S. 32 / Nr. 6 Steuerstreitigkeiten zwischen Bund und Kantonen (d)

BGE 54 I 32

6. Urteil vom 20. Januar 1928 i. S. S.B.B. gegen Nidwalden.

Regeste:
Steuerfreiheit der S.B.B.: bezieht sich nicht auf Beiträge an öffentliche
Anstalt. - Begriff des Beitrags (Erw. 2).
Legitimation der Kreisdirektionen S.B.B. zur staatsrechtlichen Beschwerde
(Erw. 1).

A. - Durch Gesetz vom 25. April 1920 wurde im Kanton Nidwalden ein durch das
Landessäckelamt verwalteter Hilfsfonds angelegt «zur Unterstützung von
Personen, die durch Ausbruch von Wildbächen, Lawinen, Erdrutschungen,
Felsbrüche, Ufersenkungen, Sturmwind und dergleichen nicht versicherbare
Naturereignisse Schaden erleiden (§§ 1 und 10). Dieser Hilfsfonds wird gemäss
§ 2 gebildet aus jährlichen Beiträgen sämtlicher Liegenschaftsbesitzer im
Kanton (2 der kantonalen Güterschatzung), aus 20% des dem Kanton künftig
zukommenden Anteils aus der Kriegssteuer und aus 10% des jährlichen
Reingewinnes der Brandversicherungsanstalt. Sobald der Fonds einen bestimmten
Bestand (100000 Fr.), bezw. (300000 Fr.) erreicht hat, werden darauf
prozentuale Vergütungen an den ermittelten Schaden geleistet. Bis zu diesem
Zeitpunkt kann

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der Jahreszins zu Beiträgen an besonders bedürftige, durch Naturereignisse
geschädigte Personen verwendet werden (§§ 3, 4 und 5). In § 6 Abs. 2 wird dann
weiter bestimmt: «An Transportanstalten und elektrische Starkstromanlagen
findet eine Vergütung nur für Gebäudeschaden statt.»
Die Schweizerischen Bundesbahnen besitzen im Kanton Nidwalden Anlagen, die im
Jahr 1925 wie folgt amtlich geschätzt worden sind:
a) Lopperbergtunnel Fr. 600000
b) Stationsanlage Hergiswil Fr. 100000
c) Bahnlinie Fr. 200000
Fr. 900000
abzüglich 1/3 nach § 5 der Güter-
schatzungsverordnung Fr. 300000
Fr. 600000
Im Herbst 1927 wurden die Schweizerischen Bundes bahnen aufgefordert, für das
Jahr 1927 an den Hilfsfonds für unversicherbare Schäden einen Beitrag von 120
Fr. (2 von 600000 Fr.) zu bezahlen. Hiegegen reichte die Kreisdirektion II
beim Regierungsrat von Nidwalden am 26. September 1927 Beschwerde ein mit der
Begründung: Die S.B.B. seien von jeder Besteuerung durch die Kantone und die
Gemeinden befreit. Ausgenommen von dieser Befreiung seien lediglich die
Liegenschaften, die keine notwendige Beziehung zum Bahnbetriebe hätten
(Org.-Ges. für die S.B.B. vom 1. Februar 1923). Um solche Liegenschaften
handle es sich hier nicht. Der vom Kanton Nidwalden verlangte Beitrag von 120
Fr. sei eine wirkliche Steuer. Durch das nidw. Gesetz betreffend einen Fonds
für Hilfe bei unversicherbaren Schaden werde eine allgemeine, dem Wohle der
Gesamtheit dienende Staatsaufgabe durchgeführt. Die zur Durchführung solcher
allgemeiner Staatsaufgaben erhobenen Abgaben seien aber Steuern. Der
Steuercharakter könne der hier in Frage stehenden Abgabe nicht

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etwa deswegen abgesprochen werden, weil ihr Zweck in Gesetz genau umschrieben
sei; denn auch die sogenannten Zwecksteuern seien Steuern im Rechtssinn. Die
fragliche Abgabe stelle auch nicht etwa ein besonderes Entgelt für eine
besondere Leistung des Staates dar. Das sei jedenfalls so bezüglich jenes
Teiles der Abgabe, der sich nicht auf die Gebäulichkeiten beziehe; denn
insoweit werde die Abgabe absolut voraussetzungslos verlangt. Aber auch soweit
sich die Abgabe auf die Gebäude beziehe, sei sie als Steuer zu behandeln. Denn
bei der Gebühr gehe die besondere Leistung des Staates voraus oder stehe
absolut sicher in Aussicht. Im vorliegenden Falle aber sei der
Abgabepflichtige vollständig im Ungewissen, ob er überhaupt je eine
Sonderleistung seitens des Staates erhalte. Bei der Gebühr müsse über dies die
Leistung des Abgabepflichtigen in einem richtigen angemessenen Verhältnis zur
besonderen Leistung des Staates stehen. Auch diese Voraussetzung sei hier in
keiner Weise erfüllt. Denn der Staat erhebe die Abgaben einfach nach einem zum
voraus festgelegten Schema und mache allfällige Leistungen seinerseits vom
Eintritt ganz bestimmter äusserer Umstände (Eintritt bestimmter Schäden durch
Naturereignisse) abhängig, nach denen er auch die Höhe seiner Leistungen
bestimme. - Aber auch, wenn die fragliche Abgabe nicht eine Steuer, sondern
eine Gebühr wäre, so würde die Erhebung, soweit sie sich auf die Anlagen, die
nicht Gebäude seien, bezöge, gegen den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz
verstossen.
Der Regierungsrat Nidwalden wies am 3. November 1927 den Rekurs ab, im
wesentlichen mit der Begründung: Es handle sich hier nicht um eine
Besteuerung, sondern um Beiträge an ein Hilfswerk, das den ausgesprochenen
Charakter einer Wohltätigkeitsinstitution besitze. Dass der Gesetzgeber diese
Beiträge nicht als Steuern aufgefasst habe, ergebe sich aus der in § 2 des
Gesetzes enthaltenen Bestimmung, dass sämtliche

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Liegenschaftsbesitzer Beiträge an den Fonds zu leisten haben. Art. 29 der
Verfassung erkläre nämlich das Kirchen- und Pfrundvermögen, Schul-, Spital-
und Armengut als steuerfrei. Die im Besitze dieser Verwaltungen befindlichen
Liegenschaften seien aber gemäss § 2 ebenfalls beitragspflichtig. Auch dem
Eventualbegehren, den Beitrag nur vom Gebäudeschatzungswert zu erheben, könne
nicht entsprochen werden. Der besondere Charakter der Institution, die eben
nicht Versicherung, sondern Hilfsfonds sei und sein wolle, gestatte es nicht,
die Grundsätze des Versicherungswesens ohne weiteres anzuwenden. Im Interesse
der Erhaltung und Sicherung des Hilfsfonds lasse das Gesetz ganz grosse
Risiken, wie die Wälder (§ 5), die Transportanstalten und die elektrischen
Starkstromanlagen (§ 6), an den Schadensvergütungen nur in gemindertem Masse
partizipieren. Deswegen habe nicht auch die Beitragspflicht für diese Risiken
eingeschränkt werden müssen; denn es handle sich um ein Werk der bürgerlichen
Solidarität und nicht um eine auf dem Grundsatz der Gegenseitigkeit der
Leistungen stehende Versicherung. Dies ergebe sich auch daraus, dass die
Einkünfte, die dem Fonds von Seiten der Liegenschaftsbesitzer zufliessen (pro
1926: 13345 Fr. 68 Cts.) nur einen verhältnismässig bescheidenen Teil der
Gesamteinnahmen des Hilfsfonds (pro 1926: 37541 Fr. 75 Cts.) ausmachten.
B. - Gegen diesen Entscheid erhebt die Kreisdirektion II der Schweizerischen
Bundesbahnen am 30. November 1927 staatsrechtlichen Rekurs mit den Begehren:
1. «Der Entscheid des Regierungsrates des Kantons Nidwalden vom 3. November
1927 sei aufzuheben und es sei grundsätzlich festzustellen, dass die
Schweizerischen Bundesbahnen von der Bezahlung der im nidwaldnischen Gesetz
vom 25. April 1920 über einen Fonds für Hilfe bei unversicherbaren Schäden
durch Naturereignisse vorgesehenen Abgaben gemäss Art. 3 des

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Organisationsgesetzes für die Schweizerischen Bundesbahnen vom 1. Februar 1923
befreit sind.»
2. «Eventuell sei der Entscheid jedenfalls insoweit aufzuheben, als sich die
Abgaben auf die Anlagen der Schweizerischen Bundesbahnen, die nicht
Gebäulichkeiten sind, beziehen.»
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Die Schweizerischen Bundesbahnen beschweren sich nicht darüber, dass sie
mit Bezug auf ihre im Kanton Nidwalden gelegenen Anlagen unter das kantonale
«Gesetz über einen Fonds für Hilfe bei unversicherbaren Schäden» einbezogen
wurden. Eine solche Streitigkeit könnte übrigens, wie das Bundesgericht
wiederholt entschieden hat, nicht von einer Kreisdirektion beim Bundesgericht
anhängig gemacht werden, sondern wäre vom Bundesrat auf dem Wege des
Kompetenzkonfliktes (OG Art. 175 Ziff. 1) dem Bundesgerichte vorzulegen (vgl.
BGE 47 I 119 Erw. 3; BGE i. S. S.B.B. gegen Tessin vom 25. Februar 1921 und
vom 26. November 1921). Es handelt sich vielmehr um eine Beschwerde gemäss
Art. 175 Ziff. 3 und Art. 179 OG wegen Verletzung von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV und von Art. 3
des Bundesgesetzes betreffend die Organisation und Verwaltung der S.B.B. vom
1. Februar 1923. Zu deren Erhebung ist die Kreisdirektion, in deren
Verwaltungsgebiet die betreffende Streitsache fällt, nach ständiger
bundesgerichtlicher Praxis befugt (vgl. BGE 29 I S. 189 ff.; 33 I 127 ff.; BGE
vom 26. November 1921 i. S. Tessin Erw. 1).
2.- Das Bundesgesetz vom 1. Februar 1923 betreffend die Organisation und
Verwaltung der S.B.B. bestimmt in Art. 3 Abs. 1: «Die Bundesbahnen sind von
jeder Besteuerung durch die Kantone und Gemeinden befreit. Diese Bestimmung
gilt nicht für Liegenschaften, die sich zwar im Eigentum der Bundesbahnen
befinden, aber keine notwendige Beziehung zum Bahnbetriebe haben.» Es ist
unbestritten. dass alle Liegenschaften,

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die die S.B.B. in Nidwalden besitzen, in notwendiger Beziehung zum
Bahnbetriebe stehen. Der Kanton Nidwalden kann daher von den S.B.B. keine
Abgabe verlangen, die rechtlich die Bedeutung einer Steuer, d. h. eines
voraussetzungslosen, nicht das Äquivalent für eine Gegenleistung des
Gemeinwesens bildenden Beitrages zur Deckung des öffentlichen Finanzbedarfes
besitzt (vgl. BGE 44 I 14; 45 I 199; 47 I 299; 48 I 74 Erw. 5). Dagegen werden
die Schweizerischen Bundesbahnen durch die angerufene Bestimmung nicht auch
von der Entrichtung von Abgaben, die das Äquivalent einer staatlichen
Gegenleistung sind, befreit (vgl. BGE 33 I 130, 33 I 607). Es ist daher zu
prüfen, ob die mit dem angefochtenen Entscheid verlangte Abgabe als Steuer zu
behandeln sei oder nicht.
Der durch das nidwaldnische Gesetz vom 25. April 1920 geschaffene Fonds für
Hilfe bei nicht versicherbaren Naturschäden ist eine öffentliche Anstalt im
Sinne der Verwaltungsrechtslehre (FLEINER, Institutionen des deutschen
Verwaltungsrechtes 3. Aufl. S. 299), d. h. ein bestimmter Bestand staatlicher
Mittel, mit denen durch die damit betraute Behördenorganisation
(Regierungsrat, Gemeinderäte, Landsäckelamt, Gemeindesteuerkassiere) eine
bestimmte staatliche Aufgabe er füllt wird. Insoweit gewissen Kreisen von
Staatsgenossen aus dieser öffentlichen Anstalt ein besonderer Vorteil
entsteht, stellen die von diesen Personen zur Deckung der Anstaltskosten
erhobenen Abgaben eine Vorzugslast, d. h. das Äquivalent für die ihnen aus dem
Anstaltsbetrieb fliessenden besondern Vorteile dar (FLEINER, a.a.O. S. 387,
397; BLUMENSTEIN, Steuerrecht S. 6.) Zu Steuern werden diese «Beiträge» erst,
wenn und insoweit sie den dem Beitragspflichtigen zukommenden besonderen
Vorteil übersteigen, sei es, dass der Gesamtbetrag der Beiträge die gesamten
Anstaltskosten über steigt, sei es, dass der einzelne Beitrag im Verhältnis
zum Vorteil zu hoch bemessen ist. Denn insofern wird

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die Abgabe ohne konkrete staatliche Gegenleistung, voraussetzungslos, erhoben.
Soweit die von den Schweizerischen Bundesbahnen verlangte Abgabe auf dem
Schätzungswert der Gebäude anlagen erhoben wird, ist sie als Beitrag im eben
beschriebenen Sinne, nicht als Steuer zu betrachten. Sie ist gedacht als
Gegenleistung dafür, dass der Staat durch seinen Hilfsfonds in gewissem
Umfange die Tragung der diesen Gebäudeanlagen aus unversicherbaren
Naturereignissen drohenden Gefahren übernimmt. Sie über steigt ihrem Betrage
nach auch nicht etwa den Wert, den die Gefahrtragung durch den Hilfsfonds für
die S.B.B. hat. Denn einmal übersteigen die Gesamteinnahmen des Staates aus
den Beiträgen die Kosten des Unterstützungswerkes nicht, da der Staat
seinerseits noch erhebliche Subventionen ausrichten muss, und zum andern lässt
sich auch nicht behaupten, dass gerade der den Schweizerischen Bundesbahnen
auferlegte Beitrag auf dem Gebäudeschätzungswert zu hoch bemessen sei.
Allerdings werden die Beiträge nur nach dem Schatzungswert der Liegenschaften
abgestuft. Abgesehen davon, dass die Wälder, die durchwegs den nicht
versicherbaren Naturereignissen (z. B. dem Sturmwind) mehr als andere
Liegenschaften ausgesetzt sind, nur in einem beschränkteren Umfange
entschädigungsberechtigt sind (§ 5 des Gesetzes), wird die Grösse des Risikos
nicht berücksichtigt. Gleichwohl aber können selbst Beiträge, die von den
keinen besonderen Gefahren ausgesetzten Liegenschaften (dass die Gebäude der
S.B.B. solche Liegenschaften sind, wird nicht einmal behauptet) zu entrichten
sind, nicht als im Missverhältnis zur Gegenleistung des Staates stehend
bezeichnet werden. Der Kanton Nidwalden leistet nämlich aus allgemeinen
Staatsmitteln an den Hilfsfonds so bedeutende Zuschüsse, dass durch dieselben
das besondere Risiko, dem einzelne Liegenschaften (infolge ihrer Nähe bei
Wildbächen, Lawinenzügen etc.) ausgesetzt sind, als ausgeglichen gelten darf.

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Dies darf um so eher angenommen werden, als eine genaue Abstufung nach dem
Risiko infolge der Mannigfaltigkeit der nicht versicherbaren Naturereignisse
und des Fehlens der erforderlichen statistischen Grundlagen nicht möglich ist.
Anders verhält es sich mit den auf dem Schätzungswert der übrigen Bahnanlagen
erhobenen Abgaben. Ein durch unversicherbare Naturereignisse auf diesen
Anlagen allfällig entstehender Schaden wird durch den Hilfsfonds überhaupt
nicht vergütet. Den auf ihnen erhobenen Abgaben steht also kein besonderer aus
dem Bestehen des Hilfsfonds für die Schweizerischen Bundesbahnen
resultierender Vorteil gegenüber, der diese Abgabe als Vorzugslast zu
rechtfertigen vermöchte. In dieser Beziehung stellt sich daher die verlangte
Abgabe als eine nach dem BG vom 1. Februar 1923 unzulässige Steuer dar. Dem
kann nicht entgegengehalten werden, dass die Abgabe nach nidwaldnischem Recht
nicht als Steuer behandelt werden könne, da sie auch von den kantonalrechtlich
steuerfreien Personen erhoben werde. Wenn der Kanton bestimmte Personen als
steuerfrei erklärt, so hat er den Begriff der Steuer in diesem Sinne
selbständig zu umschreiben und die Interpretation dieses Begriffes durch die
kantonalen Instanzen könnte vom Bundesgericht allenfalls nur auf Willkür hin
überprüft werden. Sobald aber bestimmte Personen von Bundesrechts wegen
steuerfrei sind, bestimmt sich der Begriff der Steuer ebenfalls nach
Bundesrecht. Es ist deshalb sehr wohl möglich, dass eine Abgabe, von deren
Entrichtung eine nach Bundesrecht steuerfreie Person enthoben ist, von einer
bloss kantonalrechtlich steuerfreien Person entrichtet werden muss. Im übrigen
könnte das Bundesgericht zu dieser Frage erst Stellung nehmen, wenn eine nach
nidwaldnischem Recht steuerbefreite Person als Inhaberin eines
Transportunternehmens oder als Besitzerin von Starkstromanlagen (§ 6 Abs. 2
Hilfsfondsgesetz), sich wegen willkürlicher Abgabebelastung

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auch für andere als die Gebäudeanlagen beschweren würde.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Der Rekurs wird in dem Sinne gutgeheissen, dass die Schweizerischen
Bundesbahnen nur vom Gebäudeschatzungswert, nicht aber auch vom Schatzungswert
der übrigen Bahnanlagen den Beitrag an den Fonds für Hilfe bei
unversicherbaren Schäden zu leisten haben.