86 IV 132
34. Entscheid der Anklagekammer vom 28. Juni 1960 i.S. Hufschmid gegen Verhöramt Nidwalden, sowie Staatsanwaltschaften der Kantone Solothurn und Aargau.
Regeste (de):
- Art. 264
BStP; Art. 351
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 351 - 1 Das Bundesamt für Polizei vermittelt kriminalpolizeiliche Informationen zur Verfolgung von Straftaten und zur Vollstreckung von Strafen und Massnahmen.
1 Das Bundesamt für Polizei vermittelt kriminalpolizeiliche Informationen zur Verfolgung von Straftaten und zur Vollstreckung von Strafen und Massnahmen. 2 Es kann kriminalpolizeiliche Informationen zur Verhütung von Straftaten übermitteln, wenn auf Grund konkreter Umstände mit der grossen Wahrscheinlichkeit eines Verbrechens oder Vergehens zu rechnen ist. 3 Es kann Informationen zur Suche nach Vermissten und zur Identifizierung von Unbekannten vermitteln. 4 Zur Verhinderung und Aufklärung von Straftaten kann das Bundesamt für Polizei von Privaten Informationen entgegennehmen und Private orientieren, wenn dies im Interesse der betroffenen Personen ist und deren Zustimmung vorliegt oder nach den Umständen vorausgesetzt werden kann. - 1. Gesuchsberechtigung des Antragstellers (Erw. 1 lit. a) und des Anzeigers (Erw. 1 lit. b).
- 2. Halten sich die Strafbehörden eines Kantons zur Verfolgung eines Offizialdeliktes für örtlich unzuständig, so haben sie mit den Behörden des für zuständig erachteten Kantons in Verbindung zu treten. Lehnen auch diese die Zuständigkeit ab, so ist nach Art. 264
BStP von Amtes wegen die Anklagekammerdes Bundesgerichtes um Bestimmung des Gerichtsstandes anzugehen (Erw. 2).
Regeste (fr):
- Art. 264 PPF; art. 351 CP.
- 1. Qualité du plaignant (consid. 1 lit. a) et du dénonciateur (consid. 1 lit. b) pour former la requête.
- 2. Lorsque les autorités pénales d'un canton s'estiment incompétentes ratione loci, s'agissant d'un délit qui se poursuit d'office, elles doivent se mettre en rapport avec les autorités du canton qu'elles tiennent pour compétentes. Lorsque celles-ci déclinent aussi leur compétence, il faut d'office requérir la Chambre d'accusation du Tribunal fédéral, selon l'art. 264 PPF, de déterminer le for (consid. 2).
Regesto (it):
- Art. 264 PPF; art. 351 CP.
- 1. Qualità del querelante (consid. 1 lett. a) e del denunciante (consid. 1 lett. b) per presentare l'istanza.
- 2. Quando le autorità penali di un Cantone si ritengono incompetenti ratione loci, trattandosi di un delitto perseguibile d'ufficio, esse devono mettersi in relazione con le autorità del Cantone che considerano competenti. Se anche queste si giudicano incompetenti, occorre chiedere d'ufficio alla Camera d'accusa del Tribunale federale di designare il foro secondo l'art. 264 PPF (consid. 2).
Sachverhalt ab Seite 133
BGE 86 IV 132 S. 133
A.- Stähelin reichte Ende 1956 beim Polizeikommando in Aarau und im Frühling 1960 beim Polizeiposten Trimbach (SO) gegen Hufschmid Strafanzeigen ein. Mit der ersten bezichtigte er ihn des Betruges, mit der zweiten des Diebstahls. Da Stähelin als Tatorte Stansstad und Ennetbürgen angab, wurden die Anzeigen an das Verhöramt Nidwalden weiter geleitet, das daraufhin im Jahre 1956 gegen Hufschmid eine Strafuntersuchung wegen Betruges durchführte und im Jahre 1960 ein Ermittlungsverfahren wegen Diebstahls einleitete.
Am 15. Juni 1960 verzeigte Hufschmid seinerseits Stähelin beim Verhöramt Nidwalden wegen falscher Anschuldigung. Zur Begründung machte er geltend, Stähelin habe ihn durch die in Aarau und Trimbach eingereichten Strafanzeigen wider besseres Wissen des Betruges bzw. des Diebstahls beschuldigt.
B.- Das Verhöramt Nidwalden wies am 20. Juni 1960 die von Hufschmid erhobene Strafklage von der Hand, weil es die örtliche Zuständigkeit der nidwaldnischen Behörden verneinte; Stähelin habe die Anzeigen, derentwegen
BGE 86 IV 132 S. 134
ihn Hufschmid der falschen Anschuldigung bezichtige, in Aarau und Trimbach eingereicht, weshalb er wegen des allenfalls dadurch verübten Verbrechens des Art. 303
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 303 - 1. Wer einen Nichtschuldigen wider besseres Wissen bei der Behörde eines Verbrechens oder eines Vergehens beschuldigt, in der Absicht, eine Strafverfolgung gegen ihn herbeizuführen, |
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1 | Wer einen Nichtschuldigen wider besseres Wissen bei der Behörde eines Verbrechens oder eines Vergehens beschuldigt, in der Absicht, eine Strafverfolgung gegen ihn herbeizuführen, |
2 | Betrifft die falsche Anschuldigung eine Übertretung, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe. |
C.- Mit Eingabe vom 24. Juni 1960 stellt Hufschmid bei der Anklagekammer des Bundesgerichtes das Gesuch, das Verhöramt Nidwalden sei anzuweisen, die gegen Stähelin erhobene Strafklage wegen falscher Anschuldigung an die Hand zu nehmen; eventuell habe die Anklagekammer festzustellen, welcher der Kantone Nidwalden, Aargau und Solothurn mit der Sache zu befassen sei.
Erwägungen
Die Anklagekammer zieht in Erwägung:
1. a) Durch Verfügung vom 20. Juni 1960 wies das Verhöramt des Kantons Nidwalden die Strafklage, die Hufschmid bei ihm gegen Stähelin erhoben hatte, von der Hand, weil es die örtliche Zuständigkeit der nidwaldnischen Behörden verneinte. In einem solchen Falle ist nach der durchBGE 78 IV 250Erw. 2 eingeleiteten Rechtsprechung auch der Antragsteller berechtigt, wegen des Gerichtsstandes die Anklagekammer des Bundesgerichtes anzurufen, obwohl Art. 264
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 303 - 1. Wer einen Nichtschuldigen wider besseres Wissen bei der Behörde eines Verbrechens oder eines Vergehens beschuldigt, in der Absicht, eine Strafverfolgung gegen ihn herbeizuführen, |
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1 | Wer einen Nichtschuldigen wider besseres Wissen bei der Behörde eines Verbrechens oder eines Vergehens beschuldigt, in der Absicht, eine Strafverfolgung gegen ihn herbeizuführen, |
2 | Betrifft die falsche Anschuldigung eine Übertretung, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe. |
BGE 86 IV 132 S. 135
in Betracht kommen, hat bisher einzig Nidwalden zur Frage des Gerichtsstandes Stellung genommen. Die Behörden der Kantone Aargau und Solothurn, die Hufschmid neben Nidwalden als zur Anhandnahme der Untersuchung berechtigt und verpflichtet erachtet, sind weder durch den Anzeiger noch durch das Verhöramt Nidwalden veranlasst worden, sich darüber auszusprechen, ob sie sich in diesem Falle als zuständig erachten. c) Dem Begehren, es sei der zur Verfolgung und Beurteilung Stähelins zuständige Kanton zu bezeichnen, ist daher, weil Hufschmid (wenigstens vorderhand) die Berechtigung zur Anrufung der Anklagekammer fehlt, keine Folge zu geben.
2. Damit kann es indessen nicht sein Bewenden haben. Da Stähelin ein Offizialdelikt vorgeworfen wird und das Verhöramt Nidwalden die Anschuldigung offenbar nicht von vorneherein als unbegründet hielt, hätte es sich nicht darauf beschränken dürfen, die Sache wegen örtlicher Unzuständigkeit von der Hand zu weisen. In einem solchen Falle hat die Strafbehörde, bei der die Anzeige eingereicht wird, dem Offizialcharakter des in Frage stehenden Deliktes und der interkantonalen Rechtshilfepflicht in eidgenössischen Strafsachen (Art. 352
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 352 - 1 Der Austausch kriminalpolizeilicher Informationen richtet sich nach den Grundsätzen des Rechtshilfegesetzes vom 20. März 1981539 sowie nach den vom Bundesrat als anwendbar erklärten Statuten und Reglementen von INTERPOL. |
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1 | Der Austausch kriminalpolizeilicher Informationen richtet sich nach den Grundsätzen des Rechtshilfegesetzes vom 20. März 1981539 sowie nach den vom Bundesrat als anwendbar erklärten Statuten und Reglementen von INTERPOL. |
2 | Für den Austausch von Informationen zur Suche nach Vermissten, zur Identifizierung von Unbekannten und zu administrativen Zwecken gilt das DSG540.541 |
3 | Das Bundesamt für Polizei kann den Zentralbüros anderer Staaten Informationen direkt vermitteln, wenn der Empfängerstaat den datenschutzrechtlichen Vorschriften von INTERPOL untersteht. |
BGE 86 IV 132 S. 136
Erw. 1; BGE 83 IV 116), was keine förmliche Entscheidung der kantonalen Behörden voraussetzt (BGE 78 IV 250Erw. 1). Dieser Meinungsaustausch ist noch nachzuholen. Führt er dazu, dass neben dem Verhöramt Nidwalden auch die Kantone Aargau und Solothurn die Zuständigkeit ablehnen, so ist, wie erwähnt, nach Art. 264
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Dispositiv
Demnach erkennt die Anklagekammer:
1. Auf das Gesuch wird zur Zeit nicht eingetreten.
2. Das Verhöramt Nidwalden wird angewiesen, über die Frage, in welchem Kanton Stähelin für die ihm zur Last gelegten strafbaren Handlungen zu verfolgen und zu beurteilen sei, mit den Staatsanwaltschaften der Kantone Aargau und Solothurn einen Meinungsaustausch zu eröffnen.