Urteilskopf

83 IV 158

43. Urteil des Kassationshofes vom 20. September 1957 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau.
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Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 159

BGE 83 IV 158 S. 159

A.- X. vollzog vom Sommer 1948 bis Juli 1956 öfters den Beischlaf mit seiner am 3. August 1930 geborenen Tochter. Ein Teil der Handlungen, soweit sie vor dem 3. August 1950 liegen, ist somit begangen worden, als die Tochter mehr als 16-jährig, aber noch unmündig war, der andere Teil, nachdem sie das 20. Altersjahr erreicht hatte.
B.- Das Kriminalgericht des Kantons Aargau erklärte am 19. Dezember 1956 X. der fortgesetzten einfachen und qualifizierten Blutschande gemäss Art. 213 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 213 - 1 Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Minderjährige bleiben straflos, wenn sie verführt worden sind.
3    ...275
und 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 213 - 1 Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Minderjährige bleiben straflos, wenn sie verführt worden sind.
3    ...275
StGB schuldig und verurteilte ihn zu drei Jahren Zuchthaus, unter Anrechnung von drei Monaten Untersuchungshaft, und zu vier Jahren Einstellung in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit.
C.- X. beantragt mit der Nichtigkeitsbeschwerde, er sei bloss wegen fortgesetzter einfacher Blutschande zu bestrafen. Er macht geltend, zwischen der qualifizierten und einfachen Blutschande, die verschiedene Rechtsgüter verletzten, fehle der Fortsetzungszusammenhang. Für die qualifizierte Blutschande habe die zweijährige Verjährungsfrist somit nicht erst im Sommer 1956, sondern schon am 2. August 1950 zu laufen begonnen.
Erwägungen

Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Ein fortgesetztes Delikt liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts vor, wenn gleichartige oder ähnliche Handlungen, die gegen das gleiche Rechtsgut gerichtet sind, auf ein und denselben Willensentschluss zurückgehen (BGE 72 IV 184, BGE 80 IV 8 und dort aufgeführte Entscheidungen). Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass die von 1948 bis 1956 an seiner Tochter vorgenommenen Beischlafshandlungen auf einem einheitlichen Willensentschluss beruhen und dass darin eine fortgesetzte Begehung
BGE 83 IV 158 S. 160

qualifizierter und einfacher Blutschande gemäss Art. 213 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 213 - 1 Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Minderjährige bleiben straflos, wenn sie verführt worden sind.
3    ...275
und 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 213 - 1 Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Minderjährige bleiben straflos, wenn sie verführt worden sind.
3    ...275
StGB liegt. Dagegen wird der Fortsetzungszusammenhang zwischen den beiden Formen der Blutschande bestritten, mit der Begründung, dass sie nicht gegen das gleiche Rechtsgut gerichtet seien. Diese Auffassung hält nicht stand. Das strafrechtliche Verbot geschlechtlicher Beziehungen unter nahen Blutsverwandten geht wie das zivilrechtliche Ehehindernis der Verwandtschaft (Art. 100
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 100 - Die Trauung kann innerhalb von drei Monaten stattfinden, nachdem der Abschluss des Vorbereitungsverfahrens mitgeteilt wurde.
ZGB) auf die Überlegung zurück, dass die Nachkommenschaft durch geschlechtliche Beziehungen naher Verwandter gesundheitlich gefährdet werde. Eine spätere Auffassung, die den Wert eugenischer Erwägungen in Zweifel zog, rückte den Gedanken der Sittenreinheit in der Familie in den Vordergrund. Auf diesem Boden steht auch das schweizerische Strafgesetzbuch. Die Einreihung der Blutschande unter den 6. Titel über die Verbrechen und Vergehen gegen die Familie zeigt, dass Art. 213
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 213 - 1 Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Minderjährige bleiben straflos, wenn sie verführt worden sind.
3    ...275
StGB die Reinheit der Familie als geschütztes Rechtsgut betrachtet, wenn auch die Ausgestaltung des Tatbestandes durch seine Beschränkung auf den Beischlaf eher der früheren Zweckbestimmung entspricht (vgl. PFENNINGER, Der strafrechtliche Schutz der Ehe, in Festgabe für Prof. Egger S. 276). Art. 213 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 213 - 1 Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Minderjährige bleiben straflos, wenn sie verführt worden sind.
3    ...275
StGB hebt den Fall des Beischlafs mit einem unmündigen, mehr als 16 Jahre alten Verwandten gerader Linie durch erhöhte Strafandrohung hervor. Schutzobjekt dieser Bestimmung ist aber das gleiche wie in Abs. 1. Der Täter wird bestraft, weil er durch den Beischlaf mit einem unmündigen Blutsverwandten gerader Linie das öffentliche Interesse an der Reinhaltung der Familie verletzt (HAFTER, Bes. Teil S. 426 und 429; PFENNINGER, SJZ 1950 S. 326; LOGOZ N. 1 zu Art. 213
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 213 - 1 Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Minderjährige bleiben straflos, wenn sie verführt worden sind.
3    ...275
StGB). Der Umstand, dass die Unmündigkeit des Opfers ein Strafschärfungsgrund ist, macht die Tat nicht zu einem Sittlichkeitsverbrechen im Sinne des Art. 192 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 192 - 1 Wer unter Ausnützung der Abhängigkeit einen Anstaltspflegling, Anstaltsinsassen, Gefangenen, Verhafteten oder Beschuldigten veranlasst, eine sexuelle Handlung vorzunehmen oder zu dulden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer unter Ausnützung der Abhängigkeit einen Anstaltspflegling, Anstaltsinsassen, Gefangenen, Verhafteten oder Beschuldigten veranlasst, eine sexuelle Handlung vorzunehmen oder zu dulden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Hat die verletzte Person mit dem Täter die Ehe geschlossen oder ist sie mit ihm eine eingetragene Partnerschaft eingegangen, so kann die zuständige Behörde von der Strafverfolgung, der Überweisung an das Gericht oder der Bestrafung absehen.267
StGB, sondern sie behält den Charakter der Blutschande und bleibt ein Delikt gegen die Familie. Dass Art. 213 Abs. 2
BGE 83 IV 158 S. 161

StGB in erster Linie das in Abs. 1 geschützte Rechtsgut, jedenfalls nicht vorwiegend den Schutz Unmündiger im Auge hat, ergibt sich nebst der Systematik des Gesetzes auch daraus, dass die Sondervorschrift des Art. 213 Abs. 4
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 213 - 1 Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Minderjährige bleiben straflos, wenn sie verführt worden sind.
3    ...275
StGB, wonach die Strafverfolgung schon nach zwei Jahren verjährt, für die einfache wie die ausgezeichnete Blutschande in gleicher Weise gilt (BGE 72 IV 137). Die einzelnen Handlungen waren nicht nur gegen das gleiche Rechtsgut gerichtet, sondern sie sind auch durch Gleichartigkeit des Tathergangs und durch Begehung an ein und derselben Person gekennzeichnet. Der einheitliche Willensentschluss, auf dem sie beruhen, begründet einen genügenden innern Zusammenhang, sodass bei natürlicher Betrachtungsweise die späteren Beischlafshandlungen als Fortsetzung der früheren erscheinen.
Dispositiv

Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 83 IV 158
Datum : 20. September 1957
Publiziert : 31. Dezember 1958
Quelle : Bundesgericht
Status : 83 IV 158
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 213 Abs. 1 und 2 StGB. Zwischen qualifizierter und einfacher Blutschande kann Fortsetzungszusammenhang bestehen.


Gesetzesregister
StGB: 192 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 192 - 1 Wer unter Ausnützung der Abhängigkeit einen Anstaltspflegling, Anstaltsinsassen, Gefangenen, Verhafteten oder Beschuldigten veranlasst, eine sexuelle Handlung vorzunehmen oder zu dulden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer unter Ausnützung der Abhängigkeit einen Anstaltspflegling, Anstaltsinsassen, Gefangenen, Verhafteten oder Beschuldigten veranlasst, eine sexuelle Handlung vorzunehmen oder zu dulden, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Hat die verletzte Person mit dem Täter die Ehe geschlossen oder ist sie mit ihm eine eingetragene Partnerschaft eingegangen, so kann die zuständige Behörde von der Strafverfolgung, der Überweisung an das Gericht oder der Bestrafung absehen.267
213
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 213 - 1 Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Minderjährige bleiben straflos, wenn sie verführt worden sind.
3    ...275
ZGB: 100
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 100 - Die Trauung kann innerhalb von drei Monaten stattfinden, nachdem der Abschluss des Vorbereitungsverfahrens mitgeteilt wurde.
BGE Register
72-IV-132 • 72-IV-179 • 80-IV-6 • 83-IV-158
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
familie • kassationshof • geschütztes rechtsgut • sachverhalt • geschlecht • aargau • fortgesetztes delikt • verwandtschaft • opfer • strafgesetzbuch • entscheid • untersuchungshaft • begründung des entscheids • zweifel • bundesgericht • charakter • wert • verurteilter • strafverfolgung • weiler
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1950 S.326