S. 81 / Nr. 21 Strafgesetzbuch (d)

BGE 78 IV 81

21. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 5. März 1952 i. S. A. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern.


Seite: 81
Regeste:
Art. 64
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 64 - 1 Das Gericht ordnet die Verwahrung an, wenn der Täter einen Mord, eine vorsätzliche Tötung, eine schwere Körperverletzung, eine Vergewaltigung, einen Raub, eine Geiselnahme, eine Brandstiftung, eine Gefährdung des Lebens oder eine andere mit einer Höchststrafe von fünf oder mehr Jahren bedrohte Tat begangen hat, durch die er die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer andern Person schwer beeinträchtigt hat oder beeinträchtigen wollte, und wenn:59
1    Das Gericht ordnet die Verwahrung an, wenn der Täter einen Mord, eine vorsätzliche Tötung, eine schwere Körperverletzung, eine Vergewaltigung, einen Raub, eine Geiselnahme, eine Brandstiftung, eine Gefährdung des Lebens oder eine andere mit einer Höchststrafe von fünf oder mehr Jahren bedrohte Tat begangen hat, durch die er die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer andern Person schwer beeinträchtigt hat oder beeinträchtigen wollte, und wenn:59
a  auf Grund der Persönlichkeitsmerkmale des Täters, der Tatumstände und seiner gesamten Lebensumstände ernsthaft zu erwarten ist, dass er weitere Taten dieser Art begeht; oder
b  auf Grund einer anhaltenden oder langdauernden psychischen Störung von erheblicher Schwere, mit der die Tat in Zusammenhang stand, ernsthaft zu erwarten ist, dass der Täter weitere Taten dieser Art begeht und die Anordnung einer Massnahme nach Artikel 59 keinen Erfolg verspricht.
1bis    Das Gericht ordnet die lebenslängliche Verwahrung an, wenn der Täter einen Mord, eine vorsätzliche Tötung, eine schwere Körperverletzung, einen Raub, eine Vergewaltigung, eine sexuelle Nötigung, eine Freiheitsberaubung oder Entführung, eine Geiselnahme, ein Verschwindenlassen, Menschenhandel, Völkermord, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder ein Kriegsverbrechen (Zwölfter Titelter) begangen hat und wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:60
a  Der Täter hat mit dem Verbrechen die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer anderen Person besonders schwer beeinträchtigt oder beeinträchtigen wollen.
b  Beim Täter besteht eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass er erneut eines dieser Verbrechen begeht.
c  Der Täter wird als dauerhaft nicht therapierbar eingestuft, weil die Behandlung langfristig keinen Erfolg verspricht.61
2    Der Vollzug der Freiheitsstrafe geht der Verwahrung voraus. Die Bestimmungen über die bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe (Art. 86-88) sind nicht anwendbar.62
3    Ist schon während des Vollzugs der Freiheitsstrafe zu erwarten, dass der Täter sich in Freiheit bewährt, so verfügt das Gericht die bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe frühestens auf den Zeitpunkt hin, an welchem der Täter zwei Drittel der Freiheitsstrafe oder 15 Jahre der lebenslänglichen Freiheitsstrafe verbüsst hat. Zuständig ist das Gericht, das die Verwahrung angeordnet hat. Im Übrigen ist Artikel 64a anwendbar.63
4    Die Verwahrung wird in einer Massnahmevollzugseinrichtung oder in einer Strafanstalt nach Artikel 76 Absatz 2 vollzogen. Die öffentliche Sicherheit ist zu gewährleisten. Der Täter wird psychiatrisch betreut, wenn dies notwendig ist.
StGB. Kann ein Kind unter sechzehn Jahren einen Erwachsenen «ernstlich
in Versuchung führen», es zur Unzucht zu missbrauchen?
Art. 64 CP. Un adulte peut-il être «nduit en tentation grave» par un enfant de
moins de seize ans d'attenter à sa pudeur?
Art. 64 CP. Un'adolescente che ha meno di sedici anni d'età può con la sua
condotta indurre «in grave tentazione» un adulto a compiere atti di libidine
su di lei?

Aus den Erwägungen:
Wie das Bundesgericht schon öfters ausgeführt hat, will Art. 191
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person in Kenntnis ihres Zustandes zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft.
StGB das Kind
auch gegen seine eigenen Schwächen schützen, die Verantwortung für seine
geschlechtliche Unberührtheit voll und ganz dem Erwachsenen überbinden. Dieser
soll sogar widerstehen, wenn das Kind ihn «verführen» will. Verführung durch
das Kind kann daher schwerlich jemals Strafmilderungsgrund sein (BGE 73 IV
157
). Jedenfalls könnte davon höchstens dann die Rede sein, wenn das Kind
einen ungefähr gleich alten Täter intensiv, raffiniert und andauernd reizt und
verlockt und der Täter der Verführung schliesslich erliegt, nachdem er sich
längere Zeit gegen sie ernsthaft zur Wehre gesetzt hat.
Im vorliegenden Falle waren die Verhältnisse selbst dann wesentlich anders,
wenn die Behauptungen des Beschwerdeführers zutreffen sollten. Der
Beschwerdeführer war zur Zeit der Tat 27 Jahre alt, also längst erwachsen.

Seite: 82
Einen Mann in diesem Alter trifft erhöhte Verantwortung gegenüber Kindern. Er
darf sich nicht durch ein 15 1/2 Jahre altes Mädchen «verführen» lassen,
sondern hat sich mit der vollen Einsichtsfähigkeit und Widerstandskraft eines
Erwachsenen gegen ein solches Unternehmen zu wehren. Der Beschwerdeführer
hätte W. L. energisch zurecht weisen, sie aus seinem Zimmer wegjagen und ihr
das Betreten desselben verwehren sollen. Auch konnte ihm zugemutet werden, die
Meistersleute auf das Treiben des Mädchens aufmerksam zu machen, falls er den
Eindruck hatte, es suche geschlechtliche Beziehungen. Dem Beschwerdeführer
fehlte der ernste Wille zum Widerstand zum vornherein, sonst hätte er sich
nicht, wie er behauptet, am Geschlechtsteil kitzeln lassen, was bereits
unzüchtig war und ihn strafbar machte. Übrigens ist in der Untersuchung nur
davon die Rede gewesen, dass das Mädchen ihn gekitzelt, nicht dass es das am
Geschlechtsteil getan habe auch im Brief vom 17. Juli 1951 hat das Mädchen
nichts anderes geschrieben. Wären dem Beschwerdeführer die Besuche und
angeblichen Zudringlichkeiten des Mädchens nicht willkommen gewesen, so hätte
er das Zimmer abgeschlossen, wenn er über die Mittagszeit und abends sich zur
Ruhe legte. In der Untersuchung hat er selber erklärt, er habe W. L. in sein
Zimmer eingeladen, in der Absicht, mit ihr zu «schmusen», nachdem sie ihm
beständig nachgelaufen sei. Gemäss ihren Aussagen hat er sie nach ihrem Alter
gefragt und auf ihre Antwort hin erwidert, es sei schade, dass sie nicht älter
sei, aber deshalb könne man einander ja gleichwohl «gern haben». Alles deutet
darauf hin, dass ihm die angebliche Geilheit des Mädchens gelegen kam es fehlt
jede Spur ernsthafter Abwehr.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 78 IV 81
Datum : 01. Januar 1952
Publiziert : 05. März 1952
Quelle : Bundesgericht
Status : 78 IV 81
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 64 StGB. Kann ein Kind unter sechzehn Jahren einen Erwachsenen «ernstlich in Versuchung...


Gesetzesregister
StGB: 64 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 64 - 1 Das Gericht ordnet die Verwahrung an, wenn der Täter einen Mord, eine vorsätzliche Tötung, eine schwere Körperverletzung, eine Vergewaltigung, einen Raub, eine Geiselnahme, eine Brandstiftung, eine Gefährdung des Lebens oder eine andere mit einer Höchststrafe von fünf oder mehr Jahren bedrohte Tat begangen hat, durch die er die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer andern Person schwer beeinträchtigt hat oder beeinträchtigen wollte, und wenn:59
1    Das Gericht ordnet die Verwahrung an, wenn der Täter einen Mord, eine vorsätzliche Tötung, eine schwere Körperverletzung, eine Vergewaltigung, einen Raub, eine Geiselnahme, eine Brandstiftung, eine Gefährdung des Lebens oder eine andere mit einer Höchststrafe von fünf oder mehr Jahren bedrohte Tat begangen hat, durch die er die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer andern Person schwer beeinträchtigt hat oder beeinträchtigen wollte, und wenn:59
a  auf Grund der Persönlichkeitsmerkmale des Täters, der Tatumstände und seiner gesamten Lebensumstände ernsthaft zu erwarten ist, dass er weitere Taten dieser Art begeht; oder
b  auf Grund einer anhaltenden oder langdauernden psychischen Störung von erheblicher Schwere, mit der die Tat in Zusammenhang stand, ernsthaft zu erwarten ist, dass der Täter weitere Taten dieser Art begeht und die Anordnung einer Massnahme nach Artikel 59 keinen Erfolg verspricht.
1bis    Das Gericht ordnet die lebenslängliche Verwahrung an, wenn der Täter einen Mord, eine vorsätzliche Tötung, eine schwere Körperverletzung, einen Raub, eine Vergewaltigung, eine sexuelle Nötigung, eine Freiheitsberaubung oder Entführung, eine Geiselnahme, ein Verschwindenlassen, Menschenhandel, Völkermord, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder ein Kriegsverbrechen (Zwölfter Titelter) begangen hat und wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:60
a  Der Täter hat mit dem Verbrechen die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer anderen Person besonders schwer beeinträchtigt oder beeinträchtigen wollen.
b  Beim Täter besteht eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass er erneut eines dieser Verbrechen begeht.
c  Der Täter wird als dauerhaft nicht therapierbar eingestuft, weil die Behandlung langfristig keinen Erfolg verspricht.61
2    Der Vollzug der Freiheitsstrafe geht der Verwahrung voraus. Die Bestimmungen über die bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe (Art. 86-88) sind nicht anwendbar.62
3    Ist schon während des Vollzugs der Freiheitsstrafe zu erwarten, dass der Täter sich in Freiheit bewährt, so verfügt das Gericht die bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe frühestens auf den Zeitpunkt hin, an welchem der Täter zwei Drittel der Freiheitsstrafe oder 15 Jahre der lebenslänglichen Freiheitsstrafe verbüsst hat. Zuständig ist das Gericht, das die Verwahrung angeordnet hat. Im Übrigen ist Artikel 64a anwendbar.63
4    Die Verwahrung wird in einer Massnahmevollzugseinrichtung oder in einer Strafanstalt nach Artikel 76 Absatz 2 vollzogen. Die öffentliche Sicherheit ist zu gewährleisten. Der Täter wird psychiatrisch betreut, wenn dies notwendig ist.
191
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person in Kenntnis ihres Zustandes zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft.
BGE Register
73-IV-155 • 78-IV-81
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
erwachsener • zimmer • wille • geschlecht • strafgesetzbuch • dauer • mann • bundesgericht • kassationshof • schaden • brief