S. 48 / Nr. 8 Verfahren (d)

BGE 79 I 48

8. Urteil vom 18. April 1953 i. S. Kaestlin gegen Uster und Zürich, Direktion
der Justiz.


Seite: 48
Regeste:
Art. 88 OG.
Fehlende Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde:
a) desjenigen, der als Vorkaufsberechtigter in einen von der
Vormundschaftsbehörde mit einem Dritten freihändig abgeschlossenen
Liegenschaftskaufvertrag über ein Mündelgrundstück eintritt, zur Anfechtung
des Beschlusses der Vormundschaftsbehörde, den Vertrag nicht genehmigen zu
lassen.
b) des Proszessgegners des Mündels zur Anfechtung des Beschlusses der
Vormundschaftsbehörde, mit dem dem Vormund Prozessvollmacht erteilt wird.
Art. 88 OJ.
N'a pas qualité pour former un recours de droit public:
a) contre la décision de l'autorité tutélaire de ne pas faire approuver la
vente de gré à gré d'un immeuble du pupille, celui qui a exercé un droit de
préemtion;
b) contre la décision de l'autorité tutélaire donnant au tuteut le pouvoir
d'agir en justice, l'adversaire du pupille.
Art. 88 OG.
Non ha veste per interporre un ricorso di diritto pubblico:
a) contro la decisione dell'autorità tutoria di non far approvare la vendita a
trattative private d'uno stabile del tutelato, colui che ha esercitato un
diritto di prelazione;
b) contro la decisione dell'autorità tutoria che conferisce al tutore la
procura di agire in causa, la controparte del tutelato.

1.- Die Vormundschaftsbehörde der Stadt Zürich hat mit einem Dritten einen
Vertrag über den Verkauf der der Beschwerdegegnerin gehörenden
Miteigentumsanteile an der Liegenschaft Usterhof in Zürich abgeschlossen, in
der Folge aber die Genehmigung der Aufsichtsbehörde nicht eingeholt bzw. ein
bezügliches Gesuch nachträglich wieder zurückgezogen. Der Beschwerdeführer hat
nach Abschluss des Vertrages das ihm als Miteigentümer zustehende
Vorkaufsrecht ausüben zu wollen erklärt und von der Vormundschaftsbehörde
verlangt, dass sie die Genehmigung des Kaufvertrages im Sinne von Art. 404
Abs. 3
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 404 - 1 Der Beistand oder die Beiständin hat Anspruch auf eine angemessene Entschädigung und auf Ersatz der notwendigen Spesen aus dem Vermögen der betroffenen Person. Bei einem Berufsbeistand oder einer Berufsbeiständin fallen die Entschädigung und der Spesenersatz an den Arbeitgeber.
1    Der Beistand oder die Beiständin hat Anspruch auf eine angemessene Entschädigung und auf Ersatz der notwendigen Spesen aus dem Vermögen der betroffenen Person. Bei einem Berufsbeistand oder einer Berufsbeiständin fallen die Entschädigung und der Spesenersatz an den Arbeitgeber.
2    Die Erwachsenenschutzbehörde legt die Höhe der Entschädigung fest. Sie berücksichtigt dabei insbesondere den Umfang und die Komplexität der dem Beistand oder der Beiständin übertragenen Aufgaben.
3    Die Kantone erlassen Ausführungsbestimmungen und regeln die Entschädigung und den Spesenersatz, wenn diese nicht aus dem Vermögen der betroffenen Person bezahlt werden können.
ZGB einhole. Gegen deren Weigerung beschwerte er sich beim Bezirksrat
Zürich. Gleichzeitig führte er Beschwerde dagegen, dass die
Vormundschaftsbehörde dem Vormund Vollmacht erteilt hat, um gegen den
Beschwerdeführer auf Aufhebung des Miteigentums zu klagen. Er wurde
abgewiesen, zuletzt durch Verfügung der Justizdirektion

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vom 24. Februar 1953. Dagegen führt er staatsrechtliche Beschwerde wegen
Verletzung von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV.
2.- Gegenstand der staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung
verfassungsmässiger Rechte kann nur eine kantonale Verfügung bilden, welche in
die Rechtslage des Beschwerdeführers eingreift, ihn in seiner Rechtsstellung
beeinträchtigt. Der Beschluss der Vormundschaftsbehörde, mit dem diese dem
Vormund Vollmacht zur Anhebung eines Prozesses für das Mündel erteilt, ist
kein derartiger, den zukünftigen Prozessgegner in seiner Rechtsstellung
treffender Hoheitsakt. Dass dieser allenfalls ein Prozessverfahren über sich
ergehen lassen muss, bedeutet keinen rechtlichen, sondern bloss einen
tatsächlichen Nachteil. Ob die Klage voraussichtlich Erfolg haben könne oder
nicht, ist hierfür ohne Bedeutung. Die Vormundschaftsbehörde hat diese Frage
für das Mündel auf ihre eigene Verantwortung zu prüfen. Für den Prozessgegner
wird sie durch den Richter entschieden.
Es fehlt an einem rechtlichen Betroffensein des Beschwerdeführers aber auch
bezüglich der Frage, ob die Vormundschaftsbehörde verpflichtet ist, den
Vertrag der vormundschaftlichen Aufsichtsbehörde zur Genehmigung vorzulegen
und dem Beschwerdeführer davon eine Abschrift zu geben, oder ob sie befugt
ist, auf ihren Beschluss betreffend das Kaufsgeschäft zurückzukommen.
Es kann darüber kein Zweifel möglich sein, dass ein derartiges
Anfechtungsrecht des Vertragsgegners gegenüber dem Beschlusse fehlt, mit dem
die Aufsichtsbehörde die Genehmigung ablehnt. Denn die Vorschriften des
Vormundschaftsrechtes über die Genehmigung durch Vormund, Vormundschafts- oder
Aufsichtsbehörde dienen ausschliesslich dem Schutze des Mündels, nicht dem
Schutze des Vertragsgegners. So verhält es sich beispielsweise auch bei der
Genehmigung der Kindesannahme im Sinne von Art. 422 Ziff. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 422 - 1 Der Beistand oder die Beiständin hat frühestens nach vier Jahren Amtsdauer Anspruch auf Entlassung.
1    Der Beistand oder die Beiständin hat frühestens nach vier Jahren Amtsdauer Anspruch auf Entlassung.
2    Vorher kann der Beistand oder die Beiständin die Entlassung aus wichtigen Gründen verlangen.
ZGB (vgl. in
diesem Sinne das Urteil vom 1. Dezember 1944 i. S Ledergerber, wo die
Legitimation desjenigen, der das Kind anzunehmen

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wünschte zur Anfechtung der Verweigerung der Genehmigung verneint ist). Es
kann sich nicht anders verhalten, wenn Gegenstand der Beschwerde nicht die
Ablehnung der Zustimmung ist, sondern der Beschluss der Vormundschaftsbehörde,
mit dem diese es ablehnt, den Vertrag der Aufsichtsbehörde zur Genehmigung zu
unterbreiten, weil sie sich inzwischen selbst davon überzeugt hat, dass durch
den Vertragsabschluss und dessen Perfizierung durch die Genehmigung seitens
der Aufsichtsbehörde die Interessen des Mündels gefährdet oder geschädigt
würden. Wohl ist richtig, dass der Vertrag vor der Genehmigung nicht gänzlich
rechtsunwirksam ist, sondern dass er sich in einem Schwebezustand befindet,
der durch Genehmigung oder Nichtgenehmigung eine Ende nimmt (BGE 54 II 437,
EGGER zu Art. 421
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 421 - Das Amt des Beistands oder der Beiständin endet von Gesetzes wegen:
1  mit Ablauf einer von der Erwachsenenschutzbehörde festgelegten Amtsdauer, sofern keine Bestätigung im Amt erfolgt;
2  mit dem Ende der Beistandschaft;
3  mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses als Berufsbeistand oder Berufsbeiständin;
4  im Zeitpunkt, in dem der Beistand oder die Beiständin verbeiständet oder urteilsunfähig wird oder stirbt.
Note 16 und zu Art. 410
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 410 - 1 Der Beistand oder die Beiständin führt Rechnung und legt sie der Erwachsenenschutzbehörde in den von ihr angesetzten Zeitabständen, mindestens aber alle zwei Jahre, zur Genehmigung vor.
1    Der Beistand oder die Beiständin führt Rechnung und legt sie der Erwachsenenschutzbehörde in den von ihr angesetzten Zeitabständen, mindestens aber alle zwei Jahre, zur Genehmigung vor.
2    Der Beistand oder die Beiständin erläutert der betroffenen Person die Rechnung und gibt ihr auf Verlangen eine Kopie.
ZGB Note 21). Ob aber die Zustimmung
zu erteilen oder zu verweigern ist, bestimmt sich lediglich nach den
Interessen des Mündels, nicht nach denjenigen Dritter. Der Vertragspartner hat
daher darauf, dass die Vormundschaftsbehörde bei der Aufsichtsbehörde um die
Genehmigung nachsuche, keinen Rechtsanspruch und damit kein subjektives Recht,
dessen Verletzung zum Gegenstand einer staatsrechtlichen Beschwerde wegen
Verletzung individueller Rechte gemacht werden könnte. Dass der
Vertragspartner im Hinblick auf die mögliche Genehmigung gewisse Vorkehren
trifft, um hernach den Vertrag erfüllen zu können, die sich bei Verweigerung
der Genehmigung als unnütz erweisen, beweist keinesfalls, dass in seine
Rechtsstellung Eingegriffen wurde. Der ihm daraus allfällig entstehende
Schaden gibt einen Ersatzanspruch ebensowenig, als wenn die Genehmigung
tatsächlich von der Aufsichtsbehörde abgelehnt wird. Wie es sich verhält, wenn
die Aufsichtsbehörde eine bereits erteilte Genehmigung widerrufen wollte (BGE
62 II 261), kann hier dahingestellt bleiben (vgl. hiezu EGGER zu Art. 421 Note
16, wo die Auffassung vertreten wird, der Vormund könne die Mitteilung von der
erfolgten Genehmigung an den Vertragspartner unterlassen und die Angelegenheit
nochmals aufrollen). Der Dritte hat

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lediglich einen Anspruch darauf, dass das Geschäft nicht sine die oder doch
ungebührlich lange in der Schwebe bleibe, sondern dass die Vormundschafts-
oder Aufsichtsbehörde sich schlüssig mache. Es muss ihm daher entsprechend der
Ordnung in Art. 410
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 410 - 1 Der Beistand oder die Beiständin führt Rechnung und legt sie der Erwachsenenschutzbehörde in den von ihr angesetzten Zeitabständen, mindestens aber alle zwei Jahre, zur Genehmigung vor.
1    Der Beistand oder die Beiständin führt Rechnung und legt sie der Erwachsenenschutzbehörde in den von ihr angesetzten Zeitabständen, mindestens aber alle zwei Jahre, zur Genehmigung vor.
2    Der Beistand oder die Beiständin erläutert der betroffenen Person die Rechnung und gibt ihr auf Verlangen eine Kopie.
ZGB die Befugnis zukommen, zur Abgabe der Erklärung eine
Frist anzusetzen oder ansetzen zu lassen, nach deren unbenützten Ablauf auch
er selbst an den Vertrag nicht mehr gebunden, dieser für ihn hinfällig wird.
Ist aber das Geschäft hinfällig geworden, so steht dem Beschwerdeführer auch
kein Rechtsanspruch auf Aushändigung der Vertragsurkunde zu, um deren
Genehmigung es geht.
Demnach erkennt das Bundesgericht: Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 79 I 48
Datum : 01. Januar 1953
Publiziert : 18. April 1953
Quelle : Bundesgericht
Status : 79 I 48
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : Art. 88 OG.Fehlende Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde:a) desjenigen, der als...


Gesetzesregister
BV: 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
OG: 88
ZGB: 404 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 404 - 1 Der Beistand oder die Beiständin hat Anspruch auf eine angemessene Entschädigung und auf Ersatz der notwendigen Spesen aus dem Vermögen der betroffenen Person. Bei einem Berufsbeistand oder einer Berufsbeiständin fallen die Entschädigung und der Spesenersatz an den Arbeitgeber.
1    Der Beistand oder die Beiständin hat Anspruch auf eine angemessene Entschädigung und auf Ersatz der notwendigen Spesen aus dem Vermögen der betroffenen Person. Bei einem Berufsbeistand oder einer Berufsbeiständin fallen die Entschädigung und der Spesenersatz an den Arbeitgeber.
2    Die Erwachsenenschutzbehörde legt die Höhe der Entschädigung fest. Sie berücksichtigt dabei insbesondere den Umfang und die Komplexität der dem Beistand oder der Beiständin übertragenen Aufgaben.
3    Die Kantone erlassen Ausführungsbestimmungen und regeln die Entschädigung und den Spesenersatz, wenn diese nicht aus dem Vermögen der betroffenen Person bezahlt werden können.
410 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 410 - 1 Der Beistand oder die Beiständin führt Rechnung und legt sie der Erwachsenenschutzbehörde in den von ihr angesetzten Zeitabständen, mindestens aber alle zwei Jahre, zur Genehmigung vor.
1    Der Beistand oder die Beiständin führt Rechnung und legt sie der Erwachsenenschutzbehörde in den von ihr angesetzten Zeitabständen, mindestens aber alle zwei Jahre, zur Genehmigung vor.
2    Der Beistand oder die Beiständin erläutert der betroffenen Person die Rechnung und gibt ihr auf Verlangen eine Kopie.
421 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 421 - Das Amt des Beistands oder der Beiständin endet von Gesetzes wegen:
1  mit Ablauf einer von der Erwachsenenschutzbehörde festgelegten Amtsdauer, sofern keine Bestätigung im Amt erfolgt;
2  mit dem Ende der Beistandschaft;
3  mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses als Berufsbeistand oder Berufsbeiständin;
4  im Zeitpunkt, in dem der Beistand oder die Beiständin verbeiständet oder urteilsunfähig wird oder stirbt.
422
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 422 - 1 Der Beistand oder die Beiständin hat frühestens nach vier Jahren Amtsdauer Anspruch auf Entlassung.
1    Der Beistand oder die Beiständin hat frühestens nach vier Jahren Amtsdauer Anspruch auf Entlassung.
2    Vorher kann der Beistand oder die Beiständin die Entlassung aus wichtigen Gründen verlangen.
BGE Register
54-II-429 • 62-II-261 • 79-I-48
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
vormund • staatsrechtliche beschwerde • not • frage • legitimation • bewilligung oder genehmigung • entscheid • rechtslage • vertragsabschluss • schaden • kauf • vormundschaftliche aufsichtsbehörde • miteigentum • weiler • bundesgericht • vorkaufsrecht • zweifel • miteigentumsanteil • richtigkeit • verhalten
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