Urteilskopf

88 I 11

3. Auszug aus dem Urteil vom 11. April 1962 i.S. Ziegler gegen Grosclaude und Appellationshof des Kantons Bern.
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 12

BGE 88 I 11 S. 12

Aus dem Tatbestand:
Der Verleger Dr. Louis Grosclaude schloss am 28. Januar 1948 in Paris mit dem Kunstmaler Fernand Léger einen Vertrag, worin dieser sich verpflichtete, Illustrationen zum Buch "Les Illuminations" von Arthur Rimbaud auszuführen. Der Vertrag bestimmt im letzten Absatz: "Tous les droits concernant l'édition et l'illustration appartiennent sans restriction à l'éditeur. Les esquisses préalables avant l'illustration définitive, seront la propriété de l'éditeur". Léger starb im Jahre 1955. Sein Nachlass gelangte an die Erben. Die Kunsthandlung Klipstein & Kornfeld in Bern veranstaltete am 9. und 10. Juni 1961 eine Auktion, worin unter anderm das Original von Légers Umschlagsentwurf zum genannten Buch im Auftrag der Zürcher Galerieinhaberin Renée Ziegler versteigert werden sollte. Als Grosclaude durch den Auktionskatalog davon Kenntnis erhielt, meldete er gestützt auf den erwähnten Vertrag seinen Anspruch auf die Zeichnung an; er verlangte auf Grund von Art. 326 Ziff. 3
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 326 Neue Anträge, neue Tatsachen und neue Beweismittel - 1 Neue Anträge, neue Tatsachenbehauptungen und neue Beweismittel sind ausgeschlossen.
1    Neue Anträge, neue Tatsachenbehauptungen und neue Beweismittel sind ausgeschlossen.
2    Besondere Bestimmungen des Gesetzes bleiben vorbehalten.
der bernischen ZPO, das Kunstwerk sei als vorläufige Massnahme bis zum rechtsgültigen Entscheid über den Hauptpunkt in richterlichen Gewahrsam zu nehmen. Der Gerichtspräsident III von Bern
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hiess das Gesuch gut, nahm das Bild gegen Leistung einer Sicherheit von Fr. 5'000.-- durch Grosclaude in gerichtlichen Gewahrsam und setzte Renée Ziegler eine Frist von zwei Monaten an, um im Sinne von Art. 332
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 332 Entscheid über das Revisionsgesuch - Der Entscheid über das Revisionsgesuch ist mit Beschwerde anfechtbar.
ZPO eine Schadenersatzklage gegen Grosclaude anzuheben, wobei er ihr androhte, dass die Sicherheit im Säumnisfalle dem Gesuchsteller freigegeben werde. Renée Ziegler appellierte gegen diese Verfügung. Die III. Zivilkammer des Appellationshofs des Kantons Bern bestätigte den erstinstanzlichen Entscheid. In den Erwägungen wird ausgeführt, Grosclaude habe durch Vorlegung des Vertrags vom 28. Januar 1948 dargetan, dass er das Eigentum an der streitigen Zeichnung beanspruchen könne. Renée Ziegler behaupte demgegenüber, sie habe die Zeichnung von einem Dritten gekauft und gutgläubig zu Eigentum erworben. Die Abklärung dieser Frage werde Sache des Hauptprozesses sein. Im Verfahren betreffend einstweilige Verfügung genüge es, dass Grosclaude seinen Anspruch glaubhaft gemacht habe.
Eine Nichtigkeitsklage im Sinne des Art. 359
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 359 Bestreitung der Zuständigkeit des Schiedsgerichts - 1 Werden die Gültigkeit der Schiedsvereinbarung, ihr Inhalt, ihre Tragweite oder die richtige Konstituierung des Schiedsgerichts vor dem Schiedsgericht bestritten, so entscheidet dieses darüber mit Zwischenentscheid oder im Entscheid über die Hauptsache.
1    Werden die Gültigkeit der Schiedsvereinbarung, ihr Inhalt, ihre Tragweite oder die richtige Konstituierung des Schiedsgerichts vor dem Schiedsgericht bestritten, so entscheidet dieses darüber mit Zwischenentscheid oder im Entscheid über die Hauptsache.
2    Die Einrede der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts muss vor der Einlassung auf die Hauptsache erhoben werden.
ZPO, die Renée Ziegler dagegen erhob, hat das Plenum des Appellationshofs abgewiesen. Renée Ziegler führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV.
Erwägungen

Aus den Erwägungen:

5. Die Beschwerdeführerin ficht die Annahme der kantonalen Instanzen, der Beschwerdegegner habe einen Anspruch auf die streitige Zeichnung glaubhaft gemacht, als willkürlich an. Sie beklagt sich über eine Missachtung der Art. 8
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet.
und 932
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 932 - Der Besitzer einer beweglichen Sache kann sich gegenüber jeder Klage auf die Vermutung zugunsten seines besseren Rechtes berufen, unter Vorbehalt der Bestimmungen über eigenmächtige Entziehung oder Störung des Besitzes.
ZGB sowie über eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs, die sie darin erblickt, dass die kantonalen Instanzen auf leere Behauptungen des Beschwerdegegners abgestellt hätten, während sie ihre Beweisanerbieten grundlos abgelehnt hätten.
a) Da ein ordentliches Prozessverfahren sich oft über längere Zeit erstreckt, kann es notwendig werden, schon
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vor Eintritt der Rechtskraft des Endurteils einer Partei vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren. Dieses Ziel verfolgen die einstweiligen Verfügungen oder vorsorglichen Massnahmen (GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht, 2. Aufl., S. 381). Ihrem Zweck entsprechend müssen diese rasch, ja unter Umständen schlagartig getroffen werden. Deshalb ist es nicht möglich, den Parteien beim Erlass einstweiliger Verfügungen den vollen Rechtsschutz eines ordentlichen Prozessverfahrens zu gewähren. Das geht umso eher an, als die vorsorglichen Massnahmen nur vorläufige Geltung haben und sie das Gericht im ordentlichen Verfahren in keiner Weise binden (GULDENER, a.a.O., S. 388 Ziff. IV; LEUCH, N. 3 zu Art 326
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 326 Neue Anträge, neue Tatsachen und neue Beweismittel - 1 Neue Anträge, neue Tatsachenbehauptungen und neue Beweismittel sind ausgeschlossen.
1    Neue Anträge, neue Tatsachenbehauptungen und neue Beweismittel sind ausgeschlossen.
2    Besondere Bestimmungen des Gesetzes bleiben vorbehalten.
ZPO). Die kantonalen Instanzen haben sich im vorliegenden Fall auf Art. 326 Ziff. 3 lit. a
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 326 Neue Anträge, neue Tatsachen und neue Beweismittel - 1 Neue Anträge, neue Tatsachenbehauptungen und neue Beweismittel sind ausgeschlossen.
1    Neue Anträge, neue Tatsachenbehauptungen und neue Beweismittel sind ausgeschlossen.
2    Besondere Bestimmungen des Gesetzes bleiben vorbehalten.
ZPO gestützt. Danach kann der Richter "als vorsorgliche Massnahme eine einstweilige Verfügung treffen, sofern ihm glaubhaft gemacht wird, dass der Erlass einer solchen sich aus einem der folgenden Gründe rechtfertigt:... (3.) zum Schutze von andern als auf Geld- oder Sicherheitsleistung gerichteten fälligen Rechtsansprüchen, wenn bei nicht sofortiger Erfüllung (a) ihre Vereitelung oder eine wesentliche Erschwerung ihrer Befriedigung zu befürchten ist". Diese Vorschrift begnügt sich demnach damit, dass der Anspruch und dessen Gefährdung glaubhaft gemacht wird. Das heisst einmal, dass der Richter nicht von der Richtigkeit der aufgestellten tatsächlichen Behauptungen überzeugt zu werden braucht, sondern dass es genügt, ihm auf Grund objektiver Anhaltspunkte (ZbJV 80 S. 416) den Eindruck einer gewissen Wahrscheinlichkeit für das Vorhandensein der in Frage kommenden Tatsachen zu vermitteln, ohne dass er dabei den Vorbehalt preisgeben müsste, dass die Verhältnisse sich auch anders gestalten könnten (vgl. GULDENER, a.a.O., S. 342 A. 24; JAEGER, N. 11 zu Art. 82
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 82 - 1 Beruht die Forderung auf einer durch öffentliche Urkunde festgestellten oder durch Unterschrift bekräftigten Schuldanerkennung, so kann der Gläubiger die provisorische Rechtsöffnung verlangen.
1    Beruht die Forderung auf einer durch öffentliche Urkunde festgestellten oder durch Unterschrift bekräftigten Schuldanerkennung, so kann der Gläubiger die provisorische Rechtsöffnung verlangen.
2    Der Richter spricht dieselbe aus, sofern der Betriebene nicht Einwendungen, welche die Schuldanerkennung entkräften, sofort glaubhaft macht.
SchKG; STEIN/JONAS/SCHÖNKE/POHLE, 18. Aufl., N. III/2 zu § 294 dZPO). Ob sich die "Glaubhaftmachung" auch auf die rechtliche Begründetheit des Anspruchs beziehe, ist
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umstritten. Während LEUCH (N. 3 zu Art. 326
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 326 Neue Anträge, neue Tatsachen und neue Beweismittel - 1 Neue Anträge, neue Tatsachenbehauptungen und neue Beweismittel sind ausgeschlossen.
1    Neue Anträge, neue Tatsachenbehauptungen und neue Beweismittel sind ausgeschlossen.
2    Besondere Bestimmungen des Gesetzes bleiben vorbehalten.
ZPO) die Annahme vertritt, der Richter habe "restlos" abzuklären, ob der Anspruch unter den glaubhaft gemachten tatsächlichen Voraussetzungen Bestand habe, neigt die Praxis dazu, um der erforderlichen Raschheit des Verfahrens willen sich (wenigstens in schwierigen Rechtsfragen) auf eine summarische Prüfung zu beschränken (vgl. ZR 47 Nr. 96 S. 214). b) Der als verletzt bezeichnete Art. 8
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet.
ZGB findet nur Anwendung auf die dem Bundesprivatrecht unterstehenden Rechte und Rechtsverhältnisse (BGE 79 II 405). Im Bereich ihres eigenen Rechts können die Kantone frei über die Beweislast befinden (BGE 82 II 127). Das gilt insbesondere für prozessrechtliche Entscheidungen wie den Erlass einstweiliger Verfügungen (KUMMER, N. 56 zu Art. 8
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet.
ZGB). Dass der bernische Gesetzgeber die in Art. 8
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet.
ZGB niedergelegten Grundsätze über die Folgen der Beweislosigkeit sinngemäss auch auf diesem Gebiet angewendet wissen wollte, hat die Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht. Entgegen ihren Einwendungen schliessen die Art. 930 ff
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 930 - 1 Vom Besitzer einer beweglichen Sache wird vermutet, dass er ihr Eigentümer sei.
1    Vom Besitzer einer beweglichen Sache wird vermutet, dass er ihr Eigentümer sei.
2    Für jeden früheren Besitzer besteht die Vermutung, dass er in der Zeit seines Besitzes Eigentümer der Sache gewesen ist.
. ZGB richterliche Sicherungsmassnahmen von der Art der einstweiligen Verfügung nicht aus. Die Eigentumsvermutung des Art. 930
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 930 - 1 Vom Besitzer einer beweglichen Sache wird vermutet, dass er ihr Eigentümer sei.
1    Vom Besitzer einer beweglichen Sache wird vermutet, dass er ihr Eigentümer sei.
2    Für jeden früheren Besitzer besteht die Vermutung, dass er in der Zeit seines Besitzes Eigentümer der Sache gewesen ist.
ZGB ist wie die Vermutung des guten Glaubens beim Erwerb einer beweglichen Sache (Art. 3 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 3 - 1 Wo das Gesetz eine Rechtswirkung an den guten Glauben einer Person geknüpft hat, ist dessen Dasein zu vermuten.
1    Wo das Gesetz eine Rechtswirkung an den guten Glauben einer Person geknüpft hat, ist dessen Dasein zu vermuten.
2    Wer bei der Aufmerksamkeit, wie sie nach den Umständen von ihm verlangt werden darf, nicht gutgläubig sein konnte, ist nicht berechtigt, sich auf den guten Glauben zu berufen.
, 714 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 714 - 1 Zur Übertragung des Fahrniseigentums bedarf es des Überganges des Besitzes auf den Erwerber.
1    Zur Übertragung des Fahrniseigentums bedarf es des Überganges des Besitzes auf den Erwerber.
2    Wer in gutem Glauben eine bewegliche Sache zu Eigentum übertragen erhält, wird, auch wenn der Veräusserer zur Eigentumsübertragung nicht befugt ist, deren Eigentümer, sobald er nach den Besitzesregeln im Besitze der Sache geschützt ist.
, 933
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 933 - Wer eine bewegliche Sache in gutem Glauben zu Eigentum oder zu einem beschränkten dinglichen Recht übertragen erhält, ist in seinem Erwerbe auch dann zu schützen, wenn sie dem Veräusserer ohne jede Ermächtigung zur Übertragung anvertraut worden war.
ZGB) widerlegbar. Dem kantonalen Prozessrecht ist es nicht versagt, dafür vorzusorgen, dass das Eigentum des Ansprechers im Falle des Unterliegens des Besitzers nicht gefährdet sei. c) (Ausführungen darüber, dass die Annahme, der Anspruch des Beschwerdegegners sei glaubhaft gemacht, nicht willkürlich ist.)
6. Die Beschwerdeführerin wirft den kantonalen Instanzen vor, sie hätten den Bestand der einstweiligen Verfügung entgegen Art. 330 Abs. 1
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 330 Stellungnahme der Gegenpartei - Das Gericht stellt das Revisionsgesuch der Gegenpartei zur Stellungnahme zu, es sei denn, das Gesuch sei offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet.
ZPO nicht davon abhängig gemacht, dass der Beschwerdegegner innert bestimmter Frist den Hauptprozess um das Eigentum an
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der Zeichnung anhebe. Das Plenum des Appellationshofs hat die entsprechende Eìnwendung abgewiesen mit der Begründung, der Beschwerdeführerin laufe eine Frist zur Einreichung einer Schadenersatzklage; in diesem Verfahren habe sie Gelegenheit, ihre Rechte am streitigen Bild darzutun; ausserdem stehe es ihr frei, gegen den Beschwerdegegner auf Feststellung ihres Eigentums an der Zeichnung zu klagen. Die Beschwerdeführerin ficht diese Stellungnahme als willkürlich an. Sie macht geltend, die Eigentumsvermutung der Art. 930 ff
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 930 - 1 Vom Besitzer einer beweglichen Sache wird vermutet, dass er ihr Eigentümer sei.
1    Vom Besitzer einer beweglichen Sache wird vermutet, dass er ihr Eigentümer sei.
2    Für jeden früheren Besitzer besteht die Vermutung, dass er in der Zeit seines Besitzes Eigentümer der Sache gewesen ist.
. ZGB wolle gerade diese prozessuale Schlechterstellung des Besitzers verhindern.
Diese Rüge ist begründet. Die Beschlagnahmung einer Sache beim Besitzer auf Grund der blossen Glaubhaftmachung des Eigentums des Gesuchstellers lässt sich nur rechtfertigen, wenn dafür gesorgt wird, dass dieser seinen Anspruch beförderlich vor dem ordentlichen Richter geltend macht (vgl. GULDENER, a.a.O., S. 388 A. 29). Art. 330 Abs. 1
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 330 Stellungnahme der Gegenpartei - Das Gericht stellt das Revisionsgesuch der Gegenpartei zur Stellungnahme zu, es sei denn, das Gesuch sei offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet.
der bernischen ZPO bestimmt in diesem Sinne, bei Erlass der einstweiligen Verfügung sei dem Gesuchsteller "gegebenenfalls" eine angemessene Frist anzusetzen, um den Hauptprozess anzuheben, ansonst die vorsorgliche Massnahme dahinfalle. Der Vorbehalt "gegebenenfalls" bringt nicht zum Ausdruck, dass es im freien Belieben des Richters stehe, ob er die Klagefrist ansetzen wolle oder nicht; er weist vielmehr auf Sonderfälle hin. Wie LEUCH (N. 1 zu Art. 330
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 330 Stellungnahme der Gegenpartei - Das Gericht stellt das Revisionsgesuch der Gegenpartei zur Stellungnahme zu, es sei denn, das Gesuch sei offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet.
ZPO) betont, ist die Klagefrist auch ohne Parteiantrag in allen Fällen anzusetzen "wo der Hauptprozess zur definitiven Entscheidung über den Anspruch des Gesuchstellers geboten erscheint und seitens des Gesuchsgegners erwartet werden darf"; eine Ausnahme ist nur dann zu machen, wenn es sich nicht mehr darum handeln kann, die durch die einstweilige Verfügung geschaffene Sachlage zu ändern, sondern der unterlegene Gesuchsgegner praktisch bloss noch Schadenersatz verlangen kann. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Die

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III. Zivilkammer des Appellationshofs erklärt im Dispositiv ihres Entscheids, das Bild werde im gerichtlichen Gewahrsam behalten "bis zum rechtskräftigen Entscheid über die Klage gegen die Erben des Fernand Léger auf Verschaffung des Eigentums an dieser Zeichnung". Dass dem Beschwerdegegner nicht gleichzeitig Frist zur Erhebung der Eigentumsklage angesetzt worden ist, hat zur Folge, dass der gerichtliche Gewahrsam unbestimmt lange aufrecht erhalten werden müsste oder die Beschwerdeführerin gezwungen wäre, ihrerseits den ordentlichen Prozess einzuleiten. Die erste Alternative verträgt sich schlechthin nicht mit der Natur einer vorsorglichen Massnahme, die stets zeitlich begrenzt sein muss; die zweite Alternative aber führt zu einer Vertauschung der Parteirollen, die der Eigentumsvermutung zuwiderläuft, auf welche die Beschwerdeführerin sich als Besitzerin des Bildes berufen kann. Da die Vermutung für ihr Eigentum an der Zeichnung spricht, hat sie Anspruch darauf, ihr Recht im Prozess verteidigen zu können; die Klage ist daher gegen sie zu richten. Im Verlauf des Hauptprozesses wird sich zeigen, ob zur Klärung präjudizieller Vorfragen gegen die Erben Léger vorgegangen werden müsse und ob der Hauptprozess bis zum Ausgang dieses Verfahrens zu sistieren sei. Die angefochtenen Entscheide sind demgemäss insofern willkürlich, als sie dem Beschwerdegegner keine Frist zur Anhebung des Hauptprozesses gegen die Beschwerdeführerin ansetzen und sie ihm für den Unterlassungsfall nicht das Dahinfallen der einstweiligen Verfügung androhen. Sie sind in diesem Punkte als verfassungswidrig aufzuheben.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 88 I 11
Date : 11. April 1962
Published : 31. Dezember 1963
Source : Bundesgericht
Status : 88 I 11
Subject area : BGE - Verfassungsrecht
Subject : Art. 4 BV. Rechtliches Gehör. Bei der Anordnung vorsorglicher Massnahmen braucht den Parteien nicht der volle Rechtsschutz


Legislation register
BV: 4
SchKG: 82
ZGB: 3  8  714  930  932  933
ZPO: 326  330  332  359
BGE-register
79-II-401 • 82-II-120 • 88-I-11
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