97 III 3
2. Entscheid vom 25. Januar 1971 i.S. D.
Regeste (de):
- Widerruf von Verfügungen. Art. 17 ff. SchKG.
- Ein Betreibungs- oder Konkursamt kann eine von ihm getroffene Verfügung (gleichgültig, ob sie nichtig oder bloss anfechtbar ist) nicht mehr selber aufheben, sobald dagegen Beschwerde erhoben worden ist und diese ihren vollen Devolutiveffekt entfaltet hat. Ein solcher Widerruf ist nichtig, auch wenn er auf Veranlassung der mit der Beschwerde befassten Aufsichtsbehörde erfolgte; es liegt an dieser, ordnungsgemäss über die Beschwerde zu entscheiden (Erw. 2 und 3). Einschreiten des Bundesgerichts von Amtes wegen (Erw. 1 b).
Regeste (fr):
- Révocation de mesures. Art. 17 ss LP.
- Un office des poursuites ou des faillites ne peut plus révoquer une mesure prise par lui, qu'elle soit nulle ou seulement annulable, dès l'instant où une plainte formée contre elle a déployé son effet dévolutif complet. Une telle révocation est nulle, même si elle a eu lieu à la demande de l'autorité de surveillance saisie de la plainte; il appartient à cette autorité de statuer normalement sur la plainte (consid. 2 et 3). Intervention d'office du Tribunal fédéral (consid. 1 b).
Regesto (it):
- Revoca di provvedimenti, art. 17 e segg. LEF.
- Un ufficio di esecuzione o dei fallimenti non può più revocare un suo provvedimento (sia esso nullo o semplicemente annullabile) dal momento in cui questo è oggetto di un reclamo che ha esplicato un effetto devolutivo completo. Una tale revoca è nulla, anche se è avvenuta su richiesta dell'autorità di vigilanza adita col reclamo; spetterà a quest'ultima statuire normalmente sul reclamo (consid. 2 e 3). Intervento d'ufficio del Tribunale federale (consid. 1 b).
Sachverhalt ab Seite 3
BGE 97 III 3 S. 3
A.- In der von B. gegen D. gerichteten Betreibung für Unterhaltsbeiträge vollzog das Betreibungsamt am 9. September 1970 eine Pfändung, wobei es kein pfändbares Vermögen feststellte und auch die Pfändbarkeit künftigen Lohnes verneinte. Dagegen beschwerte sich B. bei der untern Aufsichtsbehörde und verlangte eine Neuberechnung des Existenzminimums des Schuldners und allenfalls einen Eingriff in dieses. Das Betreibungsamt nahm in einer Vernehmlassung zur Beschwerde
BGE 97 III 3 S. 4
Stellung, und die Beschwerdeführerin durfte sich ihrerseits zur Vernehmlassung äussern. Die Aufsichtsbehörde gab dem Betreibungsamt auch von dieser Replik Kenntnis und ersuchte es gleichzeitig, die in den Eingaben der B. enthaltenen Einwände nochmals zu prüfen und allenfalls eine neue Pfändungsurkunde zu erlassen, da die Beschwerde "voraussichtlich mindestens teilweise geschützt werden müsste". Das Betreibungsamt kam dieser Aufforderung nach und führte am 15. Oktober 1970 eine neue Pfändung durch, in der es nicht nur einen inzwischen zum Vorschein gekommenen Personenwagen, sondern auch noch Fr. 236.55 vom monatlichen Einkommen des Schuldners pfändete, letzteres in ausdrücklicher Abänderung der ursprünglichen Verfügung.
B.- Gegen diese zweite Pfändung erhob nun der Schuldner seinerseits Einsprache und schrieb am 24. Oktober 1970 an die untere Aufsichtsbehörde: "Betrifft Beschwerde! Betreibung Nr. 6168. Da mir die Pfändung und Lohnpfändung ungerechtfertigt erscheint, möchte ich Sie um eine mündliche Unterredung bitten". Von der Aufsichtsbehörde darauf aufmerksam gemacht, dass das "Beschwerdeverfahren" grundsätzlich schriftlich geführt werde und dass in der Eingabe konkret angegeben werden müsse, welche Punkte nach Ansicht des Beschwerdeführers gesetzwidrig seien, liess dieser innert der ihm gesetzten fünftätigen Nachfrist am 3. November 1970 noch eine Begründung folgen.
C.- Mit Entscheid vom 9. Dezember 1970 schrieb die untere Aufsichtsbehörde die Beschwerde der B. (vgl. lit. A) als durch die zweite Pfändung gegenstandslos geworden ab. In der Begründung nahm sie auch Bezug auf die beiden Zuschriften des Schuldners vom 24. Oktober und 3. November (vgl. lit. B) und führte aus, jene vom 24. Oktober stelle keine Beschwerde dar, da sie weder einen bestimmten Antrag noch eine Begründung enthalte; indessen könne sie, zusammen mit der Ergänzung vom 3. November, als Vernehmlassung im Beschwerdeverfahren der Gläubigerin B. betrachtet werden.
D.- Gegen diesen Entscheid rekurrierte der Schuldner an die obere kantonale Aufsichtsbehörde, die den Rekurs am 5. Januar 1971 abwies. Auch sie sah in der ersten Eingabe vom 24. Oktober keine Beschwerde, sondern bloss ein Begehren um
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Gewährung einer Unterredung. Hingegen war sie der Meinung, die zweite Eingabe vom 3. November besitze offensichtlich Beschwerdecharakter, doch sei es fraglich, ob sie allen formellen Erfordernissen genüge; auf jeden Fall sei sie verspätet.
E.- Mit rechtzeitig eingelegtem Rekurs verlangt der Schuldner Überprüfung der Sache durch das Bundesgericht.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1. a) ... (Nichteintreten auf einen unzulässigen Antrag).
b) Abgesehen von diesem unzulässigen Vorbringen stellt der Rekurrent keinen ausdrücklichen Antrag und rügt bloss andeutungsweise das erstinstanzliche Beschwerdeverfahren als mangelhaft. Es ist deshalb fraglich, ob der Rekurs überhaupt den Vorschriften von Art. 79 OG genügt. Da jedoch - wie anschliessend zu erläutern sein wird - das kantonale Verfahren infolge teilweiser Nichtigkeit der angefochtenen (zweiten) Pfändungsverfügung und wegen der von den beiden Vorinstanzen begangenen Fehler ohnehin von Amtes wegen aufgehoben werden muss (vgl. dazu BGE 94 III 67 Erw. 2), braucht dies nicht näher geprüft zu werden. Offen bleiben kann demnach auch die Frage, ob die Eingabe des Rekurrenten vom 24. Oktober 1970 an die untere Aufsichtsbehörde eine Beschwerde darstelle oder nicht.
2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts kann ein Betreibungs- oder Konkursamt eine von ihm getroffene Verfügung selber nur so lange wieder aufheben, als die Beschwerdefrist des Art. 17
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) SchKG Art. 17 - 1 Mit Ausnahme der Fälle, in denen dieses Gesetz den Weg der gerichtlichen Klage vorschreibt, kann gegen jede Verfügung eines Betreibungs- oder eines Konkursamtes bei der Aufsichtsbehörde wegen Gesetzesverletzung oder Unangemessenheit Beschwerde geführt werden.25 |
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1 | Mit Ausnahme der Fälle, in denen dieses Gesetz den Weg der gerichtlichen Klage vorschreibt, kann gegen jede Verfügung eines Betreibungs- oder eines Konkursamtes bei der Aufsichtsbehörde wegen Gesetzesverletzung oder Unangemessenheit Beschwerde geführt werden.25 |
2 | Die Beschwerde muss binnen zehn Tagen seit dem Tage, an welchem der Beschwerdeführer von der Verfügung Kenntnis erhalten hat, angebracht werden. |
3 | Wegen Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung kann jederzeit Beschwerde geführt werden. |
4 | Das Amt kann bis zu seiner Vernehmlassung die angefochtene Verfügung in Wiedererwägung ziehen. Trifft es eine neue Verfügung, so eröffnet es sie unverzüglich den Parteien und setzt die Aufsichtsbehörde in Kenntnis.26 |
BGE 97 III 3 S. 6
Befugnis des Betreibungsamtes als schlechterdings ungültig, d.h. als nichtig zu betrachten (BGE 78 III 53). Im vorliegenden Falle wurde nicht eine nichtige Verfügung aufgehoben, sondern bloss eine anfechtbare (die erste Pfändung), und dies erst nach Ablauf der Beschwerdefrist, ja sogar erst nach Abschluss des Vernehmlassungsverfahrens. Ist nun nach dem Gesagten jeder Widerruf einer nichtigen Verfügung in diesem Stadium ungültig, so muss dies umso mehr noch für das Aufheben oder Abändern einer bloss anfechtbaren Anordnung gelten, wie das hier der Fall ist. Die untere Aufsichtsbehörde hätte also richtigerweise auf ihrer ausschliesslichen Entscheidungsbefugnis beharren und nicht das beschwerdebeklagte Amt zur Abänderung der Pfändung veranlassen sollen. Da diese Änderung nichtig ist, entbehrt der Abschreibungsbeschluss jeder Grundlage; folglich ist er aufzuheben.
3. Was das Vorgehen der Vorinstanz anbetrifft, so hätte sie auf den Rekurs des Schuldners hin die Nichtigkeit der vom Betreibungsamt vorgenommenen Abänderung der Pfändung (Neuberechnung des pfändbaren Einkommens des Schuldners) feststellen sollen. Anschliessend wären ihr zwei Wege offengestanden: entweder hätte sie die Sache an die erste Instanz zurückweisen können, damit diese einen formgerechten Sachentscheid über die Beschwerde der Gläubigerin (die die ursprüngliche Pfändung anfocht) fälle; oder sie hätte mit Rücksicht auf die von der untern Aufsichtsbehörde dem Abschreibungsbeschluss beigefügten materiellen Erwägungen, in denen die revidierte Lohnpfändung als gerechtfertigt bezeichnet wird, selber in der Sache entscheiden und sich darüber aussprechen können, wie die erste Pfändung hätte ausfallen sollen. Aufgrund des heutigen Entscheides, mit dem derjenige der Vorinstanz aufzuheben ist, wird sich die kantonale Aufsichtsbehörde schlüssig werden müssen, welchen dieser beiden Wege sie beschreiten will (ähnlich auchBGE 78 III 53Erw. 2). Im einen wie im andern Fall werden die vom Schuldner gegen die Pfändung seines Lohnes erhobenen Einwendungen näher zu prüfen sein. Soweit sich die während des erstinstanzlichen Verfahrens vollzogene zweite Pfändung auf das eine der beiden Fahrzeuge des Schuldners bezog, handelt es sich um eine ordnungsgemäss durchgeführte Nachpfändung, die von der Nichtigkeitsfolge nicht erfasst wird und daher aufrechtzuerhalten ist.
BGE 97 III 3 S. 7
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer:
Der Rekurs wird - soweit darauf eingetreten werden kann - gutgeheissen, der Entscheid der Kantonalen Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons St. Gallen vom 5. Januar 1971 sowie die erstinstanzliche Abschreibungsverfügung aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.