VPB 63.88

(Auszug aus dem Beschwerdeentscheid Rekurskommission EVD vom 6. April 1998 in Sachen B. gegen Schweizerischen Aussenhandels-Kaderverband [SAK/CES] und Bundesamt für Berufsbildung und Technologie betreffend Höhere Fachprüfung; 97/HB-004)

Höhere Fachprüfung. Begründungspflicht. Nachvollziehbarkeit von Prüfung und Bewertung. Handschriftliche Notizen der Examinatoren.

- Damit die Bewertung von Examensleistungen überprüft werden kann, muss der Ablauf der mündlichen Prüfung nachvollziehbar sein. Aus den Akten muss zumindest ersichtlich sein, welche Fragen der Prüfungskandidat korrekt beantwortet hat, wo Wissenslücken festgestellt worden sind und welches allenfalls die richtigen Antworten gewesen wären (E. 4.2 ff.).

- Ins Recht gelegte handschriftliche Notizen der Examinatoren können als Hilfsmittel für die sofortige oder nachträgliche Begründung der Bewertung einer mündlichen Prüfung beigezogen werden (E. 5).

Examen professionnel supérieur. Devoir de motivation. Reconstitution de l'examen et de son évaluation. Notes manuscrites de l'examinateur.

- Afin que l'évaluation des prestations puisse être vérifiée, le déroulement d'un examen oral doit pouvoir être reconstitué. Le dossier doit au moins contenir les questions auxquelles le candidat a répondu correctement, les lacunes constatées et éventuellement les réponses correctes (consid. 4.2 ss).

- Les notes manuscrites de l'examinateur versées au dossier peuvent être une aide pour la motivation immédiate ou postérieure de l'appréciation d'un examen oral (consid. 5).

Esame professionale superiore. Obbligo di motivare. Ricostituzione dell'esame e valutazione. Annotazioni scritte a mano dell'esaminatore.

- Per la verifica della valutazione delle prestazioni d'esame, lo svolgimento di quest'ultimo deve essere ricostituibile. Dagli atti si dovrebbero poter evincere almeno le domande alle quali il candidato ha risposto correttamente, le lacune costatate e, se del caso, le risposte esatte (consid. 4.2 e segg.).

- Le annotazioni a mano dell'esaminatore riportate nel fascicolo del candidato possono essere addotte quali mezzi ausiliari per l'immediata o la successiva motivazione della valutazione di un esame orale (consid. 5).

Aus dem Sachverhalt:

B. bestand im Sommer 1996 die Berufsprüfung für Exportfachmann/frau nicht, da er im Fach «Tarifäre und nichttarifäre Handelsbeschränkungen inkl. Steuern» die Note 3,0 und im Fach «Internationale Rahmenbedingungen und Aussenwirtschaftspolitik» die Note 2,5 erzielte.

Gegen den negativen Prüfungsbescheid vom 2. Juli 1996 gelangte B. am 8. Juli 1996 an das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (Zuständigkeit ab 1. Januar 1998 neu beim Bundesamt für Berufsbildung und Technologie, Bundesamt), welches die Beschwerde mit Entscheid vom 1. April 1997 abwies.

B. reichte am 30. April 1997 Beschwerde bei der Rekurskommission EVD ein und beantragte, es sei der Entscheid des Bundesamtes aufzuheben und die Prüfung als bestanden zu werten. Eventualiter sei ihm Gelegenheit zu geben, die Prüfung im Fach «Internationale Rahmenbedingungen und Aussenwirtschaftspolitik», allenfalls zusätzlich auch jene im Fach «Tarifäre und nichttarifäre Handelsbeschränkungen inkl. Steuern», zu wiederholen. Als Begründung führt der Beschwerdeführer an, die Note 2,5 im Fach «Internationale Rahmenbedingungen und Aussenwirtschaftspolitik» basiere ausschliesslich auf einem unzureichenden Notenrapport, welcher keine Auskunft über die gestellten Fragen und die erfolgten Antworten enthalte. Gestützt darauf lasse sich die Leistungsbewertung nicht nachvollziehen und könne im Rechtsmittelverfahren nicht auf ihre Korrektheit hin überprüft werden. Weiter beinhalte der Notenrapport eine pauschale negative Qualifizierung seiner Leistung. Schliesslich sei die Bewertung durch die Examinatoren mit der Note 2,5 auch sachlich unzutreffend.

Aus den Erwägungen:

(...)

4.2. Weil es nicht Aufgabe der Beschwerdeinstanz sein kann, die Prüfung gewissermassen zu wiederholen, müssen an den Beweis der behaupteten Unangemessenheit gewisse Anforderungen gestellt werden. Die entsprechenden Rügen müssen von objektiven Argumenten und Beweismitteln getragen sein. Die Beschwerdeinstanz hebt einen Entscheid nur auf, wenn das Ergebnis materiell nicht mehr vertretbar erscheint, sei es, weil die Prüfungsorgane in ihrer Beurteilung eindeutig zu hohe Anforderungen gestellt haben oder, ohne übertriebene Anforderungen zu stellen, die Arbeit des Kandidaten offensichtlich unterbewertet haben (VPB 45.43 E. 2, 50.45 E. 2, 56.16 E. 2.1). Gemäss Praxis der Rekurskommission EVD kann von der Rechtsmittelbehörde nur dann verlangt werden, dass sie auf alle die Bewertung der Examensleistung betreffenden Rügen detailliert einzugehen hat, wenn ein Beschwerdeführer selbst substanziiert und überzeugend Anhaltspunkte dafür liefert, es seien eindeutig zu hohe Anforderungen gestellt oder die Prüfungsleistungen offensichtlich unterbewertet worden (REKO/EVD 95/4K-014 E. 7.2, publiziert in: VPB 61.32). Das ändert nichts am Erfordernis, dass die verfügende Instanz, in der Regel durch die beteiligten Examinatoren, auf begründete
Rügen einzugehen und inhaltlich und sachlich zu begründen hat, weshalb sie die einzelnen Vorbringen des Beschwerdeführers für unzutreffend hält (unveröffentlichter Beschwerdeentscheid der Rekurskommission EVD vom 6. März 1998 i.S. B. [96/JC-001 E. 7.2]).

Bei der Überprüfung der Bewertung von Examensleistungen hat die Rechtsmittelinstanz zu untersuchen, ob die vorinstanzliche Beschwerdeinstanz ihrer Kontrollpflicht in hinreichender Weise nachgekommen ist (vgl. BGE 106 Ia 1 E. 3). Um eine solche Überprüfung vornehmen zu können, muss die Beschwerdeinstanz sich ein Bild vom Prüfungsgeschehen machen; der Prüfungsablauf muss für sie nachvollziehbar sein. Dies setzt eine genügende Begründung voraus. Das Recht auf eine genügende Entscheidbegründung leitet sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts aus Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 (BV, SR 101) ab. Sie bezweckt in erster Linie, dass sich der Betroffene über die Tragweite des Entscheides Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache weiterziehen kann (BGE 118 I a 488 E. 2b mit Hinweisen; Martin Aubert, Bildungsrechtliche Leistungsbeurteilungen im Verwaltungsprozess, Bern 1997, S. 144). Hinsichtlich der Begründungsdichte hat das BGer im Zusammenhang mit der Anfechtung einer nicht bestandenen Anwaltsprüfung Folgendes festgehalten: «Lorsque la décision porte sur le résultat d'un examen et que l'appréciation des experts est contestée, l'autorité satisfait aux exigences de l'art. 4 Cst. si elle indique au
candidat, de façon même succinte, les défauts qui entachent ses réponses et la solution qui était attendue de lui et qui eût été tenue pour correcte» (unveröffentlichtes Urteil vom 30. April 1996 i. S. P.). Daraus folgt, dass aus der Begründung zumindest ersichtlich sein muss, welche Fragen der Kandidat korrekt beantwortet hat, wo Mängel festgestellt wurden und welches die richtigen Antworten gewesen wären.

5. Was den Einwand des unzureichenden Notenrapports angeht, ist festzuhalten, dass das Reglement vom 20. Oktober 1993 über die Durchführung der Berufsprüfung für den/die Exportfachmann/frau (Reglement) keine Protokollierungspflicht vorsieht. Auch aus Art. 4 Abs. 1
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV lässt sich gemäss BGer kein Anspruch auf Protokollierung einer mündlichen Prüfung ableiten (vgl. Hinweise bei Aubert, a. a. O., S. 143 Fn. 198).

Allerdings hält das durch den Berufsverband ausgearbeitete «Merkblatt für Prüfungsexperten bei der Berufsprüfung und höheren Fachprüfung im Export, Import und in der Spedition» unter dem Titel «Während der Prüfung» in Ziff. 2 fest, dass für jene Fächer, die vom Expertenteam mit einer ungenügenden Note bewertet werden «pro Prüfling und Fach ein Notenrapport (detaillierte Begründung!) zu erstellen» ist.

Ob gestützt auf dieses für den internen Gebrauch bestimmten Merkblattes eine Protokollierungspflicht besteht, kann auf Grund der nachfolgenden Erwägungen (5.1) offen gelassen werden. Die anlässlich der Prüfung angebrachten handschriftlichen Ausführungen der Examinatoren sind jedoch zumindest als persönliche Notizen einzustufen. Vergleichbar mit einem formellen Protokoll helfen diese, Leistungsbeurteilungen sofort und - beispielsweise in einem Beschwerdeverfahren - auch später zu begründen und für alle Beteiligten nachvollziehbar zu machen. Sie stellen gerade im Streitfall ein wesentliches Beweismittel dar und tragen insbesondere zu einer effektiven Verwirklichung des Anspruchs auf Begründung bei (Aubert, a. a. O., S. 143 f., mit Hinweisen).

Nur wenn der Prüfungsablauf für die Beschwerdeinstanz nachvollziehbar ist (vgl. E. 4.2), kann untersucht werden, ob die über das Notenergebnis hinausgehende nachträgliche Begründung der Examinatoren hinsichtlich der ungenügenden Note zu überzeugen vermag und die Leistungsbewertung damit als materiell vertretbar erscheint oder ob die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Einwände eine gewisse Erheblichkeit aufweisen (REKO/EVD 95/5K-014 E. 10.1, publiziert in: VPB 61.32).

Es ist nachfolgend zu prüfen, ob an Hand der eingereichten Unterlagen die gerügte Leistungsbeurteilung im Fach «Internationale Rahmenbedingungen und Aussenwirtschaftspolitik» sachlich begründet und damit nachvollziehbar ist.

5.1. In den Akten befindet sich der Notenrapport, der von den beiden Examinatoren unterzeichnet ist. Dieser hält Folgendes fest:

«Hatte bei fast allen geprüften Gebieten nur ansatzweise Kenntnisse, die zudem aus ihm herausgeprügelt werden mussten; Ausnahme Mischfinanzierung = genügend & IWF zu dem er von sich aus - ohne gefragt worden zu sein - referierte.

Prüfungs-Themen:

- Mischfinanzierungen

- Umschuldungen (Pariser Club)

- GATT

- Schweiz-EWR

- EU (Entwicklung & gegenw. Stand)

- Unterschied EU-EFTA

- Verhältnis Schweiz EU»

Sowohl im Verfahren vor dem Bundesamt wie auch im Rahmen der Vernehmlassung auf die vorliegend zu beurteilende Beschwerde verwies die Prüfungskommission auf diesen Notenrapport und machte keine zusätzlichen Ausführungen zum Prüfungsablauf. Auf ausdrückliche Aufforderung der Rekurskommission EVD hin, im Prüfungsfach «Internationale Rahmenbedingungen und Aussenwirtschaftspolitik» detaillierte Angaben über die gestellten Fragen und Antworten sowie deren Bewertung zu machen, reichte die Prüfungskommission schliesslich am 27. Oktober 1997 folgende Stellungnahme ein:

«Notenrapport

Den beiden Prüfungsexperten ist es nicht möglich, detaillierte Angaben zu den einzelnen Fragen an den Kandidaten anlässlich der Prüfung zu machen. Er wurde gemäss Prüfungsreglement/Wegleitung das gesamte Gebiet der «Aussenwirtschaft» abgefragt. Die speziell behandelten Prüfungsthemen resp. deren Fragen dazu, sind im Notenrapport aufgeführt.

Wie der Rapport erwähnt, konnte B. (...) nur ansatzweise die Fragen beantworten und die Formulierung «herausprügeln» sollte umschreiben, dass das Expertenteam mehrmals ansetzte, um noch irgendetwas «Brauchbares» an Wissen zu erfragen.

Einzig über die Mischfinanzierung + IWF referierte er von sich aus, ohne dass die Experten ihn dazu befragten. Wahrscheinlich war sich B. (...) bewusst, dass sein Wissen ungenügend war und er somit zu seinem «Referat» ansetzte. Allerdings wurde dieser Teil selbstverständlich nur z. T. von den Experten mitberücksichtigt, da er ja auf die gezielt gestellten Fragen nur sehr vage antworten konnte.»

5.2. Auf Grund dieser Unterlagen ist es der Rekurskommission EVD nicht möglich, die Prüfungsbewertung nachzuvollziehen.

Zwar enthält der Notenrapport teilweise Hinweise auf die Art und Weise der Beantwortung der Fragen. Solche Feststellungen, ob Antworten spontan oder zögernd erfolgten oder ob es gar einer Hilfeleistung der Examinatoren bedurfte, können bei der Bewertung einer mündlichen Prüfung eine wichtige Rolle spielen. Aus diesem Grund ist es grundsätzlich zulässig, wenn die Examinatoren solche Eindrücke festhalten (vgl. REKO/EVD 95/5K-014 E. 10.2, publiziert in: VPB 61.32). Was die Bemerkung der Examinatoren angeht, die Kenntnisse hätten aus dem Kandidaten «herausgeprügelt» werden müssen, geht - abgesehen davon, dass sich die Examinatoren mit dieser Bemerkung in der Wortwahl und im Ton vergriffen haben - daraus einzig hervor, dass der Beschwerdeführer nicht ohne Hilfeleistungen die gestellten Fragen zu beantworten vermochte. Allein aus diesen Ausführungen der Examinatoren lässt sich jedoch der Prüfungsablauf noch nicht rekonstruieren.

Dem Notenrapport kann nichts entnommen werden, was den Prüfungsablauf inhaltlich zumindest in den Grundzügen nachvollziehbar machen würde. Aus der Auflistung der Prüfungsthemen im Rapport ist nicht ersichtlich, welche Fragen konkret gestellt worden sind und wie die Antworten des Rekurrenten zu werten sind beziehungweise wo Wissenslücken festgestellt wurden. Auch die auf Aufforderung der Rekurskommission EVD hin nachgereichte Stellungnahme der Prüfungskommission enthält - was den Inhalt der Prüfung betrifft - hiezu keine weiteren Angaben. Vielmehr wird ausdrücklich festgehalten, dass die beiden Examinatoren nicht detaillierte Angaben zu den einzelnen Fragen machen können. Damit steht fest, dass zu den einzelnen fachlichen Einwänden des Rekurrenten seitens der Prüfungsorgane nie Stellung genommen wurde.

Demzufolge vermögen die Ausführungen der Prüfungskommission beziehungsweise der Examinatoren den Ablauf der mündlichen Prüfung «Internationale Rahmenbedingungen und Aussenwirtschaftspolitik» nicht ausreichend wiederzugeben und es ist nicht möglich, auf Grund der Unterlagen die Prüfungsbewertung nachzuvollziehen. Daher kann auch nicht überprüft werden, ob die Leistung des Rekurrenten offensichtlich unterbewertet worden ist. Deshalb ist ihm die Möglichkeit einzuräumen, die Prüfung in diesem Fach zu wiederholen.

(...)

7. Auf Grund vorstehender Erwägungen kommt die Rekurskommission EVD zum Ergebnis, dass die Beschwerde gutzuheissen und die Entscheide der Prüfungskommission und des Bundesamtes aufzuheben sind. Die Prüfungskommission wird angewiesen, dem Beschwerdeführer unentgeltlich die Möglichkeit zu

geben, die Prüfung im Fach «Internationale Rahmenbedingungen und Aussenwirtschaftspolitik» zu wiederholen. Anschliessend hat die Prüfungskommission unter Berücksichtigung der bereits abgelegten und beurteilten Prüfungsfächer erneut über das Bestehen der Prüfung zu entscheiden (Art. 5 Abs. 1 Bst. e Reglement).

Dokumente der REKO/EVD
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Document : VPB-63.88
Date : 06. April 1998
Published : 06. April 1998
Source : Vorgängerbehörden des BVGer bis 2006
Status : Publiziert als VPB-63.88
Subject area : Rekurskommission EVD (des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements, REKO/EVD)
Subject : Höhere Fachprüfung. Begründungspflicht. Nachvollziehbarkeit von Prüfung und Bewertung. Handschriftliche Notizen der Examinatoren....


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