BGE-95-IV-84
Urteilskopf
95 IV 84
22. Urteil des Kassationshofes vom 18. August 1969 i.S Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen Huber.
Regeste (de):
- Überholen.
- 1. Art. 35 Abs. 1
und 2
SVG. Im Sinne des Gesetzes überholt ein Fahrer, wenn er einem andern Fahrzeug, das sich vor ihm in gleicher Richtung, aber langsamer bewegt, links oder rechts vorfährt (Erw. 1).
- 2. Art. 8 Abs. 3 und 36 Abs. 5 VR V. Auf der Autobahn ist das Rechtsüberholen auch dann verboten, wenn der Vorausfahrende den linken Fahrstreifen nicht freigibt (Erw. 2).
- 3. Art. 90Ziff. 2 SVG. Fall einer groben Missachtung des Verbotes, rechts zu überholen (Erw. 3).
Regeste (fr):
- Dépassement.
- 1. Art. 35 al. 1 et 2 LCR. Il y a dépassement au sens de la loi lorsqu'un conducteur double, par la droite ou par la gauche, un véhicule qui circule devant lui et dans la même direction, mais plus lentement (consid. 1).
- 2. Art. 8 al. 3 et 36 al. 5 OCR. Sur les autoroutes, le dépassement par la droite est aussi interdit lorsque celui qui circule devant l'autre ne libère pas la voie de gauche (consid. 2).
- 3. Art. 90 ch. 2 LCR Violation grave de l'interdiction de dépasser par la droite (consid. 3).
Regesto (it):
- Sorpasso.
- 1. Art. 35 cpv. 1 e 2 LCStr. C'è sorpasso ai sensi della legge quando un conducente supera, sulla sinistra o sulla destra, un veicolo che procede davanti a lui nella stessa direzione, ma più lentamente (consid. 1).
- 2. Art. 8 cpv. 3 e 36 cpv. 5 OCStr. Sulle autostrade, il sorpasso a destra è pure vietato quando il conducente che circola davanti non libera la corsia di sinistra (consid. 2).
- 3. Art. 90 num. 2 LCStr. Violazione grave del divieto di sorpassare a destra (consid. 3).
Sachverhalt ab Seite 84
BGE 95 IV 84 S. 84
A.- Der 30jährige Peter Huber fuhr am 13. Februar 1968 bei einbrechender Dämmerung mit seinem Personenwagen "Volvo" auf der Autobahn N 3 von Horgen Richtung Zürich. Er schloss rasch zu einem "Peugeot"- Personenwagen auf, der,
BGE 95 IV 84 S. 85
vom 64jährigen Jakob Siegwart geführt, zum Überholen eines Lastzuges ansetzte. Huber folgte ihm in der Absicht, beide Fahrzeuge in einem Zuge zu überholen. Auf der Höhe des Lastzuges gab er Siegwart mit den Scheinwerfern Lichtsignale, um ihn zur Freigabe des linken Fahrstreifens zu veranlassen; er will die Signale noch zwei- oder dreimal wiederholt haben, ohne dass Siegwart die linke Spur verliess. Huber bog daraufhin vor dem Lastzug auf die rechte Spur ein und fuhr dem "Peugeot"-Wagen im Augenblick, als Siegwart wieder einschwenken wollte, rechts vor. Siegwart erstattete gegen Huber Strafanzeige. Er erklärte, er sei schon vor Horgen mit der dort signalisierten Höchstgeschwindigkeit von 100 km/Std gefahren und habe diese auch beim Überholen des Lastzuges beibehalten. Huber bestritt, vor oder während des Überholmanövers eine höhere Geschwindigkeit gehabt zu haben; er hielt der Anzeige zudem entgegen, Siegwart sei hartnäckig links gefahren und habe ihm die linke Spur nicht freigegeben. Laut seinen ersten Aussagen war Huber zwischen 100 und 150, nach den spätern Angaben zwischen 100 und 250 m vom Lastwagen entfernt, als er dem "Peugeot"-Wagen rechts vorfuhr.
B.- Beide Personenwagenführer wurden der groben Verletzung von Verkehrsregeln angeklagt, Huber weil er den "Peugeot" rechts überholt, Siegwart weil er die Fahrt trotz dem unmittelbar folgenden "Volvo" mit links gestelltem Blinker auf der linken Spur fortgesetzt habe. Das Bezirksgericht Horgen erklärte Huber am 18. September 1968 im Sinne der Anklage schuldig und verurteilte ihn in Anwendung von Art. 90 Ziff. 2

C.- Auf Berufung des Verurteilten sprach das Obergericht des Kantons Zürich Huber am 27. März 1969 ebenfalls frei. Das Obergericht begründet den Freispruch vor allem damit, Überholen im Sinne des SVG bedeute stets ein Ausschwenken und Wiedereinbiegen in der Absicht, ein auf gleicher Fahrbahn langsamer fahrendes Fahrzeug hinter sich zu lassen; dadurch unterscheide sich das Überholen vom blossen Vorbeifahren.
BGE 95 IV 84 S. 86
Der Angeklagte Huber sei vor dem "Peugeot" nicht wieder auf die linke Spur eingeschwenkt; er habe somit nicht überholt, sondern sei bloss im Sinne von Art. 8 Abs. 3



D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur Bestrafung des Angeklagten Huber nach Art. 90 Ziff. 2

E.- Huber beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. Das Überholen im Sinne des Strassenverkehrsrechtes setzt entgegen der Auffassung des Obergerichts nicht voraus, dass der Führer vor dem Vorfahren ausbiege und nachher wieder einschwenke. Gewiss beginnt der Überholvorgang in der Regel mit dem Ausbiegen und endet mit dem Wiedereinschwenken; diese Bewegungen gehören jedoch nicht notwendig zum Begriff des Überholens. Das Überholen besteht darin, dass ein Fahrzeug einem andern, das sich vor ihm in gleicher Richtung, aber langsamer bewegt, links oder rechts vorfährt. Ein Überholen liegt daher z.B. schon vor, wenn ein Fahrzeug einem andern, das nach links eingespurt hat, rechts vorfährt, also weder auszubiegen noch wieder einzuschwenken braucht. Das Gesetz spricht diesfalls denn auch selber von Überholen (Art. 35 Abs. 6

BGE 95 IV 84 S. 87
zum SVG, 2. Auflage, S. 103). Eine Änderung ist insbesondere nicht darin zu erblicken, dass in Art. 8 Abs. 3






2. Die Verkehrsordnung beruht insbesondere auf den Geboten, dass rechts zu fahren und links zu überholen ist (Art. 34 Abs. 1







a) Nach Art. 36 Abs. 5

BGE 95 IV 84 S. 88
der Verordnung eine so einschneidende Abweichung von der gesetzlichen Regelung zudem gar nicht beabsichtigt, da man in Art. 36 Abs. 5











BGE 95 IV 84 S. 89
der linken vorbeifahren, wenn diese vorübergehend langsamer fährt oder ins Stocken gerät. Das liegt im Interesse des Verkehrsabflusses und bedeutet bei dem naturgemäss eher langsamen Kolonnenverkehr keine besondere Gefahr. Zulässig ist das Rechtsüberholen ferner, wenn das langsamere Fahrzeug oder die langsamere Kolonne zum Abbiegen nach links eingespurt hat (Art. 35 Abs. 6



BGE 95 IV 84 S. 90
Fahrers gestellt würde, wenn auf Autobahnen nicht nur links, sondern auch rechts überholt werden dürfte. Auch liegt auf der Hand, dass von dieser Möglichkeit vor allem verwegene Fahrer Gebrauch machen würden. Ein pflichtbewusster Fahrer sieht davon schon aus eigenem Interesse ab. Die allgemeinen Gebote, rechts zu fahren und nur links zu überholen, müssen auf Autobahnen umso strenger gelten, als hier Umstände, die auf andern Strassen Ausnahmen rechtfertigen, weitgehend entfallen. Wenn ein Fahrer, wie das Obergericht einwendet, mit seinem Wagen auf der Überholspur stecken bleibt und ein anderer, der sich plötzlich in eine gefährliche Lage versetzt sieht, zur Vermeidung eines Unfalles auf die rechte Spur ausweicht, so kann sich dieser zu seiner Rechtfertigung auf Notstand (Art. 34

BGE 95 IV 84 S. 91
des Linksüberholens ebenfalls nicht aus (Belgien: VAN ROYE, Le code de la circulation, Nr. 906, 917, 920 und 921; Frankreich: BEDOUR, Précis des accidents d'automobile, S. 21, 22 und 90; Italien: CIGOLINI, La responsabilità dalla circolazione stradale, S. 466, 467, 468 und 490). Auch der Entwurf einer europäischen Strassenverkehrsordnung enthält unter den Sonderregeln, die für den Verkehr auf Autobahnen gelten (Art. 42 ff.) keine vom Gebot des Linksüberholens (Art. 21) abweichende Sonderbestimmung.
3. Auf welche Entfernung vom überholten Fahrzeug ein Fahrer wieder nach rechts einzubiegen hat, ist eine Rechtsfrage, deren Beurteilung vor allem von den Geschwindigkeiten der beteiligten Fahrzeuge abhängt. Je grösser der Unterschied dieser Geschwindigkeiten ist, desto kleiner der Überholweg, und umgekehrt. Das angefochtene Urteil enthält keine Angaben über die Geschwindigkeit des Lastzuges und des "Peugeot". Siegwart, der angeblich mit 100 km/Std überholte, erklärte seine Fahrweise damit, dass er bloss solange auf dem linken Streifen habe bleiben wollen, bis die beiden Lichter des Lastzuges im Rückspiegel seines Wagens auftauchten; als er dann zum Wiedereinbiegen angesetzt habe, sei plötzlich der "Volvo" rechts an ihm vorbeigefahren. Die Vorinstanz hält gleichwohl dafür, dass Siegwart viel zu lange auf der Überholspur geblieben sei. Wie es sich damit genau verhält, kann indes offen bleiben, da dem Angeklagten Huber der Vorwurf der groben Verletzung einer wichtigen Verkehrsregel selbst dann nicht erspart bleibt, wenn Siegwart die Überholspur zu lange für sich beansprucht haben sollte. Huber hat spätestens auf der Höhe des Lastzuges damit begonnen, Siegwart mit den Scheinwerfern zur Freigabe der linken Spur zu veranlassen. Schon das zeigt, wie sehr er nach vorne drängte. In 100 m Entfernung vom Lastwagen wechselte er sodann die Spur, aber nicht, wie das Obergericht ihm zugute hält, weil er pflichtgemäss einbiegen wollte, sondern um die Geschwindigkeit weiter zu erhöhen und den "Peugeot" rechts zu überholen. Solches Gebaren verdient keine Nachsicht. Huber hatte keinerlei Gewähr dafür, dass Siegwart ihn durchlassen werde; er musste im Gegenteil jederzeit mit dessen Wiedereinbiegen rechnen. Dies gilt umsomehr, als er ihn dazu aufforderte und ihm durch das wiederholte Blinken die Beobachtung nach hinten erschwerte. Dass der "Peugeot" immer
BGE 95 IV 84 S. 92
noch mit links gestelltem Blinker fuhr, änderte an der Gefahr, die Huber heraufbeschwor, nichts. Das konnte nur heissen, Siegwart betrachte das Überholen noch nicht als abgeschlossen, nicht aber, er werde Huber die rechte Spur zur Durchfahrt freihalten. Durch seine verwegene Fahrweise hat er Siegwart in hohem Masse gefährdet und die Gefährdung zumindest eventualvorsätzlich herbeigeführt. Sein Verschulden lässt sich ebenfalls nicht verharmlosen. Huber hat nach eigenen Aussagen in der Untersuchung genau gewusst, dass das Rechtsüberholen auf Autobahnen verboten ist. Er hat somit nicht bloss rücksichtslos und verwegen vorwärtsgedrängt, sondern sich über die wichtige Verkehrsverpflichtung, nur links zu überholen, auch bewusst hinweggesetzt. Für solches Verhalten ist eine Bestrafung nach Art. 90 Ziff. 2

Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichtes des Kantons Zürich vom 27. März 1969 aufgehoben und die Sache zur Bestrafung Hubers nach Art. 90 Ziff. 2
