BGE-91-IV-64
Urteilskopf
91 IV 64
19. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 9. August 1965 i.S X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern.
Regeste (de):
- 1. Der Begriff des fortgesetzten Delikts setzt nicht voraus, dass alle Einzelhandlungen, die auf denselben Willensentschluss zurückgehen, unter die gleiche Strafbestimmung fallen; es genügt, dass sie den gleichen gesetzlichen Tatbestand erfüllen oder Begehungsformen desselben Verbrechens oder Vergehens darstellen (Erw. 1a).
- 2. Art. 191 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft.
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft.
- 3. Art. 13 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 13 - 1 Handelt der Täter in einer irrigen Vorstellung über den Sachverhalt, so beurteilt das Gericht die Tat zu Gunsten des Täters nach dem Sachverhalt, den sich der Täter vorgestellt hat.
Regeste (fr):
- 1. La notion de délit continué ou successif ne suppose pas que les différents actes procédant d'une décision unique tombent sous le coup de la même disposition pénale; il suffit que ces actes soient tous compris dans la même définition légale ou qu'ils constituent des formes de la commission d'un même crime ou délit (consid. 1a).
- 2. Art. 191 ch. 1 et 2 CP. Les actes contraires à la pudeur visés par cette disposition peuvent être en relation de continuité (consid. 1 b et c).
- 3. Art. 13 al. 1 CP. Le fait que l'auteur a agi alors qu'il était pris de boisson ne justifie pas à lui seul une expertise psychiatrique (consid. 2).
Regesto (it):
- 1. La nozione di reato continuato o successivo non presuppone che tutti i singoli atti procedenti dalla medesima decisione ricadano nella stessa disposizione penale; basta che essi siano compresi nella medesima definizione legale o che rappresentino forme con cui viene commesso lo stesso reato (consid. 1 a).
- 2. Art. 191 num. 1 e 2 CP. Tra gli atti di libidine previsti in tali disposizioni può sussistere rapporto di continuità (consid. 1 b e c).
- 3. Art. 13 cpv. 1 CP. La circostanza che l'autore ha agito in stato di ebrietà non è motivo sufficiente per farlo sottoporre a una perizia psichiatrica (consid. 2).
Sachverhalt ab Seite 65
BGE 91 IV 64 S. 65
A.- Der 41-jährige X. sprach am 23. August 1964 im Bahnhof Luzern den 14 Jahre alten Y. an, der dort herumstrich. Er nahm den Knaben in seine Wohnung, wo er ihn umarmte und küsste. Sie legten sich beide nackt auf ein Bett und rieben sich den Geschlechtsteil, und als auch beim Knaben der Same floss, nahm X. dessen Glied in den Mund. Y. begab sich hierauf in die Küche, wusch und parfümierte sich. Alsdann befriedigte sich X., der immer noch unbekleidet war, in Gegenwart des Knaben abermals.
B.- Das Obergericht des Kantons Luzern verurteilte X. am 30. März 1965 wegen Unzucht mit einem Kinde im Sinne von Art. 191 Ziff. 1

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
C.- X. führt gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde, welcher unter anderem zu entnehmen ist, dass er die Verurteilung nach Art. 191 Ziff. 2

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1. Gegen seine Verurteilung nach Art. 191 Ziff. 1

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
BGE 91 IV 64 S. 66
Der Einwand kann nur dahin verstanden werden, dass fortgesetzte Begehung vorliege. a) Ein fortgesetztes Delikt setzt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts gleichartige oder ähnliche Handlungen voraus, die gegen das gleiche Rechtsgut gerichtet sind und auf ein und denselben Willensentschluss zurückgehen (BGE 68 IV 99;BGE 72 IV 165, 184;BGE 78 IV 154; BGE 83 IV 159; BGE 88 IV 65 Erw. 3; BGE 90 IV 132). Der Begriff ist von der Gerichtspraxis entwickelt worden, um das Verfahren (z.B. bei einer Unzahl von Diebstählen) zu vereinfachen und um Unbilligkeiten, die sich bei der Anwendung des Art. 68

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 68 - 1 Ist die Veröffentlichung eines Strafurteils im öffentlichen Interesse, im Interesse des Verletzten oder des Antragsberechtigten geboten, so ordnet sie das Gericht auf Kosten des Verurteilten an. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 71 - 1 Sind die der Einziehung unterliegenden Vermögenswerte nicht mehr vorhanden, so erkennt das Gericht auf eine Ersatzforderung des Staates in gleicher Höhe, gegenüber einem Dritten jedoch nur, soweit dies nicht nach Artikel 70 Absatz 2 ausgeschlossen ist. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 29 - Eine besondere Pflicht, deren Verletzung die Strafbarkeit begründet oder erhöht, und die nur der juristischen Person, der Gesellschaft oder der Einzelfirma19 obliegt, wird einer natürlichen Person zugerechnet, wenn diese handelt: |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 272 - 1. Wer im Interesse eines fremden Staates oder einer ausländischen Partei oder einer andern Organisation des Auslandes zum Nachteil der Schweiz oder ihrer Angehörigen, Einwohner oder Organisationen politischen Nachrichtendienst betreibt oder einen solchen Dienst einrichtet, |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 272 - 1. Wer im Interesse eines fremden Staates oder einer ausländischen Partei oder einer andern Organisation des Auslandes zum Nachteil der Schweiz oder ihrer Angehörigen, Einwohner oder Organisationen politischen Nachrichtendienst betreibt oder einen solchen Dienst einrichtet, |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 274 - 1. Wer für einen fremden Staat zum Nachteile der Schweiz militärischen Nachrichtendienst betreibt oder einen solchen Dienst einrichtet, |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 274 - 1. Wer für einen fremden Staat zum Nachteile der Schweiz militärischen Nachrichtendienst betreibt oder einen solchen Dienst einrichtet, |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 3 - 1 Diesem Gesetz ist unterworfen, wer in der Schweiz ein Verbrechen oder Vergehen begeht. |
BGE 91 IV 64 S. 67
dem gesetzlichen Tatbestand oder ihrer rechtlichen Natur nach verschieden sind, wie z.B. vorsätzliche Tötung und Mord (Art. 111

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 111 - Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, ohne dass eine der besondern Voraussetzungen der nachfolgenden Artikel zutrifft, wird mit Freiheitsstrafe157 nicht unter fünf Jahren bestraft. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 112 - Handelt der Täter besonders skrupellos, sind namentlich sein Beweggrund, der Zweck der Tat oder die Art der Ausführung besonders verwerflich, so ist die Strafe lebenslängliche Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren.159 |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 137 - 1. Wer sich eine fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern, wird, wenn nicht die besonderen Voraussetzungen der Artikel 138-140 zutreffen, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 140 - 1. Wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Androhung gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder nachdem er den Betroffenen zum Widerstand unfähig gemacht hat, einen Diebstahl begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.200 |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 251 - 1. Wer in der Absicht, jemanden am Vermögen oder an andern Rechten zu schädigen oder sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen, |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 254 - 1 Wer eine Urkunde, über die er nicht allein verfügen darf, beschädigt, vernichtet, beiseiteschafft oder entwendet, in der Absicht, jemanden am Vermögen oder an andern Rechten zu schädigen oder sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 29 - Eine besondere Pflicht, deren Verletzung die Strafbarkeit begründet oder erhöht, und die nur der juristischen Person, der Gesellschaft oder der Einzelfirma19 obliegt, wird einer natürlichen Person zugerechnet, wenn diese handelt: |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 71 - 1 Sind die der Einziehung unterliegenden Vermögenswerte nicht mehr vorhanden, so erkennt das Gericht auf eine Ersatzforderung des Staates in gleicher Höhe, gegenüber einem Dritten jedoch nur, soweit dies nicht nach Artikel 70 Absatz 2 ausgeschlossen ist. |
BGE 91 IV 64 S. 68
Sie richteten sich zudem nicht nur gegen das gleiche Rechtsgut, sondern auch gegen die gleiche Person. Der Umstand, dass X. nach der beischlafsähnlichen Handlung nackt liegen blieb und die Rückkehr des Knaben abwartete, lässt bei natürlicher Betrachtungsweise die spätere Handlung ebenfalls als Fortsetzung der früheren erscheinen. Von einem Unterbruch des Tatzusammenhanges kann keine Rede sein. Das angefochtene Urteil, das auf der Annahme beruht, es lägen zwei strafbare Handlungen vor, ist daher aufzuheben und die Sache zur Überprüfung der Strafzumessung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Obergericht hat von einem fortgesetzten Delikt auszugehen, die Strafe folglich unter Ausschluss des Art. 68

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 68 - 1 Ist die Veröffentlichung eines Strafurteils im öffentlichen Interesse, im Interesse des Verletzten oder des Antragsberechtigten geboten, so ordnet sie das Gericht auf Kosten des Verurteilten an. |
2. Der Beschwerdeführer macht ferner geltend, dass er zuviel getrunken habe, was die Vorinstanz hätte veranlassen sollen, ihn psychiatrisch begutachten zu lassen. Nach dem angefochtenen Urteil war der Beschwerdeführer nur leicht angetrunken. Deswegen brauchte die Vorinstanz an seiner Zurechnungsfähigkeit noch keineswegs zu zweifeln, zumal er sich nach einer weitern Feststellung des Obergerichts an alle Vorgänge während, vor und nach der Tat gut zu erinnern vermochte. Der Angetrunkene neigt wohl zu Unbeherrschtheiten, bleibt im allgemeinen aber durchaus fähig, das Unrecht einer Tat einzusehen und gemäss dieser Einsicht zu handeln; einzig wer seine Neigung zu Straftaten infolge einer Beeinträchtigung im Sinne von Art. 11

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 11 - 1 Ein Verbrechen oder Vergehen kann auch durch pflichtwidriges Untätigbleiben begangen werden. |