86 IV 19
7. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 26. Februar 1960 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt gegen X. und Y.
Regeste (de):
- 1. Art. 204 Ziff. 1 Abs. 3
StGB. Auch bei Werken der Kunst kommt es darauf an, ob die Darstellung auf den unbefangenen Betrachter unzüchtig wirke; Umstände, welche die Wirkung eines Kunstwerkes beeinflussen können (Erw. 1 und 2).
- 2. Art. 261 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 261 - Wer öffentlich und in gemeiner Weise die Überzeugung anderer in Glaubenssachen, insbesondere den Glauben an Gott, beschimpft oder verspottet oder Gegenstände religiöser Verehrung verunehrt,
Regeste (fr):
- 1. Art. 204 ch. 1 al. 3 CP. Même lorsqu'il s'agit d'oeuvres d'art, il faut examiner si la représentation apparaît obscène au spectateur non prévenu; circonstances qui peuvent influer sur l'effet produit par une oeuvre d'art (consid. 1 et 2).
- 2. Art. 261 al. 1 CP. L'expression "de façon vile" se réfère à un comportement objectif et signifie que l'atteinte aux convictions religieuses d'autrui doit être grave (consid. 3 à 5).
Regesto (it):
- 1. Art. 204 num. 1, cp. 3, CP. Anche qualora si tratti di opere d'arte, occorre esaminare se la rappresentazione appare oscena allo spettatore non avvertito; circostanze atte a influire sull'effetto prodotto da un'opera d'arte (consid. 1 e 2).
- 2. Art. 261 cp. 1 CP. L'espressione di "in modo abietto" si riferisce a un comportamento oggettivo e significa che l'offesa alle convinzioni religiose altrui dev'essere grave (consid. 3 a 5).
Erwägungen ab Seite 19
BGE 86 IV 19 S. 19
Aus den Erwägungen:
1. Art. 204 Ziff. 1 Abs. 3
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Diese Begriffsbestimmung gilt für alle öffentlichen Darstellungen ohne Ausnahme. Auch die Kunst untersteht dem allgemeinen Gebot des Art. 204, und es kommt daher bei künstlerischen Veröffentlichungen ebenfalls auf die Wirkung an, welche die Darstellung auf den unbefangenen Beschauer hat. Besondere Umstände, welche die Wirkung eines Kunstwerkes beeinflussen können, sind bei dessen
BGE 86 IV 19 S. 20
Beurteilung zu berücksichtigen. In Betracht fällt, dass der nackte menschliche Körper von jeher Gegenstand der bildenden Künste war und dass die Öffentlichkeit in Kunstausstellungen und Museen an der Darstellung des Nackten an sich keinen Anstoss nimmt. Sodann ist in Rechnung zu stellen, dass auch der Grad der künstlerischen Vollendung eine Rolle spielen kann; selbst bei einem Werk, das einen Vorgang geschlechtlicher Art zur Darstellung bringt, kann die aesthetische Wirkung so überwiegen, dass das Bild seinen unzüchtigen Charakter durch die künstlerische Gestaltung verliert. Bei solcher Betrachtungsweise bleibt der Kunst die Freiheit künstlerischen Gestaltens gewahrt. Dieses Ergebnis entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, der die Kunst den in Art. 204 gesetzten Schranken der öffentlichen Sittlichkeit in geschlechtlichen Dingen unterwerfen, das Kunstschaffen aber nicht beengen wollte (vgl. Botschaft des Bundesrates zum Bundesgesetz über die Bekämpfung der unzüchtigen Veröffentlichungen vom 30. September 1925, BBl 1924 III 1026; Votum Gautier, Prot. 2. Exp. Komm., Bd. 3 S. 267). Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegner sind aber die Absichten und Vorstellungen des Künstlers nicht ausschlaggebend. Weder genügt für die Strafbarkeit, dass der Hersteller des Bildes unzüchtige Zwecke verfolgte, noch entschuldigt ihn, dass er in einwandfreier Absicht handelte. Massgebend ist, ob die Darstellung ihrem Inhalte nach, d.h. durch das, was im Bilde erkennbar zum Ausdruck gebracht wird, objektiv geeignet ist, unzüchtig zu wirken (RITTLER, ZStR 47 S. 88; SCHÖNKE/SCHRÖDER, Kommentar zu § 184 DStGB S. 697). Das ist auch der Sinn von Art. 204
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 261 - Wer öffentlich und in gemeiner Weise die Überzeugung anderer in Glaubenssachen, insbesondere den Glauben an Gott, beschimpft oder verspottet oder Gegenstände religiöser Verehrung verunehrt, |
BGE 86 IV 19 S. 21
Ordnung wäre übrigens unhaltbar; der Nachweis der unzüchtigen Absicht wäre namentlich auf dem Gebiete der Kunst schwierig zu erbringen, und er müsste auch immer dann scheitern, wenn der Urheber eines unzüchtigen Bildes ein ideales Ziel anstrebte, es aber nicht wirksam genug zum Ausdruck zu bringen vermochte. Der Schutzzweck des Art. 204
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2. Im Bild der gekreuzigten Frau steht unverkennbar das Sexuelle im Vordergrund. Es tritt betont in Erscheinung durch die im Zentrum des Bildes wiedergegebene weibliche Scham, die zwar in Halbdunkel gehüllt, aber in ihren Umrissen deutlich sichtbar ist, und ferner durch die gespreizten Oberschenkel, deren Stellung den Blick des Betrachters zwangsläufig auf die Geschlechtspartie lenkt und den Eindruck einer zum Geschlechtsakt bereiten Frau erweckt. Insofern wirrkt die Darstellung obszön. Die unzüchtige Wirrkung ist jedoch nicht eine ausgeprägte. Ob dies auf die Art der künstlerischen Gestaltung zurückzuführen sei, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls lassen
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Gesichtsausdruck und übrige Körperhaltung der Nackten nicht eine wollüstige Empfindung erkennen, und auch sonst enthält das Bild keinerlei Hinweis auf das Geschlechtliche oder eine Anspielung auf einen Liebesvorgang. Ausserdem kommt die Idee der leidenden Frau, welche X. vorgeschwebt hat, wenigstens andeutungsweise zum Ausdruck, wenn auch nicht in den eher nichtssagenden Gesichtszügen der Abgebildeten, so doch in der dargestellten Kreuzigung. Gesamthaft betrachtet und unter Berücksichtigung, dass Nacktdarstellungen als solche das gesunde Schamgefühl Erwachsener nicht verletzen, wirkt das Bild der gekreuzigten Frau nicht in einem Grade anstössig, dass es in nicht leicht zu nehmender Weise gegen den geschlechtlichen Anstand verstiesse; es ist demnach nicht unzüchtig im Sinne des Art. 204
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3. Nach Art. 261 Abs. 1
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BGE 86 IV 19 S. 23
in Glaubenssachen, insbesondere den Glauben an Gott, beschimpft oder verspottet oder Gegenstände religiöser Verehrung verunehrt. Geschütztes Rechtsgut ist die Glaubensfreiheit, genauer die Achtung vor dem Mitmenschen und seiner Überzeugung in religiösen Dingen und damit gleichzeitig auch der religiöse Friede. Gegenüber der religiösen Überzeugung anderer hat sich auch der Künstler an die allgemeinen Schranken des Gesetzes zu halten. Wenn bei der Anwendung von Art. 204
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 261 - Wer öffentlich und in gemeiner Weise die Überzeugung anderer in Glaubenssachen, insbesondere den Glauben an Gott, beschimpft oder verspottet oder Gegenstände religiöser Verehrung verunehrt, |
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4. Das Appellationsgericht sprach die Angeklagten vom Tatbestand des Art. 261 Abs. 1
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 149 - Wer sich in einem Gastgewerbebetrieb beherbergen, Speisen oder Getränke vorsetzen lässt oder andere Dienstleistungen beansprucht und den Betriebsinhaber um die Bezahlung prellt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 145 - Der Schuldner, der in der Absicht, seinen Gläubiger zu schädigen, diesem eine als Pfand oder Retentionsgegenstand dienende Sache entzieht, eigenmächtig darüber verfügt, sie beschädigt, zerstört, entwertet oder unbrauchbar macht, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 231 - Wer aus gemeiner Gesinnung eine gefährliche übertragbare menschliche Krankheit verbreitet, wird mit Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren bestraft. |
BGE 86 IV 19 S. 24
Lohner, der sich widersetzte, vertrat die Auffassung, dass mehr der Schutz des Rechtsgutes als der verbrecherische Wille des Täters in den Vordergrund zu stellen sei, und er beantragte deshalb, statt boshaft oder böswillig die Worte "in gemeiner Weise" einzufügen. In diesem Sinne wurde einstimmig beschlossen (Prot. 2. Exp. Kommission, Bd. 4 S. 312/3, 326, 332). In der Tat wäre es unbefriedigend und mit dem Zweckgedanken des Art. 261 Abs. 1 schlecht vereinbar, wenn gemeine Gotteslästerung oder Religionsverhöhnung deswegen straflos bleiben müsste, weil der Täter aus "ehrlicher" Überzeugung gehandelt hat.
Mit dem Merkmal "in gemeiner Weise" wollte lediglich verhindert werden, dass schon sachliche Kritik als Beschimpfung oder Verspottung gelte und jede geringfügige Übermarchung strafrechtlich verfolgt werde. Der Ausdruck bedeutet somit nichts anderes, als dass die Verletzung eine gewisse Schwere erreichen, die Glaubensbeschimpfung eine grobe sein muss (SCHWANDER, Freiburger Veröffentlichungen, Bd. 12, S. 109). Ob dieses Mass erfüllt sei, ist nach den Umständen, insbesondere nach dem Durchschnittsempfinden der Anhänger des angegriffenen Glaubens zu beurteilen.
5. Im vorliegenden Falle sind die Merkmale des Art. 261 Abs. 1
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 261 - Wer öffentlich und in gemeiner Weise die Überzeugung anderer in Glaubenssachen, insbesondere den Glauben an Gott, beschimpft oder verspottet oder Gegenstände religiöser Verehrung verunehrt, |
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 261 - Wer öffentlich und in gemeiner Weise die Überzeugung anderer in Glaubenssachen, insbesondere den Glauben an Gott, beschimpft oder verspottet oder Gegenstände religiöser Verehrung verunehrt, |
BGE 86 IV 19 S. 25
dargestellte Frau keine Dornenkrone trägt und ans Kreuz gebunden statt genagelt ist, hebt die religiöse Gedankenverbindung nicht auf. Ebenso ist unerheblich, dass für die Inschrift am Kreuz nicht die üblichen Buchstaben INRI oder IHS verwendet wurden; die angebrachten Schriftzeichen IMP sind ähnlich und ohne weiteres geeignet, an Christus zu erinnern und das Frauenbild mit dem gekreuzigten Heiland in Zusammenhang zu bringen.