TPF 2006 240, p.240

63. Auszug aus dem Entscheid der Beschwerdekammer in Sachen A. gegen Bundesanwaltschaft, Eidgenössisches Untersuchungsrichteramt vom 8. Februar 2006 (BB.2005.132)

Akteneinsicht bei Aussageverweigerung.

Art. 116 BStP

Dem Beschuldigten, der die Aussage verweigert, kann zur Wahrung des Untersuchungszwecks die Akteneinsicht teilweise bzw. vorläufig verweigert werden.

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Droit à la consultation du dossier en cas de refus de déposer.
Art. 116 PPF

Lorsque l'inculpé refuse de déposer, l'accès au dossier peut lui être refusé en partie ou provisoirement, si les intérêts de l'instruction l'exigent.

Esame degli atti in caso di rifiuto di deporre.
Art. 116 PP

Per salvaguardare lo scopo dell'istruttoria, all'imputato che rifiuta di deporre può essere negato, in parte o provvisoriamente, l'esame degli atti.

Zusammenfassung des Sachverhalts:

Im Verfahren gegen A. wegen Verdachts der Beteiligung an bzw. Unterstützung einer kriminellen Organisation (Art. 260ter
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 260ter - 1 Mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer:
1    Mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer:
a  sich an einer Organisation beteiligt, die den Zweck verfolgt:
a1  Gewaltverbrechen zu begehen oder sich mit verbrecherischen Mitteln zu bereichern, oder
a2  Gewaltverbrechen zu begehen, mit denen die Bevölkerung eingeschüchtert oder ein Staat oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen genötigt werden soll; oder
b  eine solche Organisation in ihrer Tätigkeit unterstützt.
2    Absatz 1 Buchstabe b findet keine Anwendung auf humanitäre Dienste, die von einer unparteiischen humanitären Organisation, wie dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz, in Übereinstimmung mit dem gemeinsamen Artikel 3 der Genfer Abkommen vom 12. August 1949328 erbracht werden.
3    Übt der Täter einen bestimmenden Einfluss in der Organisation aus, so wird er mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.
4    Das Gericht kann die Strafe mildern (Art. 48a), wenn der Täter sich bemüht, die weitere Tätigkeit der Organisation zu verhindern.
5    Strafbar ist auch, wer die Tat im Ausland begeht, wenn die Organisation ihre verbrecherische Tätigkeit ganz oder teilweise in der Schweiz ausübt oder auszuüben beabsichtigt. Artikel 7 Absätze 4 und 5 sind anwendbar.
StGB) sowie der qualifizierten Geldwäscherei (Art. 305bis Ziff. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 305bis - 1. Wer eine Handlung vornimmt, die geeignet ist, die Ermittlung der Herkunft, die Auffindung oder die Einziehung von Vermögenswerten zu vereiteln, die, wie er weiss oder annehmen muss, aus einem Verbrechen oder aus einem qualifizierten Steuervergehen herrühren, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.404
1    Wer eine Handlung vornimmt, die geeignet ist, die Ermittlung der Herkunft, die Auffindung oder die Einziehung von Vermögenswerten zu vereiteln, die, wie er weiss oder annehmen muss, aus einem Verbrechen oder aus einem qualifizierten Steuervergehen herrühren, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.404
2    In schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.408
a  als Mitglied einer kriminellen oder terroristischen Organisation (Art. 260ter) handelt;
b  als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Ausübung der Geldwäscherei zusammengefunden hat;
c  durch gewerbsmässige Geldwäscherei einen grossen Umsatz oder einen erheblichen Gewinn erzielt.
StGB) verweigerte der Untersuchungsrichter A. die Akteneinsicht in das Protokoll seiner Einvernahme, bis die durch die Einvernahme notwendig gewordenen Untersuchungshandlungen durchgeführt sind.

Die Beschwerdekammer wies die Beschwerde ab.

Aus den Erwägungen:

3.2 Der Beschwerdeführer bestreitet sowohl das Vorliegen einer Kollusionsgefahr wie auch einer Gefährdung des Untersuchungszweckes durch die Einsichtnahme in das fragliche Protokoll vom 24. November 2005. Zusammengefasst macht er geltend, sämtlichen Parteien seien bereits im Rahmen des gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahrens umfangreiche amtliche Akten geöffnet worden. Zudem seien mit ihm mehrere zum Teil parteiöffentliche Einvernahmen durchgeführt worden. Es seien ihm Akten vorgelegt und er sei mit Aussagen anderer Beschuldigter konfrontiert worden. Überdies habe der Untersuchungsrichter ihm am 24. November 2005 sämtliche vorgesehenen Fragen gestellt, ihm Vorhalte gemacht und Akten vorgelegt. Damit sei der Inhalt der Fragestellung der Verteidigung bekannt und eine Gefahr der Beeinflussung durch die Gewährung der Akteneinsicht nicht gegeben. Sodann dürfe die Ausübung des Aussageverweigerungsrechts nicht dadurch bestraft werden, dass ihm und der Verteidigung die

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Akteneinsicht und schon gar nicht die Einsicht in ein eigenes Einvernahmeprotokoll verweigert werde. Schliesslich sei festzuhalten, dass die Unterstellung in der angefochtenen Verfügung, die Verteidigung wolle bewirken, dass Absprachen mit anderen Beschuldigten, Auskunftspersonen oder Zeugen getroffen werden könnten, jeglicher Grundlage entbehre. Protokolle von nicht parteiöffentlichen Einvernahmen würden durch die Verteidigung selbstverständlich nicht an Dritte ausser dem Klienten, mit der Aufforderung diese ebenfalls vertraulich zu behandeln weitergegeben. Dem kann nicht gefolgt werden. Zunächst ist zu bemerken, dass offen bleiben kann, ob die Verteidiger des Beschwerdeführers diesen mit einer offenkundig falschen Begründung zur Aussageverweigerung anhielten, wie die Vorinstanz vorträgt. Wie der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang zutreffend geltend macht, bedarf die Ausübung des Aussageverweigerungsrechts grundsätzlich keiner Angabe von Gründen (so ausdrücklich BGE 109 Ia 166, 168 E. 2b). Fehl geht demgegenüber die Auffassung des Beschwerdeführers, dass sein Verhalten nicht zu einer vorläufigen Verweigerung der Akteneinsicht zur Wahrung des Untersuchungszwecks führen kann. Mag der Beschwerdeführer als Beschuldigter auch frei entscheiden können, ob er schweigen oder reden will (vgl. statt vieler HAUSER/SCHWERI/HARTMANN, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl., Basel 2005, S. 288 N. 5 m.w.H.), kann sich sein Verhalten im Rahmen des Strafverfahrens doch auf die im Ermessen der Strafverfolgungsbehörde liegende Gewährung des Akteneinsichtsrechts in zeitlicher Hinsicht auswirken. So wird in der Regel einem vollumfänglich kooperativen Beschuldigten mangels Gefährdung des Untersuchungszwecks früher Einsicht in die Akten gewährt werden können, als jenem Beschuldigten, der konsequent von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht (vgl. in diesem Zusammenhang auch den Entscheid des Bundesstrafgerichts BB.2005.89 vom 28. November 2005 E. 4.3.2, wo die Beschwerdekammer im Falle eines freiwillig abwesenden Beschuldigten darauf hingewiesen hat, dass dieser es massgeblich mitzuverantworten habe, dass das Verfahren im Verhältnis zum Zeitablauf nicht derart fortgeschritten ist, wie dies bei seiner Anwesenheit mutmasslich der Fall wäre und ihm entsprechende Akteneinsicht gewährt werden könnte). In diesem Sinne hat der zuständige Untersuchungsrichter dem Beschwerdeführer denn auch bereits zu Beginn der Einvernahme vom 24. November 2005 erklärt, dass im Falle einer umfassenden Verweigerung der Aussage weitere Untersuchungshandlungen notwendig würden, vor deren Durchführung ihm das Protokoll nicht ausgehändigt werden könne. Dass die Vorinstanz aus der Tatsache, dass in der Folge gleichwohl die Aushändigung des Protokolls verlangt wurde, schloss, die Verteidigung wolle damit erkennbar bewirken,

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,,dass sie den Beschuldigten anhand der nicht beantworteten Fragen auf die künftigen Untersuchungshandlungen vorbereiten (...) kann, was der Unterminierung jeglicher untersuchungstaktischer Vorkehr gleichkommt", ist nicht zu beanstanden. Daran vermag nichts zu ändern, dass dem Beschwerdeführer trotz seiner Aussageverweigerung sämtliche Fragen gestellt worden sind. Wie die Vorinstanz in diesem Zusammenhang ausführt, haben der Beschwerdeführer und die Verteidigung im Rahmen ihres Erinnerungsvermögens zwar Kenntnis davon, über was der Beschwerdeführer befragt wurde; mit diesem sehr begrenzten Wissen hätten sie aber noch keine Kenntnis von der Taktik, welche die Untersuchungsführung bestimme. Diese Auffassung erscheint im momentanen Zeitpunkt gerade noch vertretbar. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass die Vorinstanz mit Blick auf die Wirksamkeit ihrer Entscheidung nicht gehalten ist, die objektiven Gründe für die Verweigerung der Akteneinsicht vollumfänglich offen zu legen (Entscheid des Bundesstrafgerichts BB.2005.26 vom 3. August 2005 E. 3.3 unter Hinweis auf JT 1998 III 28 = RStrS 1999 Nr. 605 und HAUSER/SCHWERI/HARTMANN, a.a.O., S. 259 N. 18 i.f.).
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : TPF 2006 240
Datum : 08. Februar 2006
Publiziert : 01. Juni 2009
Quelle : Bundesstrafgericht
Status : TPF 2006 240
Sachgebiet : Art. 116 BStP Dem Beschuldigten, der die Aussage verweigert, kann zur Wahrung des Untersuchungszwecks die Akteneinsicht...
Gegenstand : Akteneinsicht bei Aussageverweigerung.


Gesetzesregister
BStP: 116
StGB: 260ter 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 260ter - 1 Mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer:
1    Mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer:
a  sich an einer Organisation beteiligt, die den Zweck verfolgt:
a1  Gewaltverbrechen zu begehen oder sich mit verbrecherischen Mitteln zu bereichern, oder
a2  Gewaltverbrechen zu begehen, mit denen die Bevölkerung eingeschüchtert oder ein Staat oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen genötigt werden soll; oder
b  eine solche Organisation in ihrer Tätigkeit unterstützt.
2    Absatz 1 Buchstabe b findet keine Anwendung auf humanitäre Dienste, die von einer unparteiischen humanitären Organisation, wie dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz, in Übereinstimmung mit dem gemeinsamen Artikel 3 der Genfer Abkommen vom 12. August 1949328 erbracht werden.
3    Übt der Täter einen bestimmenden Einfluss in der Organisation aus, so wird er mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.
4    Das Gericht kann die Strafe mildern (Art. 48a), wenn der Täter sich bemüht, die weitere Tätigkeit der Organisation zu verhindern.
5    Strafbar ist auch, wer die Tat im Ausland begeht, wenn die Organisation ihre verbrecherische Tätigkeit ganz oder teilweise in der Schweiz ausübt oder auszuüben beabsichtigt. Artikel 7 Absätze 4 und 5 sind anwendbar.
305bis
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 305bis - 1. Wer eine Handlung vornimmt, die geeignet ist, die Ermittlung der Herkunft, die Auffindung oder die Einziehung von Vermögenswerten zu vereiteln, die, wie er weiss oder annehmen muss, aus einem Verbrechen oder aus einem qualifizierten Steuervergehen herrühren, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.404
1    Wer eine Handlung vornimmt, die geeignet ist, die Ermittlung der Herkunft, die Auffindung oder die Einziehung von Vermögenswerten zu vereiteln, die, wie er weiss oder annehmen muss, aus einem Verbrechen oder aus einem qualifizierten Steuervergehen herrühren, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.404
2    In schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.408
a  als Mitglied einer kriminellen oder terroristischen Organisation (Art. 260ter) handelt;
b  als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Ausübung der Geldwäscherei zusammengefunden hat;
c  durch gewerbsmässige Geldwäscherei einen grossen Umsatz oder einen erheblichen Gewinn erzielt.
BGE Register
109-IA-166
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
akteneinsicht • beschuldigter • vorinstanz • aussageverweigerungsrecht • beschwerdekammer • frage • untersuchungsrichter • verhalten • bundesstrafgericht • kenntnis • strafuntersuchung • strafprozess • akte • wirkung • kollusionsgefahr • bedürfnis • entscheid • begründung des entscheids • beginn • sachverhalt
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RStrS
1999 Nr.605