Urteilskopf

93 I 200

25. Urteil vom 17. Februar 1967 i.S. de Vigier und Mitbeteiligte gegen Zweckverband Abwasserregion Solothurn-Emme und Regierungsrat des Kantons Solothurn.
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 201

BGE 93 I 200 S. 201

A.- Zwanzig Gemeinden der Region Solothurn und untere Emme haben sich zum "Zweckverband Abwasserregion Solothurn-Emme mit Sitz in Solothurn" zusammengeschlossen. Dieser Verband beabsichtigt, eine grosse Kläranlage bei der Einmündung der Emme in die Aare zu errichten. Ursprünglich war vorgesehen, die Kläranlage im Vogelschutzreservat "Inseli" im "Emmenspitz" östlich der Einmündung zu erstellen. In der Folge beschloss jedoch der Regierungsrat des Kantons Solothurn, das Reservat unverändert zu erhalten und die Anlage auf dem gegenüberliegenden Grundstück zu errichten. Dieses gehört der Erbengemeinschaft de Vigier/Studer, welche die Erben W. A. de Vigier, Dr. Charles Studer, Dr. Rudolf Studer und Wilhelm de Vigier umfasst. Am 26. August 1966 erteilte der Regierungsrat gestützt auf Art. 15 Abs. 2 der Kantonsverfassung und § 26 Abs. 1 des kantonalen Wasserrechtsgesetzes (WRG) vom 27. September 1959 dem Zweckverband das Recht, von der der Erbengemeinschaft gehörenden Liegenschaft 49'670 m2 zu enteignen.
B.- W. A. de Vigier, Dr. Charles Studer und Dr. Rudolf Studer führen hiegegen Verwaltungsgerichtsbeschwerde und subsidiär staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, der
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regierungsrätliche Entscheid sei im Sinne der Erwägungen aufzuheben. Mit beiden Beschwerden wird eine Missachtung der Eigentumsgarantie, der Gewaltentrennung und der Rechtsgleichheit geltend gemacht. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird zudem eine Verletzung von Art. 13
SR 814.20 Bundesgesetz vom 24. Januar 1991 über den Schutz der Gewässer (Gewässerschutzgesetz, GSchG) - Gewässerschutzgesetz
GSchG Art. 13 Besondere Verfahren der Abwasserbeseitigung
1    Ausserhalb des Bereichs öffentlicher Kanalisationen ist das Abwasser entsprechend dem Stand der Technik zu beseitigen.
2    Die Kantone sorgen dafür, dass die Anforderungen an die Wasserqualität der Gewässer erfüllt werden.
des Gewässerschutzgesetzes (GSchG) und Art. 9
SR 711 Bundesgesetz vom 20. Juni 1930 über die Enteignung (EntG)
EntG Art. 9
1    Naturschönheiten sind soweit möglich zu erhalten.
2    Die Werke sind so auszuführen, dass sie das landschaftliche Bild möglichst wenig stören.
des Eidg. Enteignungsgesetzes (EntG) gerügt. Zur Begründung wird im einzelnen vorgebracht, die Enteignung sei immer nur ein letzter Ausweg. Bevor das Enteignungsrecht im vorliegenden Fall hätte erteilt werden dürfen, hätten zum mindesten die Eidg. Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (EAWAG) und die Fachstelle für Gewässerschutz des Eidg. Departements des Innern begrüsst werden müssen. Wenn schon das Vogelschutzreservat im Emmenspitz erhalten werden solle, sei es ein Unding, die angrenzenden Landzonen mit Industriebauten zu füllen. Zu Unrecht sei auch der von den Beschwerdeführern angebotene Beweis durch Experten, dass andere Lösungsmöglichkeiten in Betracht fallen, nicht abgenommen worden. Zudem werde zu früh expropriiert und überdies zu viel Land. Abgesehen davon könne der Regierungsrat eine entsprechende Kompetenz nicht aus Art. 13 Abs. 1
SR 814.20 Bundesgesetz vom 24. Januar 1991 über den Schutz der Gewässer (Gewässerschutzgesetz, GSchG) - Gewässerschutzgesetz
GSchG Art. 13 Besondere Verfahren der Abwasserbeseitigung
1    Ausserhalb des Bereichs öffentlicher Kanalisationen ist das Abwasser entsprechend dem Stand der Technik zu beseitigen.
2    Die Kantone sorgen dafür, dass die Anforderungen an die Wasserqualität der Gewässer erfüllt werden.
GSchG ableiten. Wenn dort von der Befugnis der Kantonsregierung die Rede sei, so sei darunter lediglich die Übertragung einer Kompetenz an die nach kantonalem Recht zuständige Instanz zu verstehen, und das sei nach Art. 230 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Zivilgesetzbuch der Kantonsrat. Daher verletze der Entscheid auch den Grundsatz der Gewaltentrennung.

C.- Der Regierungsrat beantragt, beide Beschwerden seien abzuweisen. Dem Entscheid über die Erteilung des Enteignungsrechtes seien sorgfältige Detailabklärungen vorausgegangen. Die für die Enteignung vorgesehene Fläche stelle ein unbedingt nötiges Minimum für die Anlage dar. Die Zuständigkeit des Regierungsrates ergebe sich unmittelbar aus Art. 13 Abs. 1
SR 814.20 Bundesgesetz vom 24. Januar 1991 über den Schutz der Gewässer (Gewässerschutzgesetz, GSchG) - Gewässerschutzgesetz
GSchG Art. 13 Besondere Verfahren der Abwasserbeseitigung
1    Ausserhalb des Bereichs öffentlicher Kanalisationen ist das Abwasser entsprechend dem Stand der Technik zu beseitigen.
2    Die Kantone sorgen dafür, dass die Anforderungen an die Wasserqualität der Gewässer erfüllt werden.
GSchG.
D.- Das Eidg. Departement des Innern beantragt, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei abzuweisen. Das Projekt - mit seinen verschiedenen Varianten - sei so gut durchgedacht, dass es möglich sei, den Flächenbedarf für die Kläranlage hinreichend genau zu ermitteln. Es sei unerlässlich, dass der Zweckverband sich auch das Land für die später zu schaffende Schlammverwertungs-
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und Schlammvernichtungsanlage sichere. Der Standort auf dem Grundstück der Beschwerdeführer sei wesentlich besser gewählt als der ursprünglich vorgesehene Standort im Naturschutzreservat; als Vorfluter komme nur die Aare in Betracht.
Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Der Regierungsrat hat dem Zweckverband im angefochtenen Entscheid das Recht zur Enteignung von Land erteilt, das der Erbengemeinschaft de Vigier/Studer zur gesamten Hand gehört. Nach Art. 602
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 602 - 1 Beerben mehrere Erben den Erblasser, so besteht unter ihnen, bis die Erbschaft geteilt wird, infolge des Erbganges eine Gemeinschaft aller Rechte und Pflichten der Erbschaft.
1    Beerben mehrere Erben den Erblasser, so besteht unter ihnen, bis die Erbschaft geteilt wird, infolge des Erbganges eine Gemeinschaft aller Rechte und Pflichten der Erbschaft.
2    Sie werden Gesamteigentümer der Erbschaftsgegenstände und verfügen unter Vorbehalt der vertraglichen oder gesetzlichen Vertretungs- und Verwaltungsbefugnisse über die Rechte der Erbschaft gemeinsam.
3    Auf Begehren eines Miterben kann die zuständige Behörde für die Erbengemeinschaft bis zur Teilung eine Vertretung bestellen.
und 653
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 653 - 1 Die Rechte und Pflichten der Gesamteigentümer richten sich nach den Regeln, unter denen ihre gesetzliche oder vertragsmässige Gemeinschaft steht.
1    Die Rechte und Pflichten der Gesamteigentümer richten sich nach den Regeln, unter denen ihre gesetzliche oder vertragsmässige Gemeinschaft steht.
2    Besteht keine andere Vorschrift, so bedarf es zur Ausübung des Eigentums und insbesondere zur Verfügung über die Sache des einstimmigen Beschlusses aller Gesamteigentümer.
3    Solange die Gemeinschaft dauert, ist ein Recht auf Teilung oder die Verfügung über einen Bruchteil der Sache ausgeschlossen.
ZGB können die Miterben und Gesamteigentümer nur gemeinsam über die Rechte der Erbschaft verfügen. Das gilt auch im Prozess, wo die Erben eine notwendige Streitgenossenschaft bilden. Die staatsrechtliche und die verwaltungsrechtliche Beschwerde sind indessen nur von drei der vier Mitglieder der Erbengemeinschaft eingereicht worden. Ob die Beschwerden sich nicht schon aus diesem Grunde als unzulässig erweisen oder ob hier ein Individualbeschwerderecht jedes Gesamteigentümers anzunehmen sei, wie dies MEIER-HAYOZ (Komm. zum Sachenrecht, Allg. Teil, N. 6 zu Art. 653, S. 524/5) unter besonderen Umständen zum Schutz der Gemeinschaft gegen schädigende Sonderaktionen einzelner Gemeinschafter gelten lässt, kann jedoch offen bleiben, da die erhobenen Rügen einer materiellen Prüfung ohnehin nicht standhalten.
2. In zweiter Linie fragt sich, ob auf die verwaltungsrechtliche Beschwerde oder auf die staatsrechtliche Beschwerde einzutreten sei. Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, ob der regierungsrätliche Entscheid in Anwendung des Gewässerschutzgesetzes ergangen ist. Trifft dies zu, dann kann er nach Art. 14 mit der verwaltungsrechtlichen Beschwerde angefochten werden und ist die subsidiäre staatsrechtliche Beschwerde ausgeschlossen (BGE 86 I 193 Erw. 3). Nach Art. 13 Abs. 1
SR 814.20 Bundesgesetz vom 24. Januar 1991 über den Schutz der Gewässer (Gewässerschutzgesetz, GSchG) - Gewässerschutzgesetz
GSchG Art. 13 Besondere Verfahren der Abwasserbeseitigung
1    Ausserhalb des Bereichs öffentlicher Kanalisationen ist das Abwasser entsprechend dem Stand der Technik zu beseitigen.
2    Die Kantone sorgen dafür, dass die Anforderungen an die Wasserqualität der Gewässer erfüllt werden.
GSchG können die Kantonsregierungen Gemeinden und privaten Unternehmungen, wenn Gründe des öffentlichen Wohles bestehen, für die Erstellung von Anlagen des Gewässerschutzes das Enteignungsrecht gewähren. Das hat der Regierungsrat getan, und die Grundlage ist jene Bestimmung, auch wenn er nicht sie, sondern Vorschriften des kantonalen Wasserrechtsgesetzes genannt hat, die aber ihrerseits auf dem Gewässerschutzgesetz beruhen und seiner Durchführung dienen.
BGE 93 I 200 S. 204

Richtig ist, dass der Kanton Solothurn, wie § 27 Abs. 2 der kantonalen Wasserrechtsverordnung vom 22. März 1960/16. Februar 1962 zu entnehmen ist, von der Möglichkeit von Art. 13 Abs. 2
SR 814.20 Bundesgesetz vom 24. Januar 1991 über den Schutz der Gewässer (Gewässerschutzgesetz, GSchG) - Gewässerschutzgesetz
GSchG Art. 13 Besondere Verfahren der Abwasserbeseitigung
1    Ausserhalb des Bereichs öffentlicher Kanalisationen ist das Abwasser entsprechend dem Stand der Technik zu beseitigen.
2    Die Kantone sorgen dafür, dass die Anforderungen an die Wasserqualität der Gewässer erfüllt werden.
GSchG keinen Gebrauch gemacht hat und die Enteignung nach dem kantonalen Enteignungsgesetz durchführt. Das ändert aber nichts daran, dass die Gewährung des Enteignungsrechtes sich auf Art. 13 Abs. 1
SR 814.20 Bundesgesetz vom 24. Januar 1991 über den Schutz der Gewässer (Gewässerschutzgesetz, GSchG) - Gewässerschutzgesetz
GSchG Art. 13 Besondere Verfahren der Abwasserbeseitigung
1    Ausserhalb des Bereichs öffentlicher Kanalisationen ist das Abwasser entsprechend dem Stand der Technik zu beseitigen.
2    Die Kantone sorgen dafür, dass die Anforderungen an die Wasserqualität der Gewässer erfüllt werden.
GSchG stützt und der angefochtene Entscheid in Anwendung dieser Bestimmung ergangen ist (vgl. auch das nicht veröffentlichte Urteil der verwaltungsrechtlichen Kammer des Bundesgerichtes vom 22. September 1966 i.S. Britschgi, S. 4/5). Damit ist die verwaltungsrechtliche Beschwerde gegeben. Mit dieser kann auch eine Verletzung der Eigentumsgarantie und der Rechtsgleichheit geltend gemacht werden (BGE 86 I 192). Da sich die Kompetenz des Regierungsrates, wie sich im Folgenden ergibt, aus dem Bundesrecht herleitet, bleibt für die Rüge der Verletzung der Gewaltentrennung kein Raum; denn dieser Grundsatz des kantonalen Verfassungsrechts kann nicht angerufen werden, soweit das Bundesrecht eine Zuständigkeit regelt. Aus der Zulässigkeit der verwaltungsrechtlichen Beschwerde ergibt sich, dass das Bundesgericht frei zu prüfen hat, ob das Gewässerschutzgesetz verletzt sei, ob der angefochtene Entscheid auf einer unrichtigen oder unvollständigen Feststellung des Sachverhalts beruhe (Art. 105
SR 814.20 Bundesgesetz vom 24. Januar 1991 über den Schutz der Gewässer (Gewässerschutzgesetz, GSchG) - Gewässerschutzgesetz
GSchG Art. 13 Besondere Verfahren der Abwasserbeseitigung
1    Ausserhalb des Bereichs öffentlicher Kanalisationen ist das Abwasser entsprechend dem Stand der Technik zu beseitigen.
2    Die Kantone sorgen dafür, dass die Anforderungen an die Wasserqualität der Gewässer erfüllt werden.
OG), ja sogar ob er angemessen sei oder nicht (Art. 14
SR 814.20 Bundesgesetz vom 24. Januar 1991 über den Schutz der Gewässer (Gewässerschutzgesetz, GSchG) - Gewässerschutzgesetz
GSchG Art. 14 Betriebe mit Nutztierhaltung
1    Auf jedem Betrieb mit Nutztierhaltung ist eine ausgeglichene Düngerbilanz anzustreben.
2    Hofdünger muss umweltverträglich und entsprechend dem Stand der Technik landwirtschaftlich oder gartenbaulich verwertet werden.
3    Im Betrieb müssen dafür Lagereinrichtungen mit einer Kapazität von mindestens drei Monaten vorhanden sein. Die kantonale Behörde kann jedoch für Betriebe im Berggebiet oder in ungünstigen klimatischen oder besonderen pflanzenbaulichen Verhältnissen eine grössere Lagerkapazität anordnen. Für Ställe, die nur für kurze Zeit mit Tieren belegt sind, kann sie eine kleinere Lagerkapazität bewilligen.
4    Auf 1 ha Nutzfläche darf der Dünger von höchstens drei Düngergrossvieheinheiten ausgebracht werden. Wird ein Teil des im Betrieb anfallenden Hofdüngers ausserhalb des ortsüblichen Bewirtschaftungsbereichs verwertet, so dürfen nur so viele Nutztiere gehalten werden, dass mindestens die Hälfte des im Betrieb anfallenden Hofdüngers auf der eigenen oder gepachteten Nutzfläche verwertet werden kann.15
5    Betriebe, die Dünger abgeben, müssen jede Abgabe im Informationssystem nach Artikel 165f des Landwirtschaftsgesetzes vom 29. April 199816 erfassen.17
6    Die kantonale Behörde setzt die pro ha zulässigen Düngergrossvieheinheiten herab, soweit Bodenbelastbarkeit, Höhenlage und topographische Verhältnisse dies erfordern.
7    Der Bundesrat kann Ausnahmen von den Anforderungen an die Nutzfläche vorsehen für:
a  die Geflügel- und die Pferdehaltung sowie für bereits bestehende kleinere und mittlere Betriebe mit anderer Nutztierhaltung;
b  die Betriebe, die Aufgaben im öffentlichen Interesse erfüllen (Abfallverwertung, Forschung usw.).
8    Eine Düngergrossvieheinheit entspricht dem durchschnittlichen jährlichen Anfall von Gülle und Mist einer 600 kg schweren Kuh.
GSchG).
3. Die Beschwerdeführer behaupten, die Kompetenz des Regierungsrates, das Enteignungsrecht zu verleihen, könne weder aus dem kantonalen Recht noch aus dem Gewässerschutzgesetz abgeleitet werden. Art. 13 Abs. 1
SR 814.20 Bundesgesetz vom 24. Januar 1991 über den Schutz der Gewässer (Gewässerschutzgesetz, GSchG) - Gewässerschutzgesetz
GSchG Art. 13 Besondere Verfahren der Abwasserbeseitigung
1    Ausserhalb des Bereichs öffentlicher Kanalisationen ist das Abwasser entsprechend dem Stand der Technik zu beseitigen.
2    Die Kantone sorgen dafür, dass die Anforderungen an die Wasserqualität der Gewässer erfüllt werden.
GSchG räumt die Befugnis, das Enteignungsrecht zu verleihen, ausdrücklich "der Kantonsregierung" ein. Die Beschwerdeführer glauben, dass diese Bestimmung nicht wörtlich verstanden werden dürfe; der Bund habe allgemein den Kantonen das Enteignungsrecht einräumen wollen; Sache des kantonalen Gesetzgebers sei es, die zur Verleihung zuständigen kantonalen Organe zu bestimmen. Für die Ansicht der Beschwerdeführer kann die Botschaft des Bundesrates vom 9. Februar 1954 (BBl 1954 I S. 342) herangezogen werden, wo in der Tat erklärt wird:
"Art. 9 (sc. Abs. 1, jetzt Art. 13 Abs. 1) erteilt den Kantonen die Ermächtigung, Gemeinden und privaten Unternehmen das Enteignungsrecht
BGE 93 I 200 S. 205

zu gewähren, falls sie nicht über den für den Bau einer Reinigungsanlage erforderlichen Boden verfügen." Doch hat der Berichterstatter im Ständerat die Bestimmung durchaus im wörtlichen Sinne verstanden (Sten. Bull. StR 1954 S. 204), wenn er ausführte: "Mit den in Abs. 2 a und b vorgesehenen Ausnahmen von den Bestimmungen des Enteignungsgesetzes wird bewirkt, dass hier eine Kantonsregierung die Funktion ausüben kann, die bei einer eidgenössischen Expropriation dem Bundesrat zusteht (Art. 55
SR 814.20 Bundesgesetz vom 24. Januar 1991 über den Schutz der Gewässer (Gewässerschutzgesetz, GSchG) - Gewässerschutzgesetz
GSchG Art. 55 Gebühren des Bundes
1    Der Bund erhebt eine Gebühr für seine Bewilligungen und Kontrollen sowie für seine besonderen Dienstleistungen nach diesem Gesetz.
2    Der Bundesrat bestimmt die Ansätze.
und 56
SR 814.20 Bundesgesetz vom 24. Januar 1991 über den Schutz der Gewässer (Gewässerschutzgesetz, GSchG) - Gewässerschutzgesetz
GSchG Art. 56 Interkantonale Gewässer
1    Berührt ein ober- oder ein unterirdisches Gewässer das Gebiet mehrerer Kantone, so hat jeder Kanton diejenigen Massnahmen zu treffen, die zum Schutz dieses Gewässers und im Interesse der anderen Kantone notwendig sind.
2    Können sich die Kantone über die Massnahmen nicht einigen, so entscheidet der Bundesrat.
Expropriationsgesetz)." Entgegen der abgekürzten Ausdrucksweise der bundesrätlichen Botschaft ermächtigt Art. 13 Abs. 1
SR 814.20 Bundesgesetz vom 24. Januar 1991 über den Schutz der Gewässer (Gewässerschutzgesetz, GSchG) - Gewässerschutzgesetz
GSchG Art. 13 Besondere Verfahren der Abwasserbeseitigung
1    Ausserhalb des Bereichs öffentlicher Kanalisationen ist das Abwasser entsprechend dem Stand der Technik zu beseitigen.
2    Die Kantone sorgen dafür, dass die Anforderungen an die Wasserqualität der Gewässer erfüllt werden.
GSchG somit nicht den "Kanton", sondern die "Kantonsregierung", das Enteignungsrecht für Gewässerschutzanlagen zu gewähren. Das ist entscheidend, und es kommt nicht darauf an, ob nach dem (älteren) kantonalen Recht eine andere Behörde zuständig wäre. Es ist daher belanglos, wenn § 230 Abs. 1 EG zum ZGB ausschliesslich den Kantonsrat als zuständig erklärt.
4. a) Materiell geht der Streit darum, ob Gründe des öffentlichen Wohls erfordern, dass die Abwasserreinigungsanlage im Schachen erstellt und deshalb 49'670 m2 Land der Beschwerdeführer enteignet werden. Weil sie das verneinen, erblicken sie in der Gewährung des Enteignungsrechtes eine Verletzung sowohl von Art. 13 Abs. 1
SR 814.20 Bundesgesetz vom 24. Januar 1991 über den Schutz der Gewässer (Gewässerschutzgesetz, GSchG) - Gewässerschutzgesetz
GSchG Art. 13 Besondere Verfahren der Abwasserbeseitigung
1    Ausserhalb des Bereichs öffentlicher Kanalisationen ist das Abwasser entsprechend dem Stand der Technik zu beseitigen.
2    Die Kantone sorgen dafür, dass die Anforderungen an die Wasserqualität der Gewässer erfüllt werden.
GSchG als auch der Eigentumsgarantie. Sie machen zunächst geltend, die Möglichkeit anderer Standorte sei nicht geprüft worden. Der einzige, der früher vorgeschlagen, vom Regierungsrat zuerst in Aussicht genommen, dann aber aus Gründen des Naturschutzes abgelehnt wurde, wird jetzt auch von ihnen fallen gelassen; andere konkrete Vorschläge haben sie nicht gemacht. Die Beschwerdeführer haben nicht einmal andeutungsweise - weder vor dem Regierungsrat noch vor Bundesgericht - eine Lösung aufgezeigt, bei der mit einem geringeren Eingriff in Privateigentum die vorgesehene Kläranlage errichtet werden könnte. Da nach den Ausführungen des Eidg. Departementes des Innern die Emme ein ungenügender Vorfluter ist, kommt ohnehin nur ein Standort an der Aare in Frage. Der Regierungsrat konnte deshalb, ohne den Beschwerdeführern das rechtliche Gehör zu verweigern, auf die von ihnen beantragte Expertise verzichten.
BGE 93 I 200 S. 206

Unter diesen Umständen kann auch von einer Verletzung des Art. 9
SR 711 Bundesgesetz vom 20. Juni 1930 über die Enteignung (EntG)
EntG Art. 9
1    Naturschönheiten sind soweit möglich zu erhalten.
2    Die Werke sind so auszuführen, dass sie das landschaftliche Bild möglichst wenig stören.
EntG, wonach Naturschönheiten soweit möglich zu erhalten sind, keine Rede sein. Die Beschwerdeführer erheben überdies den Vorwurf, die Studien seien zu wenig vorangetrieben, um schon jetzt den Platzbedarf der Abwasserreinigungsanlage und damit den Umfang des zu enteignenden Landes zu bestimmen. Nach der eigenen Darstellung der Beschwerdeführer gehen die Bemühungen um die Errichtung einer Abwasseranlage für die Stadt Solothurn und die längs der unteren Emme gelegenen Gemeinden auf das Jahr 1955 zurück. Der Zweckverband hat schliesslich zwei Vorprojekte beurteilen lassen: eines durch die Zellulose-Fabrik Attisholz, ein anderes - mit drei Varianten - durch die Firma von Roll AG in Zürich. Der Unterschied des Raumbedarfes beträgt bei den beiden im Vordergrund stehenden Untersuchungen ("Von Roll Variante 3" = 50'000 m2 und "Attisholz" - 48'850 m2) 1150 m2 oder nur 2%. Das Eidg. Departement des Innern bezeichnet die vorhandenen Unterlagen als "allgemeines Bauprojekt mit Kostenvoranschlag" und stellt fest, dass in zahlreichen andern Fällen sogar für die Gemeindebeschlüsse und die Beitragszusicherungen der öffentlichen Hand keine derart ausgereiften Projekte vorliegen. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer kann von den Trägern eines Kläranlageunternehmens keine weiter fortgeschrittene Projektierung verlangt werden, bis feststeht, ob ihnen das Enteignungsrecht gewährt wird; denn es wäre einem Gemeinwesen nicht zumutbar, noch grössere Kosten auf sich zu nehmen, solange der Eigentumserwerb nicht feststeht (vgl. BGE 92 I 330). Da 1968 mit den Bauarbeiten begonnen werden soll, ist der Vorwurf einer verfrühten Enteignung ebenfalls haltlos. Auch der Einwand, die Enteignung sei vorsorglich angeordnet worden, dringt nicht durch. Das Eidg. Departement des Innern macht mit Recht geltend, es seien bei Enteignungen auch Erweiterungsmöglichkeiten zu berücksichtigen; es sei unerlässlich, dass der Zweckverband sich schon jetzt das Land für die später zu schaffende Schlammverwertungs- und Schlammvernichtungsanlage sichere. Unter diesen Umständen konnte der Regierungsrat vor dem endgültigen Entscheid, welches Projekte verwirklicht werde, das Enteignungsrecht für den Grundbesitz erteilen, der auf jeden Fall beansprucht wird (vgl. auch ZBl 1965 S. 344). b) Aus der Vernehmlassung des Eidg. Departementes des

BGE 93 I 200 S. 207

Innern, die auf einer ausführlichen Stellungnahme des Amtes für Gewässerschutz fusst, ergibt sich auch die Angemessenheit des angefochtenen Entscheids. Insbesondere sind die Annahmen für die demographische Entwicklung und für den sich daraus ergebenden Abwasseranfall gestützt auf bisherige Erfahrungen getroffen worden. Die geographische Abgrenzung der Abwasserregion wurde nicht nur finanziellen Überlegungen angepasst, sondern auch nach planerischen, topographischen, baugrund- und gewässerschutztechnischen Gesichtspunkten ausgerichtet. Die Ergebnisse der Vernehmlassung werden durch das nachträgliche Gutachten der Eidg. Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz, das die Vor- und Nachteile der Projekte prüft und ebenfalls vom Bau der Kläranlage im Schachen ausgeht, erhärtet. Eine Verpflichtung, die EAWAG und das Eidg. Gewässerschutzamt vor der Gewährung des Enteignungsrechtes zu begrüssen, besteht entgegen der Darstellung der Beschwerdeführer weder nach Art. 2 noch nach Art. 8 der Vollziehungsverordnung zum Bundesgesetz über den Schutz der Gewässer gegen Verunreinigung.
Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 93 I 200
Datum : 17. Februar 1967
Publiziert : 31. Dezember 1967
Quelle : Bundesgericht
Status : 93 I 200
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : Gewährung des Enteignungsrechtes im Rahmen des Gewässerschutzes; Art. 13 Abs. 1 GSchG. 1. Ist die verwaltungsrechtliche


Gesetzesregister
EntG: 9
SR 711 Bundesgesetz vom 20. Juni 1930 über die Enteignung (EntG)
EntG Art. 9
1    Naturschönheiten sind soweit möglich zu erhalten.
2    Die Werke sind so auszuführen, dass sie das landschaftliche Bild möglichst wenig stören.
GSchG: 13 
SR 814.20 Bundesgesetz vom 24. Januar 1991 über den Schutz der Gewässer (Gewässerschutzgesetz, GSchG) - Gewässerschutzgesetz
GSchG Art. 13 Besondere Verfahren der Abwasserbeseitigung
1    Ausserhalb des Bereichs öffentlicher Kanalisationen ist das Abwasser entsprechend dem Stand der Technik zu beseitigen.
2    Die Kantone sorgen dafür, dass die Anforderungen an die Wasserqualität der Gewässer erfüllt werden.
14 
SR 814.20 Bundesgesetz vom 24. Januar 1991 über den Schutz der Gewässer (Gewässerschutzgesetz, GSchG) - Gewässerschutzgesetz
GSchG Art. 14 Betriebe mit Nutztierhaltung
1    Auf jedem Betrieb mit Nutztierhaltung ist eine ausgeglichene Düngerbilanz anzustreben.
2    Hofdünger muss umweltverträglich und entsprechend dem Stand der Technik landwirtschaftlich oder gartenbaulich verwertet werden.
3    Im Betrieb müssen dafür Lagereinrichtungen mit einer Kapazität von mindestens drei Monaten vorhanden sein. Die kantonale Behörde kann jedoch für Betriebe im Berggebiet oder in ungünstigen klimatischen oder besonderen pflanzenbaulichen Verhältnissen eine grössere Lagerkapazität anordnen. Für Ställe, die nur für kurze Zeit mit Tieren belegt sind, kann sie eine kleinere Lagerkapazität bewilligen.
4    Auf 1 ha Nutzfläche darf der Dünger von höchstens drei Düngergrossvieheinheiten ausgebracht werden. Wird ein Teil des im Betrieb anfallenden Hofdüngers ausserhalb des ortsüblichen Bewirtschaftungsbereichs verwertet, so dürfen nur so viele Nutztiere gehalten werden, dass mindestens die Hälfte des im Betrieb anfallenden Hofdüngers auf der eigenen oder gepachteten Nutzfläche verwertet werden kann.15
5    Betriebe, die Dünger abgeben, müssen jede Abgabe im Informationssystem nach Artikel 165f des Landwirtschaftsgesetzes vom 29. April 199816 erfassen.17
6    Die kantonale Behörde setzt die pro ha zulässigen Düngergrossvieheinheiten herab, soweit Bodenbelastbarkeit, Höhenlage und topographische Verhältnisse dies erfordern.
7    Der Bundesrat kann Ausnahmen von den Anforderungen an die Nutzfläche vorsehen für:
a  die Geflügel- und die Pferdehaltung sowie für bereits bestehende kleinere und mittlere Betriebe mit anderer Nutztierhaltung;
b  die Betriebe, die Aufgaben im öffentlichen Interesse erfüllen (Abfallverwertung, Forschung usw.).
8    Eine Düngergrossvieheinheit entspricht dem durchschnittlichen jährlichen Anfall von Gülle und Mist einer 600 kg schweren Kuh.
55 
SR 814.20 Bundesgesetz vom 24. Januar 1991 über den Schutz der Gewässer (Gewässerschutzgesetz, GSchG) - Gewässerschutzgesetz
GSchG Art. 55 Gebühren des Bundes
1    Der Bund erhebt eine Gebühr für seine Bewilligungen und Kontrollen sowie für seine besonderen Dienstleistungen nach diesem Gesetz.
2    Der Bundesrat bestimmt die Ansätze.
56
SR 814.20 Bundesgesetz vom 24. Januar 1991 über den Schutz der Gewässer (Gewässerschutzgesetz, GSchG) - Gewässerschutzgesetz
GSchG Art. 56 Interkantonale Gewässer
1    Berührt ein ober- oder ein unterirdisches Gewässer das Gebiet mehrerer Kantone, so hat jeder Kanton diejenigen Massnahmen zu treffen, die zum Schutz dieses Gewässers und im Interesse der anderen Kantone notwendig sind.
2    Können sich die Kantone über die Massnahmen nicht einigen, so entscheidet der Bundesrat.
OG: 105
ZGB: 602 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 602 - 1 Beerben mehrere Erben den Erblasser, so besteht unter ihnen, bis die Erbschaft geteilt wird, infolge des Erbganges eine Gemeinschaft aller Rechte und Pflichten der Erbschaft.
1    Beerben mehrere Erben den Erblasser, so besteht unter ihnen, bis die Erbschaft geteilt wird, infolge des Erbganges eine Gemeinschaft aller Rechte und Pflichten der Erbschaft.
2    Sie werden Gesamteigentümer der Erbschaftsgegenstände und verfügen unter Vorbehalt der vertraglichen oder gesetzlichen Vertretungs- und Verwaltungsbefugnisse über die Rechte der Erbschaft gemeinsam.
3    Auf Begehren eines Miterben kann die zuständige Behörde für die Erbengemeinschaft bis zur Teilung eine Vertretung bestellen.
653
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 653 - 1 Die Rechte und Pflichten der Gesamteigentümer richten sich nach den Regeln, unter denen ihre gesetzliche oder vertragsmässige Gemeinschaft steht.
1    Die Rechte und Pflichten der Gesamteigentümer richten sich nach den Regeln, unter denen ihre gesetzliche oder vertragsmässige Gemeinschaft steht.
2    Besteht keine andere Vorschrift, so bedarf es zur Ausübung des Eigentums und insbesondere zur Verfügung über die Sache des einstimmigen Beschlusses aller Gesamteigentümer.
3    Solange die Gemeinschaft dauert, ist ein Recht auf Teilung oder die Verfügung über einen Bruchteil der Sache ausgeschlossen.
BGE Register
86-I-187 • 92-I-324 • 93-I-200
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
regierungsrat • bundesgericht • erbengemeinschaft • gemeinde • staatsrechtliche beschwerde • eigentumsgarantie • kantonales recht • gewaltentrennung • erbe • bundesgesetz über den schutz der gewässer • frage • entscheid • sachverhalt • verfassungsrecht • enteigneter • stelle • richtigkeit • abstimmungsbotschaft • bauarbeit • kläranlage
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BBl
1954/I/342