TPF 2010 70, p.70

16. Auszug aus dem Entscheid der I. Beschwerdekammer in Sachen Kanton Luzern gegen Kanton Zürich, Kanton Aargau vom 26. Februar 2010 (BG.2010.1)

Örtliche Zuständigkeit; Subjektive Konnexität.
Art. 343 , 344 Abs. 1 Satz 2 StGB

Stirbt einer von mehreren Beschuldigten im Verlaufe des Strafverfahrens, so fallen die ihm ursprünglich zur Last gelegten Delikte bei der Bestimmung des für seine Mittäter geltenden Gerichtsstandes ausser Betracht (E. 2).

Compétence ratione loci; connexité subjective.
Art. 343, 344 al. 1 deuxième phrase CP

En cas de décès de l'un parmi plusieurs inculpés au cours de la procédure pénale, les délits dont il a été accusé à l'origine n'entrent plus en considération lors de la détermination du for par rapport à ses coauteurs (consid. 2).

Competenza ratione loci; connessione soggettiva.
Art. 343, 344 cpv. 1 frase 2 CP

TPF 2010 70, p.71

Se uno di più imputati muore nel corso del procedimento penale, nella determinazione del foro competente per i suoi coautori non entrano in linea di conto i reati originariamente imputatigli (consid. 2).

Zusammenfassung des Sachverhalts:

Die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Zürich führen u. a. gegen A. ein Verfahren im Zusammenhang mit einer Reihe von in den Jahren 2002 bis 2005 begangenen Versicherungsund Leasingbetrugsdelikten. Die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Luzern führen demgegenüber gegen A. ein Verfahren hauptsächlich wegen des Verdachts ähnlich gelagerter Leasingbetrugsdelikte, welche dieser in den Jahren 2007 bis 2009 zusammen mit B. begangen haben soll. Dieses Verfahren richtet sich weiter auch gegen C., D. und E., mit welchen A. im Zusammenhang mit der Schwindelgründung einer Aktiengesellschaft delinquiert haben soll. Die zuständige Strafverfolgungsbehörde des Kantons Luzern ersuchte am 2. November 2009 die entsprechende Strafverfolgungsbehörde des Kantons Zürich, das gegen den mittlerweile verstorbenen A. sowie gegen B., C., D. und E. geführte Verfahren zu übernehmen. Der nachfolgende Meinungsaustausch zwischen der Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich sowie der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau führte hinsichtlich der Zuständigkeitsfrage zu keiner Einigung, weshalb die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern die I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts um Festlegung des Gerichtsstandes zur Verfolgung und Beurteilung von A., B., C., D. und E. ersuchte.

Die I. Beschwerdekammer erklärte die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Luzern für berechtigt und verpflichtet, die B. zur Last gelegten Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen, und die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Aargau für berechtigt und verpflichtet, die C., D. und E. zur Last gelegten Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen.

Aus den Erwägungen:

2.
2.1 Vorliegend umstritten ist hauptsächlich, welche Folgen der Tod eines der Beschuldigten auf die Festlegung des Gerichtsstandes zeitigt.

TPF 2010 70, p.72

Währenddem der Gesuchsteller diesbezüglich immer noch auf die dem mittlerweile Verstorbenen zur Last gelegten Delikte abstellt, fallen diese für den Gesuchsgegner 1 ausser Betracht.

2.2 Bei der Beurteilung der Gerichtsstandsfrage geht die I. Beschwerdekammer von jenen Vorwürfen aus, die dem Täter zur Zeit des bei ihr hängigen Verfahrens gemacht werden können. Massgebend ist dabei grundsätzlich die Verdachtslage, wie sie sich zur Zeit des Entscheides der I. Beschwerdekammer darstellt (SCHWERI/BÄNZIGER, Interkantonale Gerichtsstandsbestimmung in Strafsachen, 2. Aufl., Bern 2004, N. 642 mit Hinweis auf BGE 116 IV 83 E. 2; vgl. auch GUIDON/BÄNZIGER, Die aktuelle Rechtsprechung des Bundesstrafgerichts zum interkantonalen Gerichtsstand in Strafsachen, Jusletter 21. Mai 2007, [Rz 26] m.w.H.). Die vorliegend vom Gesuchsteller zur Festlegung des Gerichtsstandes befürwortete Anwendung der Art. 343 und 344 Abs. 1 Satz 2 StGB setzt voraus, dass die beschuldigte Person in beiden Kantonen gleichzeitig verfolgt wird (SCHWERI/BÄNZIGER, a.a.O., N. 269; GUIDON/BÄNZIGER, a.a.O., [Rz 40] m.w.H.; vgl. zuletzt auch den Entscheid des Bundesstrafgerichts BG.2009.33 vom 5. Februar 2010, E. 2.1 in fine). An der Gleichzeitigkeit fehlt es beispielsweise, wenn in einem Kanton das Verfahren beendet war, bevor im anderen Kanton das neue Verfahren eingeleitet wurde. In diesem Zusammenhang ist ein Verfahren auch dann als beendet anzusehen, wenn es zwar noch nicht formell abgeschlossen, tatsächlich aber als erledigt angesehen wird (vgl. hierzu SCHWERI/BÄNZIGER, a.a.O., N. 269). Mit anderen Worten fällt ein Verfahren in einem Kanton ausser Betracht, wenn es im Zeitpunkt der Gerichtsstandsdiskussion bereits formell abgeschlossen oder auch nur tatsächlich beendet ist (vgl. GUIDON/BÄNZIGER, a.a.O., [Rz 40] mit Hinweis auf den Entscheid des Bundesstrafgerichts BK_G 019/04 vom 29. April 2004, E. 2.2).

2.3 Wird während laufendem Verfahren das Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung festgestellt, so ist das Verfahren einzustellen. Der Tod der beschuldigten Person stellt ein solches Prozesshindernis dar (SCHMID, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, Zürich/St. Gallen 2009, N. 323 und 1254; HAUSER/SCHWERI/HARTMANN, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl., Basel 2005, S. 178 N. 4). Stirbt der Beschuldigte während des gegen ihn geführten Strafverfahrens, ist dieses deshalb als erledigt bzw. als beendet anzusehen. Vorbehalten bleiben diesbezüglich lediglich gesetzliche Ausnahmebestimmungen wie Art. 382

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Abs. 3 der noch nicht in Kraft getretenen Schweizerischen Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (StPO). Zumindest unter geltendem Recht aber fallen die Gegenstand des Strafverfahrens bildenden, dem mittlerweile Verstorbenen vorgeworfenen Delikte bei der Festlegung des Gerichtsstandes grundsätzlich ausser Betracht.
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Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : TPF 2010 70
Datum : 26. Februar 2010
Publiziert : 08. März 2010
Quelle : Bundesstrafgericht
Status : TPF 2010 70
Sachgebiet : Art. 343, 344 Abs. 1 Satz 2 StGB Stirbt einer von mehreren Beschuldigten im Verlaufe des Strafverfahrens, so fallen die...
Gegenstand : Örtliche Zuständigkeit; Subjektive Konnexität.


Gesetzesregister
StGB: 343  344
BGE Register
116-IV-83
Stichwortregister
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BstGer Leitentscheide
TPF 2010 70
Entscheide BstGer
BK_G_019/04 • BG.2010.1 • BG.2009.33