S. 140 / Nr. 31 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (d)

BGE 78 III 140

31. Entscheid vom 30. September 1952 i. S. Schütz.

Regeste:
Freigabe der Arrestgegenstände gegen Sicherheitsleistung, Art. 277 SchKG.
Der Umstand, dass der Arrestgläubiger neben der Arrestforderung gegen den
Schadenersatzschuldner einen direkten Anspruch gegen dessen
Haftpflichtversicherer hat (Art. 49 MFG), bildet keine Sicherheit im Sinne von
Art. 277 SchKG.
Libération des biens séquestrés moyennant fourniture de sûretés. Art. 277 LP.
Le fait qu'outre la créance en dommages-intérêts en garantie de laquelle le
séquestre a été exécuté, le créancier séquestrant possède une prétention
directe contre celui auprès duquel le débiteur

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s'est assuré contre les conséquences de sa responsabilité civile (art. 49 LA)
no constitue pas une sûreté dans le sens de l'art. 277 LP.
Liberazione dei beni sequestrati mediante prestazione di garanzie. Art. 277
LEF.
Il fatto che il creditore sequestrante possiede, oltre che il credito per
risarcimento danni a garanzia del quale è stato ordinato il sequestro, una
pretesa diretta contro colui che ha assicurato il debitore per la
responsabilità civile (art. 49 LA), non costituisce una garanzia a norma
dell'art. 277 LEF.

A. - Am 11. August 1952 wurde in St. Gallen der Motorroller des H. Schütz
durch Zusammenstoss mit dem Auto (Topolino) der Frau Buscaini-Bestazza aus
Mailand beschädigt. Schütz erwirkte für eine behauptete Schadenersatzforderung
von Fr. 1000.- einen Arrest auf den Mailänder Wagen und liess ihn in amtliche
Verwahrung nehmen. Die Schuldnerin verlangte Freigabe unter Vorlegung eines
Schreibens der «Zürich-Unfall» vom 21. August 1952, worin diese ihr auf die
Schadenanzeige erklärte, «dass wir für die Folgen des Schadens auf Grund der
vertraglichen Bestimmungen bis zum Betrag von Fr. 5000.- Deckung gewähren
unter Vorbehalt der Prüfung des Quantitativen und des Mitverschuldens des
Lenkers» des Motorrollers. Das Betreibungsamt lehnte die Herausgabe ab, worauf
Frau Buscaini Beschwerde erhob mit dem Antrag, der Wagen sei ihr zur freien
Verfügung zu überlassen. Zur Begründung machte sie geltend, sie habe gemäss
dem BRB vom 22. Juni 1948 über die Deckung der von ausländischen
Motorfahrzeugen verursachten Schäden an der Grenze die Gebühr entrichtet; der
Geschädigte habe daher einen gesetzlichen direkten Anspruch und ein direktes
Klagerecht gegen die Zürich-Unfall. Damit sei nicht nur der Arrest überhaupt,
sondern insbesondere auch die amtliche Verwahrung des Arrestgegenstandes
überflüssig. Der Anspruch des Geschädigten gegen den Versicherer gehe weiter
als eine Solidarbürgschaft einer im Betreibungskreise des Arrestortes
wohnenden Person im Sinne von Art. 277 SchKG, weshalb der Wagen freizugeben
sei. Überdies habe der Geschädigte gemäss Art. 60 VVG von

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Gesetzes wegen ein Pfandrecht an dem Ersatzanspruch der versicherten Halterin
gegen die Versicherungsgesellschaft, und diese sei berechtigt, direkt an den
Geschädigten zu bezahlen. Dessen Forderung sei also pfandgesichert; es hätte
daher gemäss Art. 271 SchKG dafür gar nicht Arrest genommen werden können
jedenfalls sei der Arrestvollzug nicht mehr möglich und müsse aufgehoben
werden.
B. - Die untere Aufsichtsbehörde wies die Beschwerde ab; die obere hat sie mit
Entscheid vom 10. September 1952 geschützt und das Betreibungsamt angewiesen,
den arrestierten und verwahrten Wagen der Rekurrentin zur freien Verfügung zu
überlassen. In der Begründung wird ausgeführt, bei der Frage, ob durch das
Bestehen der Haftpflichtversicherung für den verursachten Schaden bzw. durch
die von der Zürich-Unfall abgegebene Erklärung die Voraussetzungen der
Sicherheitsleistung gemäss Art. 277 SchKG erfüllt seien, sei vom Sinn und
Zweck dieser Bestimmung auszugehen. Die gegenüber der ordentlichen
Zwangsvollstreckung eine Ausnahme bildende Sicherungsmassnahme des Arrestes
und namentlich die damit verbundene amtliche Verwahrung des Arrestgegenstandes
bedeute unter Umständen einen folgenschweren Eingriff in die Rechte des
Arrestschuldners. Diese Folgen erlaube Art. 277 SchKG dem Arrestschuldner zu
vermeiden oder zu mildern durch anderweitige Sicherstellung des Gläubigers.
Wenn diese in hinreichender Weise erfolge, sodass der Gläubiger nicht Gefahr
laufe, die durch den Arrest erworbene Sicherheit zu verlieren oder darin
geschmälert zu werden, bestehe kein Grund, dem Schuldner die Gegenstände
vorzuenthalten. Wie die vom Gesetz vorgesehene Sicherheitsleistung durch
Hinterlage oder Solidarbürgschaft beschaffen sein müsse, werde nicht näher
gesagt es sei Sache des Betreibungsbeamten, darüber zu befinden, ob eine
geleistete oder angebotene Sicherheit genüge oder nicht. Sie müsse dem
Arrestgläubiger die Verfolgung seiner Rechte und gegebenenfalls deren
Erfüllung gewährleisten das müsse aber auch genügen. In casu sei Frau Buscaini

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für ihre Haftbarkeit aus Unfällen mit ihrem Topolino versichert; die
Zürich-Unfall habe ihr gegenüber die Deckungspflicht für den Schadensfall bis
zum Betrage von Fr. 5000.- unter Vorbehalt der Prüfung der Schadenshöhe und
des Mitverschuldens des Motorradfahrers ausdrücklich anerkannt. Diese
Erklärung sei nun freilich weder eine Barhinterlage noch eine
Solidarbürgschaft. Wohl aber erfülle sie nicht weniger, ja sogar wesentlich
besser die gleiche Funktion, jedenfalls besser als eine Solidarbürgschaft
einer «Person». Eine solche könnte nur in Höhe des Wertes der arrestierten
Wagens (Fr. 2500.-) verlangt werden die Versicherung gewähre Deckung bis zum
doppelten Betrage. Nach Art. 49 MFG habe der Geschädigte ein direktes
Forderungs- und Klagerecht gegen den Versicherer und auch ein Forum in St.
Gallen, wie für eine Solidarbürgschaft. Zudem verschaffe ihm die Deckung der
Versicherung mit dem gesetzlichen Pfandrecht am Ersatzanspruch gemäss Art. 60
VVG ein dingliches Recht, was er mit Bezug auf das Arrestobjekt oder die
Ersatzsicherheit nicht habe. Endlich könne die Versicherung nach Art. 50 MFG
dem Geschädigten auch keine Einreden aus dem Versicherungsvertrag oder dem VVG
entgegenhalten, die die Deckung des Schadens schmälern oder aufheben würden.
Damit sei aber Sinn und Zweck der Bestimmung des Art. 277 SchKG vollumfänglich
erreicht, auch wenn an die Stelle der dort genannten Sicherheiten eine
mindestens gleichwertige Erklärung einer anerkannten Versicherungsgesellschaft
trete.
Auch die weiteren Einwendungen seien nicht stichhaltig. Mit der
Deckungserklärung bis auf Fr. 5000.- sei dem Erfordernis, dass die Sicherheit
auf einen bestimmten Betrag zu lauten habe, Genüge getan; das Arrestobjekt
selber sei nur Fr. 2500.- wert. Dass sich die Versicherung die Prüfung des
Quantitativen und des Mitverschuldens des Vespafahrers vorbehalten habe, sei
selbstverständlich; der Schadenersatzanspruch des Geschädigten gegenüber der
Arrestschuldnerin könne nicht weiter gehen, als er rechtlich begründet werden
könne. Unter den im Schreiben

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der «Zürich» angerufenen «vertraglichen Bestimmungen» sodann könnten nur die
in Art. 3-5 des BRB von 1948 erwähnten Erklärungen oder Abkommen gemeint sein,
die gerade die Deckung von Schäden wie den hier vorliegenden zum Gegenstande
haben; es liege darin nur ein Hinweis der Versicherung auf den Rechtsgrund
ihrer Deckungspflicht. Wenn endlich Frau Buscaini auf der Unfallstelle dem
Vespafahrer Allenspach gegenüber die Deckung des ganzen Schadens zugesagt
habe, so könne darin niemals ein Verzicht auf Einreden bezüglich der
Schadenshöhe und des Mitverschuldens des Geschädigten erblickt werden.
Wer sich unter diesen Umständen und mit solchen Argumenten der Freigabe des
Arrestobjektes widersetze, erwecke den Verdacht, dass er in Ausnutzung einer
momentanen Zwangslage des Gegners andere als rechtlich begründete Ansprüche
durchsetzen wolle, und handle missbräuchlich.
C. - Hiegegen rekurriert der Arrestgläubiger mit dem Antrag auf Abweisung der
Beschwerde, mit der Begründung, er leite seine Forderung nicht aus MFG bzw.
Art. 41 OR ab, sondern ausschliesslich aus der vertraglichen vorbehaltlosen
Schuldanerkennung der Frau Buscaini unter Ausschluss der Einreden betreffend
Quantitativ und Mitverschulden, die mithin bedeutend weiter gehe als die
Erklärung der «Zürich», weshalb letztere kein genügendes Äquivalent für den
Arrestgegenstand im Sinne von Art. 277 SchKG bilde.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
Ziel der Beschwerde der Schuldnerin ist nicht nur die Entlassung ihres Wagens
aus dem amtlichen Gewahrsam, wobei der Arrest an demselben bestehen bliebe
(Art. 275 , 98 Abs. 2 und 3 SchKG, vgl. BGE 30 I 197 Sep.-Ausg. VII 53, 54 III
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), sondern die Überlassung desselben zur freien Verfügung gemäss Art. 277
SchKG. In diesem Sinne hat denn auch die Vorinstanz die Beschwerde geschützt.

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Sie stützt ihren Entscheid darauf, dass die Erklärung der
Versicherungsgesellschaft und ihre Haftung gemäss Art. 49 MFG dem Geschädigten
nicht nur gleichviel, sondern sogar mehr Sicherheit biete, als eine der im
Art. 277 vorgesehenen Sicherheiten, weshalb dem Zweck dieser Bestimmung Genüge
getan sei. Dies trifft jedoch nicht zu.
Die Sicherheit gemäss Art. 277 SchKG ist nicht dafür zu leisten, dass die
Arrestforderung von irgendjemandem bezahlt werde, sondern dafür, «dass im
Falle der Pfändung oder der Konkurseröffnung die Arrestgegenstände oder an
ihrer Stelle andere Vermögensstücke von gleichem Werte vorhanden sein werden».
Sicherzustellen sind also die Exekutionsrechte des Arrestgläubigers, die er
durch den Arrest erworben hat. Das sind sie aber nicht durch das Vorhandensein
eines Mitverpflichteten für die Arrestforderung. Die Mitverpflichtung der
Versicherung für die Schuld der Halterin bestand ja zum voraus von
gesetzeswegen ohne die Arrestnahme sie stellt also keine neue, an die Stelle
des Arrestes tretende, diesen ersetzende Sicherheit dar, wie Art. 277 sie
verlangt. Wäre die Mitverpflichtung als Sicherheit in diesem Sinne tauglich,
so hätte ihr Vorhandensein zum vornherein die Arrestnahme überflüssig gemacht
und ihr entgegengestanden, was aber in Art. 271 vorgesehen sein müsste und
dann von der Arrestbewilligungsbehörde zu berücksichtigen wäre, nicht von den
Vollzugsbehörden. Hievon abgesehen entspricht eine solche Mitverpflichtung für
die Arrestforderung auch keineswegs der von Art. 277 zugelassenen
Solidarbürgschaft. Diese muss besonders stipuliert werden und zwar zugunsten
des Betreibungsamtes, nicht des Arrestgläubigers (vgl. JAEGER, Komm., zu Art.
277 N. 6). Sie muss ferner von einer Person mit Wohnsitz bzw., bei einer
juristischen Person, mit Sitz im Betreibungskreise des Arrestortes geleistet
sein. Würde der Arrestgegenstand gemäss dem angefochtenen Entscheide im
Hinblick auf die Verpflichtung der Versicherung freigegeben, so wäre, falls
die Schuldnerin in der Arrestprosekutionsbetreibung keinen Rechtsvorschlag

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erhebt, gar nichts vorhanden, was anstelle des Arrestobjektes gepfändet werden
könnte. Daran ändert auch das gesetzliche Pfandrecht des Geschädigten am
Ersatzanspruch des Versicherungsnehmers gegen den Versicherer gemäss Art. 60
VVG nichts, denn auch es bestand von vornherein und ist nicht als Ersatz des
Arrestgegenstandes begründet worden und an dessen Stelle getreten. Die
Einwendung, dieses Pfandrecht schliesse überhaupt die Arrestnahme aus, weil
dank demselben die Arrestforderung pfandgesichert sei (Art. 271 Abs. 1 SchKG),
wäre, da die Arrestgründe (im weitem Sinne), nicht den Arrestvollzug
betreffend, im Wege der Arrestaufhebungsklage gemäss Art. 279 SchKG geltend zu
machen gewesen (BGE 51 III 27).
Die Entlassung des Wagens aus dem Arreste liefe somit darauf hinaus, dass dem
Gläubiger ein ihm zur Verfügung stehendes Exekutionsobjekt ohne einen
vollstreckungsrechtlich gleichwertigen Ersatz entzogen würde, lediglich weil
noch jemand anderer neben der Autohalterin für seine Forderung haftet.
Die Opposition des Rekurrenten gegen die Freigabe des Wagens wäre somit selbst
dann nicht missbräuchlich, wenn feststände, dass die Verpflichtung der
Versicherung seine ganze Forderung gegen die Autohalterin deckt. Allein der
Rekurrent bestreitet dies mit der Behauptung, Frau Buscaini habe sich ohne
Rücksicht auf ein allfälliges Mitverschulden des Motorfahrers verpflichtet,
den ganzen Schaden zu vergüten. Ob dies zutrifft oder nicht, ist im
Beschwerdeverfahren nicht zu prüfen; es genügt hier die Feststellung, dass
eine solche Verpflichtung gültig eingegangen werden kann. Sogut durch einen
Vergleich die Verpflichtung begründet werden kann, einen bestimmten Betrag zu
zahlen, der sonst vielleicht nicht geschuldet wäre, sogut kann durch Vergleich
auf irgendeine das Mass der Forderung in Frage stellende Einrede verzichtet
werden (hier Einrede des Mitverschuldens, Art. 39 Satz 2 MFG/44 Abs. 1 OR).
Hat ein solcher Vergleich stattgefunden, so schuldet die Halterin
möglicherweise mehr, als was die Versicherung zu

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leisten verpflichtet ist und woran das gesetzliche Pfandrecht gemäss Art. 60
VVG besteht. Der Rekurs ist aber, wie ausgeführt, auch ohne diese mögliche
Inkongruenz der Schadenersatz - und der Haftpflichtversicherungsforderung aus
den erwähnten prinzipiellen Erwägungen begründet.
Demnach erkennt die Schuldbetr. - u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid aufgehoben und die
Beschwerde abgewiesen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 78 III 140
Date : 01. Januar 1952
Published : 30. September 1952
Source : Bundesgericht
Status : 78 III 140
Subject area : BGE - Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Subject : Freigabe der Arrestgegenstände gegen Sicherheitsleistung, Art. 277 SchKG.Der Umstand, dass der...


Legislation register
OR: 41
SchKG: 3  98  271  275  277  279
VVG: 60
BGE-register
30-I-195 • 51-III-27 • 54-III-131 • 78-III-140
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