S. 261 / Nr. 65 Familienrecht (d)

BGE 62 II 261

65. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 6. November 1936 i. S.
Frau Vadi gegen G. Hunziker & Cie.

Regeste:
ZGB Art. 177 Abs. 3: Die Vormundschaftsbehörde kann ihre Zustimmung zu
Verpflichtungen, die von der Ehefrau Dritten gegenüber zugunsten des Ehemannes
eingegangen werden, nicht nachträglich mit Rückwirkung widerrufen.

Für 27381 Fr. 20 Cts., welche der Bauunternehmer G. Vadi der Firma G. Hunziker
& Cie schuldete, leistete dessen Ehefrau am 13. Juni 1929 unter Vorbehalt der
Zustimmung der Vormundschaftsbehörde gemäss Art. 177
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 177 - Erfüllt ein Ehegatte seine Unterhaltspflicht gegenüber der Familie nicht, so kann das Gericht dessen Schuldner anweisen, ihre Zahlungen ganz oder teilweise dem andern Ehegatten zu leisten.
ZGB solidarische
Bürgschaft. Die Vormundschaftsbehörde erteilte der Frau Vadi diese Zustimmung
am 17. Juni 1929. Am 7. Februar 1930 ersuchte Frau Vadi die
Vormundschaftsbehörde um Aufhebung der erteilten Zustimmung, mit der
Begründung, die Firma G. Hunziker & Cie habe sie bösgläubig in Irrtum über die
finanzielle Lage

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ihres Ehemannes versetzt, die in Wirklichkeit ganz anders gewesen sei als wie
im seinerzeitigen Gesuch auseinandergesetzt; die damals erwähnten Verhältnisse
seien teilweise ungenau und tendenziös gewesen. Die Vormundschaftsbehörde
fasste am 20. Februar 1930 in Aufhebung des früheren den Beschluss: «refuse
l'autorisation sollicitée par dame Vadi-Turin de se porter caution solidaire
de l'obligation souscrite par son mari en date du 13 juin 1929 en faveur de
Hunziker & Cie». Auf eine hiegegen von der Firma G. Hunziker & Cie geführte
Beschwerde ist die vormundschaftliche Aufsichtsbehörde am 11. April 1930 nicht
eingetreten «faute de légitimation active de G. Hunziker & Cie».
Mit der vorliegenden (Wider-) Klage fordert die Firma G. Hunziker & Cie
Zahlung von 12733 Fr. 75 Cts. nebst 5% Zins seit 31. August 1930 aus
Bürgschaft.
Der Appellationshof des Kantons Bern hat am 7. April 1936 Frau Vadi zur
Bezahlung der geforderten Geldsumme verurteilt.
Gegen dieses Urteil hat Frau Vadi die Berufung an das Bundesgericht erklärt
mit dem Antrag auf Abweisung der Widerklage.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
3. ­ Die von der Vormundschaftsbehörde gemäss Art. 177 Abs. 3
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 177 - Erfüllt ein Ehegatte seine Unterhaltspflicht gegenüber der Familie nicht, so kann das Gericht dessen Schuldner anweisen, ihre Zahlungen ganz oder teilweise dem andern Ehegatten zu leisten.
ZGB erteilte
Zustimmung zu Verpflichtungen, die von der Ehefrau Dritten gegenüber zugunsten
des Ehemannes eingegangen werden, verschafft den Dritten die aus jenen
Verpflichtungen entspringenden Rechte (gleichwie eine allfällig erforderliche
Zustimmung des Inhabers der elterlichen Gewalt, des Vormundes oder des
Beirates), über deren Bestand zu entscheiden einzig die Zivilgerichte berufen
sind, insoweit jene aus dem Zivilrecht hergeleitet werden. Sobald Dritte auf
diese Weise Rechte erworben haben ­ und dies trifft, nach Verneinung von
Willensmängeln auf Seite von Frau Vadi sowohl als der Vormundschaftsbehörde
(Erw. 1 und 2 hievor), bei der

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Firma G. Hunziker & Cie zu ­, so kann die Vormundschaftsbehörde die durch ihre
Zustimmung herbeigeführten privatrechtlichen Wirkungen nicht mehr nachträglich
dadurch beseitigen, dass sie auf die einmal erteilte Zustimmung zurückkommt,
sie zurückzieht, widerruft, ebensowenig wie irgendeine der genannten zu
Zustimmungen berufenen Personen. Etwas anderes wäre für Dritte, welche im
Vertrauen auf die erteilte Zustimmung der Vormundschaftsbehörde bereits mit
dem Ehemann in Rechtsbeziehungen getreten sind, unerträglich, auch wenn sie
wie hier nur von der nicht sofortigen Eintreibung bereits bestehender Schulden
absehen; ja es wäre um so unangebrachter, wenn den Dritten jede Einwirkung auf
die nachträgliche Sinnesänderung der Vormundschaftsbehörde vorenthalten wird,
wie es hier durch Verweigerung des Beschwerderechts geschehen ist. Höchstens
kann dem nachträglichen Widerruf der Zustimmung noch die Wirkung gegenüber
Dritten beigelegt werden, dass diese von der Mitteilung des Widerrufs an keine
weiteren Rechte mehr aus der Interzession erwerben können, z. B. aus
Leistungen, die sie gestützt auf die Verpflichtung der Ehefrau und die
Zustimmung der Vormundschaftsbehörde erst in Zukunft machen würden. Auch der
nachträgliche Widerruf der Zustimmung der Vormundschaftsbehörde vermag somit
Frau Vadi nicht ihrer Bürgschaft zu entheben.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationshofes des Kantons
Bern vom 7. April 1936 bestätigt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 62 II 261
Datum : 01. Januar 1936
Publiziert : 06. November 1936
Quelle : Bundesgericht
Status : 62 II 261
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : ZGB Art. 177 Abs. 3: Die Vormundschaftsbehörde kann ihre Zustimmung zu Verpflichtungen, die von der...


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ZGB: 177
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 177 - Erfüllt ein Ehegatte seine Unterhaltspflicht gegenüber der Familie nicht, so kann das Gericht dessen Schuldner anweisen, ihre Zahlungen ganz oder teilweise dem andern Ehegatten zu leisten.
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