38. Auszug aus dem Entscheid der I. Beschwerdekammer in Sachen Kanton Zürich gegen Kanton Zug vom 20. Oktober 2009 (BG.2009.24)
Örtliche Zuständigkeit; forum praeventionis.
Art. 344 Abs. 1

Damit eine Untersuchung im Sinne von Art. 344 Abs. 1

Compétence territoriale; forum praeventionis.
Art. 344 al. 1 CP
Pour qu'il y ait ouverture d'une instruction au sens de l'art. 344 al. 1, deuxième phrase CP, il faut qu'il y ait eu une action humaine. Le simple enregistrement d'une violation des règles de la circulation par un appareil électronique de surveillance de la circulation routière ne constitue pas encore une ouverture d'instruction (consid. 2.12.4).
Competenza ratione loci; forum praeventionis.
Art. 344 cpv. 1 CP
Per compiere il primo atto d'istruzione ai sensi dell'art. 344 cpv. 1 frase 2 CP è necessaria un'azione umana. Se un apparecchio di controllo del traffico rileva un'infrazione alle norme della circolazione non si procede ancora ad un atto d'istruzione (consid. 2.12.4).
TPF 2009 169, p.170
Zusammenfassung des Sachverhalts:
Die Strafverfolgungsbehörden der Kantone Zürich und Zug haben gegen A. je eine Strafuntersuchung wegen des Verdachts verschiedener Widerhandlungen gegen das Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG; SR 741.01) eröffnet. A. wird dabei einerseits vorgeworfen, am 25. Mai 2009 einen Lieferwagen mit luzernischem Kontrollschild gelenkt und dabei um 11.43 Uhr in Z. (Kanton Zug) innerorts durch übersetzte Geschwindigkeit eine grobe Verletzung der Verkehrsregeln gemäss Art. 90 Ziff. 2

SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 90 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt. |
|
1 | Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt. |
2 | Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt. |
3 | Mit Freiheitsstrafe von einem bis zu vier Jahren wird bestraft, wer durch vorsätzliche Verletzung elementarer Verkehrsregeln das hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern eingeht, namentlich durch besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, waghalsiges Überholen oder Teilnahme an einem nicht bewilligten Rennen mit Motorfahrzeugen. |
3bis | Die Mindeststrafe von einem Jahr kann bei Widerhandlungen gemäss Absatz 3 unterschritten werden, wenn ein Strafmilderungsgrund nach Artikel 48 StGB236 vorliegt, insbesondere wenn der Täter aus achtenswerten Beweggründen gehandelt hat.237 |
3ter | Der Täter kann bei Widerhandlungen gemäss Absatz 3 mit Freiheitsstrafe bis zu vier Jahren oder Geldstrafe bestraft werden, wenn er nicht innerhalb der letzten zehn Jahre vor der Tat wegen eines Verbrechens oder Vergehens im Strassenverkehr mit ernstlicher Gefahr für die Sicherheit anderer, respektive mit Verletzung oder Tötung anderer verurteilt wurde.238 |
4 | Eine besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit liegt vor, wenn diese überschritten wird um: |
a | mindestens 40 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 30 km/h beträgt; |
b | mindestens 50 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 50 km/h beträgt; |
c | mindestens 60 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 80 km/h beträgt; |
d | mindestens 80 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit mehr als 80 km/h beträgt.239 |
5 | Artikel 237 Ziffer 2 des Strafgesetzbuches240 findet in diesen Fällen keine Anwendung. |
Verkehrsüberwachungsgerätes ersuchte die Zuger Polizei am 4. Juni 2009 die Kantonspolizei Luzern um Ermittlung des verantwortlichen Fahrzeuglenkers. In der Folge wurde A. durch die Zuger Polizei entsprechend angezeigt. Weiter wird A. vorgeworfen, ebenfalls am 25. Mai 2009 um ca. 13.05 Uhr in Y. (Kanton Zürich) mit demselben Fahrzeug aufgrund eines Sekundenschlafes einen Selbstunfall mit Drittschaden verursacht und sich damit des Fahrens in fahrunfähigem Zustand gemäss Art. 91 Abs. 2

SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 91 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer: |
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1 | Mit Busse wird bestraft, wer: |
a | in angetrunkenem Zustand ein Motorfahrzeug führt; |
b | das Verbot, unter Alkoholeinfluss zu fahren, missachtet; |
c | in fahrunfähigem Zustand ein motorloses Fahrzeug führt. |
2 | Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer: |
a | in angetrunkenem Zustand mit qualifizierter Atemalkohol- oder Blutalkoholkonzentration ein Motorfahrzeug führt; |
b | aus anderen Gründen fahrunfähig ist und ein Motorfahrzeug führt. |
Die I. Beschwerdekammer erklärte die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Zürich für berechtigt und verpflichtet, alle A. zur Last gelegten Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen.
Aus den Erwägungen:
2.
2.1 Wird jemand wegen mehrerer, an verschiedenen Orten begangener strafbarer Handlungen verfolgt, so sind die Behörden des Ortes, wo die mit der schwersten Strafe bedrohte Tat begangen worden ist, auch für die Verfolgung und Beurteilung der anderen Taten zuständig. Sind diese strafbaren Handlungen mit der gleichen Strafe bedroht, so sind die Behörden des Ortes zuständig, wo die Untersuchung zuerst angehoben wird (Art. 344 Abs. 1

TPF 2009 169, p.171
Zwischen den Parteien umstritten ist im vorliegenden Fall lediglich die Frage, in welchem Kanton die Untersuchung zuerst angehoben wurde bzw. konkreter ob das automatische Erfassen einer Verletzung von Verkehrsregeln bereits ausreicht, um von einer Anhebung der Untersuchung im Sinne von Art. 344 Abs. 1

2.2 Allgemein gilt eine Untersuchung dann als angehoben und ein Täter dann als verfolgt, wenn eine Straf-, Untersuchungsoder Polizeibehörde durch die Vornahme von Erhebungen oder in anderer Weise zu erkennen gegeben hat, dass sie jemanden (einen bekannten oder noch unbekannten Täter) einer strafbaren Handlung verdächtigt, oder wenn eine solche Handlung wenigstens zum Gegenstand einer Strafanzeige oder (bei Antragsdelikten) eines Strafantrages gemacht worden ist (BGE 86 IV 128 E. 1b S. 130; 75 IV 139 S. 140 f.; SCHWERI/BÄNZIGER, Interkantonale Gerichtsstandsbestimmung in Strafsachen, 2. Aufl., Bern 2004, N. 141 m.w.H.; GUIDON/ BÄNZIGER, Die aktuelle Rechtsprechung des Bundesstrafgerichts zum interkantonalen Gerichtsstand in Strafsachen, Jusletter 21. Mai 2007, [Rz 32] m.w.H.; NAY/THOMMEN, Basler Kommentar, 2. Aufl., Art. 340

SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 91 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer: |
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1 | Mit Busse wird bestraft, wer: |
a | in angetrunkenem Zustand ein Motorfahrzeug führt; |
b | das Verbot, unter Alkoholeinfluss zu fahren, missachtet; |
c | in fahrunfähigem Zustand ein motorloses Fahrzeug führt. |
2 | Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer: |
a | in angetrunkenem Zustand mit qualifizierter Atemalkohol- oder Blutalkoholkonzentration ein Motorfahrzeug führt; |
b | aus anderen Gründen fahrunfähig ist und ein Motorfahrzeug führt. |

SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 91 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer: |
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1 | Mit Busse wird bestraft, wer: |
a | in angetrunkenem Zustand ein Motorfahrzeug führt; |
b | das Verbot, unter Alkoholeinfluss zu fahren, missachtet; |
c | in fahrunfähigem Zustand ein motorloses Fahrzeug führt. |
2 | Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer: |
a | in angetrunkenem Zustand mit qualifizierter Atemalkohol- oder Blutalkoholkonzentration ein Motorfahrzeug führt; |
b | aus anderen Gründen fahrunfähig ist und ein Motorfahrzeug führt. |
Zur Auslegung des Begriffs der ,,Anhebung der Untersuchung" kann vorliegend auch Art. 34 Abs. 1 Satz 2 der noch nicht in Kraft getretenen schweizerischen Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 herbei gezogen werden, welcher lautet: ,,Bei gleicher Strafdrohung sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen worden sind." Diese Bestimmung soll inhaltlich, bloss sprachlich überarbeitet, an die bisherige Regelung im Strafgesetzbuch anknüpfen (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 S. 1142; BÄNZIGER, in: Goldschmid/Maurer/Sollberger [Hrsg.], Kommentierte Textausgabe zur schweizerischen Strafprozessordnung, Bern 2008, S. 30).
TPF 2009 169, p.172
2.3 Anhand der angeführten Literatur und den dort enthaltenen Hinweisen auf die Rechtsprechung bedarf es für die Anhebung der Untersuchung einer Handlung durch die zuständige Behörde bzw. durch deren Vertreter. Implizit gefordert ist damit ein menschliches Tätigwerden (vgl. die Begriffsbedeutung von ,,handeln" als ,,etwas tun", ,,vorgehen", ,,verfahren", ,,einen Entschluss ausführen", in: WAHRIG, Deutsches Wörterbuch, 7. Aufl., Gütersloh/München 2006, S. 598). Diese Auffassung wird weiter gestützt durch die italienische Fassung des Art. 344 Abs. 1


Der vom Gesuchsteller erwähnte Fall, in welchem ein Polizist mit einer Radarpistole auf das zu schnell fahrende Fahrzeug zielt und der Lenker alsdann einige Meter später von der Polizei angehalten wird, kann vorliegend nicht zur Herleitung einer Analogie herangezogen werden. Auch in diesem Fall nimmt die Polizei erst eine Verfolgungshandlung vor, nachdem sie von der Verkehrsregelverletzung Kenntnis genommen hat und gestützt auf diese Erkenntnis zur Anhaltung des Lenkers schreitet.
2.4 Nach dem Gesagten wurde vorliegend die Untersuchung gegen A. zuerst mit dessen Einvernahme vom 25. Mai 2009 durch die Kantonspolizei Zürich zum Verkehrsunfall in Y. vom selben Tag angehoben. (...)
TPF 2009 169, p.173