S. 139 / Nr. 31 Verfahren (d)

BGE 75 IV 139

31. Entscheid der Anklagekammer vom 29. Juli 1949 i. S. Staatsanwaltschaft des
Kantons Aargau gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich und Procuratore
pubblico sopracenerino.

Regeste:
Art. 350 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 350 - 1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
1    Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
2    Es ist zuständig für die Informationsvermittlung zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von INTERPOL andererseits.
, 343
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 350 - 1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
1    Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
2    Es ist zuständig für die Informationsvermittlung zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von INTERPOL andererseits.
und 346
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 350 - 1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
1    Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
2    Es ist zuständig für die Informationsvermittlung zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von INTERPOL andererseits.
StGB. Im interkantonalen Verhältnis kommt eine
Handlung bei der Bestimmung des Gerichtsstandes nach Art. 350 Ziff. 1 nur dann
in Betracht, wenn im Kanton des Begehungsortes die Verfolgung aufgenommen
worden ist. Begriff der Verfolgung.
Art. 350 ch. 1, 343 et 346 CP. En appliquant l'art. 350 ch. 1 CP dans les
rapports intercantonaux, on ne peut tenir compte d'une infraction que si elle
est poursuivie dans le canton où elle a été commise. Notion de la poursuite.
Art. 350, cifra 1, 343 e 346 CP. Applicando l'art. 350, cp. 1, CP nei rapporti
intercantonali, si può tener conto d'un reato soltanto se si procede nel
Cantone in cui è stato commesso. Nozione del procedimento.

Paul Schüpfer wurde in Zürich wegen Veruntreuung gemäss Art. 140 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 140 - 1. Wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Androhung gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder nachdem er den Betroffenen zum Widerstand unfähig gemacht hat, einen Diebstahl begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.195
1    Wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Androhung gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder nachdem er den Betroffenen zum Widerstand unfähig gemacht hat, einen Diebstahl begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.195
2    Der Räuber wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr196 bestraft, wenn er zum Zweck des Raubes eine Schusswaffe oder eine andere gefährliche Waffe mit sich führt.
3    Der Räuber wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft,
4    Die Strafe ist Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, wenn der Täter das Opfer in Lebensgefahr bringt, ihm eine schwere Körperverletzung zufügt oder es grausam behandelt.
StGB
und im Bezirk Kulm (Aargau) wegen wiederholter Entwendung eines Motorfahrzeugs
zum Gebrauch gemäss Art. 62 MFG in Untersuchung gezogen. Der im zweiten Falle
mitangeschuldigte Erwin Hediger gab bei seiner Einvernahme durch die
Jugendanwaltschaft Basel an, Schüpfer habe bei einer gemeinsamen Autofahrt
nach Lugano am 1. Mai 1947 in der Nähe von Faido einen

Seite: 140
zur Mitfahrt eingeladenen unbekannten Tessiner angegriffen, um ihm sein Geld
wegzunehmen. Schüpfer bestritt, den Tessiner in dieser Absicht geschlagen zu
haben.
Am 11. Juni 1949 überwies die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau die Akten
unter Berufung auf Art. 350 Ziff. 1 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 350 - 1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
1    Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
2    Es ist zuständig für die Informationsvermittlung zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von INTERPOL andererseits.
StGB den tessinischen Behörden,
weil von den Schüpfer zur Last gelegten Taten der im Tessin begangene Raub
oder Raubversuch mit der schwersten Strafe bedroht sei. Der Procuratore
pubblico sopracenerino lehnte jedoch die Übernahme der Strafverfolgung mit
Schreiben vom 20. Juni 1949 ab. Er machte geltend, die im Tessin begangene Tat
habe trotz seinen Nachforschungen nicht besser abgeklärt werden können; der
Angegriffene, der keine Anzeige erstattet habe, habe sich nicht ermitteln
lassen; angesichts der widersprechenden Aussagen Hedigers und Schüpfers lasse
sich die Anschuldigung gegen Schüpfer nicht beweisen; Schüpfer müsste daher in
diesem Punkte freigesprochen werden; die Anschuldigung, mit der die Abtretung
der Strafverfolgung an die tessinischen Behörden begründet werde, sei somit
hinfällig.
Mit Eingabe vom 25. Juni 1949 ersuchte hierauf die Staatsanwaltschaft des
Kantons Aargau die Anklagekammer des Bundesgerichtes um Bestimmung des
Gerichtsstandes. Sie beantragt, die tessinischen, eventuell die zürcherischen
Behörden seien als zuständig zu erklären. Der Procuratore pubblico
sopracenerino hält an der in seinem Schreiben vom 20. Juni dargelegten
Auffassung fest. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich betrachtet die
tessinischen Behörden als zuständig.
Die Anklagekammer zieht in Erwägung:
Art. 350 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 350 - 1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
1    Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
2    Es ist zuständig für die Informationsvermittlung zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von INTERPOL andererseits.
StGB setzt voraus, dass jemand wegen mehrerer, an
verschiedenen Orten verübter strafbarer Handlungen verfolgt wird. Verfolgung
wegen einer strafbaren Handlung liegt vor, wenn eine Straf-, Untersuchungs-
oder Polizeibehörde durch die Vornahme von Erhebungen oder in anderer Weise zu
erkennen gegeben hat, dass sie

Seite: 141
jemanden einer strafbaren Handlung verdächtigt, oder wenn eine solche Handlung
wenigstens zum Gegenstand einer Strafanzeige oder (bei Antragsdelikten) eines
Strafantrages gemacht worden ist.
Die Entscheidung darüber, ob ein Strafverfahren stattfinden soll, steht nach
Art. 343
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 350 - 1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
1    Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
2    Es ist zuständig für die Informationsvermittlung zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von INTERPOL andererseits.
und 346
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 350 - 1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
1    Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
2    Es ist zuständig für die Informationsvermittlung zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von INTERPOL andererseits.
StGB den Behörden des Kantons zu, wo der Täter (wirklich oder
angeblich) gehandelt hat, sofern ein der kantonalen Gerichtsbarkeit
unterstelltes Delikt in Frage steht. Im interkantonalen Verhältnis zählt also
eine Handlung bei der Bestimmung des Gerichtsstandes nach Art. 360 Ziff. 1 nur
dann mit, wenn im Kanton, wo sie ausgeführt wurde oder ausgeführt worden sein
soll, im angegebenen Sinne die Verfolgung aufgenommen worden ist. Sehen die
Behörden dieses Kantons von sich aus keinen Anlass zur Einleitung eines
Strafverfahrens, und ist den Behörden dieses Kantons auch keine Strafanzeige
bezw. kein Strafantrag zugegangen, so fällt die betreffende Handlung bei der
Anwendung von Art. 350 Ziff. 1 ausser Betracht, auch wenn die Behörden eines
andern Kantons finden, dass sie verfolgt werden sollte.
Im vorliegenden Falle ist die Verfolgung wegen Raubs bezw. Raubversuchs im
Kanton Tessin nicht aufgenommen worden. Denn der Verletzte hat keine Anzeige
erstattet, und der Procuratore pubblico hat die von ihm erwähnten Erhebungen
nur zur Überprüfung der ihm von der aargauischen Staatsanwaltschaft
übermittelten Angaben durchgeführt und daraufhin die Verfolgung sofort
abgelehnt, weil zu wenig Anhaltspunkte für das behauptete Verbrechen vorhanden
seien.
Beim Entscheid darüber, welchem Kanton nach Art. 350 Ziff. 1 die Verfolgung
Schüpfers zukommt, sind demnach nur die Tatbestände der Veruntreuung und der
Entwendung von Motorfahrzeugen zum Gebrauch zu berücksichtigen. Von diesen
beiden Delikten ist das zuerst genannte, im Kanton Zürich begangene mit der
schwereren Strafe bedroht.

Seite: 142
Demnach erkennt die Anklagekammer:
Die Behörden des Kantons Zürich werden als berechtigt und verpflichtet
erklärt, Paul Schüpfer wegen der ihm vorgeworfenen Delikte der Veruntreuung
und der Entwendung von Motorfahrzeugen zum Gebrauch zu verfolgen und zu
beurteilen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 75 IV 139
Datum : 01. Januar 1948
Publiziert : 28. Juli 1949
Quelle : Bundesgericht
Status : 75 IV 139
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 350 Ziff. 1, 343 und 346 StGB. Im interkantonalen Verhältnis kommt eine Handlung bei der...


Gesetzesregister
StGB: 140 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 140 - 1. Wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Androhung gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder nachdem er den Betroffenen zum Widerstand unfähig gemacht hat, einen Diebstahl begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.195
1    Wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Androhung gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder nachdem er den Betroffenen zum Widerstand unfähig gemacht hat, einen Diebstahl begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.195
2    Der Räuber wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr196 bestraft, wenn er zum Zweck des Raubes eine Schusswaffe oder eine andere gefährliche Waffe mit sich führt.
3    Der Räuber wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft,
4    Die Strafe ist Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, wenn der Täter das Opfer in Lebensgefahr bringt, ihm eine schwere Körperverletzung zufügt oder es grausam behandelt.
343  346  350
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 350 - 1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
1    Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
2    Es ist zuständig für die Informationsvermittlung zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von INTERPOL andererseits.
BGE Register
75-IV-139
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
aargau • anklagekammer • strafbare handlung • strafanzeige • beschuldigter • strafverfolgung • raub • strafantrag • weiler • abklärung • begehungsort • bezirk • bundesgericht • geld • frage