92 I 324
58. Urteil vom 22. September 1966 i.S. Stadt Zürich und Jakob Disch gegen den Kleinen Rat des Kantons Graubünden.
Regeste (de):
- Ausschluss des Einspruchs gegen Liegenschaftskäufe, wenn Rechtsgeschäfte, die zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben abgeschlossen werden, in Frage stehen (Art. 21 Abs. 1 lit. b
EGG).
- 1. Berücksichtigung neuer Tatsachen (Erw. 2).
- 2. Kauf zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe? (Erw. 3).
- a) Die Errichtung von Klassenlagern ist im Kanton Zürich eine öffentliche Aufgabe (Erw. 4).
- b) Nicht nur das Gemeinwesen am Ort der gelegenen Sache kann sich auf die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe berufen (Erw. 5a).
- c) Wann dient ein Landkauf unmittelbar einem öffentlichen Zweck, wann der Schaffung einer Landreserve? (Erw. 5c).
Regeste (fr):
- Pas d'opposition à l'achat d'un bien-fonds lorsqu'il doit permettre de réaliser des oeuvres de caractère public (art. 21 al. 1 lit. b. LPR).
- 1. ise en considération de faits nouveaux (consid. 2).
- 2. Achat en vue de réaliser des oeuvres de caractère public? (consid. 3).
- a) L'aménagement de camps pour les écoles est une oeuvre de caractère public dans le canton de Zurich (consid. 4).
- b) La réalisation d'une telle oeuvre peut être invoquée non seulement par la collectivité publique du lieu de situation de l'immeuble (consid. 5a).
- c) Quand un achat de terrain sert-il immédiatement à la réalisation d'une tâche d'intérêt public, quand constitue-t-il une réserve de terrains? (consid. 5c).
Regesto (it):
- Esclusione dell'opposizione all'acquisto di un bene immobile quando si tratta di atti giuridici conclusi allo scopo di attuare opere di carattere pubblico (art. 21 cpv. 1 lett. b LPF).
- 1. Presa in considerazione di fatti nuovi (consid. 2).
- 2. Acquisto compiuto allo scopo di attuare opere di carattere pubblico? (consid. 3).
- a) La creazione di campi scolastici è un'opera di carattere pubblico nel cantone Zurigo (consid. 4).
- b) L'attuazione di una simile opera può essere invocata non solo dalla collettività pubblica del luogo dove è sito l'immobile (consid. 5a).
- c) Quando un acquisto di terreno serve immediatamente ad uno scopo pubblico, quando alla costituzione di una riserva di terreno? (consid. 5c).
Sachverhalt ab Seite 325
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A.- Am 18. Oktober 1963 verkaufte Jakob Disch, geb. 1897, seine Liegenschaft Mataun am Stelserberg - 4,5 ha Wiesland mit Haus und Stall in der Gemeinde Schiers - für Fr. 160'000.-- an die Stadt Zürich. Gegen diese Veräusserung erhob das Departement des Innern und der Volkswirtschaft des Kantons Graubünden am 1. November 1963 Einsprache im Sinne von Art. 19


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lit. c EGG auch dann erfüllt, wenn man annehme, die verkaufte Bergliegenschaft bilde keine notwendige Einheit mit der Talliegenschaft Luzein; denn auch kleine Heimwesen müssten den Schutz des EGG geniessen. Wichtige Gründe für eine Ausnahmebewilligung seien nicht gegeben.
B.- Die Stadt Zürich und der Verkäufer Jakob Disch fechten den Beschluss des Kleinen Rates mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht an. Sie verlangen die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und damit des Einspruchs gegen den Kaufvertrag. Art. 21 Abs. 1 lit. b



C.- Der Kleine Rat des Kantons Graubünden beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen. Er verweist zunächst darauf, dass mit der Beschwerde an das Bundesgericht neue Behauptungen aufgestellt und neue Beweismittel eingereicht worden seien. Eine öffentliche Aufgabe im Sinne von Art. 21 Abs. 1 lit. b

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davon handle es sich nicht um eine öffentliche Aufgabe des Kantons Graubünden oder einer Bündner Gemeinde. Aber selbst wenn das Vorliegen einer öffentlichen Aufgabe bejaht würde, müsste die Beschwerde abgewiesen werden. In Stels sei eine von Bund und Kanton unterstützte Melioration durchgeführt und damit eine öffentliche Aufgabe erfüllt worden. Dabei sei auch der Zugang zur verkauften Liegenschaft verbessert worden. Der bereits realisierten öffentlichen Aufgabe gebühre der Vorrang gegenüber der öffentlichen Aufgabe eines fremden Gemeinwesens.
D.- Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement äussert sich mit Zuschrift vom 20. Mai 1966 zur Streitsache, ohne einen Antrag zu stellen. Das Departement hält dafür, dass sich auf Art. 21 Abs. 1 lit. b


Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. (Frage der Legitimation).
2. Zu prüfen ist, ob Bundesrecht verletzt sei (Art. 104 Abs. 1


3. Das EGG stellt in seinem dritten Abschnitt (Art. 18 ff.) den Kantonen das Einspruchsverfahren anheim; es bezeichnet aber in seinem Artikel 21 die Rechtsgeschäfte, auf die das Einspruchsverfahren nicht angewendet werden darf. Darunter fallen u.a. nach Abs. 1 lit. b "Rechtsgeschäfte, für die das Enteignungsrecht gegeben ist oder die zur Erfüllung öffentlicher, gemeinnütziger oder kultureller Aufgaben abgeschlossen werden". Dass die Stadt Zürich in Graubünden Land für die Errichtung von Klassenlagern enteignen könne, behauptet
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niemand. Umstritten ist einzig, ob die Stadt das gekaufte Grundstück zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe benötige.
4. Die Klassenlager bezwecken im Kanton Zürich, ganze Klassen der mittleren und oberen Volksschulstufe während einer oder zwei Arbeitswochen in eine fremde Landesgegend zu verlegen. Es geht also nicht um "Schulferienlager". Die Errichtung von Klassenlagern wird den Gemeinden vom Kanton zwar nicht vorgeschrieben, aber empfohlen. Sie ist durch ein Reglement des Erziehungsrates vom 5. Dezember 1961 geordnet und wird gemäss Kantonsratsbeschluss vom 21. Januar 1963 vom Staat durch Beiträge unterstützt. Richtig ist, dass die Beiträge des Kantons nur versuchsweise ausgerichtet werden. In der Weisung vom 26. Juli 1962, mit welcher der Regierungsrat dem Kantonsrat die Gewährung eines jährlichen Kredites für diesen Zweck empfohlen hatte, heisst es aber, es werde bei weiterhin gutem Ergebnis "eine gesetzliche Verankerung im Schulleistungsgesetz in Betracht zu ziehen sein". Es handelt sich bei der Errichtung von Klassenlagern im Kanton Zürich somit um eine öffentliche Aufgabe im Sinne von Art. 21 Abs. 1 lit. b

5. Was der Kleine Ratdagegen vorbringt, dringt nichtdurch: a) Der Kleine Rat macht in seiner Vernehmlassung geltend, nur das Gemeinwesen am Ort der gelegenen Sache - vorliegend also die Gemeinde Schiers oder der Kanton Graubünden - könne sich auf Art. 21 Abs. 1 lit. b




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kulturellen Aufgabe gleichgestellt. Nun besitzen Kanton und Gemeinden zur Verwirklichung öffentlicher Aufgaben im eigenen Herrschaftsbereich in aller Regel das Enteignungsrecht und sind insoweit unbestrittenermassen vom Einspruch gegen Liegenschaftskäufe ausgenommen. Die Gleichstellung deutet somit gerade darauf hin, dass Geschäfte wie das vorliegende ebenfalls vom Einspruchsverfahren befreit sein sollen. b) Der Kleine Rat macht in seiner Vernehmlassung weiter geltend, die Stadt Zürich beabsichtige überhaupt nicht ernsthaft, ein Schülerheim zu erstellen. So werde im Beschluss des Stadtrates vom 23. August 1963, in dem die verschiedenen Projekte, namentlich auch jene im Kanton Graubünden, aufgezählt seien, das Vorhaben am Stelserberg nicht erwähnt. Nun konnte aber der Unterhändler der Stadt das Grundstück erst am 18. Oktober 1963 kaufen. Das erklärt, warum im Stadtratsbeschluss vom 23. August 1963 noch nicht die Rede davon war. c) Der Kleine Rat bringt zudem vor, die Erstellung des Schülerheimes stehe noch nicht unmittelbar bevor. Bei dieser Sachlage sei die Einsprache zu Recht erfolgt, wie sich dies aus BGE 83 I 71 ergebe. In diesem Entscheid ist ausgeführt, Art. 21 Abs. 1 lit. b

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"Landreserve für die spätere Erstellung eines Schülerheimes; analog dem vor der Realisierung stehenden Projekt in Valbella/Lenzerheide." Der Ausdruck Landreserve war dabei unglücklich gewählt und auch der Hinweis auf die "spätere" Erstellung eines Schülerheimes mochte zunächst Zweifel bewirken. Allein diese sind durch die folgenden Erklärungen der Stadt Zürich beseitigt worden. Danach will sie mit der Projektierung sofort beginnen, sobald sie Eigentümerin des gekauften Grundstückes sein wird. Richtig ist, dass das endgültige Projekt durch drei städtische Behörden genehmigt und der Kredit dafür durch Volksabstimmung gewährt werden muss. Allein das schliesst nicht aus, dass es sich um ein konkretes Vorhaben handelt. Es wäre einem Gemeinwesen nicht zumutbar, die grossen Kosten der Projektierung und des Genehmigungsverfahrens aufzuwenden, solange der Eigentumserwerb nicht feststeht. Der Umstand, dass der Ausgang der Volksabstimmung noch offen ist, schliesst nicht aus, dass das umstrittene Rechtsgeschäft zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe abgeschlossen wird. d) Auch der Umstand, dass das Grundstück im Zusammenhang mit einer Bodenverbesserung und Güterzusammenlegung durch eine neue Strasse erschlossen worden ist, kann die Anwendung von Art. 21 Abs. 1 lit. b

Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen; der angefochtene Entscheid des Kleinen Rates des Kantons Graubünden vom 13. Dezember 1965 und damit der Einspruch gegen den Kaufvertrag werden aufgehoben.