S. 337 / Nr. 56 Familienrecht (d)

BGE 79 II 337

56. Auszug aus dem Urteil der Il. Zivilabteilung vom 2. Juli 1953 i. S.
Eheleute X.


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Regeste:
Ehescheidung.
Die «separazione consensuale» des italienischen Rechts kann nicht zu einer
Scheidung gemäss Art. 147 /148 ZGB führen.
Tiefe Zerrüttung. Verschulden und «objektive» Ursachen (Art. 142 Abs. 2 ZGB).
Divorce.
La «separazione consensuale» du droit italien ne peut conduire au divorce
selon les art. 147/148 CC.
Atteinte profonde du lien conjugal. Faute et causes «objectives» (art. 142 al.
2 CC).
Divorzio.
La «separazione consensuale» del diritto italiano non può condurre al divorzio
giusta gli art. 147/148 CC.
Turbazione profonda delle relazioni coniugali. Colpa e cause «oggettive» (art.
142 cp. 2 CC).

Die Parteien heirateten einander im Jahre 1937 in Florenz. Aus der Ehe ist ein
Sohn hervorgegangen.
Der Kläger entstammt einer Schweizer Familie, die schon so lange in Italien
gelebt hatte, dass ihr Schweizerbürgerrecht in Vergessenheit geraten war. Er
wurde als Italiener angesehen und musste als solcher Militärdienst leisten. Er
stand vom April bis September 1939 und dann vom Juni 1940 bis zum Sommer 1943
im Kriegsdienst. Im Jahre 1942 war er ungefähr einen Monat auf Urlaub zu
Hause. Infolge des Umsturzes in Italien geriet er anfangs September 1943 in
deutsche Gefangenschaft, konnte aber nach zwei Tagen entweichen und sich nach
Florenz begeben. Er blieb indessen nur etwa zehn Tage bei seiner Familie.
Hierauf flüchtete er sich in die Schweiz, wo er interniert wurde.
Nachforschungen während seines

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Aufenthaltes in der Schweiz führten zum Ergebnis, dass seine Vorfahren nie auf
das Schweizerbürgerrecht verzichtet hatten und er selber daher Schweizerbürger
ist, doch erfolgte diese Feststellung erst im Jahre 1947.
Anfangs August 1945 aus der Internierung entlassen, musste er nach Italien
zurückkehren. Das eheliche Leben wurde jedoch nicht wieder aufgenommen,
sondern es kam zu einer Trennung im gegenseitigen Einverständnis (separazione
consensuale). Am 27. August 1945 genehmigte das Tribunale civile e penale di
Firenze die am 25. August 1945 protokollierte Trennungsvereinbarung in
Anwendung von Art. 158 des Codice civile und Art. 711 des Codice di procedura
civile.
Hierauf reiste der Kläger wieder ab. Er begab sich zunächst nach Mailand und
konnte dann im Juni 1946 in die Schweiz zurückkehren.
Im Mai 1949 klagte er beim Bezirksgericht Zürich auf Scheidung. Das
Bezirksgericht Zürich wies die Klage ab, weil die bestehende Zerrüttung
vorwiegend der Schuld des Klägers zuzuschreiben sei. Das Obergericht des
Kantons Zürich hat dagegen mit Urteil vom 19. Juni 1952 die Scheidung
ausgesprochen. Das Bundesgericht stellt das erstinstanzliche Urteil wieder
her.
Aus der Begründung:
1.- Da der Kläger Schweizer ist, ist auf seine Klage ausschliesslich
schweizerisches Recht anwendbar. Dabei bliebe es auch, wenn er neben der
schweizerischen noch die italienische Staatsangehörigkeit besitzen sollte
(BECK, N. 33 und 34 zu Art. 7 h NAG).
2.- Das Obergericht hat die Parteien in Anwendung von Art. 142 und 148 ZGB
geschieden. Es nahm an, eine vom zuständigen italienischen Gericht genehmigte,
auf die Dauer erfolgte separazione consensuale dürfe, falls der klagende
Ehegatte nachträglich Schweizer geworden sei, unter dem Gesichtspunkt von Art.
148 ZGB einer von einem schweizerischen Gericht ausgesprochenen Trennung

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auf unbestimmte Zeit gleichgestellt werden. Diese Auffassung ist abzulehnen.
Art. 148 ZGB setzt eine Trennung im Sinne von Art. 146 /147 ZGB voraus, d. h.
eine Trennung von Tisch und Bett, die auf dem Nachweis eines Scheidungsgrundes
(Art. 146 Abs. 1 ) beruht. Eine im Ausland nach ausländischem Recht erfolgte
Trennung kann die Anwendung von Art. 148 ZGB, wenn überhaupt, höchstens dann
rechtfertigen, wenn sie wie die Trennung im Sinne von Art. 146 /147 ZGB
gestützt auf Tatsachen ausgesprochen wurde, die einen gesetzlichen Anspruch
auf Scheidung oder Trennung begründen, und zwar nicht nur nach dem
betreffenden ausländischen, sondern auch nach schweizerischem Recht. Sonst
könnte es m der Schweiz zu Scheidungen kommen, die nicht auf einem vom
schweizerischen Recht anerkannten Scheidungsgrunde beruhen, was unleidlich
wäre.
Die separazione consensuale des italienischen Rechts stützt sich nicht auf den
Nachweis solcher Tatsachen. Art. 158 des Codice civile bestimmt über diese Art
der Trennung nur, die Trennung kraft blosser Willenseinigung der Ehegatten
(per il solo consenso dei coniugi) habe ohne die Genehmigung des Gerichtes
keine (Rechts-) Wirkung. Art. 711 des Codice di procedura civile, den das
Tribunale di Firenze neben Art. 158 des Codice civile angewendet hat, sieht
vor, im Falle der separazione consensuale habe der Gerichtspräsident die
Gatten auf ihr gemeinsames Gesuch hin anzuhören und einen Sühnversuch
vorzunehmen; wenn die Aussöhnung nicht gelinge, seien die Zustimmung der
Parteien zur Trennung und die Trennungsbedingungen zu protokollieren; die
Trennung werde wirksam mit der Genehmigung durch das Gericht, das in
Abwesenheit der Parteien (in camera di consiglio) auf den Bericht des
Präsidenten hin Beschluss fasse. Wieder im Codice civile noch im Codice di
procedura civile ist die Rede davon, dass die Genehmigung nur erteilt werden
dürfe, wenn ein Trennungsgrund im Sinne von Art. 151-153 des Codice civile
dargetan sei. Der Name des

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Rechtsinstituts und die geschilderte Regelung des Verfahrens lassen auf das
Gegenteil schliessen. im Kommentar D'AMELIO zum Codice civile (Florenz 1940
ff.) heisst es denn auch ausdrücklich, die separazione consensuale könne
erfolgen, ohne dass ein gesetzlicher Trennungsgrund gegeben sei (I S. 395).
Dementsprechend wurde die von den Parteien vereinbarte Trennung am 27. August
1945 auf Grund der blossen Feststellung genehmigt, dass die vorgeschriebenen
Formalitäten beobachtet worden und die festgesetzten Bedingungen gerecht
seien.
Eine Trennung von der Art, wie sie hier in Frage steht, kann daher keinesfalls
den Weg zur Klage nach Art. 148 ZGB öffnen. Diese Bestimmung in solchen Fällen
als anwendbar zu erklären, liefe darauf hinaus, in der Schweiz entgegen dem
klaren Sinne des Gesetzes Scheidungen auf Grund blosser Parteivereinbarung
zuzulassen.
Das vorliegende Scheidungsbegehren ist deshalb (und weil ein spezieller
Scheidungsgrund im Sinne von Art. 137 -141 ZGB nicht geltend gemacht wurde)
ausschliesslich nach Art. 142 ZGB zu beurteilen.
3.- Die Ehe der Parteien ist heute zweifellos tief zerrüttet. Näher zu prüfen
ist nur, ob die Zerrüttung, wie die Beklagte geltend macht, vorwiegend der
Schuld des Klägers zuzuschreiben und diesem daher gemäss Art. 142 Abs. 2 ZGB
das Klagerecht abzusprechen sei.
Das Obergericht nimmt an, diese Bestimmung sei nur anwendbar, wenn
nachgewiesen sei, dass auf Seite der klagenden Partei ein überwiegendes
Verschulden sowohl im Vergleich zu den objektiven Zerrüttungsfaktoren als auch
gegenüber den subjektiven Momenten, die zwischen den Parteien abzuwägen sind,
vorliegt». Als objektiven Zerrüttungsgrund betrachtet es hier vor allem die
nach kaum zweijähriger Ehe durch den Kriegsdienst des Klägers verursachte, mit
geringen Unterbrüchen ungefähr 6 Jahre dauernde Trennung der Parteien...
Gegenüber der Tendenz, die in einer Ehe eingetretene Zerrüttung auf objektive
(gemeint: keiner Partei zum

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Verschulden anzurechnende) Momente zurückzuführen, ist jedoch Zurückhaltung
geboten. Äussere Geschehnisse können nicht unmittelbar, sondern nur durch die
Art, wie die Ehegatten darauf reagieren, zur Zerrüttung der Ehe führen, und
diese Reaktionen sind von ihrem Willen nicht unabhängig. Es ist Pflicht der
Ehegatten, sich nach besten Kräften darum zu bemühen, dass ihr Einvernehmen
unter der Ungunst der Umstände nicht zu leiden hat. Lassen sie es an diesem
Bemühen fehlen, so liegt darin ein Verschulden. Entsprechendes gilt auch, wenn
in der Person der Gatten selber liegende, unabhängig von ihrem Willen
bestehende Momente, insbesondere Charaktereigenschaften, zu Schwierigkeiten in
der Ehe Anlass geben. Die Gatten dürfen sich nicht einfach gehen lassen und
dem anders gearteten Partner unduldsam begegnen, sondern ein jeder hat durch
Selbstbeherrschung und Anpassung an den andern nach Möglichkeit dafür zu
sorgen, dass die beidseitig vorhandenen Eigenschaften sich nicht zum Nachteil
der Gemeinschaft auswirken. Tut ein Gatte dies nicht, obwohl er es bei gutem
Willen könnte, so verhält er sich schuldhaft (vgl. BGE 77 II 207 f.). Wenn auf
der einen oder auf beiden Seiten ein erhebliches Verschulden dieser Art
vorliegt, treten die vom Willen der Parteien unabhängigen Tatsachen als
Zerrüttungsursachen in den Hintergrund. Ebenso, wenn ein sonstiger schwerer
Verstoss gegen die ehelichen Pflichten zur Zerrüttung beigetragen hat. Jene
Tatsachen haben dann nur noch insoweit Bedeutung, als sie das Verschulden des
einen oder andern Teils in einem mildern Licht erscheinen lassen. Ein
erhebliches Verschulden des klagenden Gatten an der Zerrüttung aufzuwiegen und
so die Anwendung von Art. 142 Abs. 2 ZGB zu verhindern, vermögen sie nicht;
denn objektive Schwierigkeiten geben keinem Ehegatten das Recht, sich grob
ehewidrig zu verhalten.
Im vorliegenden Falle hat sich der Kläger zweifellos in grober Weise gegen
wesentliche eheliche Pflichten

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vergangen. Das anerkennt auch die Vorinstanz, indem sie erklärt, mit dem
Bezirksgericht sei festzuhalten, dass sein Verschulden nicht geringfügig sei.
Es ist nicht nur nicht geringfügig, sondern schwer, eines der schwersten, das
einem Ehemann zum Vorwurf gemacht werden kann; denn er hat die Familie einfach
im Stich gelassen, und dies zu einer Zeit, da die Frau mit den grössten
finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, um ihr und ihres Kindes Leben
zu fristen. Der Kläger hat zugegeben, dass sein Geschäft schon 1940 dem
Konkurs nahe war und dass 1943 eine prekäre Situation bestand. Die schlechte
finanzielle Lage wird ausserdem durch einen Brief der Mutter des Klägers an
die Beklagte vom 9. September 1942 beleuchtet. Um so unverantwortlicher war
seine Flucht. Wenn er auch nicht ohne Grund befürchtet haben mag, dass er bei
längerm Verweilen in der Heimat allenfalls Gefahr laufen könnte, von den
Deutschen gefasst zu werden, so vermag dies sein Verhalten doch nicht zu
entschuldigen. Sein eigener Bruder hat denn auch dieses Verhalten in einem
Schreiben an seine Mutter vom 18. September 1944 aufs schärfste verurteilt.
Dieses schwere Verschulden schliesst den Kläger nur dann nicht vom Klagerecht
aus, wenn es für die Zerrüttung nicht mehr kausal war, weil die Ehe aus
andern, nicht vorwiegend ihm zur Last fallenden Gründen schon vorher zerrüttet
war, oder wenn es zwar zur Zerrüttung beitrug, die Beklagte sich aber ebenso
schwer verfehlt hat. Wieder das eine noch das andere ist dargetan...
Die Zerrüttung muss daher vorwiegend der Schuld des Klägers zugeschrieben
werden.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 79 II 337
Datum : 01. Januar 1953
Publiziert : 02. Juli 1953
Quelle : Bundesgericht
Status : 79 II 337
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Ehescheidung.Die «separazione consensuale» des italienischen Rechts kann nicht zu einer Scheidung...


Gesetzesregister
EÖBV: 7h
ZGB: 137  141  142  146  147  148
BGE Register
77-II-205 • 79-II-337
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
ehegatte • ehe • italienisch • wille • beklagter • familie • florenz • schweizerisches recht • weiler • verhalten • scheidungsgrund • tag • mutter • leben • bewilligung oder genehmigung • schweizer bürgerrecht • dauer • flucht • ausländisches recht • entschuldbarkeit
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