188 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. ll. Abschnitt. Bundesgesetze.
eines solchen Entscheides im Gesetze selbst auch nicht ausdrücklich
ausgesprochen, sondern die Praxis hat sie festgesetzt. Umsoweniger kann
aus der Tatsache, dass auch bei der Rechtsöfsnung die Bestimmung der
Wirkungen eines zweitinftanzlichen Entscheides der Praxis überlassen
wurde, auf ein Verbot geschlossen werden, eine zweite Jnstanz einzuführen,
zumal ja, wenn die Berufung auch summarisch erledigt wird, wie bereits
erwähnt, der zweitinstanzliche Entscheid immer ergehen kann, bevor auf
Grund des erstinstanzlichen eine Betreibungshandlung ergehen könnte,
die sich ohne Schädigung nicht mehr rückgängig machen liesse.
4. Was die Anwendbarkeit des Art. 36 des Schuldbetreibungs und
Konkursgesetzes auf das hier streitige Rechtsmittel betrifft: die Frage,
ob die zweite Jnstanz im Rechtsöffnungsverfahren der Appellation
ausnahmsweise suspensive Wirkung verleihen könne, so kann hierauf
vorliegend nicht eingetreten werden, da der Entscheid hierüber, im Sinne
der Erwägung 2 oben, in die Kompetenz der Aufsichtsbehörden fällt. ss
Demnach hat das Bundesgericht erkannt:
Der Rekurs wird gutgeheissen und somit der angefochtene Entscheid des
beruischen Appellationsund Kassationshofes in der Meinung aufgehoben,
dass der Appellationsund Kassationshof zu materieller Behandlung der in
Frage stehenden Streitsache verhalten wird.lll. Erwerb und Betrieb der
Eisenbahnen. N° 41. 189
III. Erwerb und. Betrieb der Eisenbahnen. Acquisition et exploitation
des chemins de fer.
41. Urteil vom 3. Juni 1903 in Sachen Bundesbahnen gegen Regierungsrat
Luzern.
Steuerfreiheit der Bundesbahnen. Art. 10 Abs. 1 and 2 Bundesgesetz
bet-r. Erwerb und Beîm'eb von Eisenòa/menvom 15. Oktober 1897
(sag. Hückicaufsgesetz). Steuerstreitigkez't zwischen Bum? und Kantonen
; Art. 179 Org.-Ges. Rechtliche Natur der Schweiz. Bundesbahnen,
juristische Persönlichkeit oder Zweig der Bundesverwaltemg? Umfang der
Steueessfreiàeit (Ser Bahnhofwirtschaflen.
A. Anlässlich der Neutaxation der Steuerpflichtigen im Jahre 1902 entstand
zwischen der Staatsstenerkommission Luzern und der Kreisdirektion II
der Schweizerischen Bandes-bahnen ein Steuerkonflikt. Unter Berufung
auf ein schiedsgerichtliches Urteil vom 11. Dezember 1899 in Sachen
der Schweizerischen Centralbahngesellschaft gegen den Kanton Luzern,
erklärte die Staatssteuerkommission den auf die Wirtschaftsräumlichkeiten
im Aufnahmegebäude des Bahnhofs Luzern entfallenden Gebäudewert von
200,000 Fr. zu LO 0/O als steuerbar. Den von der Kreisdirektion gegen
diese Verfügung ergriffenen Rekurs hat der Regierungsrat mit Beschluss
vom 24. Januar 1903 abgewiesen.
Mit dem erwähnten schiedsgerichttichen Urteil hat es folgende Bewandtnis-:
Jm Jahre 1898, nach dem Neubau des Bahnhofes Luzern, war zwischen der
Schweizerischen Centralbahngesellschaft und dem Kanton Luzern die Frage
streitig geworden, ob von dem auf die Restaurationslokalitäten im Bahnhof
Luzern entfallenden Gebäudeivert von 200,000 Fr. eine Quote von 40,000
Fr. d. h. i/5 steuerpflichtig sei, oder ob die Centralbahngesellschaft
auch-für die Restanrationslokalitäten in vollem Umfange Steuerfreiheit
habe. Nach dem in Betracht kommenden Art. 34 der Konzession für den
Eisenbahnbau von Luzern gegen nZosiugen vom 19. November 1852 sollte
die Centralbahngesellschaft Stenerfreiheit ge-
190 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. [[. Abschnitt. Bundesgesetze.
niessen für die Bahn selbst mit Bahnhöfen, Zubehörden und
Betriebsmaterial, wogegen Gebäude und Liegenschaften, welche die
Gesellschaft ausserhalb des Bahnkbrpers und ohne unmittelbare Verbindung
mit diesem besitzt, der gewöhnlichen Besteuerung unterliegen. Dieser
Streit wurde von einem Schiedsgericht vom 11. Dezember 1899 zu Gunsten des
Kantons Luzern entschieden, indem von dem Aufnahmegebäude des Bahnhofes
Luzern der auf die Nesiaurationslokalitäten entfallende Gebäudewert zu
20 0/0 als steuerbar erklärt wurde. Aus den Erwägungen dieses Urteils
ist folgendes hervorzuheben: Die Tatsache, dass ein Grundstück oder
Gebäude in örtlicher Hinsicht zum Bahnhof gehöre, genüge nicht, um
dessen Steuerfreiheit zu begründen; vielmehr sei die Steuerfreiheit zu
beschränken auf die eigentlichen Eisenbahngrundstücke, d. h. diejenigen
Liegenschaften, welche dem Betrieb der Bahn zu dienen hätten und welche
daher die Gesellschaft zum Zwecke dieses Betriebes erworben oder erstellt
babe. Diese Voraussetzung fei bei Bahnbüffets grundsätzlich vorhanden. Dem
Eisenbahnbetrieb dienten auch solche Anlagen und Einrichtungen, deren
Vorhandensein zwar für die Ausübung des Transportgewerbes nicht geradezu
unerlässlich sei, die aber dazu bestimmt feieu, den Anforderungen,
welche nach allgemeinen Verkehrswschauungen im Interesse der Reisenden
an den Eisenbahnbetrieb gestellt werden, Genüge zu leisten, was beim
Bahnbuffet Luzern zweifellos zutreffe. Dieses sei daher grundsätzlich
als eine Betriebsanstalt im Sinne der Konzession zu betrachten. Dagegen
sei eine vollständige Steuerbefreiung in Bezug aus die Bahnhofwirtschaft
in Luzern nicht gerechtfertigt mit Rücksicht darauf, dass sie nicht nur
von den Reifenden benutzt werde, sondern auch Gelegenheit zur Bewirtung
von uichtreisenden Gästen biete. Das vom Kanton Luzern zur Ermittlung
der Frequenz solcher einheimischer Gäste vorgeschlagene Beweis-verfahren
(Abhörnng von Zeugen, Vornahme einer Kontrolle während längerer Zeit}
lasse sich nicht wohl durchführen Die Zeugen könnten nur unzuverlässige
Schätzungen bieten, und die Kontrolle der Gäste, die während verschiedener
Jahreszeiten stattsinden müsste, würde eine unzulässige Belästigung des
Publikums bilden, der sich der einzelne Gast gar nicht zu unterziehen
brauchte. Das Schiedsgericht sei indessen in[Il. Erwerb und Betrieb der
Eisenbahnen. N°. 4.1. 191
der Lage, gestützt auf eigene Beobachtungen und notorische Tatsachen, das
ungefähre Verhältnis zwischen Reisenden und einhei- rnischen Besuchern
zu schätzen. Es sei notorisch, dass gut eingerichtete und geführte
Bahnhofwirtschaften, wie diejenige in Luzern, in der Tat nicht bloss
von Reisenden, sondern auch zu einem guten Teile von der einheimischen
Bevölkerung frequentiert zu werden pflegten, und es dürfte eine Schätzung
wohl nicht fehl geben, die den Anteil der letztern an der Frequenz
in Luzern im Durchschnitt auf rund einen Fünfteil ansetze. Bei dieser
Sachlage diene allerdings der betreffende Gebäudeteil des Bahnhofes nicht
ausschliesslich dem Eifenbahnbetrieb, sondern teilweise andern Zweden,
die mit dem Eisenbahnbetrieb in keinem Zusammenhang stünden. Soweit dies
der Fall sei, würde es unbillig sein, die Steuerfreiheit gleichwohl
aufrecht zu erhalten, und es sei demnach eine entsprechende Quote als
steuerpflichtig zu erklären.
Jn ihrem Rekurse an den Regierungsrat gegen die Verfügung der
Staatssteuerkommission Luzern machte nun die Kreisdirektion II der
Schweizerischen Bundesbahnen geltend, dass die von diesem Schiedsgericht
aus Grund der Konzession festgestellte partielle Steuerpflicht der frühem
Centralbahngesellschaft bezüglich der Bahnhofwirtschaft Luzern nach
dem nunmehr allein massgebenden Art. 10 Abs. 1 und 2 des Bundesgesetzes
betreffend Erwerb und Betrieb der Eisenbahnen vom 15. Oktober 1897 für
die Schweizerischen Bundesbahnen nicht mehr bestehe· Die Schweizerischen
Bundesbahnen seien nur steuerpflichtig für diejenigen Immobilien, die zwar
in ihrem Befitze seien, aber eine notwendige Beziehung zum Bahnbetrieb
nicht hätten (Art. 10 Abs. 2 leg. cit.). Diese notwendige Beziehung
sei bei den Restaurationslokaliiäten im Bahnhof Luzern zweifellos
vorhanden. In seinem, den Rekurs abweifenden, Beschluss vom 24. Januar
1903 führt der Regierungsrat aus: Nach Art. 9 des Rückkaufsgesetzes
schaffe allerdings das Schiedsgerichtsurteil der Rekurrentin gegenüber
kein Recht. Massgebend für die Besteuerung sei in der Tat allein Art. 10
leg. cit. Aber auch nach dieser Bestimmung bestehe eine Steuerpflicht
in dem beanspruchten Umfange. Es möge dahingestellt bleiben, ob zwischen
den in den Aufnahmegebäuden der Bahnhöfe bestehenden Schenkräumlichkeiten
und dem Bahnbetriebe die
192 &. Staatsrechtliche Entscheidungen. ll. Abschnitt. Bundesgesetze.
notwendige Beziehung im Sinne von Art. 10 Abs. 2 allgemein vorhanden
sei. Auch wenn dies angenommen werde-, so schliesse das nicht aus, dass
die notwendige Beziehung zum Bahnbetrieb im einzelnen Falle nicht oder
nur zum Teil bestehe. Dies treffe für die Bahnhosrestauration Luzern
zu, soweit sie auch von der einheimischen Bevölkerung frequentiert
werde. Wenn das Schiedsgerichtsurteil auch nicht formell Recht schaffe,
so seien doch dessen tatsächliche Feststellungen Von Bedeutung, gestützt
auf welche heute noch der einer notwendigen Beziehung zum Bahnbetrieb
entbehrende Teil der Bahnhofschenke mit 20 0/0 des Ganzen nicht zu hoch
eingeschätzt sei.
B. Mit Rechtsschrist vom 9. April 1903 hat die Kreisdirektion II
namens der Schweizerischen Bundesbahnen diese Steuerstreitigkeit
ans Bundesgericht gezogen, mit dem Antrag, es sei in Aufhebung des
regierungsrätlichen Entscheides vom 24. Januar 1903 zu erkennen, dass
die Bahnhofrestauration Luzern der Schweizerischen Bundesbahnen in
vollem Umsange von jeglicher Steuerpflicht befreit sei. Zur Begründung
wird ausgeführt: Es handle sich um eine Steuerstreitigkeit zwischen dem
Bunde und einem Kanton, die gemäss Art. 179 Org.-Ges. vom Bundesgerichte
zu beurteilen sei. Wie der Regierungsrat selber anerkenne, sei das
Schiedsgerichtsurteil vom 11. Dezember 1899 für die Rekurrentin
nicht rechtsverbindlich Die Frage, ob die Bahnhoswirtschaften
als mit dem Eisenbahnbetrieb in notwendiger Beziehung stehende
Anstalten zu betrachten seien, könne heute als in bejahendem Sinne
gelöst betrachtet werden. Speziell sei darauf zu verweisen, dass die
Restcherationsräutnlichkeiten in Luzern schliesslich nichts anderes
seien, als Wartsäle, da den Reisenden darin der Aufenthalt gestattet
sei, auch wenn sie nichts konsumierten. Sobald aber feststehe,
dass die Bahnhofrestauration Luzern eine mit dem Betriebe in enger
Beziehung stehende Einrichtung sei, könne der Umstand, dass auch
einheimisches Publikum daselbst verkehre, an der Steuerfreiheit nichts
("mdc-rn. Der klare Wortlaut des Gesetzes schliesse dies aus. Auch würde
eine solche Unterscheidung zwischen einheimischem und reisendem Publikum
zu Untersuchungen über die Frequenz führen, die der Natur der Sache nach
nie ein auch nur einigermassen genaues Resultat haben könnten. Der Besuch
der Bahnhofrestau-lll. Erwerb und Betrieb der Eisenbahnen. N° 41. 193
ratiou Luzern durch Einheimische lasse sich nicht vermeiden. Schliesslich
sei von den Luzerner Behörden die Besteuerung eines Fünfteil-s der
Resiauratiousanlage ausgesprochen worden, ohne dass dieser Bemessung
irgendwelche tatsächliche Feststellungen vorausgegangen seien, so dass
die Besteuerung geradezu als willkürlich bezeichnet werden müsse.
C. Der Regierungsrat hat in seiner Vernehmlassuug erklärt, dass er mit der
Beurteilung des vorliegenden Steuerkonsliktes durch das Bundesgericht
einverstanden sei, obgleich die Kompetenz des letztern in Zweifel
gezogen werden könnte, Und sodann Abweisung des Rekurfes beantragt
und zur Begründung auf die Akten, insbesondere auf die Erwägungen des
angefochtenen Entscheides verwiesen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Nach Art. 179 des Org.-Ges. sind vom Bundesgerichte
Steuerftreitigkeiten zwischen Bund und Kantonen zu Beurteilen, wenn
von dem einen oder andern Teil sein Entscheid angerufen wird. Unter
Bund wird in der ganzen eidgenbsstschen Gesetzgebung stets nur
dasjenige Rechtssubjekt verstanden, dessen Organisation in der
Bundesverfassung geregelt ist. Die Kompetenz des Bundesgerichtes in
der vorliegenden Steuerstreitigkeit ist daher von der Frage abhängig,
ob die Schweizerischen Bundesbahnen eine mit eigener juristischer
Persönlichkeit ausgestattete öffentliche Anstalt oder bloss ein Zweig
der Bundesverwaltung, eine static fisci, sind. Jst das erstere der
Fall, so ist nicht der Bund Partei, sondern ein vom Bund verschiedenes
Rechtssubjekt, und eine Steuerstreitigkeit im Sinne von Art. 179
leg. cit. zwischen dem Bund und einem Kanton liegt nicht vor, wie denn
auch das Bundesgericht stets sich dahin ausgesprochen hat, dass eine
Civilstreitigkeit zwischen Kantonen und Korporationen oder PrivatenL
im Sinne von Art. 110 Biff. 4 B.-V. und Art. 48 Ziff. 4 Org.-Ges. dann
nicht vorliegt, wenn eine kantonale Anstalt mit eigener juristischer
Persönlichkeit klagt oder verklagt wird (Amis. Samml., Bd. V, S. 608
Erw. 1; Bd. VI, S. 59 Erw. 2 und S. 228 Erw. 1 und 2). Sind dagegen die
Schweizerischen Bundesbahnen eine blosse Abteilung der Bundesverwaltung,
so sind sie rechtlich identisch mit dem Bund, und die Kompetenz des
Bundesgerichtes nach Art. 179 ist gegeben.
194 A. Staaisrechiliche Entscheidungen. II. Abschnitt. Bundesgesetze.
Nun kann nach den Bestimmungen des Bandes-gesetzes betreffend Erwerb
und Betrieb von Eisenbahnen vom 15. Oktober 1897 kaum ein ernstlicher
Zweifel bestehen, dass die Schweizerischen Bundesbahnen kein eigenes
Rechtssubjekt, sondern nur ein Zweig der Bundesverwaltung sind. Bei der
Beratung des Gesetzes sind zwar im Ständerat solche Zweifel aufgetaucht,
und es ist die Meinung geäussert worden, dass es den Gerichten überlassen
werden müsse, die Frage nach der rechtlichen Natur der Bundesbabnen zu
entscheiden. Es ist aber damals schon überzeugend ausgeführt worden,
dass das Gesetz selber die Frage klar und unzweideutig löst (siehe
ArntL stenogr. Bülletin der Bundesversammlung 1897, S. 539, 612 ff.,
insbesondere S. 614, Votum Geel). Nach dem citierten Gesetze erwirbt
der Bund die Eisenbahnen für sich und betreibt sie unter dem Namen
Schweiz. Bundesbahnen für seine Rechnung (Art. 11 Abs. 1). Das Eigentum
an den Eisenbahnen geht an den Bund über (Art. 6). Die Verwaltung der
Bundesbahnen bildet eine besondere Abteilung der Bundesverwaltung (Art. 12
Abs. 1). Die Oberleitung der Verwaltung steht bei den Bundesbehördeu
(Bundesversanimlung und Bundesrat), deren in Art. 13 aufgezählte
Befugnisse über eine blosse Oberaufsicht erheblich hinausgehen. Die
zum Erwerb, Bau und Betrieb der Bahnen nötigen Geldmittel werden durch
Emission von Anleihen aufgebracht (Art. 7 Abs. 1), deren Schuldner
der Bund ist, wie denn auch der Bund für alle Verbindlichkeiten der
Bundesbahnen haftet-. Der Bund, als Rechtsnachfolger der Jura-Simplonbahn,
übernimmt die Verpflichtungen dieser in Bezug auf den Simplon: durchstich
(am. 49 Abs. 1). Aus all diesen Bestimmungen erhellt deutlich, dass
von einer Selbständigkeit der Bundesbahnen weder nach der Richtung
des eigenen Vermögens, noch nach derjenigen der Verwaltung, noch nach
derjenigen der Fähigkeit, eigene Rechte zu erwerben und Verbindlichkeiten
einzugehen, die Rede sein kann. Gewiss kann der Staat eine öffentliche
Anstalt mit eigener juristischer Persönlichkeit ins Leben rufen,
ohne dass er sie ausdrücklich als eigene Verbandspersönlichkeit
bezeichnet. Aber er muss doch jedenfalls die Voraussetzungen schaffen,
welche die eigene juristische Persönlichkeit ausmachen Die angeführten
Gesetzesbestimmungenlll. Erwerb und Betrieb der Eisenbahnen. N° 41. 195
tassen aber keinen Zweifel zu, dass der Bund bei den Bundesbahnen diese
Voraussetzungen gerade nicht hat schaffen wollen. Die Bundesbabnen sind
daher kein eigenes Rechtssubjekt, und das Bundesgericht hat demgemäss
auf eine materielle Prüfung der Vorliegenden Streitsache einzutreten.
L. Durch das Schiedsgerichtsurteil vom 11. Dezember 1899 ist' die zwischen
den heutigen Parteien streitige Frage im Verhältnis des Kantons Luzern
zur frühern Centralbahngesellschast entschieden worden. Die Parteien sind
jedoch einig, dass das Schiedsgerichtsurteil der Rekurrentin gegenüber
formell kein Recht schafft. In der Tat hatte das Schiedsgericht die Frage
der Steuerpsticht für die Bahnhofwirtschaft Luzern zu entscheiden auf
Grund der Konzession der Centralbahn, deren Bestimmungen mit dem Rückkan
gemäss Art. 9 des Bundesgesetzes betreffend den Erwerb und Betrieb von
Eisenbahnen erloschen sind. Zu den in Art. 9 leg. cit. vorbehaltenen
Verpflichtungen aus den Konzessionen, die zum Betrieb und Bestand
der Bahnen in unmittelbarem Zusammenhang stehen und die auf den Bund
übergehen, gehören Steuerprivilegien ganz zweifellos nicht. Für die
Steuerverhältnisse der Schweizerischen Bundesbahnen sind ausschliesslich
massgebend Art. 10 Abs. 1 und 2 des eitierten Bandes-gesetzes und
das Bundesgericht hat daher aus Grund dieser Bestimmungen die Frage
zu entscheider die das Schiedsgericht auf Grund der Konzession der
Centralbahn entschieden hat.
3. Die Rekurrentin geniesst Steuerfreiheit für alle ihre Immobilien,
die eine notwendige Beziehung zum Bahnbetrieb haben (Art. 10 Abs. 1
und 2 leg. cit.). Dass die Restanrationen in grösseren Bahnhöfen einen
Bestandteil der eigentlichen Eisenbahnanlagen bilden und grundsätzlich
zum Betrieb gehören, kann heute nicht mehr in Zweifel gezogen werden. Es
genügt in dieser Hinsicht auf die Ausführungen des Schiedsgerichtes
zu verweisen, sowie auf den Bundesratsbeschluss vorn 16. Mai 1903
über die Beschwerde der Schweizerischen Bandes-bahnen gegen den
Regierungsrat des Kantons Bern betreffend Schliessung der Bahnhof:
wirtschaft in Bern (B.-Bl. 1903, I, S. 1096 ff.) und das Urteil des
Bundesgerichtes vom 26. Juni 1895 in Sachen des Kantons Waadt gegen die
Jura-Simplonbahn. Allerdings ist
196 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. Il. Abschnitt. Bundesgesetze.
bei der Beratung des Gesetzes im Ständerat s. Z. auch bemerkt worden
(s. Bülletin, S. 533), diese Restaurationen seien keine absolut
notwendigen Bestandteile des Betriebes, da man sich eine Eisenbahn auch
ohne Restauration denken könne. Allein darin liegt offenbar das Kriterium
der notwendigen Beziehung zum Bahnbetriebe nicht. Man kann sich einen
Bahnbetrieb auch ohne Wartsäle, ohne gedeckte Einsteigehalle, ohne
Aborte denken, und doch wird allen diesen Einrichtungen die notwendige
Beziehung zum Bahnbetrieb nicht abgesprochen werden wollen. Entscheidend
ist Vielmehr mit Bezug auf alle solchen und ähnlichen Einrichtungen der
Standpunkt des Publikums; auch alle diejenigen Betriebseinrichtungen,
welche in dem jeweiligen Entwicklungsstadium der Eisenbahnen einem
berechtigten Verlangen des mit der Bahn verkehrenden Publikums
entgegenkommen, sind in notwendiger Beziehung zum Bahnbetrieb, nicht nur
diejenigen, welche zur Not den Betrieb, wenn auch in noch so dürftiger
Weise, aufrecht erhalten. Allerdings kann nicht davon gesprochen werden,
dass ein Büffet an jeder Station als notwendige Betriebseinrichtung
gelten könnte, sondern ein bezügliches Bedürfnis des Publikums wird der
Regel nach nur an grösseren Stationem an Knotenpunkten und an Orten, wo
Positurse oder Dampfschiffe anschliessen, bestehen, wie dies auch schon
in dem citierten Urteil des Bundesgerichtes vom Jahre 1895 ausgeführt
wurde. Dass aber Luzern in diese Kategorie von Stationen einzureihen
ist, bedarf keines besonderen Nachweises, und es hat denn auch der
Regierungsrat nicht ernstlich bestritten, dass die Bahnhofwirtschaft
in sLuzern grundsätzlich zum Bahnbetrieb gehört, sonst hätte er ja
die Steuerpflicht für den ganzen durch die Wirtschaft repräsenzîierfen
Gebäudewert, statt nur für eine Quote geltend machen müssen.
Jst somit davon auszugehen, dass sich das Steuerprivileg der
Rekurrentin grundsätzlich auch auf Bahnhofwirtschaften, und zwar
speziell auch auf diejenige in Luzern, bezieht, so frägt sich nun, ob
nach dem Gesetz wenigstens eine partielle Steuerpflicht besteht, mit
Rücksicht darauf, dass auch das nicht reisende, einheimische Publikum
die Wirtschaft besucht. Das Schiedsgericht ist bei der Auslegung der
Konzessionsbestimmungen zu der Auffassung ge-HI. Erwerb und Betrieb der
Eisenbahnen. N° di. 197
lang!, dass das Steuerprivileg nur insoweit bestehe, als die
Bahnhofwirtschaft den Zwecken des Eisenbahnbetriebes und nicht neben-
bei auch andern Zwecken diene. Die Rekurrentin macht nun geltend, dass
diese Unterscheidung von verschiedenen Zwecken nach dem Gesetz nicht mehr
zulässig sei. Hierüber ist zu bemerken: am. il) Abs. 2 leg. cit. stellt
daraus ab, ob ein Gebäude in notwendiger Beziehung zum Bahnbetrieb
stehe. Nun kann von einem Gebäude nur ein Teil in dieser notwendigen
Beziehung zum Bahnbetrieb stehen ein anderer Teil dagegen nicht. Wenn
z. B. in einem Bahnhofgebäude sich eine Mietswohnung, ein Kaufladen
u. s. w. befindet, so ist wohl ohne weiteres klar, dass in solchen
Fällen auch nach Art. 10 Abs. 2 nicht das ganze Gebäude steuerfrei
fein kann. Jnsofern steht das Gesetz also einer Unterscheidung und
Berücksichtigung der verschiedenen Zwecke, denen ein Eisenbahngrundstück
dient, jedenfalls nicht entgegen. Bei den Bahnhofwirtschaften, die auch
vom einheimischen Publikum frequentiert werden, dient nun allerdings
derselbe Gebäudeteil gleichzeitig zwei verschiedenen Zwecken, von denen
der eine keine Beziehung zum Bahnbetrieb hat Es ist denkbar, dass
mit Rücksicht auf den letztern Zweck, d. h. wegen des einheimischen
Publikums-, die Lokalitäten grbsser ersiellt worden sind, als für
die Bedürfnisse des Eisenbahnbetriebes, d. h. des reisenden Publikums,
notwendig gewesen wäre, und soweit dies zutreffen follie, fehlt zweifellos
die notwendige Beziehung zum Bahnbetrieb und fällt daher auch nach Art. 10
Abf. 2 leg. cit. das Steuerprivileg dahin. Es kann aber auch das Gegenteil
der Fall sein, dass die Wirtschaftsräume trotz der Frequenz durch das
einheimische Publikum für ihren eigentlichen Zweck nicht zu gross sind,
wobei als Massstab die Verhältnisse in derjenigen Jahreszeit zu nehmen
sind, in der
" der Reifendenverkehr erfahrungsgemäss am grössten ist. (Jn welche
Kategorie die Bahnhofwirtschaft Luzern gehören würde, steht zur Zeit nicht
fest.) Auch bei dieser Sachlage ist aber richtigerweise der Nebenzweck,
dem die Bahnhofwirtschaft dient, bei der Frage der Steuerfreiheit zu
berücksichtigen Die Liegenschaften werden nicht nach ihrer räumlichen
Ausdehnung, sondern als Vermögensobjekte nach ihrem Wert und wegen ihres
Ertrages besteuert. Speziell in Luzern dient als Grundlage der wirkliche
Verkehrsxx1x, l. {903 M
198 A. Staalsrechfliche Entscheidungen. Il. Abschnitt, Bundesgesetze.
wert (Stenergesetz vom 30. November 1892, § 3 c). Bei einer
Bahnhofwtrtschaft nun wird zweifellos der Umstand, dass sie auch
vom einheimischen Publikum regelmässig frequentiert wird, in der
Höhe des Pachtzinses Ausdruck finden, also den Ertrag und damit
auch den Verkehrswert der Liegenschaft beeinflussen Insofern wird
also der für die Besteuerung massgebende Gebäudeverkehrswert, soweit
er auf die Wirtschaft entfällt, durch ein Moment mitbestimmt, das in
keinem notwendigen Zusammenhang zum Bahnbetrieb steht, und es erscheint
gerechtfertigt, dieses Moment auch bei der Frage der Steuerfreiheit zu
berücksichtigen Es wäre, wie das Bundesgericht in seinem Entscheide in
Sachen der Schweizerischen Nordostbahngesellschast gegen Stadtgemeinde
Zürich vom G.,-"7. November 1900 (Amtl. Samml., Bd. XXVI, 2. Teil, S. 869)
bemerkte, unbillig, wenn eine gewerbliche Unternehmung in Hinsicht auf
Einrichtungen, für die sie ordentlicher Weise Steuern entrichten müsste,
steuerfrei bleiben würde, weil diese Einrichtungen mit Rücksicht aus
ein anderweitiges Geschäft von der Steuer ausgenommen find." Daran ist
um so mehr festzuhalten, als man, wie die Verhandlungen der Räte über
den Art. 10 des Rückkaufsgesetzes zeigen (vergl. Bülletin 1897, S. 526
ss., und S. 997 sf.), mit dieser Bestimmung kein neues Recht schaffen,
sondern nur den durch die hauptsächlichsten kantonalen Konzessionen
und die Auslegung, die sie gefunden, bereits geschaffenen Zustand für
die Bundesbahnen beibehalten wollte. Ansdem Gesagten folgt, dass der
Kanton Luzern berechtigt ist, die Rekurrentin für eine Quote des auf
die Bahnhoswirtschaft entfallenden Gebäudewertes zu besteuern.
4. Die Grösse dieser Quote hat das mehrfach erwähnte Schiedsgericht
im Jahre 1899 auf 20 0/0 festgesetzt unter der Annahme, dass die
Bahnhofwirtschaft Luzern zu 20 0/0 der Gesamtfrequenz von einheimischen
Gästen besucht werde. Das Schiedsgericht hat auch zutreffend ausgeführt,
dass ein Beweis-verfahren mit Abhörung von Zeugen und Anordnung einer
Kontrolle während gewisser Zeit nicht tunlich ist. Die Rekurrentin
beschwert sich darüber, dass die Luzerner Behörden nicht neuerdings
tatsächliche Feststellungen vorgenommen hätten; da sie aber nicht
behauptet, dass die Schätzung des Schiedsgerichtes Unrichtig gewesen sei,
oder dassIII. Erwerb und Betrieb der Eisenbahnen. N° 4-1. . 199
seither sich die Verhältnisse geändert hätten, kann dieser Beschwerde
wegen Willkür keine Bedeutung zukommen. Das Bundesgericht trägt auch
keine Bedenken, die Feststellung des Schiedsgerichts als massgebend zu
erachten.... Es ist nicht daran zu zweifeln, dass seine Schätzung auf
einer eingehenden Würdigung aller in Betracht kommenden Verhältnisse
beruht und dass eine neue Expertise wesentlich zu demselben Resultate
gelangen würde. Sonach sind die Luzerner Behörden berechtigt, die
Rekurrentin zu 20 0/o des auf die Bahnhosrestanration Luzern entfallenden
Gebäudewertes zur Steuer heranzuziehen, und es ist der hiegegen von der
Rekurrentin erhobene Rekurs als nnbegründet abzuweisen ·Demnach hat das
Bundesgericht erkannt:
Der Rekurs wird abgewiesen.
IV. Organisationsgesetz.
Organisation judiciaire fédérale.
Vergl. Nr. 42, Urteil vom 2. April 1903 in Sachen Einwohnergemeinde Biel
und Konsorten gegen Polizeikammer Bern.