81 IV 13
2. Urteil des Kassationshofes vom 29. März 1955 i.S. Statthalteramt Winterthur gegen Neuhäusler.
Regeste (de):
- Art. 31 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 31 - Das Antragsrecht erlischt nach Ablauf von drei Monaten. Die Frist beginnt mit dem Tag, an welchem der antragsberechtigten Person der Täter bekannt wird.
- Die Strafverfügung des Statthalteramtes nach zürcherischem Recht in Übertretungssachen ist Urteil erster Instanz.
Regeste (fr):
- Art. 31 al. 1 CP.
- Sont des jugements de première instance les décisions pénales que, selon le droit zurichois, les préfets rendent en matière de contraventions.
Regesto (it):
- Art. 31 cp. 1 CP.
- Sono sentenze di prima instanza le decisioni penali che i prefetti emanano in materia di contravvenzioni secondo il diritto zurigano.
Sachverhalt ab Seite 13
BGE 81 IV 13 S. 13
A.- Am 2. Juli 1954 beantragte Erwin Deiss bei der Kantonspolizei in Winterthur, Bernhard Neuhäusler sei wegen Tätlichkeiten zu bestrafen, weil er am betreffenden Tage mit dem Schuh gegen den Antragsteller geschlagen und ihn ins Gesicht getroffen habe. Nachdem die Polizei Neuhäusler angehört und dem Statthalteramt Winterthur Bericht erstattet hatte, verfällte dieses den Beschuldigten am 25. August 1954 in Anwendung des Art. 126

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 126 - 1 Wer gegen jemanden Tätlichkeiten verübt, die keine Schädigung des Körpers oder der Gesundheit zur Folge haben, wird, auf Antrag, mit Busse bestraft. |
BGE 81 IV 13 S. 14
Beurteilung. Am 25. Oktober 1954 fand vor dem Einzelrichter des Bezirksgerichtes Winterthur die Hauptverhandlung statt. Da Neuhäusler sich am 29. Oktober 1954 mit Deiss verglich und letzterer den Strafantrag zurückzog, schrieb der Einzelrichter am 30. Oktober 1954 den Prozess als erledigt ab.
B.- Das Statthalteramt Winterthur führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, die Verfügung des Einzelrichters sei aufzuheben und die Strafverfügung des Statthalteramtes zu bestätigen, eventuell die Sache zum Entscheid über den Bestand dieser Strafverfügung an den Einzelrichter zurückzuweisen. Zur Begründung wird geltend gemacht, die Strafverfügung des Statthalteramtes sei Urteil erster Instanz im Sinne des Art. 31

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 31 - Das Antragsrecht erlischt nach Ablauf von drei Monaten. Die Frist beginnt mit dem Tag, an welchem der antragsberechtigten Person der Täter bekannt wird. |
C.- Neuhäusler und der Einzelrichter beantragen, die Beschwerde sei abzuweisen. Sie machen geltend, nach § 346 zürch. StPO sei ein Rekurs gegen Bussenverfügungen der Polizeibehörden nicht zulässig, dagegen könne der Gebüsste binnen zehn Tagen, von der Eröffnung des Entscheides an gerechnet, gerichtliche Beurteilung der Sache verlangen. In diesem Begehren liege nicht die Ergreifung eines Rechtsmittels, vielmehr enthalte es lediglich das Verlangen, das administrative durch das gerichtliche Verfahren zu ersetzen. Daher stünden die Gerichte der Bussenverfügung unabhängig gegenüber. Die Polizeiverfügung trete an die Stelle der Anklageschrift. Demzufolge amte der Einzelrichter als erst- und letztinstanzlich urteilende Gerichtsinstanz. Er sei deshalb befugt gewesen, den Rückzug des Strafantrages entgegenzunehmen und den Prozess als erledigt abzuschreiben.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. Der Berechtigte kann seinen Strafantrag nur zurückziehen, solange das Urteil erster Instanz noch nicht verkündet ist (Art. 31 Abs. 1

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 31 - Das Antragsrecht erlischt nach Ablauf von drei Monaten. Die Frist beginnt mit dem Tag, an welchem der antragsberechtigten Person der Täter bekannt wird. |
BGE 81 IV 13 S. 15
Urteil im Sinne dieser Bestimmung ist jeder Entscheid der zuständigen Behörde, der verbindlich darüber erkennt, ob der Beschuldigte sich einer strafbaren Handlung schuldig gemacht hat, und der gegebenenfalls die Rechtsfolgen bestimmt, die diese Handlung nach sich zieht (BGE 78 IV 151). Wenn die Kantone, wie in Übertretungssachen (Art. 345 Ziff. 1 Abs. 2

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 31 - Das Antragsrecht erlischt nach Ablauf von drei Monaten. Die Frist beginnt mit dem Tag, an welchem der antragsberechtigten Person der Täter bekannt wird. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 84 - 1 Der Gefangene hat das Recht, Besuche zu empfangen und mit Personen ausserhalb der Anstalt Kontakt zu pflegen. Der Kontakt mit nahe stehenden Personen ist zu erleichtern. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 31 - Das Antragsrecht erlischt nach Ablauf von drei Monaten. Die Frist beginnt mit dem Tag, an welchem der antragsberechtigten Person der Täter bekannt wird. |
2. Nach dieser Rechtsprechung, deren Erwägungen durch die Ausführungen des Beschwerdegegners und des Einzelrichters nicht erschüttert werden, liegt in der Strafverfügung des Statthalteramtes Winterthur vom 25. August 1954 das Urteil erster Instanz. Eine Tätlichkeit, wie der Beschwerdeführer sie begangen haben soll, ist wahlweise mit Haft und Busse bedroht (Art. 126

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 126 - 1 Wer gegen jemanden Tätlichkeiten verübt, die keine Schädigung des Körpers oder der Gesundheit zur Folge haben, wird, auf Antrag, mit Busse bestraft. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 101 - 1 Keine Verjährung tritt ein für: |
BGE 81 IV 13 S. 16
der schon vor der Polizei zu Worte gekommen war, nicht nochmals verhört hat, ist unerheblich. Der Begriff des Urteils setzt nicht voraus, dass der Richter oder die entscheidende Verwaltungsbehörde den Beschuldigten einvernommen habe, genügt doch sogar unter dem Gesichtspunkt des Art. 4

SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
BGE 81 IV 13 S. 17
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, die Verfügung des Einzelrichters des Bezirksgerichtes Winterthur vom 30. Oktober 1954 aufgehoben und die Sache zur Beurteilung an den Einzelrichter zurückgewiesen.