Urteilskopf

115 Ia 81

14. Urteil des Kassationshofes vom 30. August 1989 i.S. X. und Y. gegen Staatsanwaltschaft und Kassationsgericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 81

BGE 115 Ia 81 S. 81

Mit Strafbefehl vom 9. Oktober 1986 büsste die Bezirksanwaltschaft Winterthur die Inhaber einer Videothek, X. und Y., wegen
BGE 115 Ia 81 S. 82

fortgesetzter unzüchtiger Veröffentlichung i.S. von Art. 204 Ziff. 1 Abs. 3
SR 101 Costituzione federale della Confederazione Svizzera del 18 aprile 1999
Cost. Art. 4 Lingue nazionali - Le lingue nazionali sono il tedesco, il francese, l'italiano e il romancio.
StGB mit je Fr. 5'000.-- Busse, löschbar bei einer Probezeit von zwei Jahren; die beiden Angeschuldigten wurden verpflichtet, den unrechtmässig erlangten Vermögensvorteil von je Fr. 20'000.-- unter solidarischer Haftung der Staatskasse des Kantons Zürich abzuliefern; ferner wurden die sichergestellten Video- Kassetten und Kassetten-Hüllen definitiv eingezogen, und es wurde verfügt, sie seien nach Eintritt der Rechtskraft des Strafbefehls zu vernichten. Die Gebüssten erhoben Einsprache. Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichts Winterthur bestätigte den Strafbefehl am 28. April 1987 zur Hauptsache, mit Ausnahme der Busse im Falle von X., die er auf Fr. 4'000.-- herabsetzte, löschbar bei einer Probezeit von einem Jahr. Am 10. November 1987 bestätigte die II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich das Urteil des Einzelrichters im wesentlichen; nur auf die Solidarhaft bei der Abschöpfungsforderung wurde verzichtet. Das Kassationsgericht des Kantons Zürich wies eine gegen den Entscheid des Obergerichts gerichtete kantonale Nichtigkeitsbeschwerde am 23. Februar 1989 ab, soweit darauf eingetreten werden konnte. X. und Y. führen in einer Eingabe staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, der Beschluss des Kassationsgerichts des Kantons Zürich vom 23. Februar 1989 sei aufzuheben, da er gegen Art. 4
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BV verstosse.
Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Wie schon vor Kassationsgericht rügen die Beschwerdeführer, die Verurteilung verletze das in Art. 4
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BV vorgeschriebene Gleichbehandlungsgebot. Sie machen geltend, in fast jedem Videoshop in Zürich seien Filme erhältlich, wie sie im vorliegenden Fall zur Diskussion stünden. Das von den Beschwerdeführern in dieser Beziehung angeregte Beweisverfahren ist nicht nötig, da dem Bundesgericht bekannt ist, dass in vielen Fällen, in denen in Zürich pornografische Erzeugnisse verkauft werden, kein Strafverfahren durchgeführt wird. Aus den Erwägungen des angefochtenen Beschlusses ergibt sich im übrigen, dass auch das Kassationsgericht diese Tatsache nicht übersah.
2. Entgegen der Ansicht des Kassationsgerichtes liegt der vorliegende Fall anders als das Präjudiz in BGE 100 IV 191 E. 2.
BGE 115 Ia 81 S. 83

Es geht nicht darum, dass die Zürcher Behörden in einzelnen Fällen von Art. 204
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StGB nicht einschritten, weshalb die Beschwerdeführer keinen Anspruch hätten, ebenfalls gesetzwidrig behandelt zu werden. Vielmehr bildet das Nichteinschreiten die Regel und die Verurteilung die Ausnahme. Deshalb können sich die Beschwerdeführer grundsätzlich auf die Gleichbehandlung im "Unrecht" berufen. Weicht die Behörde nicht nur in einem oder in einigen Fällen, sondern in ständiger Praxis vom Gesetz ab, und gibt sie zu erkennen, dass sie auch in Zukunft nicht gesetzeskonform entscheiden werde, so kann der Bürger verlangen, gleich behandelt, d. h. ebenfalls gesetzwidrig begünstigt zu werden (BGE 108 Ia 213 E. a; GEORG MÜLLER, Kommentar zur BV, N 45 zu Art. 4 mit weiteren Hinweisen). Dieser Grundsatz gilt entgegen der Ansicht der Vorinstanz auf allen Rechtsgebieten und somit auch im Strafrecht; bloss die Interessenabwägung kann je nach Rechtsgebiet anders vorzunehmen sein (MÜLLER a.a.O. N 47 und ARTHUR HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, Bern 1985, S. 73/74, je mit Hinweisen). Nur wenn eine Behörde nicht gewillt ist, eine rechtswidrige Praxis aufzugeben, überwiegt das Interesse an der Gleichbehandlung der Betroffenen gegenüber demjenigen an der Gesetzmässigkeit, weil das Recht bloss in einem Einzelfall richtig angewendet, später aber wieder zur illegalen Praxis zurückgekehrt werden soll. Mit der Feststellung der Unrechtmässigkeit und dem Verbot der opportunistischen Durchbrechung der Praxis kann die Behörde hingegen veranlasst werden, sie grundsätzlich zu überprüfen und zu berichtigen, was auch der Gesetzmässigkeit dient (MÜLLER, a.a.O. N 46 mit Hinweisen). Äussert sich die Behörde nicht über ihre Absicht, so nimmt das Bundesgericht an, sie werde aufgrund der Erwägungen seines Urteils zu einer gesetzmässigen Praxis übergehen (BGE 98 Ib 26; HAEFLIGER a.a.O. S. 74).
3. Das Kassationsgericht betrachtete sich im Gegensatz zum Obergericht zu Recht als verpflichtet, die Strafverfolgungspraxis der Zürcher Untersuchungs- und Anklagebehörden unter dem Gesichtspunkt der Rechtsgleichheit mit der Folge zu überprüfen, dass allenfalls rechtsungleich verfolgte Angeklagte freizusprechen wären. Das Gericht ging davon aus, im Kanton Zürich werde nur auf private Strafanzeige hin gegen Videotheken, Sexshops etc. wegen Verletzung von Art. 204
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StGB ermittelt und gegebenenfalls Anklage erhoben.

BGE 115 Ia 81 S. 84

a) Sollte dies so zu verstehen sein, dass selbst in Fällen des Art. 204
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StGB, die allgemein und auch den Strafverfolgungsorganen bekannt sind, nicht eingeschritten wird, ausser ein Privater reiche ausdrücklich Strafanzeige ein, so wäre eine Verletzung des aus Art. 4
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BV fliessenden Gleichheitsgebotes zu bejahen. Ein solches Vorgehen würde eine gesetzwidrige Abweichung vom Grundsatz darstellen, dass Offizialdelikte - zu denen der Tatbestand des Art. 204
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StGB zählt - in jedem Falle von Amtes wegen zu verfolgen sind, denn wegen der unbestrittenermassen häufigen Widerhandlung gegen diese Gesetzesbestimmung und die nur ausnahmsweise Anzeigeerstattung würden nur einzelne Täter bestraft, die Mehrheit ginge jedoch straffrei aus. Das gleiche gilt für eine Strafverfolgungspraxis, die nur auf Anzeige hin oder bei zufälligerweise konkret bekannt werdenden unzüchtigen Veröffentlichungen einschreitet, in sehr zahlreichen anderen allgemein bekannten Fällen jedoch nicht vorgeht. Es kann dahingestellt bleiben, wie es sich im Kanton Zürich genau verhält, weil nichts die Vermutung nahelegt, dort würde eine allenfalls gesetzwidrige Praxis beibehalten. Soweit eine gesetzwidrige Praxis der Zürcher Untersuchungs- und Anklagebehörden bei der Untersuchung und Verfolgung von strafbaren Handlungen gemäss Art. 204
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StGB besteht, werden die Behörden aufgefordert, sie aufzugeben. Die rechtsungleiche Behandlung im konkreten Fall wird durch diese Aufforderung, die jedenfalls für die Zukunft eine gesetzmässige Praxis zur Folge haben muss, behoben, so dass die Beschwerdeführer keinen Anspruch darauf haben, um der Rechtsgleichheit willen in Abweichung vom Gesetz von der Anklage der unzüchtigen Veröffentlichung freigesprochen zu werden. Unter diesen Umständen kann offengelassen werden, wieweit ein solcher Freispruch wichtige öffentliche Rechtsgüter beeinträchtigen würde und daher ausgeschlossen wäre (vgl. MÜLLER a.a.O. N 47 mit Hinweisen). Das Kassationsgericht verweist auf den Zwang zur Einschränkung bzw. Konzentration der polizeilichen Ermittlungen, die sich aus objektiven, nicht von der Polizei oder den sonstigen Strafverfolgungsbehörden zu vertretenden Umständen ergebe. Dies darf jedoch nicht zu einer Strafverfolgungspraxis führen, die mit dem Grundsatz der Rechtsgleichheit nicht zu vereinbaren ist (s. unten E. 3b). Andernfalls hätten die politischen Behörden die notwendigen Mittel für eine einheitliche Strafverfolgungspraxis zur Verfügung zu stellen.
BGE 115 Ia 81 S. 85

b) Im übrigen verletzt eine rechtsanwendende Behörde den Gleichheitssatz nur, wenn sie zwei gleiche tatsächliche Situationen ohne sachlichen Grund unterschiedlich beurteilt (BGE 107 Ia 228 mit Hinweisen). Die Beschwerdeführer wurden wegen unzüchtiger Veröffentlichung in der Form eigentlicher Pornografie zur Rechenschaft gezogen. Sie können deshalb nicht eine rechtsungleiche Behandlung geltend machen, indem sie sich auf den "Modus vivendi" mehrerer Kinobesitzer und Filmverleiher berufen, nach welchem sich diese, kurz gesagt, auf harmlosere Sexfilme beschränken und die Zürcher Untersuchungsbehörden diese faktisch tolerieren. Soweit dies der Fall ist, liegt eine im Vergleich mit dem Fall der Beschwerdeführer sachlich gerechtfertigte unterschiedliche Strafverfolgungspraxis vor. Diesbezüglich ist aber darauf hinzuweisen, dass gegenüber einem einzelnen, der wegen unzüchtiger Veröffentlichung in der im "Modus vivendi" umschriebenen Form verurteilt würde, auch eine rechtsungleiche Behandlung zu erblicken wäre, die im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichts entweder zu einer Aufgabe dieser Praxis oder dann zur Freisprechung des Betroffenen führen müsste. c) Soweit sich die Beschwerdeführer schliesslich auf die Praxis in anderen Kantonen berufen, sind sie nicht zu hören, weil das Gebot rechtsgleicher Anwendung des Rechts nur verletzt ist, wenn die gleiche Behörde gleiche Sachverhalte unterschiedlich beurteilt und behandelt (BGE 104 Ia 158 mit Hinweisen; HAEFLIGER a.a.O. S. 72, MÜLLER a.a.O. N 39).
Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.