S. 193 / Nr. 33 Versicherungsvertrag (d)
BGE 79 II 193
33. Auszug aus dem Urteil der Il. Zivilabteilung vom 26. März 1953 i. S.
Schweizerische Lebensversicherungs- und Rentenanstalt gegen Elkan.
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Regeste:
1. Lebensversicherungsvertrag, der zum deutschen Bestand (porte. feuille)
einer schweizerischen Versicherungsgesellschaft gehört. Anwendbarkeit des
deutschen Rechtes (Erw. 4).
2. Einforderung des Rückkaufwertes durch die deutschen Behörden, die das.
Vermögen des Versicherungsnehmers konfisziert haben:
a) Dieser Hoheitsakt des deutschen Staates verstösst nicht gegen das
schweizerische Territorialprinzip (Erw. 5 und 6).
b) Wenn der Vertrag nach dem massgebenden deutschen Rechte durch die Zahlung
an den Staat gehörig erfüllt wurde, besteht kein vertraglichen Anspruch des
ursprünglich Berechtigten mehr, auch nicht auf Grund des schweizerischen ordre
public (Erw. 7).
c) War es Pflicht des Versicherers, sich der Anspruchserhebung durch den
deutschen Staat zu widersetzen? (Erw. 8).
1. Contrat d'assurance sur la vie faisant partie du portefeuille allemand
d'une compagnie d'assurance suisse. Applicabilité du droit allemand (consid.
4).
2. Valeur de rachat réclame par les autorités allemandes qui ont confisqué la
fortune du preneur d'assurance:
a) Cet acte de souveraineté de l'état allemand ne viole pas le principe de
territorialité suisse (consid. 5 et 6).
b) Lorsque le contrat a été convenablement exécuté par le payement à l'état
d'après le droit allemand applicable, l'ayant droit primitif n'a plus aucune
prétention contractuelle à faire valoir, même pas en invoquant l'ordre public
suisse (consid. 7).
c) Etait-il du devoir de l'assureur de s'opposer à la prétention de l'état
allemand? (consid. 8).
1. Contratto di assicurazione sulla vita che fa parte del portafoglio tedesco
d'una compagnia d'assicurazione svizzera. Applica. bilità del diritto tedesco
(consid. 4).
2. Valore di riscatto domandato dalle autorità tedesche che hanno confiscato
la sostanza dello stipulante:
a) Quest'atto di sovranità dello Stato tedesco non viola il principio della
territorialità svizzera (consid. 5 e 6).
b) Quando il contratto è stato debitamente adempiuto mediante il pagamento
allo Stato giusta il diritto tedesco applicabile, l'avente diritto originario
non ha più alcuna pretesa
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contrattuale da far valere, nemmeno in base all'ordine pubblico svizzero
(consid. 7).
c) Incombeva all assicuratore di opporsi alla pretesa dello Stato tedesco?
A. - Im Jahre 1931 schloss der damals in München wohnende Kläger mit der
Beklagten einen Lebensversicherungsvertrag über SFr. 75,000.- ab, fällig bei
seinem Tode, spätestens am 1. August 1951. Der Abschluss erfolgte durch den
Hauptbevollmächtigten der Zweigniederlassung der Beklagten für Bayern in
München.
B. - Am 9. März 1935 stimmte der Kläger der Umstellung der Frankenversicherung
in eine Reichsmarkversicherung (über eine Summe von RM 61,500.) mit
Fremdwährungsanteil (auf SFr. 5,530.- festgesetzt) zu, gemäss den Richtlinien
des Reichsaufsichtsamtes für Privatversicherungen vom 12. September 1934.
Diese Vertragsänderung wurde in einem Nachtrag vom 12. März 1935 zur Police
verurkundet.
C. - Eine zweite Vertragsänderung wurde laut einem Nachtrag vom 16. Januar
1939 zur Police herbeigeführt. Danach war die bestehende Versicherung gemäss
dem Gesetz der Reichsregierung vom 26. August 1938 und der Anordnung des
Reichsaufsichtsamtes für Privatversicherungen vom 9. September 1938 in eine
ausschliessliche Reichsmarkversicherung mit einer Versicherungssumme von RM
60,110. umgewandelt.
D. - Anfang Juni 1942 kam der Kläger in das Konzentrationslager Theresienstadt
im damaligen Protektorat Böhmen und Mähren. Am 18. Mai 1943 teilte der
Oberfinanzpräsident von München der dortigen Niederlassung der Beklagten mit,
das Vermögen des Klägers sei zu Gunsten des Deutschen Reiches eingezogen
worden. Zu seinen Vermögenswerten gehöre auch die bei der Beklagten
abgeschlossene Versicherung in der Höhe von RM 17,500.-. Die Niederlassung
wurde ersucht, die Versicherung gemäss den Bestimmungen des Rundschreibens des
Reichsaufsichtsamtes für Privatversicherungen vom 29. Juli 1942
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abzuwickeln und den auszuzahlenden Betrag an die Oberfinanzkasse zu
überweisen. Dieses Rundschreiben bezog sich auf die 11. Verordnung zum
Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941, wonach ein Jude, der seinen
gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hatte oder ins Ausland verlegte, die
deutsche Staatsangehörigkeit verlor. Mit dem Verlust der Staatsangehörigkeit
war der Verfall des Vermögens an das Reich verbunden.
Da die ersuchende Amtsstelle nicht in der Lage war, der Beklagten die Police
des Versicherungsvertrages des Klägers zu übergeben, stellte sie am 16 Juni
1943 eine «Freistellungserklärung» aus, wonach sich das durch sie vertretene
Deutsche Reich verpflichtete, die Niederlassung der Beklagten für Deutschland
in München für alle etwaigen Ansprüche, Zinsen und Kosten freizustellen, die
aus der Tatsache erwachsen könnten, dass sie ohne Rückgabe des
Versicherungsscheins den aus der Versicherung verfügbaren Betrag ausgezahlt
habe.
Hierauf erfolgte die Auszahlung
des sich auf RM 21,746.90
belaufenden Rückkaufswertes, abzüglich
(Kriegsabzug) RM 646.70
RM 21,100.20
an den Oberfinanzpräsidenten von München als Dienststelle für
Vermögensverwertung.
E. - Die Beklagte erachtete damit die Versicherung des Klägers als erloschen.
Der Kläger, der im Jahre 1945 in die Schweiz kam, liess dies nicht gelten Er
ist der Ansicht, mit der Zahlung an die deutsche Amtsstelle habe die Beklagte
den Vertrag nicht erfüllt Dadurch sei das Vertragsverhältnis gar nicht berührt
worden. Im übrigen sei die Versicherung so, wie sie ursprünglich vereinbart
wurde, bestehen geblieben. Er habe der ersten Vertragsänderung unter Zwang,
d.h. in begründeter Furcht zugestimmt. Auch die zweite, ihm aufgezwungene
Vertragsänderung habe der schweizerische Richter nicht zu berücksichtigen.
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F. - Am 12. April 1949 erhob der Kläger beim Bezirksgericht Zürich Klage auf
Feststellung, «dass die Beklagte ihre Verpflichtungen aus dem
Versicherungsvertrag mit dem Kläger laut Police Nr. VD 583,906 nicht erfüllt
hat und daher dieser Versicherungsvertrag noch zu Recht besteht».
G. - Während das Bezirksgericht die Klage abwies, hiess das Obergericht des
Standes Zürich sie mit Urteil vom 27. Mai 1952 gut. Es stimmt dem Kläger darin
bei., dass die Beklagte mit ihrer Zahlung an die deutschen Behörden den
Versicherungsvertrag nicht erfüllt habe, und dass dieser dadurch nicht
erloschen sei. Denn die dem Kläger aus dem Versicherungsvertrag erwachsene
Forderung sei in der Schweiz als dem Hauptsitz der Beklagten (d.h. des
Schuldners) gelegen und daher «nach den Grundsätzen des internationalen
Privatrechts» von der Einziehung jüdischer Vermögen nach der 11. Verordnung
zum Reichsbürgergesetz nicht erfasst worden. Ausserdem sei der erwähnten 11.
Verordnung um der öffentlichen Ordnung der Schweiz willen jede Anerkennung zu
versagen. Der Versicherungsvertrag bestehe somit noch zu Recht, immerhin mit
dem Nachtrag vom 16. Januar 1939, der als gültig anzusehen sei.
H. - Eine Nichtigkeitsbeschwerde der Beklagten an das Kassationsgericht des
Kantons Zürich wurde mit Urteil vom 5. Januar 1953 abgewiesen, soweit darauf
eingetreten werden konnte.
J. - Mit vorliegender Berufung hält die Beklagte am Antrag auf Abweisung der
Klage fest.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
4.- Dem Obergericht ist darin beizustimmen, dass der vorliegende
Versicherungsvertrag dem deutschen Recht untersteht (BGE 71 II 290). Der
Kläger hatte freilich eine dem schweizerischen Recht unterstehende
Versicherung gewünscht, die Beklagte hatte dies jedoch abgelehnt, da
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er in Weggis nur in den Ferien weilte und seinen Wohnsitz in München hatte.
Als er hierauf den zweiten Versicherungsantrag unterzeichnete, stand für ihn,
wie das Bezirksgericht zutreffend ausführt, fest, «dass er - wie gerne er es
wohl anders gehabt hätte - von der Beklagten wie jeder andere in Deutschland
wohnende Deutsche behandelt wurde». § 1 der der Police beigefügten Allgemeinen
Versicherungsbestimmungen weist denn auch ausdrücklich auf das Reichsgesetz
vom 30. Mai 1908 über den Versicherungsvertrag hin, und zwar noch besonders
deutlich durch Berichtigung des Druckfehlers sBundesgesetz» in «Reichsgesetz
D. Somit war das Schuldverhältnis dem deutschen Recht unterstellt, ungeachtet
der damit verbundenen Mitgliedschaftsrechte. Dem entsprach auch der Abschluss
des Vertrages durch den dazu ermächtigten Hauptbevollmächtigten für Bayern in
München.
Die spätere Änderung der Lebensumstände des Klägers, der den Wohnsitz München
aufgab und sich (1945) in der Schweiz niederliess, liess die Versicherung so,
wie sie abgeschlossen war, bestehen. Sie blieb dem deutschen Recht unterstellt
und wurde nicht etwa in den schweizerischen Vericherungsbestand der Beklagten
übernommen.
5.- Durch die konfiskatorischen Massnahmen des Jahres 1943 haben die deutschen
Behörden die Gläubigerrechte des Klägers aus dem Versicherungsvertrag dem
deutschen Staate zugesprochen und zu dessen Gunsten die Abwicklung der
Versicherung im Sinne des Rückkaufes verlangt und erreicht. Der Kläger ist
jedoch der Ansicht, das Deutsche Reich habe damit nicht wirksam in das
zwischen den Parteien bestehende Vertragsverhältnis eingegriffen. Indem die
Beklagte dem Ansuchen der deutschen Behörden entsprochen, habe sie an einen
unberechtigten Dritten bezahlt. Dem Kläger gegenüber sei der
Versicherungsvertrag in Kraft geblieben.
Das Obergericht schützt diesen Standpunkt, abgesehen vom schweizerischen ordre
public, in erster Linie schon deshalb, weil die streitigen Ansprüche ihren
«Sitz», ihre
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«Belegenheit», in der Schweiz hätten und nicht in den Bereich deutscher
Zwangsmassnahmen gefallen seien. Hiebei verweist das Obergericht auf sein
ausführlich begründetes Urteil vom 13. Oktober 1950 i. S. Gottstein gegen
dieselbe Versicherungsgesellschaft. Dort ist dargelegt, gewöhnliche (nicht in
Wertpapieren verkörperte) Geldforderungen seien nach vorherrschender Lehre am
Wohnort ihres Schuldners «gelegen». Handle es sich um Forderungen aus dem
Betrieb einer Zweigniederlassung, so werde die «Belegenheit» dennoch durch den
Hauptsitz bestimmt, denn «nach deutschem wie nach schweizerischem Recht» sei
die Zweigniederlassung kein von der Hauptniederlassung getrenntes
Rechtsubjekt. Die staatliche Aufsicht über die Filialbetriebe des
Versicherungsgewerbes samt der im betreffenden Staate zu erfüllenden
Sicherstellungspflicht rechtfertige keine Ausnahme; denn «nicht die
territoriale Zugehörigkeit der Versicherungsforderung, sondern diejenige des
der Versicherungsunternehmung gehörenden Sondervermögens wird davon berührt».
Ob sich diese Betrachtungsweise auf deutsches oder auf schweizerisches Recht
stützt, ist dabei nicht angegeben. Dem Urteil liegt anscheinend die Annahme
einer übereinstimmenden Auffassung beider Staaten zugrunde. Im Widerspruch zu
den vorausgehenden Erwägungen, wonach die Forderung des Klägers in der Schweiz
«belegen» sei, heisst es dann aber im hier angefochtenen Urteil auf Seite 13
oben: «Nach deutscher Rechtsauffassung ist der Anspruch des Klägers
erloschen», was darauf hindeutet, das Obergericht stütze seine Ansicht, dieser
Anspruch sei in Wirklichkeit nicht erloschen, auf schweizerisches Recht und
zwar in erster Linie wegen «Belegenheit» auf Schweizergebiet und nur eventuell
kraft des ordre public.
Einleitend wird freilich im Urteil i. S. Gottstein auf die völkerrechtliche
Abgrenzung der Machtbereiche der einzelnen Staaten hingewiesen. Davon ist in
der Tat auszugehen. Es ist herrschende, auch in der Schweiz anerkannte Lehre,
dass staatliche Hoheitsakte, die auf Beschlagnahme
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oder Enteignung (gegen Entschädigung oder konfiskatorisch) von Sachen oder
andern Vermögenswerten gerichtet sind, nur im eigenen Staatsgebiete wirksam
vorgenommen werden können (vgl. NIBOYET, Traité de droit international privé
français, tome IV p. 674 et sv.; RAAPE, Deutsches internationales Privatrecht
11 283 ff. § 45, «Enteignung und Beschlagnahme von Forderungen»; SCHINDLER,
«Besitzen konfiskatorische Gesetze ausserterritoriale Wirkung?» im Schweiz.
Jahrbuch für internationales Recht 1946 S. 65 ff.; BGE 50 II 51 ff., dazu
SAUSER-HALL, bei CLUNET, Journal du droit international 1924 S. 794). Bei
Forderungsrechten, die nicht in Wertpapieren verkörpert sind, lässt sich
indessen nur im Sinn einer Fiktion von einem «Sitz» oder einer «Belegenheit»
sprechen es lässt sich hierbei der Ort, wo sich der Vermögensgegenstand
befindet, nicht einfach tatsächlich feststellen. Dabei fallen verschiedene
Anknüpfungspunkte in Betracht, insbesondere der Wohnort des Gläubigers oder
des Schuldners, und zwar fällt bei Verbindlichkeiten aus einem Filialbetrieb
dessen Sitz neben dem Hauptsitz der Unternehmung in Betracht. Deshalb können
denn auch von Staat zu Staat verschiedene Auffassungen über die «Belegenheit»
einer Forderung aufkommen. Wird darüber nicht durch völkerrechtliche Satzung,
namentlich durch zwischenstaatliche Übereinkunft, einheitliches Recht
geschaffen, so ist nicht ohne weiteres von einer Überschreitung des räumlichen
Machtbereiches zu sprechen, wenn der eine Staat eine Beschlagnahme oder
Enteignung vornimmt, während ein anderer Staat dieselbe Forderung als seinem
eigenen Machtbereich unterstellt ansieht. Übrigens können konkurrierende
Beschlagnahmrechte mehrerer Staaten auch in der Weise nebeneinander bestehen,
dass einer dem andern das gleiche Recht zugesteht (vgl. RAAPE a.a.O. 284).
Dafür bietet gerade die schweizerische Praxis der Arrestierung und Pfändung
von Forderungen ein Beispiel. Es gelten danach Forderungen, die nicht in einem
Wertpapier verkörpert sind, grundsätzlich als am Wohnort ihres
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Gläubigers befindlich ist dieser Ort aber im Auslande, so gilt die Forderung
als auch am allfälligen schweizerischen Wohnort ihres Schuldners befindlich
und kann dort arrestiert und gepfändet werden (vgl. BGE 56 III 50). Bei dieser
Betrachtungsweise lässt sich grundsätzlich nichts dagegen einwenden, dass die
betreffende Forderung im Ausland am Wohnort ihres Gläubigers gepfändet wird,
obwohl sie, wie gesagt, auch in der Schweiz am Wohnorte des Drittschuldners
gepfändet werden könnte.
Was nun Versicherungsansprüche gegen eine schweizerische Unternehmung
betrifft, die in den Geschäftskreis einer ausländischen Zweigniederlassung
derselben fallen, so bestellt kein zureichender Grund, sie hinsichtlich einer
Pfändung oder sonstigen Beschlagnahme ausschliesslich dem schweizerischen
Machtbereiche zu unterstellen. Vielmehr ist mit Rücksicht auf die staatliche
Aufsicht, der ein solcher Filialbetrieb untersteht, und angesichts der dort
für die Erfüllung der dem Filialbetrieb zugehörigen Verbindlichkeiten gemäss
den Vorschriften des betreffenden Staates zu bestellenden Sicherheiten füglich
zu dulden, dass der nämliche Staat die betreffenden Forderungen, wo auch immer
deren Gläubiger wohne, als seinem räumlichen Machtbereich unterstellt
betrachtet. Das Bundesgericht hat denn auch die in Deutschland erfolgte
Pfändung von Ansprüchen gegen eine schweizerische Versicherungsunternehmung,
weil zu deren deutschem Versicherungsbestand gehörend, gelten lassen (Urteil
vom 13. Juli 1938, Slg des VA 8 S. 251 lit. d). Auch die gegenüber dem Kläger
erfolgte Beschlagnahme und Enteignung konfiskatorischen Charakters lässt sich
nicht aus dem Grunde als rechtswidrig bezeichnen, dass diese Ansprüche vom
schweizerischen Standpunkt aus dem deutschen Machtbereich nicht unterstellt
gewesen seien.
6.- Indem die deutschen Behörden (des Jahres 1943) diese Ansprüche tatsächlich
ihrer Gewalt unterwarfen, bejahten sie deren «Belegenheit» in Deutschland,
d.h. einen den staatlichen Beschlagnahmeakt gestattenden
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räumlichen Zusammenhang mit dem deutschen Gebiete. Wenn das Obergericht
demgegenüber eine vermeintlich vom schweizerischen Recht geforderte
ausschliessliche «Belegenheit» in der Schweiz zur Geltung bringen will, so ist
ihm nach dem Gesagten nicht beizustimmen. Das Territorialprinzip steht, wie
dargetan, der Berücksichtigung der nach deutschem Rechte sich ergebenden
Folgen der Konfiskation nicht entgegen, denn die Unterstellung der Ansprüche
aus diesem Versicherungsvertrag unter die deutsche Gebietshoheit widerspricht
eben der schweizerischen Rechtsordnung nicht. Das angefochtene Urteil bejaht
jedoch das Erlöschen der Ansprüche des Klägers nach deutschem Recht nicht
eindeutig. Es bleibt danach offen, ob die in Deutschland erfolgte Konfiskation
diese Ansprüche nach deutschem Recht (vom zivilrechtlichen Standpunkt aus, wie
dies gegebenenfalls von deutschen Zivilgerichten angenommen würde) dem Kläger
rechtswirksam entzogen habe. Zur Beurteilung dieser Frage des deutschen Rechts
ist die Sache an das Obergericht zurückzuweisen (das damit Gelegenheit erhält,
die Entscheidung des Il. Zivilsenats des deutschen Bundesgerichtshofes vom 11.
Februar 1953 i.S. Netty Sulzbacher gegen Schweizerische Lebensversicherungs-
und Rentenanstalt zu berücksichtigen: Versicherungsrecht», S.
Rechtsprechungsnummer vom 15. März 1953 mit Anmerkung von PRÖLLS; ferner
SEIDL, Internationales Konfiskations- und Enteignungsrecht 1952, S. 88 N. 3
und 96 N. 30).
7.- Sollte das Obergericht zum Schlusse kommen, die konfiszierenden deutschen
Behörden hätten nach richtiger Auslegung des deutschen Rechtes die Ansprüche
des Klägers aus dem vorliegenden Versicherungsvertrag nicht in ihre
Machtsphäre einbeziehen dürfen, so wäre immerhin noch zu prüfen, ob der
seitens der deutschen Behörden auf die Beklagte ausgeübte Zwang, den
Versicherungsvertrag dem Deutschen Reiche gegenüber zu erfüllen, die Beklagte
nicht doch von den vertraglichen Pflichten gegenüber dem Kläger befreit habe.
Sollte dagegen das Obergericht, was
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angesichts der in Erw. 6 am Ende erwähnten Entscheidung des deutschen
Bundesgerichtshofes wohl zu erwarten ist, nunmehr anerkennen, dass die
Ansprüche des Klägers nach der von der Schweiz nicht zu beanstandenden
Auffassung des deutschen Rechts (und zwar auch des Zivilrechts) dem
Machtbereich der deutschen Behörden unterstanden, so hängt der Ausgang des
Prozesses nur noch davon ab, ob das Erlöschen der Ansprüche um des
schweizerischen ordre public willen in der Schweiz als nicht erfolgt gelten
müsse.
Diese Frage kann schon heute entschieden werden, da die Akten vollständig
sind. Sie ist entgegen dem angefochtenen Urteil zu verneinen. Gewiss hätte
sich die auf der nationalsozialistischen Rassengesetzgebung beruhende
Konfiskation gegenüber dem Kläger in der Schweiz nicht vollziehen lassen. Die
schweizerischen Behörden hätten dazu nicht Hand bieten dürfen, auch soweit an
und für sich eine solche Rechtshilfe (wie allenfalls hinsichtlich erst seit
einer Konfiskation in die Schweiz verschobener Sachen, vgl. BGE 74 II 224)
hätte in Frage kommen können. Nachdem jedoch das Deutsche Reich sich die
Ansprüche des Klägers aus dem Versicherungsvertrage angeeignet und, wie hier
vorausgesetzt wird, gegenüber der deutschen Niederlassung der Beklagten
rechtswirksam verwirklicht hat, ohne dass die Möglichkeit bestünde, dieses
Geschehnis rückgängig zu machen, gebietet es der schweizerische ordre public
nicht, über den erfolgten Eingriff hinwegzusehen und der Beklagten eine
Leistungspflicht aufzuerlegen, die ihr nicht obliegt, wenn sie nach der vom
deutschen Rechte beherrschten materiellen Rechtslage den Vertrag dem an die
Stelle des Klägers getretenen Deutschen Reiche gegenüber ordnungsgemäss
erfüllt hat. Das liefe auf eine Entrechtung der Beklagten hinaus, die sich
nicht dadurch rechtfertigen lässt, dass die Entrechtung, die dem Kläger
seitens des nationalsozialistischen Staates widerfuhr, nach schweizerischer
wie auch nach heutiger deutscher Auffassung eines Rechtsstaates unwürdig war.
Ist die Beklagte nach dem deutschen Recht durch Vertragserfüllung von
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jeglichen Verpflichtungen gegenüber dem Kläger frei geworden, so muss es dabei
bleiben, ohne dass für die Beklagte etwas darauf ankäme, ob der Kläger nach
den geltenden deutschen Wiedergutmachungsgesetzen voll oder nur teilweise
entschädigt werden wird.
8.- Endlich kann dem angefochtenen Entscheide nicht zugegeben werden, es sei
der Beklagten eher als dem Kläger zuzumuten, den durch die Konfiskation
verursachten und allenfalls durch Deutschland nicht voll zu ersetzenden
Schaden zu tragen. Der Beklagten wird vorgehalten, sie (d.h. ihre deutsche
Zweigniederlassung) habe sich zu willfährig dem Ansuchen der konfiszierenden
Behörden gefügt und die dem Kläger geschuldete Treue nicht hinlänglich
gewahrt. Es war jedoch nicht Pflicht der deutschen Zweigniederlassung, sich
gegenüber dem Ersuchen der Behörden des deutschen Domizilstaates, die sich auf
die damals dort geltenden Gesetze und Verordnungen stützten, aufs Trölen zu
verlegen. Jedenfalls ist nicht anzunehmen, ein solches Verhalten hätte auch
nur mit einiger Wahrscheinlichkeit die zwangsweise Einziehung des
Rückkaufswertes, der ja in Deutschland sichergestellt war, zu verhindern
vermocht. Damit stimmen denn auch die Erwägungen des deutschen
Bundesgerichtshofes in dem oben (Erw. 6 am Ende) erwähnten Urteil überein.
Die Klage wird somit, falls die Beklagte den Versicherungsvertrag nach
deutschem Recht gültig erfüllt hat, abzuweisen sein.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil des Obergerichtes des
Standes Zürich vom 27. Mai 1952 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung
im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen wird.