BGE-94-IV-56
Urteilskopf
94 IV 56
16. Urteil des Kassationshofes vom 13. Februar 1968 i.S. Jugendanwaltschaft der Stadt Bern gegen A.
Regeste (de):
- Art. 95 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 95 - 1 Das Gericht und die Strafvollzugsbehörde können vor ihrem Entscheid über Bewährungshilfe und Weisungen einen Bericht der Behörde einholen, die für die Bewährungshilfe, die Kontrolle der Weisungen oder den Vollzug der Tätigkeitsverbote oder der Kontakt- und Rayonverbote zuständig ist.138 Die betroffene Person kann zum Bericht Stellung nehmen. Abweichende Stellungnahmen sind im Bericht festzuhalten.
- Die auszufällende Strafe richtet sich vor allem nach dem Alter und der Persönlichkeit des jugendlichen Täters und erst in zweiter Linie nach seinem Verschulden.
- Der Verweis ist auch bei Verfehlungen zulässig, die objektiv nicht zu den leichtesten gehören, nach den gesamten Umständen des Einzelfalles aber nicht als schwer zu würdigen sind.
Regeste (fr):
- Art. 95 al. 1 CP.
- La peine à prononcer doit être fixée principalement en considération de l'âge et de la personnalité de l'adolescent délinquant; sa culpabilité n'entre en ligne de compte qu'en second lieu.
- La. réprimande est aussi admissible lorsqu'il s'agit d'infractions qui, objectivement, ne se rangent pas parmi les cas de très peu de gravité, mais qui néanmoins, vu l'ensemble des circonstances de l'espèce, ne doivent pas être tenues pour graves.
Regesto (it):
- Art. 95 cpv. 1 CP.
- La pena vien fissata in primo luogo tenendo conto dell'età e della personalità dell'autore adolescente; solo in seconda linea si tien conto della sua colpevolezza.
- L'ammonizione è ammissibile anche nei confronti di reati che, oggettivamente, non sono dei più lievi, ma che, secondo l'insieme delle circostanze della fattispecie, non devono essere considerati gravi.
Sachverhalt ab Seite 56
BGE 94 IV 56 S. 56
A.- 1.) Der am 30. Juli 1950 geborene A. kam Ende Februar 1966 in der elterlichen Wohnung seines Kameraden B., den er öfters nach der Schule besuchte, mit dem Mädchen C., geb. 3. August 1952, zusammen, das er schon wiederholt im Kreise von Kameraden angetroffen hatte und seither kannte. Er verliebte sich anscheinend ein wenig in C. und tauschte mit ihr Zungenküsse aus. Beim nächsten Besuch traf er das Mädchen beim Schmusen mit B. an, worauf er mit C. nichts mehr zu tun haben wollte und sofort die Wohnung verliess. Als er einige Tage später einer Einladung seines Kameraden folgte, traf er in dessen Zimmer wiederum C. an, die rauchend auf dem Bett lag und sich von anwesenden Burschen betasten liess. Von diesen zum Mitmachen aufgefordert, sträubte sich A. zuerst, gab aber, als er deswegen ausgelacht wurde, dem Drängen nach und betastete das Mädchen über und unter den Kleidern an der Brust und am Geschlechtsteil, wobei er einen Finger in die Scheide führte. Am folgenden Tag wiederholten sich diese Vorgänge. Auf die Mahnung eines Freundes hin brach hierauf A. die Beziehungen zu B. und zum Mädchen vollständig ab.
BGE 94 IV 56 S. 57
2.) Am Abend des 13. Dezember 1966, 20.00 Uhr, stiess A., als er ein Motorfahrrad führte, auf dem Eigerplatz in Bern mit einem VW-Personenwagen zusammen, der von rechts aus der Belpstrasse herkam. A. hatte den vortrittsberechtigten Wagen wegen starken Schneetreibens nicht rechtzeitig gesehen und wurde beim Unfall verletzt.
B.- Der Gerichtspräsident von Bern als Jugendrichter erklärte A. der Unzucht mit einem Kind und der Widerhandlung gegen Verkehrsvorschriften schuldig und erteilte ihm - abweichend vom Antrag der Jugendanwältin, der auf 3-4 Tage Einschliessung mit bedingtem Strafvollzug gelautet hatte - einen Verweis. Auf Appellation der Jugendanwaltschaft, die sich auf die Strafzumessung beschränkte, bestätigte die II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern am 21. Juni 1967 das erstinstanzliche Urteil.
C.- Die Jugendanwaltschaft für die Stadt Bern führt gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, A. sei mit Einschliessung zu bestrafen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. Gemäss Art. 95 Abs. 1

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 95 - 1 Das Gericht und die Strafvollzugsbehörde können vor ihrem Entscheid über Bewährungshilfe und Weisungen einen Bericht der Behörde einholen, die für die Bewährungshilfe, die Kontrolle der Weisungen oder den Vollzug der Tätigkeitsverbote oder der Kontakt- und Rayonverbote zuständig ist.138 Die betroffene Person kann zum Bericht Stellung nehmen. Abweichende Stellungnahmen sind im Bericht festzuhalten. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 95 - 1 Das Gericht und die Strafvollzugsbehörde können vor ihrem Entscheid über Bewährungshilfe und Weisungen einen Bericht der Behörde einholen, die für die Bewährungshilfe, die Kontrolle der Weisungen oder den Vollzug der Tätigkeitsverbote oder der Kontakt- und Rayonverbote zuständig ist.138 Die betroffene Person kann zum Bericht Stellung nehmen. Abweichende Stellungnahmen sind im Bericht festzuhalten. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 89 - 1 Begeht der bedingt Entlassene während der Probezeit ein Verbrechen oder Vergehen, so ordnet das für die Beurteilung der neuen Tat zuständige Gericht die Rückversetzung an. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 63 - 1 Ist der Täter psychisch schwer gestört, ist er von Suchtstoffen oder in anderer Weise abhängig, so kann das Gericht anordnen, dass er nicht stationär, sondern ambulant behandelt wird, wenn: |
BGE 94 IV 56 S. 58
das Voraussetzung seiner Bestrafung ist (BGE 88 IV 75), darf zwar bei der Strafzumessung nicht unberücksichtigt bleiben, ist aber nicht, wie die Jugendanwaltschaft geltend macht, das entscheidende Kriterium. Im Jugendstrafrecht, wo Sühne und Vergeltung eine völlig untergeordnete Rolle spielen, steht der Gedanke der Erziehung und Besserung im Vordergrund, indem davon auszugehen ist, dass bei Jugendlichen die Charakterbildung sowie die geistige und sittliche Entwicklung noch nicht abgeschlossen sind und sie noch der unterstützenden Führung bedürfen. Die Strafe muss daher vor allem dem Alter und der gesamten Persönlichkeit des jugendlichen Täters angepasst werden, und zwar so, dass sie sich auf seine Weiterentwicklung nicht hemmend oder schädlich auswirkt, sondern diese im Gegenteil fördert und günstig beeinflusst (vgl. BGE 92 IV 84 und 126). Das Obergericht hat somit eidgenössisches Recht nicht verletzt, wenn es bei der Strafzumessung neben dem Verschulden besonderes Gewicht auf die Persönlichkeit des Angeschuldigten legte. Es hat anderseits aber auch nicht, wie in der Beschwerde behauptet wird, die Strafe einzig nach den persönlichen Verhältnissen des Täters bemessen, sondern es würdigte auch dessen Verschulden und hat dieses mitberücksichtigt. So stellt es fest, dass dem Angeschuldigten beim Verkehrsunfall nur ein leichtes Verschulden, keinesfalls grobe Fahrlässigkeit, zur Last falle und dass auch die nicht sehr schwerwiegenden unzüchtigen Handlungen ihm nicht voll angerechnet werden könnten, denn er habe sie unter dem unmittelbaren Druck der ihn dazu drängenden Kameraden und ausserdem unter dem Einfluss des sich aufreizend benehmenden Mädchens, das nur wenig jünger war als er, begangen, wozu noch komme, dass sein Verhalten offenbar eine Trotzreaktion gewesen sei. Abschliessend wird ausdrücklich erklärt, dass die erstinstanzlich ausgefällte Strafe nicht nur der Persönlichkeit des Angeschuldigten, sondern auch seinem Verschulden angepasst sei. b) Die Beschwerdeführerin beanstandet ferner, dass das Obergericht die zugunsten des Angeschuldigten sprechenden Seiten seiner Persönlichkeit zweifach, also in unzulässigem Masse berücksichtigt habe. Dem Umstand, dass der Jugendliche sich noch in der Entwicklung befinde, werde schon vom Gesetz dadurch Rechnung getragen, dass es die Jugendlichen
BGE 94 IV 56 S. 59
besonderen Strafsanktionen unterwerfe. Namentlich setze Art. 95 Abs. 1

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 95 - 1 Das Gericht und die Strafvollzugsbehörde können vor ihrem Entscheid über Bewährungshilfe und Weisungen einen Bericht der Behörde einholen, die für die Bewährungshilfe, die Kontrolle der Weisungen oder den Vollzug der Tätigkeitsverbote oder der Kontakt- und Rayonverbote zuständig ist.138 Die betroffene Person kann zum Bericht Stellung nehmen. Abweichende Stellungnahmen sind im Bericht festzuhalten. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 91 - 1 Gegen Gefangene und Eingewiesene, welche in schuldhafter Weise gegen Strafvollzugsvorschriften oder den Vollzugsplan verstossen, können Disziplinarsanktionen verhängt werden. |
BGE 94 IV 56 S. 60
zusammen mit der Persönlichkeit des Täters zu würdigende Verschulden ausschlaggebend ist.
2. Das Obergericht bezeichnet die Verfehlungen des Angeschuldigten als leicht. Diese Würdigung wird mit Recht nicht bestritten. Die Erteilung eines blossen Verweises könnte daher nur wegen Unangemessenheit der Strafe angefochten werden, vorausgesetzt, dass eine Ermessensüberschreitung vorläge (BGE 90 IV 79 und 155, BGE 92 IV 119 und dort erwähnte frühere Entscheidungen). Eine solche ist im Hinblick auf die Tatumstände und das Verschulden sowie die Feststellungen, die von der Vorinstanz über die Besserungsaussichten und die voraussichtlich günstige Entwicklung des Angeschuldigten getroffen werden, nicht gegeben.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
Gesetzesregister
StGB 63
StGB 89
StGB 91
StGB 95
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 63 - 1 Ist der Täter psychisch schwer gestört, ist er von Suchtstoffen oder in anderer Weise abhängig, so kann das Gericht anordnen, dass er nicht stationär, sondern ambulant behandelt wird, wenn: |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 89 - 1 Begeht der bedingt Entlassene während der Probezeit ein Verbrechen oder Vergehen, so ordnet das für die Beurteilung der neuen Tat zuständige Gericht die Rückversetzung an. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 91 - 1 Gegen Gefangene und Eingewiesene, welche in schuldhafter Weise gegen Strafvollzugsvorschriften oder den Vollzugsplan verstossen, können Disziplinarsanktionen verhängt werden. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 95 - 1 Das Gericht und die Strafvollzugsbehörde können vor ihrem Entscheid über Bewährungshilfe und Weisungen einen Bericht der Behörde einholen, die für die Bewährungshilfe, die Kontrolle der Weisungen oder den Vollzug der Tätigkeitsverbote oder der Kontakt- und Rayonverbote zuständig ist.138 Die betroffene Person kann zum Bericht Stellung nehmen. Abweichende Stellungnahmen sind im Bericht festzuhalten. |