88 I 11
3. Auszug aus dem Urteil vom 11. April 1962 i.S. Ziegler gegen Grosclaude und Appellationshof des Kantons Bern.
Regeste (de):
- Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
- Bei der Anordnung vorsorglicher Massnahmen braucht den Parteien nicht der volle Rechtsschutz eines ordentlichen Prozessverfahrens gewährt zu werden. Anforderungen an die Glaubhaftmachungdes Anspruchs des Gesuchstellers (Erw. 5 a). Beweislastverteilung (Erw. 5 b). Fristansetzung zur Anhebung des ordentlichen Prozesses (Erw. 6).
Regeste (fr):
- Art. 4 Cst. Droit d'être entendu.
- Lorsque des mesures provisionnelles sont ordonnées, il n'est pas nécessaire que les parties jouissent de toutes les garanties de la procédure ordinaire. Exigences relatives à la vraisemblance de la prétention du requérant (consid. 5 a). Répartition du fardeau de la preuve (consid. 5 b). Fixation d'un délai pour introduire le procès ordinaire (consid. 6).
Regesto (it):
- Art. 4 CF. Diritto di essere sentito.
- Nell'ordinare misure provvisionali, non occorre assicurare alle parti tutte le garanzie previste dalla procedura ordinaria. Presupposti per ammettere la verosimiglianza della pretesa dell'istante (consid. 5 a). Ripartizione dell'onere della prova (consid. 5 b). Fissazione di un termine per promuovere il processo ordinario (consid. 6).
Sachverhalt ab Seite 12
BGE 88 I 11 S. 12
Aus dem Tatbestand:
Der Verleger Dr. Louis Grosclaude schloss am 28. Januar 1948 in Paris mit dem Kunstmaler Fernand Léger einen Vertrag, worin dieser sich verpflichtete, Illustrationen zum Buch "Les Illuminations" von Arthur Rimbaud auszuführen. Der Vertrag bestimmt im letzten Absatz: "Tous les droits concernant l'édition et l'illustration appartiennent sans restriction à l'éditeur. Les esquisses préalables avant l'illustration définitive, seront la propriété de l'éditeur". Léger starb im Jahre 1955. Sein Nachlass gelangte an die Erben. Die Kunsthandlung Klipstein & Kornfeld in Bern veranstaltete am 9. und 10. Juni 1961 eine Auktion, worin unter anderm das Original von Légers Umschlagsentwurf zum genannten Buch im Auftrag der Zürcher Galerieinhaberin Renée Ziegler versteigert werden sollte. Als Grosclaude durch den Auktionskatalog davon Kenntnis erhielt, meldete er gestützt auf den erwähnten Vertrag seinen Anspruch auf die Zeichnung an; er verlangte auf Grund von Art. 326 Ziff. 3
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hiess das Gesuch gut, nahm das Bild gegen Leistung einer Sicherheit von Fr. 5'000.-- durch Grosclaude in gerichtlichen Gewahrsam und setzte Renée Ziegler eine Frist von zwei Monaten an, um im Sinne von Art. 332
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Eine Nichtigkeitsklage im Sinne des Art. 359
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Erwägungen
Aus den Erwägungen:
5. Die Beschwerdeführerin ficht die Annahme der kantonalen Instanzen, der Beschwerdegegner habe einen Anspruch auf die streitige Zeichnung glaubhaft gemacht, als willkürlich an. Sie beklagt sich über eine Missachtung der Art. 8
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a) Da ein ordentliches Prozessverfahren sich oft über längere Zeit erstreckt, kann es notwendig werden, schon
BGE 88 I 11 S. 14
vor Eintritt der Rechtskraft des Endurteils einer Partei vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren. Dieses Ziel verfolgen die einstweiligen Verfügungen oder vorsorglichen Massnahmen (GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht, 2. Aufl., S. 381). Ihrem Zweck entsprechend müssen diese rasch, ja unter Umständen schlagartig getroffen werden. Deshalb ist es nicht möglich, den Parteien beim Erlass einstweiliger Verfügungen den vollen Rechtsschutz eines ordentlichen Prozessverfahrens zu gewähren. Das geht umso eher an, als die vorsorglichen Massnahmen nur vorläufige Geltung haben und sie das Gericht im ordentlichen Verfahren in keiner Weise binden (GULDENER, a.a.O., S. 388 Ziff. IV; LEUCH, N. 3 zu Art 326
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BGE 88 I 11 S. 15
umstritten. Während LEUCH (N. 3 zu Art. 326
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6. Die Beschwerdeführerin wirft den kantonalen Instanzen vor, sie hätten den Bestand der einstweiligen Verfügung entgegen Art. 330 Abs. 1
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BGE 88 I 11 S. 16
der Zeichnung anhebe. Das Plenum des Appellationshofs hat die entsprechende Eìnwendung abgewiesen mit der Begründung, der Beschwerdeführerin laufe eine Frist zur Einreichung einer Schadenersatzklage; in diesem Verfahren habe sie Gelegenheit, ihre Rechte am streitigen Bild darzutun; ausserdem stehe es ihr frei, gegen den Beschwerdegegner auf Feststellung ihres Eigentums an der Zeichnung zu klagen. Die Beschwerdeführerin ficht diese Stellungnahme als willkürlich an. Sie macht geltend, die Eigentumsvermutung der Art. 930 ff
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Diese Rüge ist begründet. Die Beschlagnahmung einer Sache beim Besitzer auf Grund der blossen Glaubhaftmachung des Eigentums des Gesuchstellers lässt sich nur rechtfertigen, wenn dafür gesorgt wird, dass dieser seinen Anspruch beförderlich vor dem ordentlichen Richter geltend macht (vgl. GULDENER, a.a.O., S. 388 A. 29). Art. 330 Abs. 1
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III. Zivilkammer des Appellationshofs erklärt im Dispositiv ihres Entscheids, das Bild werde im gerichtlichen Gewahrsam behalten "bis zum rechtskräftigen Entscheid über die Klage gegen die Erben des Fernand Léger auf Verschaffung des Eigentums an dieser Zeichnung". Dass dem Beschwerdegegner nicht gleichzeitig Frist zur Erhebung der Eigentumsklage angesetzt worden ist, hat zur Folge, dass der gerichtliche Gewahrsam unbestimmt lange aufrecht erhalten werden müsste oder die Beschwerdeführerin gezwungen wäre, ihrerseits den ordentlichen Prozess einzuleiten. Die erste Alternative verträgt sich schlechthin nicht mit der Natur einer vorsorglichen Massnahme, die stets zeitlich begrenzt sein muss; die zweite Alternative aber führt zu einer Vertauschung der Parteirollen, die der Eigentumsvermutung zuwiderläuft, auf welche die Beschwerdeführerin sich als Besitzerin des Bildes berufen kann. Da die Vermutung für ihr Eigentum an der Zeichnung spricht, hat sie Anspruch darauf, ihr Recht im Prozess verteidigen zu können; die Klage ist daher gegen sie zu richten. Im Verlauf des Hauptprozesses wird sich zeigen, ob zur Klärung präjudizieller Vorfragen gegen die Erben Léger vorgegangen werden müsse und ob der Hauptprozess bis zum Ausgang dieses Verfahrens zu sistieren sei. Die angefochtenen Entscheide sind demgemäss insofern willkürlich, als sie dem Beschwerdegegner keine Frist zur Anhebung des Hauptprozesses gegen die Beschwerdeführerin ansetzen und sie ihm für den Unterlassungsfall nicht das Dahinfallen der einstweiligen Verfügung androhen. Sie sind in diesem Punkte als verfassungswidrig aufzuheben.