S. 272 / Nr. 50 Registersachen (d)

BGE 79 I 272

50. Urteil der II. Zivilabteilung vom 10. Dezember 1953 i. S. Müller gegen
Luzern, Justizkommission.

Regeste:
Grundbuch. Bäuerliches Vorkaufsrecht.
Beim Verkauf einer im Miteigentum stehenden Liegenschaft darf die Durchführung
des Verfahrens gemäss Art. 13/14 des BG. über die Erhaltung des bitterlichen
Grundbesitzes vom 12. Juni 1951 (EGG) nicht mit der Begründung abgelehnt
werden, dass in einem solchen Falle die Bestimmungen des EGG über das
Vorkaufsrecht nicht anwendbar seien. Kognition der Grundbuchbehörden und der
ordentlichen Gerichte.

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Registre foncier. Droit ee préemption sur les exploitations agricoles.
En cas de vente d'un immeuble appartenant à des copropriétaires, on ne doit
pas refuser de procéder selon les art. 13 et 14 de la loi fédérale sur le
maintien de la propriété foncière rurale, du 12 juin 1951 (LPFR) en invoquant
le fait que les dispositions de la loi relatives au droit de préemption ne
seraient pas applicables. Attributions des autorités chargées de la tenue et
de la surveillance du registre foncier par rapport à celles des tribunaux
ordinaires.
Registro fondiario diritto di prelazione sulle aziende agricole.
In caso di vendita d'un immobile in comproprietà non si deve rifiutare di
procedere secondo gli art. 13 e 14 della legge federale 12 giugno 1951 sulla
conservazione della proprietà fondiaria agricola, invocando che le
disposizioni della legge relative al diritto di prelazione non sarebbero
applicabili. Attribuzioni dei le autorità incaricate della tenuta e della
vigilanza del registro fondiario e attribuzioni dei tribunali ordinari.

A. - Franz Müller, die Erben von Josef Renggli und Alfred Ackermann waren
Miteigentümer zu je 1/3 des landwirtschaftlichen Heimwesens «Ober
Blattegghüsli» in Entlebuch. Auf Grund einer Vereinbarung der Miteigentümer
wurde diese Liegenschaft am 7. März 1953 öffentlich versteigert. Dabei wurde
sie zum Preise von Fr. 62,500.- dem Miteigentümer Alfred Ackermann
zugeschlagen.
Am 20. März 1953 wurde der Steigerungskauf der Hypothekarkanzlei Entlebuch zur
Eintragung gemeldet und ins Tagebuch eingetragen. Der Gemeinderat Entlebuch
hatte am 14. März 1953 ein Verzeichnis der Personen erstellt, «welche zufolge
öffentlicher Versteigerung der Liegenschaft Ober Blattegghüsli... gemäss BG
über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes vom 12. Juni 1951 (EGG) für
diese Liegenschaft ein gesetzliches Vorkaufsrecht besitzen». Das Verzeichnis
führt SS Personen auf, nämlich 9 Verwandte des Franz Müller, 42 Verwandte der
Erben Renggli und 4 Verwandte des Alfred Ackermann. Mit Zirkular vom 26. März
1953, das die Überschrift «Anzeige an die Vorkaufsberechtigten (Art. 13 Abs. 3
EGG)» trug, brachte die Hypothekarkanzlei diesen SS Personen den
Steigerungskauf und dessen Anmeldung zur Kenntnis und eröffnete ihnen: «Falls
Sie vom Vorkaufsrecht Gebrauch machen wollen, haben Sie dies binnen

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Monatsfrist seit dieser Mitteilung gegenüber der unterzeichneten Amtsstelle zu
erklären». Innert nützlicher Frist machten darauf zwei minderjährige Söhne des
Franz Müller, Julius und Rudolf Müller, in deren Namen Beistände handelten,
und drei weitere Personen das Vorkaufsrecht nach Art. 6 EGG durch Eingaben an
die Hypothekarkanzlei geltend.
B. - Am 2. April 1953 führte Alfred Ackermann bei der Justizkommission des
Obergerichtes des Kantons Luzern als der kantonalen Aufsichtsbehörde in
Grundbuchsachen «gegen die Einleitung des Vorkaufsverfahrens nach Art. 6 ff .
EGG, insbesondere gegen die Anzeigen an die Verwandten gemäss Art. 13 Abs. 3
EGG: Beschwerde mit den Anträgen, es sei festzustellen, dass in Bezug auf die
Versteigerung der Liegenschaft Ober Blattegghüsli die Bestimmungen des EGG
über das Vorkaufsrecht nicht zur Anwendung kommen, und der Hypothekarschreiber
sei anzuweisen, das Verfahren einzustellen und die an die Verwandten
erlassenen Anzeigen zu widerrufen.
Die Justizkommission fand, es empfehle sich, die Frage der Anwendung oder
Nichtanwendung von Art. 6 ff . EGG im Beschwerdeverführer zu beantworten, weil
es sich um eine reine Rechtsfrage handle und die Beteiligten in diesem
Verfahren genügend zu Wort gekommen seien, sodass die Durchführung des
ordentlichen Prozessverfahrens «nur eine Verzögerung und bedeutenden Kosten
zur Folge hätte». In der Sache selbst kam sie zum Schlusse, jene Bestimmungen
seien im hier gegebenen Falle des Verkaufs einer im Miteigentum stehenden
Liegenschaft nicht anwendbar, m.a.W. es bestehe in diese in Falle kein
bäuerliches Vorkaufsrecht. Demgemäss hat sie mit Entscheid vom 17. Juli 1953
in Gutheissung der Beschwerde «das zur Feststellung von Vorkaufsberechtigten
eingeleitete Verfahren nach EGG aufgehoben» und den Hypothekarschreiber
angewiesen, «das in Frage stehende Kaufsgeschäft entsprechend zu behandeln»
(d.h. es ei einzutragen).
C. - Gegen diesen Entscheid haben Julius und Rudolf

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Müller beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht mit den
Anträgen:
«1) Der Entscheid des Obergerichtes des Kantons Luzern vom 17. Juli 1953 sei
aufzuheben.
2) Es sei zu erkennen, dass Julius und Rudolf Müller ein Vorkaufsrecht nach
Art. 6 EGG zusteht an der ganzen Liegenschaft Ober Blattegghüsli, eventuell am
frühern Miteigentumsanteil ihres Vaters und zwar zum Vorzugspreis nach Art. 12
EGG in Bezug auf den Miteigentumsanteil ihres Vaters.
3) Eventuell sei zu erkennen, dass den Verwandten der bisherigen Miteigentümer
an Ober Blattegghüsli ein Vorkaufsrecht nach Art. 6 EGG zusteht.»
Die Justizkommission und Alfred Ackermann beantragen die Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement befürwortet in seiner
Vernehmlassung die Aufhebung des angefochtenen Entscheides, weil der
Hypothekarschreiber richtig vorgegangen sei.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Die Beschwerdeführer behaupten, an der Liegenschaft Ober Blattegghüsli
stehe ihnen ein Vorkaufsrecht nach Art. 6 ff . EGG zu. Sie erheben also einen
zivilrechtlichen Anspruch. Ob dieser bestehe, haben im Streitfalle nicht die
Brundbuchbehörden, sondern die ordentlichen Gerichte festzustellen. Das ergibt
sich unabhängig von Art. 11 Abs. 3 EGG, den das Eidg. Justiz- und
Polizeidepartement analog anwenden möchte, aus der allgemeinen Regelung der
Zuständigkeit der in Frage stehenden Behörden. Es bedarf keiner nähern
Begründung, dass der Grundbuchverwalter nicht über streitige Privat rechte zu
urteilen hat, und es ist auch klar, dass in dieser Hinsicht für die
Beschwerdeinstanzen, d.h. für die kantonale Aufsichtsbehörde und das
Bundesgericht als Verwaltungsgericht in Grundbuchsachen, das gleiche gelten
muss. Dabei bleibt es auch, wenn mit den Funktionen der kantonalen
Aufsichtsbehörde eine richterliche Behörde betraut ist (was nicht in allen
Kantonen zutrifft), und wenn im konkreten Falle der Entscheid über das
streitige Recht

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ausschliesslich von der Beurteilung einer reinen Rechtsfrage abhängt. Es geht
nicht an, aus blossen Zweckmässigkeitsgründen die gesetzliche Abgrenzung der
Zuständigkeiten zu durchbrechen. Ein Verzicht auf die Inkompetenzeinrede, wie
die Beschwerdeführer ihn vor Bundesgericht ausgesprochen haben, ist ohne
Bedeutung, weil die sachliche Zuständigkeit von Amtes wegen zu prüfen ist.
Soweit die Beschwerde Ackersmanns an die kantonale Aufsichtsbehörde und die
vorliegende Verwaltungsgerichtsbeschwerde auf die Feststellung des
Nichtbestehens bzw. Bestehens eines Vorkaufsrechts nach EGG gerichtet sind,
erweisen sie sich demnach als unzulässig. Der angefochtene Entscheid ist wegen
sachlicher Unzuständigkeit der kantonalen Aufsichtsbehörde aufzuheben, soweit
diese damit endgültig feststellen wollte, dass kein bäuerliches Vorkaufsrecht
bestehe.
2.- Die Grundbuchbehörden haben dagegen zu entscheiden, ob der
Grundbuchverwalter in einem gegebenen Falle das in Art. 13 '14 EGG vorgesehene
Verfahren einzuleiten habe, d.h. ob er den Personen, die in den Verzeichnissen
gemäss Art. 13 Abs. 1 und 2 EGG aufgeführt sind, die Anmeldung eines
Kaufvertrags mitzuteilen und sie darauf hinzuweisen habe, dass sie binnen
einem Monat seit Erhalt dieser Mitteilung durch eine an ihn gerichtete
Erklärung das Vorkaufsrecht geltend machen können. Dabei haben sie die Frage,
ob ein Vorkaufsrecht nach EGG -bestehe, in beschränktem Umfange als Vorfrage
zu prüfen. Es kann nicht der Sinn von Art. 13 ,14 EGG sein, dass der
Grundbuchverwalter das hier geregelte Verfahren ohne jede Rücksicht darauf
durchzuführen habe, ob mit dem Bestehen eines solchen Anspruchs zu rechnen sei
oder nicht. Als selbstverständliche Voraussetzung für die Einleitung des
Verfahrens nach Art. 13 ,14 EGG, das der Ausübung des bäuerlichen
Vorkaufsrechts dienen soll, hat vielmehr zu gelten, dass es zum mindesten als
möglich erscheint, dass den in Frage stehenden Personen ein solcher Anspruch
zusteht. Der Grundbuchverwalter hat die

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Einleitung jenes Verfahrens daher abzulehnen, wenn diese Möglichkeit nach den
ihm vorgelegten Akten nicht ernstlich in Betracht fällt (vgl. BGE 79 I 270).
In allen andern Fällen hat er dagegen das erwähnte Verfahren durchzuführen,
damit kein möglicherweise vorkaufsberechtigter Verwandter die Gelegenheit zur
Ausübung des Vorkaufsrechts versäumt und die Vertragsparteien möglichst bald
erfahren, ob und gegebenenfalls von wem das Vorkaufsrecht geltend gemacht
wird. Es kann also keine Rede davon sein, das die Einleitung des Verfahrens
gemäss Art. 13 /14 EGG vom Ergebnis einer freien Vorprüfung der materiellen
Rechtslage abhängig gemacht werden dürfe.
Im vorliegenden Falle hat man es unstreitig mit dem Verkauf eines
landwirtschaftlichen Gewerbes zu tun, das im Miteigentum des Vaters der
Beschwerdeführer, des Alfred Ackermann und der Erben Renggli stand. Die im
Verzeichnis nach Art. 13 Abs. 1 EGG aufgeführten Personen stehen nach den in
diesem Verzeichnis enthaltenen Angaben zu Miteigentümern in
Verwandtschaftsverhältnissen von der in Art. 6 Abs. 1 EGG vorausgesetzten Art,
d.h. es handelt sich dabei um Nachkommen und Ehegatten von Miteigentümern. Ob
beim Verkauf einer im Miteigentum stehenden Liegenschaft die Verwandten der
Miteigentümer ein Vorkaufsrecht haben, ist eine Frage des materiellen Rechts,
über die sich streiten lässt. Es kann daher -nicht gesagt werden, die
Möglichkeit, dass den im Verzeichnis nach Art. 13 Abs. 1 EGG aufgeführten
Personen ein Vorkaufsrecht zusteht, falle nicht ernstlich in Betracht. Unter
diesen Umständen hat der Hypothekarschreiber hat Recht das Verfahren nach Art.
13 /14 EGG eingeleitet. Indem die kantonale Aufsichtsbehörde dieses Verfahren
aufhob, hat sie die eben genannten Bestimmungen verletzt. Daher ist ihr
Entscheid in Gutheissung des ersten Beschwerdebegehrens auch in diesem Punkte
aufzuheben und hat der Hypothekarschreiber das eingeleitete Verfahren zu Ende
zu führen.

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Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid der
Justizkommission des Kantons Luzern vom 17. Juli 1953 aufgehoben und der
Hypothekarschreiber von Entlebuch angewiesen wird, das Verfahren nach Art.
13 /14 EGG zu Ende zu führen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 79 I 272
Datum : 01. Januar 1953
Publiziert : 10. Dezember 1953
Quelle : Bundesgericht
Status : 79 I 272
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : Grundbuch. Bäuerliches Vorkaufsrecht.Beim Verkauf einer im Miteigentum stehenden Liegenschaft darf...


Gesetzesregister
EGG: 6  11  12  13  14
BGE Register
79-I-265 • 79-I-272
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
vorkaufsrecht • frage • bundesgericht • miteigentum • vater • weiler • erbe • angabe • angewiesener • miteigentumsanteil • versteigerung • richterliche behörde • landwirtschaftsbetrieb • ejpd • entscheid • kauf • bundesgesetz über die erhaltung des bäuerlichen grundbesitzes • begründung des entscheids • eröffnung des verfahrens • kommunikation
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