 368). Denn es ergibt sich hieraus keineswegs,
dass ein Bekanntsein im Sinne von Art. 12 Ziff. 1 MMG nicht schon bei
Bekanntgabe an eine verhältnismässig geringe Anzahl von Personen angenommen
werden könne, wenn der beteiligte Verkehrskreis selbst nach der Natur der
Sache ein sehr beschränkter ist. Unzutreffend ist schliesslich auch der von
der Beklagten weiterhin eingenommene Standpunkt, sie könne der Berufung der
Klägerin auf die mangelnde

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Neuheit des Modells mit Rücksicht auf die Verletzung der Geheimnispflicht
durch Rieser die exceptio doli entgegenhalten. Da nicht Rieser die
Ungültigkeitserklärung des Modellschutzes verlangt und kein Anhaltspunkt für
die Annahme einer Kollusion zwischen ihm und der Klägerin besteht, ist für
eine solche Einrede kein Raum. Das mit der Hauptklage gestellte Rechtsbegehren
ist daher in Übereinstimmung mit dem angefochtenen Urteil gutzuheissen.
5.- Damit ist auch den Widerklagebegehren 1 und 2 das Fundament entzogen,
soweit sie sich auf den Modellschutz gründen. Die Widerklage stützt sich aber
ausserdem, abgesehen von Art. 28
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 28 - 1 Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, kann zu seinem Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, das Gericht anrufen.
1    Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, kann zu seinem Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, das Gericht anrufen.
2    Eine Verletzung ist widerrechtlich, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist.
ZGB, welcher von vorneherein als unanwendbar
ausscheidet, auf die allgemeinen Bestimmungen über die Haftung aus unerlaubter
Handlung, insbesondere auf Art. 48
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 48
OR. In der Tat hat das Bundesgericht,
speziell im Urteil vom 9. Mai 1914 i. S. Schweiz. Broncewarenfabrik gegen
Kindlimann & Cie (BGE 40 II 360) ausgesprochen, dass nach ständiger Praxis und
übereinstimmender Auffassung der Doktrin die Spezialgesetze über den
gewerblichen Rechtsschutz und das Urheberrecht die Anwendung der
gemeinrechtlichen Bestimmungen über Haftung aus unerlaubter Handlung und
insbesondere über den unlauteren Wettbewerb nur insoweit ausschliessen, als
sie die Materie erschöpfend regeln und namentlich gegenüber dem gemeinen Recht
einen erhöhten Rechtsschutz gewähren. Handlungen, die nicht durch die
Spezialgesetze untersagt, den untersagten Tatbeständen aber ähnlich sind und
die Voraussetzungen unerlaubter Handlungen nach OR 41 ff. aufweisen, können
auf Grund dieser Bestimmungen verfolgt werden (vgl. ferner BGE 37 II 172; 38
II 701
ff.; 52 II 171; WEISS, Concurr. déloy. S. 54 ff.; OSER, Anm. IV 1 c zu
OR 48; BECKER, Vorbem. 7 zu OR 41/61). Allein der vorliegende Tatbestand ist
eben doch ein solcher, welcher an sich, die Gültigkeit des Modellschutzes
vorausgesetzt, unter das Verbot

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des Art. 24 Ziff. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 48
und 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 48
MMG fallen würde. Im übrigen könnte, so wie die
Verhältnisse liegen, auch schwerlich angenommen werden, dass die Widerbeklagte
durch das Inverkehrbringen des in Frage stehenden Stuhles der Widerklägerin in
einer gegen ein Gebot der allgemeinen Rechtsordnung verstossenden Weise
Schaden zugefügt habe. Die Annahme, dass die Widerbeklagte dabei vor allem auf
Wahrnehmung der eigenen Interessen ausging, liegt näher, als diejenige einer
absichtlichen Schadenszufügung, so dass auch ein allfälliges Verhalten wider
die guten Sitten nach Art. 41 Abs. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 41 - 1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
1    Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
2    Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt.
OR eine Schadenersatzpflicht nicht
begründen würde. Und zur Anwendung der Spezialbestimmung des Art. 48
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 48
OR über
den unlauteren Wettbewerb bedürfte es doch wohl neben der Nachbildung des
Stuhles der Widerklägerin noch anderweitiger, Treu und Glauben verletzender
Veranstaltungen, wie die Widerklägerin andrerseits in der Lage gewesen wäre,
einen ihr drohenden Schaden durch geeignete Massnahmen wenigstens teilweise
abzuwenden.
6.- Eine solche, offenbar durch Art. 48
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 48
OR verpönte Veranstaltung ist mit der
Vorinstanz in der Art und Weise zu erblicken, wie die Widerbeklagte mit dem
dem Modell der Widerklägerin nachgebildeten Stuhl den Wettbewerb betrieben
hat. Wie im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt wird, musste speziell
das Lesen der im «Schweizer Cinema» vom 16. Sept. 1926 erschienenen
Schilderung der durch die Widerbeklagte ausgeführten Neubestuhlung des Kinos
Orient in Zürich notwendig zu der Annahme verleiten, dass die Widerbeklagte
die Urheberin des als unübertrefflich gepriesenen Stuhlmodells sei, während
Schaub in der Strafuntersuchung ohne weiteres zugestanden hat, dass das Modell
der Widerklägerin demjenigen der Widerbeklagten in der Hauptsache als
Grundlage gedient habe. Eine derartige Publikation, in Verbindung mit der
Auswirkung des Modellschutzes für den nachgemachten Stuhl, lässt sich mit den
an Treu und Glauben im Geschäftsverkehr

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zu stellenden Anforderungen nicht vereinbaren und war dazu angetan, die
Widerklägerin in ihrer Kundschaft zu beeinträchtigen, oder doch in deren
Besitz zu bedrohen. Die Widerbeklagte ficht zu Unrecht die Annahme der
Vorinstanz an, dass diese Kundgebung, wenn nicht von ihr verfasst, so doch
jedenfalls von ihr «inspiriert» worden sei. Es liegt auf der Hand, dass die
darin enthaltenen Angaben über das Stuhlmodell nur auf Mitteilungen der
Widerbeklagten beruhen können und also die Publikation im «Schweizer Cinema»,
wie auch die analoge im «Tagesanzeiger der Stadt Zürich» vom 13. August 1926,
zum allermindesten mit ihrem Wissen und Willen erschienen sind, so dass sie
nach Art. 50
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 50 - 1 Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch.
1    Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch.
2    Ob und in welchem Umfange die Beteiligten Rückgriff gegeneinander haben, wird durch richterliches Ermessen bestimmt.
3    Der Begünstiger haftet nur dann und nur soweit für Ersatz, als er einen Anteil an dem Gewinn empfangen oder durch seine Beteiligung Schaden verursacht hat.
OR dafür haftet. Die Festsetzung des Schadenersatzes ist eine
reine Ermessensfrage. Wenn die Vorinstanz in Würdigung aller Umstände die
Entschädigung auf 1000 Fr. bemessen hat, so ist im Berufungsverfahren dagegen
nicht aufzukommen.
7.- Endlich ist der Vorinstanz auch in der Abweisung der Genugtuungsforderung,
sowie des Begehrens um Veröffentlichung des Urteils auf Kosten der
Widerbeklagten beizustimmen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Hauptberufung und die Anschlussberufung werden abgewiesen und das Urteil
des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 30. September 1927 wird, soweit es
im Berufungsverfahren angefochten wurde, in allen Teilen bestätigt.