94 IV 23
7. Urteil des Kassationshofes vom 16. Februar 1968 i.S. Schafroth gegen Generalprokurator des Kantons Bern.
Regeste (de):
- Art. 32 Abs. 1
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 32 - 1 Die Geschwindigkeit ist stets den Umständen anzupassen, namentlich den Besonderheiten von Fahrzeug und Ladung, sowie den Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen. Wo das Fahrzeug den Verkehr stören könnte, ist langsam zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, namentlich vor unübersichtlichen Stellen, vor nicht frei überblickbaren Strassenverzweigungen sowie vor Bahnübergängen.
1 Die Geschwindigkeit ist stets den Umständen anzupassen, namentlich den Besonderheiten von Fahrzeug und Ladung, sowie den Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen. Wo das Fahrzeug den Verkehr stören könnte, ist langsam zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, namentlich vor unübersichtlichen Stellen, vor nicht frei überblickbaren Strassenverzweigungen sowie vor Bahnübergängen. 2 Der Bundesrat beschränkt die Geschwindigkeit der Motorfahrzeuge auf allen Strassen.108 3 Die vom Bundesrat festgesetzte Höchstgeschwindigkeit kann für bestimmte Strassenstrecken von der zuständigen Behörde nur auf Grund eines Gutachtens herab- oder heraufgesetzt werden. Der Bundesrat kann Ausnahmen vorsehen.109 4 ...110 5 ...111 SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 117 - Wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
- 1. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit bei Fahren mit asymmetrischen Abblendlichtern bestimmt sich nach der geringsten Reichweite der Scheinwerfer.
- 2. Pflichtwidriges Verhalten eines Automobilisten, dermit 100 km/Std, aber abgeblendeten Scheinwerfern eine bereits weitgehend im Dunkeln liegende Strecke durchfahren wollte (Erw. 1).
- 3. Natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang zwischen diesem Verhalten und dem Tod eines andern Fahrers (Erw. 2).
Regeste (fr):
- Art. 32 al. 1 LCR, art. 117 CP.
- 1. La vitesse maximale admissible, lorsqu'on fait usage de feux decroisement asymétriques, est celle que dicte la plus petite portée des dits feux.
- 2. Comportement fautif d'un automobiliste qui circulait à 100 km/h, éclairé par ses feux de croisement, et voulait parcourir un espace déjà très obscur (consid. 1).
- 3. Causalité naturelle et adéquate entre ce comportement et la mort d'un autre conducteur (consid. 2).
Regesto (it):
- Art. 32 cpv. 1 LCStr., art. 117 CP.
- 1. La velocità massima consentita quando si usano fari anabbaglianti asimmetrici è determinata dalla più piccola portata dei fari.
- 2. Comportamento colpevole di un automobilista che circolava a 100 km/h e, a fari abbassati, voleva percorrere un tratto già molto oscuro (consid. 1).
- 3. Causalità naturale e adeguata tra questo comportamento e la morte d'un altro conducente (consid. 2).
Sachverhalt ab Seite 24
BGE 94 IV 23 S. 24
A.- Schafroth fuhr am 26. August 1964 bei einbrechender Dämmerung am Steuer eines neuen Peugeot-Personenwagens von Thun über Reutigen gegen Spiez. Um 19.47 Uhr erreichte er mit abgeblendeten Scheinwerfern und einer Geschwindigkeit von mindestens 100 km/Std die zwischen Wimmis und Spiezwiler gelegene Steiniallee. Grosse Laubbäume säumen dort in kurzen Abständen ein gerades Strassenstück beidseitig mehrere hundert Meter weit. Ihre tief herabhängenden Äste behinderten damals die Sicht auf die angrenzenden Felder und schlossen zusammen mit den Baumkronen die 6.35 m breite Strasse weitgehend ein. Schafroth hatte 140 m der Allee bereits durchfahren, als er in 60 m Entfernung ein landwirtschaftliches Fahrzeug von rechts her auf die Strasse rollen sah. Es bestand aus einem einachsigen Traktor und einem mit Gras beladenen Zweirad-Anhänger und war geführt von Gottfried Lörtscher, der, aus einem Feldweg kommend, nach links in die Allee einbiegen wollte. Schafroth bremste sofort. Gleichwohl kam es zu einem heftigen Zusammenstoss, bei dem Lörtscher tödlich verletzt und beide Fahrzeuge schwer beschädigt wurden.
B.- Das Amtsgericht von Niedersimmental verurteilte Schafroth am 21. Dezember 1965 wegen fahrlässiger Tötung (Art. 117
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 117 - Wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
BGE 94 IV 23 S. 25
C.- Schafroth führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, ihn von der Anklage der fahrlässigen Tötung freizusprechen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. Art. 32 Abs. 1
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SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 32 - 1 Die Geschwindigkeit ist stets den Umständen anzupassen, namentlich den Besonderheiten von Fahrzeug und Ladung, sowie den Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen. Wo das Fahrzeug den Verkehr stören könnte, ist langsam zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, namentlich vor unübersichtlichen Stellen, vor nicht frei überblickbaren Strassenverzweigungen sowie vor Bahnübergängen. |
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1 | Die Geschwindigkeit ist stets den Umständen anzupassen, namentlich den Besonderheiten von Fahrzeug und Ladung, sowie den Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen. Wo das Fahrzeug den Verkehr stören könnte, ist langsam zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, namentlich vor unübersichtlichen Stellen, vor nicht frei überblickbaren Strassenverzweigungen sowie vor Bahnübergängen. |
2 | Der Bundesrat beschränkt die Geschwindigkeit der Motorfahrzeuge auf allen Strassen.108 |
3 | Die vom Bundesrat festgesetzte Höchstgeschwindigkeit kann für bestimmte Strassenstrecken von der zuständigen Behörde nur auf Grund eines Gutachtens herab- oder heraufgesetzt werden. Der Bundesrat kann Ausnahmen vorsehen.109 |
4 | ...110 |
5 | ...111 |
BGE 94 IV 23 S. 26
Fahrzeugachse bloss 50 m weit beleuchtet wird, auch nur auf diese Entfernung zuverlässig überblickbar ist. Bei einer Geschwindigkeit von 86,4 km/Std und abgeblendeten Scheinwerfern hätte der Beschwerdeführer ein Hindernis auf der linken Fahrbahnseite nicht rechtzeitig erblicken, folglich auch nicht anhalten können, ehe sein Wagen es erreichte. Daraus erhellt, dass in Fällen wie hier, wo die überblickbare Strecke durch asymmetrische Abblendlichter bestimmt wurde, von der geringsten Reichweite der abgeblendeten Scheinwerfer als massgebendem Wert, somit von der auf der linken Fahrbahnseite beleuchteten Strecke von 50 m auszugehen ist (vgl. BGE 93 IV 62 und 118). So gesehen betrug die zulässige Höchstgeschwindigkeit für den Beschwerdeführer aber nicht 86,4, sondern bloss 65-70 km/Std.
2. Es ist unbestritten, dass Lörtscher infolge der Verletzungen, die er beim Zusammenstoss erlitten hat, gestorben ist. Streitig ist dagegen, ob der Unfall sich auch dann ereignet hätte, wenn der Beschwerdeführer im Augenblick, als er den Traktor erblickte, mit einer der Sichtweite angepassten Geschwindigkeit gefahren wäre. Das Obergericht nimmt das im Gegensatz zum Experten nicht an; es übergeht vielmehr die Frage, weil es der Auffassung ist, dass der "Ablauf des Geschehens in seiner Ganzheit betrachtet" werden müsse. Der Angeschuldigte sei ja nicht erst 60, sondern schon 200 m vor der Einmündung des Feldweges mit übersetzter Geschwindigkeit gefahren, wäre bei rechtzeitiger Rücksichtnahme auf die Sichtverhältnisse in der Allee aber Sekunden später auf der Unfallstelle eingetroffen, was dem Traktorfahrer erlaubt hätte, der Gefahr zu entgehen. Der Beschwerdeführer hält diese Betrachtungsweise für verfehlt, weil sie den Begriff des natürlichen Kausalzusammenhanges überspanne. Er hat insofern recht, als das zeitliche Eintreffen eines Fahrzeuges an einem bestimmten Ort wohl Vorbedingung, nicht aber kausal dafür sein kann, dass es nachher irgendwo zu einem Unfall kommt. Wollte man der Erwägung des Obergerichtes folgen, so könnte z.B. auch der Umstand, dass ein Fahrer 10 km vor dem Unfallort eine signalisierte Geschwindigkeitsgrenze missachtet, als Ursache des spätern Unfalles angesehen werden. Dass der natürliche Kausalzusammenhang nicht auf solche Weise bejaht werden darf, liegt auf der Hand und bedarf keiner Begründung. Im Ergebnis ändert
BGE 94 IV 23 S. 27
sich im vorliegenden Fall freilich nichts, da das pflichtwidrige Verhalten des Beschwerdeführers bis zum Eintritt des Unfalles fortgewirkt hat, tatsächlich Mitursache geworden ist. Nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz hat Schafroth das landwirtschaftliche Fahrzeug auftauchen sehen, als er noch 60 m davon entfernt war. Auf diese Entfernung hätte der Beschwerdeführer aber noch rechtzeitig anhalten, den Unfall folglich vermeiden können, wenn er mit einer den Sichtverhältnissen in der Allee angepassten Geschwindigkeit gefahren wäre. Zu rasches Fahren gehört zu den häufigsten Unfallursachen. Dass die krass vorschriftswidrige Fahrweise des Beschwerdeführers nach den Erfahrungen geeignet war, zu einem schweren Unfall zu führen, kann daher nicht zweifelhaft sein. Die Rechtserheblichkeit der Ursachenfolge entfiele nur dann, wenn das Verhalten des andern Fahrzeugführers so aussergewöhnlich gewesen wäre, dass damit gar nicht gerechnet werden musste (BGE 86 IV 156 /7; BGE 87 IV 65, 159; BGE 88 IV 106, 109). Davon kann nicht die Rede sein. Gewiss hätte Lörtscher, weil er nicht vortrittsberechtigt war, an der Einmündung warten und den Wagen des Beschwerdeführers durchlassen sollen. Die Erfahrung zeigt indes, dass es in der Dunkelheit, wenn nicht unmöglich, so doch äusserst schwierig ist, die Entfernung und Geschwindigkeit eines auf gerader Strecke nahenden Fahrzeuges einigermassen verlässlich abzuschätzen (BGE 79 II 214/5). Unter solchen Umständen kommt es immer wieder vor, dass wartepflichtige Fahrer der Meinung verfallen, sie könnten noch ohne das Vortrittsrecht eines andern zu verletzen, weiterfahren. Das Auftauchen des Traktors in 60 m Entfernung lag deshalb nicht ausserhalb jeder Erwartung. Dass Lörtscher nicht aus einer Seitenstrasse, sondern aus einem blossen Feldweg kam, ändert daran nichts. In ländlichen Gegenden ist es jedenfalls zur Erntezeit nichts Besonderes, dass landwirtschaftliche Fahrzeuge erst bei fortgeschrittener Dämmerung vom Felde heimkehren. Wer wie der Beschwerdeführer mit 100 km/Std, aber abgeblendeten Scheinwerfern eine Strecke durchfahren will, die bereits weitgehend im Dunkeln liegt, muss übrigens von vorneherein darauf gefasst sein, von Gefahren überrascht zu werden und ihnen nicht mehr ausweichen zu können. Hätte er das bedacht und die Geschwindigkeit der tatsächlichen Sichtweite angepasst, so wäre es nicht zum Zusammenstoss gekommen.
BGE 94 IV 23 S. 28
Sein pflichtwidriges Verhalten war daher nicht nur eine natürliche, sondern auch eine rechtserhebliche Mitursache des Unfalls.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.