VPB 56.26

(Entscheid der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen vom 1. Februar 1991)

Art. 4 Abs. 1 und 2 Konzession SRG. Programmautonomie. Themenwahl.

- Zulässigkeit der Berichterstattung über die öffentliche Meinung betreffend Personen des öffentlichen Lebens wie Bischof Haas.

- Unterscheidung zwischen professioneller Sachaufsichtskompetenz des Veranstalters und Rechtsaufsichtskompetenz der UBI.

- Konzessionsrechtlich ist es der SRG nicht verwehrt, über aktuelle Vorfälle zu berichten, die bereits die Aufmerksamkeit anderer Medien geniessen, sogar Gegenstand von Pressekampagnen sind.

Art. 4 al. 1 et 2 Concession SSR. Autonomie des programmes. Choix d'un sujet.

- Licéité d'un compte rendu de l'opinion publique relative à une personnalité de la vie publique telle que Mgr Haas.

- Distinction entre le pouvoir de surveillance professionnelle exercé par le diffuseur en matière de rédaction et le pouvoir de surveillance de I'AIEP, qui porte sur le respect du droit.

- Le droit de la concession ne met pas d'obstacle à ce que la SSR rende compte d'événements d'actualité qui retiennent déjà l'attention des autres médias, voire font l'objet de campagnes de presse.

Art. 4 cpv. 1 e 2 Concessione SSR. Autonomia di programma. Scelta dei temi.

- Liceità della cronaca dell'opinione pubblica in merito a personalità della vita pubblica quali il Vescovo Haas.

- Distinzione tra competenza di vigilanza professionale dell'emittente e competenza di vigilanza giuridica dell'AIER.

- Dal punto di vista del diritto della concessione, alla SSR non è vietato fare un rapporto relativo ad avvenimenti d'attualità su cui è già puntata l'attenzione di altri media e che sono perfino oggetto di campagne di stampa.

I

A. Im Rahmen der Sendung «10 vor 10» vom 25. Oktober 1990 berichtete das Fernsehen der deutschen und der rätoromanischen Schweiz (DRS) über die Semester-Eröffnungsfeier der Theologischen Hochschule Chur. Nach einer kurzen Einleitung des Journalisten, die auf die Protestbewegung verschiedener katholischer Kreise gegen die Ernennung von Bischof Haas und dessen erste Personalentscheide hinwies, wurden im chronologischen Zeitablauf Auszüge der in der Veranstaltung gehaltenen Reden ausgestrahlt: so kamen zu Wort Albert Gasser, damals Rektor der Theologischen Hochschule Chur, Karl Heinz Ducke, Leiter der «Runden Tische» in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR), ein gegenüber Bischof Haas kritischer Student der Hochschule und zuletzt Bischof Wolfgang Haas selbst. Während dessen Rede sah man, wie verschiedene Studenten die Feier verliessen; leere Stühle blieben, wie gesagt wurde, als Zeichen eines stummen Protestes zurück. Der Bericht endete mit einem kurzen Gespräch zwischen Bischof Haas und dem Reporter, worin der Bischof ein sofortiges Interview ablehnte; er brachte noch gegenüber dem Journalisten seine Vermutung zum Ausdruck, das Fernsehen wäre nicht da gewesen, wenn es nicht gewusst hätte, dass es zu einem
Eklat kommen würde.

In der Sendung «Schweiz-aktuell» wurde am gleichen Tag folgende Nachricht gelesen:

«A de Theologische Hochschuel z'Chur hät s'Winter-Semester nöd so fiirlech aafange: De Bischof Haas als Schirmherr vo dere Hochschuel isch nöd emol begrüesst worde. Er hät nämli vor es paar Tag gseit, de vorgsehni Rektor Albert Gasser überchömi kei Bewilligung für das Amt. Us Protest händ d'Studänte dänn de Saal verlah und sind i d'Huus-Kapälle goge bätte, wo de Bischof Haas sini Red ghalte hät.»

B. Am 19. November 1990 erhob X zusammen mit zwanzig weiteren Mitunterzeichnern (hiernach: die Beschwerdeführer) Beschwerde bei der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI). Sie beanstanden, die obgenannten Sendungen hätten Art. 4 Abs. 1 und 2 der Konzession für die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft vom 5. Oktober 1987 (Konzession SRG, BBl 1987 III 813 f.) verletzt.

Gerügt wird, die Sendung «10 vor 10» hätte nur von der Semester-Eröffnungssitzung der Theologischen Hochschule Chur berichtet, weil die Journalisten offensichtlich vorinformiert wurden, dass ein Eklat gegen Bischof Haas geplant sei. Durch heuchlerische Teilnahme und unter Weglassung der wahren Hintergründe hätte die beanstandete Ausstrahlung einseitig Partei ergriffen sowie Stimmung und Emotionen angeheizt.

Die Sendung «DRS-aktuell» hätte eine halbwahre - und somit eine falsche - Meldung der Bündner Zeitung ungeprüft verbreitet.

Zudem nehmen die Beschwerdeführer auf die «Toleranz-Sendung» vom 25. Oktober 1990 Bezug, worin der Redaktor die Person von Bischof Haas ins Lächerliche gezogen hätte.

...

II

1.a. ...

b. Betreffend die «Toleranz-Sendung», auf die die Beschwerdeführer Bezug nehmen, ist folgendes festzustellen:

Aus der Darstellung (Titel der Eingabe, Gliederung der einzelnen Abschnitte) der Beschwerdeschrift ergibt sich, dass die «Toleranz-Sendung» nicht formell beanstandet wurde, sondern ausschliesslich als ein Element des ganzen Sachverhaltskomplexes zitiert wurde. Im Rahmen der vorliegenden Beschwerde müsste indessen ohnehin auf eine Beurteilung dieser Sendung gemäss Art. 21 des BB vom 7. Oktober 1983 über die unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (BB UBI, SR 784.45) verzichtet werden, da die Beschwerdeführer gegenüber dieser Sendung nur pauschale Vorwürfe geltend machen und ungenügend dargetan haben, wodurch die Programmbestimmungen der Konzession SRG verletzt worden wären (vgl. VPB 54.46). Dazu kommt noch, dass der materielle Sachzusammenhang mit den beiden formell gerügten Sendungen nicht hinreichend dargelegt worden ist (vgl. VPB 55.34).

Somit tritt die UBI auf die Beanstandung ein.

2. ...

a. Art. 4 Abs. 1 Konzession SRG fordert unter anderem, dass die Programme insgesamt die kulturellen Werte des Landes wahren und fördern sowie zur geistigen, sittlichen, religiösen, staatsbürgerlichen und künstlerischen Bildung beitragen. (Tragweite, vgl. VPB 50.52, VPB 53.47, VPB 53.48 und VPB 54.13.)

b. Art. 4 Abs. 2 Konzession SRG verlangt unter anderem, Ereignisse seien sachgerecht darzustellen (vgl. VPB 56.27 E. 2.a).

Mit dem Sachgerechtigkeitsgebot wesentlich verbunden sind die Grundsätze der «Wahrhaftigkeit» und der «journalistischen Sorgfaltspflicht». Wahrhaftigkeit verlangt, nichts zu sagen oder zu zeigen, was nicht nach bestem Wissen und Gewissen für wahr gehalten wird. Je nach Art der Information muss der Journalist sich über die Richtigkeit einer von ihm verbreiteten Meldung direkt vergewissern; allenfalls genügt aber auch die Abklärung über die Zuverlässigkeit einer Informationsquelle (vgl. VPB 51.31, VPB 53.45).

c. Bei der Beurteilung einer Sendung unter konzessionsrechtlichen Grundsätzen ist stets auch die dem Veranstalter von Verfassung wegen zustehende Programmautonomie zu beachten, die ihm insbesondere in der Bestimmung seiner Themen und deren gestalterischen Umsetzung einen weiten Spielraum gewährt.

3. Die UBI hat die beanstandeten Sendungen im Hinblick auf die erwähnten Grundsätze geprüft.

a. Dass Auszüge aus der Semester-Eröffnungsfeier der Theologischen Hochschule - wie immer diese Zeremonie ablief - ausgestrahlt wurden beziehungsweise dass darüber in einer Kurzmeldung berichtet wurde, ist nicht zu beanstanden. Es handelte sich offensichtlich nicht um eine Ausstrahlung, die von der Thematik oder vom Stil her geradezu im direkten Gegensatz zu den im Leistungsauftrag formulierten Anforderungen an das Gesamtprogramm stand; ihr haftete auch kein destruktiver Charakter an.

b. Bei der «10 vor 10»-Sendung handelte es sich, wie die UBI feststellen konnte, um eine korrekte Reportage über wesentliche Passagen der Eröffnungsfeierlichkeiten der Theologischen Hochschule Chur. Zu Recht beanstanden die Beschwerdeführer auch nicht den in der Sendung geschilderten Ablauf der Zeremonie, die Auswahl der Auszüge beziehungsweise die Zusammenfassungen der gehaltenen Reden oder die Wiedergabe des Interviews mit Bischof Haas. Das Ereignis wurde sachgerecht dargestellt und angemessen kommentiert. Dasselbe gilt für die knappe Kurzmeldung in «DRS-aktuell», in der die Veranstaltung an der Hochschule Chur korrekt geschildert wurde.

Dass der Journalist das Fernsehpublikum über die weiteren Umstände seiner Reportage - zum Beispiel die Vorinformation, die er benützt oder gekannt hat - nicht orientierte, ist für die konzessionsrechtliche Beurteilung der Sendungen unbeachtlich. Es gehört zur Alltagsarbeit der Journalisten sowohl der schriftlichen wie der elektronischen Medien über Ereignisse aller Art zu berichten, deren Hintergrund zu recherchieren, allfällige Konflikte sichtbar zu machen und zu kommentieren. Grund und Anlass, weshalb ein Journalist über eine Begebenheit berichtet, ändert letztlich nichts am Umstand, dass ein Ereignis oder ein Vorfall sich unabhängig davon zuträgt, ob in Medien darüber informiert wird oder nicht.

c. Der Grundvorwurf der Beanstandung liegt eigentlich in der Wahl des Sendegegenstandes.

Diesbezüglich stellt die UBI fest, dass Bischof Haas eine Person des öffentlichen Lebens ist. Aus diesem Grund bietet Bischof Haas auch mehr als andere Mitbürger Anlass für verschiedene journalistische Darstellungen oder Berichterstattungen. Dass Journalisten ihn bei seinen amtlichen Tätigkeiten und Auftritten beobachten und dass sie darüber berichten, wie die öffentliche Meinung auf seine Person oder auf seine Aussagen reagiert, gehört zum freiheitlichen und demokratischen Konzept der verfassungsmässigen Programmautonomie des Veranstalters.

Überdies ist nicht zu verkennen, dass der Veranstaltung in Chur noch eine andere medienrelevante Bedeutung zukam: Die Anwesenheit von Herrn Ducke, als Leiter und Vertreter der «Runden Tische», und dessen Referat über Demokratie waren zu dieser Zeit - wenige Wochen nach der Wiedervereinigung Deutschlands - von aktuellem Interesse und rechtfertigten eine Berichterstattung über diese Semester-Eröffnungsfeier. Dementsprechend wurde er auch in der Sendung länger als die anderen Redner zitiert.

d. Die Vermutung, die Berichterstattung vom Fernsehen DRS sei einzig deshalb erfolgt, weil es über den bevorstehenden Eklat informiert gewesen sei, beinhaltet den Vorwurf einer abgesprochenen Kampagne gegen Bischof Haas.

Es ist Sache des Veranstalters - im Rahmen seiner professionellen Sachaufsichtskompetenz - zu beurteilen, ob eine Sendung, die im Einklang mit anderen Publikationen gestaltet und ausgestrahlt worden ist, unangemessen den Eindruck erwecken kann, es handle sich um eine abgesprochene Pressekampagne, und es obliegt ihm daher, gegebenenfalls die sich aus professioneller Sicht aufdrängenden Entscheide zu treffen. Es ist nicht Sache der UBI, über solche Vermutungen zu entscheiden. Aufgabe der UBI ist - im Rahmen ihrer Rechtsaufsichtskompetenz -, die ausgestrahlten Sendungen unter konzessionsrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen. In diesem Sinn ist konzessionsrechtlich auch nicht zu beanstanden, dass die SRG über gewisse Themen berichtet, die bereits die Aufmerksamkeit anderer Medien geniessen, sogar Gegenstand eventueller Pressekampagnen sein können. Würde man der SRG diese Möglichkeit nicht einräumen, wäre sie nicht in der Lage, über aktuelle Vorfälle zu berichten, sondern sie sähe sich gezwungen, über Themen erst dann zu informieren, wenn diese nicht mehr aktuell sind.

Im vorliegenden Fall ist ausserdem zu bemerken, dass die SRG glaubhaft dargetan hat, der Journalist habe über den geplanten Eklat erst vor Ort und kurz vor Anfang der Zeremonie Kenntnis erhalten.

e. Damit kommt die UBI zum Schluss, dass die beanstandeten Ausstrahlungen mit den Grundsätzen der Wahrhaftigkeit und der Sorgfaltspflicht konform waren. Aufgrund der in den Sendungen vermittelten Fakten konnten sich die Zuschauer ein möglichst zuverlässiges Bild über die genannten Vorkommnisse an der Theologischen Hochschule Chur machen. Die beanstandeten Sendungen haben die Konzession SRG nicht verletzt.

Dokumente der UBI
Decision information   •   DEFRITEN
Document : VPB-56.26
Date : 01. Februar 1991
Published : 01. Februar 1991
Source : Vorgängerbehörden des BVGer bis 2006
Status : Publiziert als VPB-56.26
Subject area : Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI)
Subject : Art. 4 Abs. 1 und 2 Konzession SRG. Programmautonomie. Themenwahl.


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BBl
1987/III/813
VPB
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