97 IV 25
6. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 14. Januar 1971 i.S. Vago gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich.
Regeste (de):
- Art. 191 Ziff. 2
SR 311.0 Code pénal suisse du 21 décembre 1937
CP Art. 191 - Quiconque profite du fait qu'une personne est incapable de discernement ou de résistance pour lui faire commettre ou subir l'acte sexuel, un acte analogue ou un autre acte d'ordre sexuel est puni d'une peine privative de liberté de dix ans au plus ou d'une peine pécuniaire.
- Umstände, unter denen das Bestasten der Brust eines 12-bis 13jährigen Mädchens unzüchtig ist.
Regeste (fr):
- Art. 191 ch. 2 CP. Acte contraire à la pudeur.
- Circonstances dans lesquelles on commet un acte contraire à la pudeur en palpant la poitrine d'une enfant de 12 à 13 ans.
Regesto (it):
- Art. 191 num. 2 CP. Atto di libidine.
- Circostanze nelle quali si commette un atto di libidine palpeggiando il seno di una ragazza di 12-13 anni.
Sachverhalt ab Seite 25
BGE 97 IV 25 S. 25
A.- Anlässlich einer Vergnügungsfahrt mit dem Auto im Jahre 1966 oder 1967 griff Anton Vago während des Fahrens der am 5. August 1954 geborenen Ruth X. über den Kleidern an die Brust.
B.- Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte Vago am 29. September 1970 wegen Unzucht mit einem Kinde im Sinne von Art. 191 Ziff. 2 Abs. 1
SR 311.0 Code pénal suisse du 21 décembre 1937 CP Art. 191 - Quiconque profite du fait qu'une personne est incapable de discernement ou de résistance pour lui faire commettre ou subir l'acte sexuel, un acte analogue ou un autre acte d'ordre sexuel est puni d'une peine privative de liberté de dix ans au plus ou d'une peine pécuniaire. |
C.- Vago führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur
BGE 97 IV 25 S. 26
Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er macht geltend, er habe die Brust des Mädchens nur in harmloser Weise "angetippt"; weder nach dem Volksempfinden noch nach den Umständen habe seine Handlung den geschlechtlichen Anstand verletzen können.
D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt, die Nichtigkeitsbeschwerde sei abzuweisen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. In konstanter Rechtsprechung hat das Bundesgericht den Begriff der sogenannten "andern unzüchtigen Handlung" stets dahin ausgelegt, dass eine Handlung dann unzüchtig ist, wenn sie den geschlechtlichen Anstand verletzt, indem sie in nicht leicht zu nehmender Weise gegen das Sittlichkeitsgefühl verstösst. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich nach den gesamten Umständen des Einzelfalles (BGE 78 IV 163Erw. 1 mit Verweisungen, BGE 83 IV 24, BGE 91 IV 71). Unerheblich ist dabei, ob jemand an der Handlung tatsächlich Anstoss genommen habe, da nicht das Gefühl der Beteiligten oder einzelner Dritter Massstab ist; ob einer Handlung ein unzüchtiger Charakter zukommt, bemisst sich vielmehr nach objektiven Gesichtspunkten (BGE 91 IV 71). Das Bundesgericht hat sich verschiedentlich mit der Frage auseinandergesetzt, ob das Betasten der Brüste einer Frau als so leicht zu nehmender Verstoss gelten könne, dass ein Mensch von durchschnittlichem Empfinden diese Handlung bloss auf oder jedenfalls nur knapp jenseits der Grenze des Anstandes sieht, nicht aber für strafbar hält (BGE 78 IV 164Erw. 2 mit Verweisungen). Im unveröffentlichten Urteil vom 14. Juli 1959 i.S. Hiltbrunner äusserte es sich unter Hinweis auf ein Urteil aus dem Jahre 1944 dahin, dass die besagte Handlung nicht in einem Masse gegen den geschlechtlichen Anstand verstosse, dass der Strafrichter in jedem Falle einschreiten müsste. Es bejahte jedoch den objektiv unzüchtigen Charakter im Hinblick auf die Tatumstände. InBGE 78 IV 164beurteilte es den Griff des Lehrers nach der Brust einer Schülerin ebenfalls als eindeutig unzüchtig.
2. Im vorliegenden Falle stellt die Vorinstanz verbindlich fest, dass Ruth X. bei der besagten Autofahrt das Handschuhfach öffnete, wobei ihr dort aufbewahrte Aktfotos in die Hände fielen. Als sie diese neugierig betrachtete, erklärte ihr Vago, die
BGE 97 IV 25 S. 27
Fotos seien für sie gar nicht interessant, da sie selbst schon "Holz vor dem Hause" habe. Zugleich langte er nach der Brust des Mädchens, um ihm zu zeigen, wo es das "Holz" habe. Die Vorinstanz schliesst aus den gesamten Umständen des Falles, dass Vago in nicht leicht zu nehmender Weise gegen das Sittlichkeitsgefühl verstossen habe. Dem ist zuzustimmen. Vago wird nicht nur eine derbe Vertraulichkeit unter Erwachsenen vorgeworfen, die je nach den Umständen nicht notwendigerweise unzüchtig zu sein braucht. Es handelte sich auch nicht um eine ganz beiläufige Berührung ohne einen für das Kind erkennbaren Bezug auf ein geschlechtliches Moment. Dadurch, dass Vago dem Mädchen an die Brüste griff, als dieses mehrere Aktfotos betrachtete, stellte er eine unmittelbare Beziehung zwischen den nackten Brüsten der abgebildeten Frauen und dem eigenen Körper der Ruth X. her. Das aber war geeignet, das sittliche Empfinden eines heranwachsenden Mädchens zu verletzen. Ein solches Verhalten liegt daher nicht nur auf oder knapp jenseits der Grenzen des Anstandes, sondern ist vielmehr als objektiv unzüchtig zu betrachten. Dass Vago die Brust des Mädchens nur kurz berührte, lässt sein Verschulden als eher leicht erscheinen, vermag aber den Charakter der Handlung selbst nicht zu ändern.