S. 178 / Nr. 40 Strafgesetzbuch (d)

BGE 77 IV 178

40. Urteil des Kassationshofes vom 29. Juni 1951 i. S. Mohler gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft.


Seite: 178
Regeste:
Art. 237 Ziff. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 237 - 1. Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.
, 238 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 238
, 18 Abs. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 18 - 1 Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben.
1    Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben.
2    War dem Täter nicht zuzumuten, das gefährdete Gut preiszugeben, so handelt er nicht schuldhaft.
StGB.
a) Eisenbahnen sind auch an unbewachten Niveauübergängen vortrittsberechtigt
(Erw. 1).
b) Warnpflicht des Führers eines Zuges, der sich einem unbewachten Übergang
nähert (Erw. 1).
c) Bedeutung von Dienstvorschriften über die Fahrgeschwindigkeit von Zügen
(Erw. 2).
d) Kausalzusammenhang bei Mitverschulden (Erw. 3).
Art. 237 ch. 2, 238 al. 2 et 18 al. 3 CP.
a) Le chemin de fer jouit aussi de la priorité aux passages à niveau non
gardés (consid. 1).
b) Le conducteur d'un tram qui s'approche d'un passage à niveau non gardé est
tenu d'avertir (consid. 1).
c) Portée des prescriptions de service sur la vitesse des trains (consid. 2).
d) Rapport de causalité en cas de faute concomitante (consid. 3).
Art. 237 cifra 2, 238 cp. 2 e 18 cp. 3 CP.
a) Le strade ferrate hanno la precedenza anche ai passaggi a livello
incustoditi (consid. 1).
b) Il conduttore della locomotiva che si avvicina ad un passaggio a livello
incustodito deve preannunciare l'arrivo con un segnale acustico (consid. 1).
c) Portata delle istruzioni di servizio sulla velocità dei treni (consid. 2).
d) Nesso causale quando ricorre una colpa concomitante (consid. 3).

A. - Mohler führte am Vormittag des 12. Februar 1950 aushilfsweise einen
Tramzug, bestehend aus einem Motorwagen und zwei Anhängern, von Prallen gegen
Basel. Bei der Haltestelle «Güterbahnhof» in Prallen schaltete er den Strom
aus und gab ein Glockenzeichen, hielt aber nicht an, da kein Fahrgast zu sehen
war. Er fuhr mit unverminderter Geschwindigkeit von 39 km/Std. auf den
unmittelbar nach der Haltestelle liegenden unbewachten Niveauübergang der
Gempenstrasse zu, obschon die Sicht nach rechts in die Gempenstrasse durch
eine 1,95 m hohe Mauer behindert war. Plötzlich bemerkte Mohler ein von rechts
gegen den Niveauübergang fahrendes Personenautomobil. Er bremste sofort,
konnte jedoch nicht verhindern, dass der Tramzug mit dem Automobil
zusammenstiess und es um warf. Das den Niveauübergang kennzeichnende Signal

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wurde abgeknickt. Am Automobil entstand für Fr. 4800.- Sachschaden. Der Führer
des Automobils, Reno Ulmer, erlitt leichte Schürfungen.
B. - Das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft verurteilte Mohler am 19.
Dezember 1950 wegen fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs (Art. 237
Ziff. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 237 - 1. Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.
StGB) und fahrlässiger Störung des Eisenbahnverkehrs (Art. 238 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 238

StGB) zu einer Busse von Fr. 30. -
C. - Mohler führt Nichtigkeitsbeschwerde nach Art. 268 ff
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 238
. BStP. Sie zielt auf
Freisprechung ab. Der Beschwerdeführer bestreitet, sich fahrlässig verhalten
zu haben.
D. - Der Staatsanwalt des Kantons Basel-Landschaft verzichtet auf
Gegenbemerkungen.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.- Wie der Beschwerdeführer zutreffend geltend macht, hatte der Tramzug
gegenüber dem Automobil das Vortrittsrecht. Zwar ist die Bahn an der
Unfallstelle nicht Strassenbahn, da sie dort auf eigenem Körper durch das
Gelände fährt und in dieser Weise die Gempenstrasse kreuzt (BGE 76 IV 250).
Art. 61 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 238
MFV, wonach beim Herannahen einer Strassenbahn die
Motorfahrzeuge das Geleise freizugeben haben, ist somit nicht anwendbar.
Allein nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts haben Bahnen an
Niveauübergängen, auch wenn diese nicht bewacht sind, den Vortritt vor den auf
der Strasse verkehrenden Fahrzeugen. Er wäre untragbar für einen geordneten
und zweckentsprechenden Bahnverkehr, wenn die Schienenfahrzeuge den von rechts
kommenden Strassenfahrzeugen den Vortritt lassen müssten. Die Züge müssten vor
jedem nicht abgeschrankten Übergang die Fahrt verlangsamen, nötigenfalls sogar
anhalten, und der auf fahrplanmässigen Massenverkehr eingestellte Bahnbetrieb
würde in nicht zu rechtfertigender Weise gehemmt (BGE 57 II 430).
Das Vortrittsrecht der Bahn bedeutet aber nicht, dass

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der Zug mit jeder beliebigen Geschwindigkeit und ohne jegliche
Vorsichtsmassnahme die Strasse kreuzen dürfe. Der Führer eines Zuges, der sich
einem unbewachten Übergange nähert, hat die Strassenbenützer durch ein
deutliches akustisches Signal zu warnen, namentlich dann, wenn der Blick von
der Strasse auf den Zug und umgekehrt durch Häuser, Mauern, Sträucher und dgl.
verdeckt ist. Je schlechter die Sichtverhältnisse bei einem Übergang sind,
desto länger und kräftiger muss gewarnt werden (BGE 71 II 124).
Der Beschwerdeführer hat diese Vorsichtspflicht verletzt. Das einfache
Glockensignal, das er gegeben hat und das der Führer des Automobils nicht
gehört haben will, genügte angesichts der schlechten Sichtverhältnisse an der
Kreuzung mit der Gempenstrasse nicht. Der Beschwerdeführer hätte wiederholt
und kräftig mit der Glocke warnen sollen.
2.- Der Beschwerdeführer handelte pflichtwidrig auch dadurch, dass er mit 39
km/Std. auf den Niveauübergang zu fuhr. Nach den Dienstvorschriften der Basler
Verkehrsbetriebe dürfen die Tramzüge auf der Strecke Pratteln-Freidorf mit
höchstens 36 km/Std. fahren. Diese Vorschriften waren für den Beschwerdeführer
verbindlich. Sie waren erlassen worden, um den Gefahren zu begegnen, welche zu
schnelles Fahren für die Bahn und für die Strassenbenützer mit sich bringt.
Die Basler Verkehrsbetriebe sind am besten in der Lage, durch solche Weisungen
den Gefahren, die von Strecke zu Strecke wechseln, Rechnung zu tragen. Indem
der Beschwerdeführer sich darüber hinwegsetzte, verletzte er seine Pflicht
nicht nur im Verhältnis zur Bahn, sondern allgemein, insbesondere dem
Strassenbenützer gegenüber. Der Einwand des Beschwerdeführers, die kleine
Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 3 km/Std. sei für ihn
nicht feststellbar gewesen, da er ohne Tachometer gefahren sei, hilft nicht,
denn der Beschwerdeführer hat auch die weitere Weisung übertreten, wonach an
Niveauübergängen die Geschwindigkeit unter

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das zulässige Höchstmass herabzusetzen ist. Dass er nicht mit der auf der
Strecke zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf den Übergang zu fahren durfte,
hätte er sich übrigens bei pflichtgemässer Überlegung selber sagen sollen, da
der Übergang unübersichtlich ist und der Bremsweg des Tramzuges bei der vom
Beschwerdeführer eingehaltenen Geschwindigkeit 41 m betrug. Wieder das
Vortrittsrecht des Zuges, noch das abgegebene Glockensignal, das übrigens
ungenügend war, berechtigten den Beschwerdeführer, den Übergang unbekümmert um
den Strassenverkehr zu befahren. Er hatte sich durch Herabsetzung der
Geschwindigkeit vorzusehen, dass er einem in angemessener Fahrt sich dem
Übergang nähernden Strassenbenützer die Beachtung des Vortrittsrechtes der
Bahn nicht verunmöglichte.
3.- Ob auch Ulmer fehlerhaft gefahren ist, kann dahingestellt bleiben. Für die
Anwendung der Art. 237 Ziff. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 237 - 1. Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.
und 238 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 238
StGB genügt, dass das
pflichtwidrige Verhalten des Beschwerdeführers jedenfalls Mitursache des
Zusammenstosses und damit der Gefährdung des öffentlichen Verkehrs wie des
Eisenbahnverkehrs war (BGE 65 IV 19). Nur wenn das Verhalten Ulmers ausserhalb
normalen Geschehens gelegen hätte, sodass damit unmöglich hätte gerechnet
werden können, würde es am rechtserheblichen Kausalzusammenhang zwischen dem
Fehler des Beschwerdeführers und dem Zusammenstoss fehlen. Es bestehen
indessen keinerlei Anhaltspunkte, dass Ulmer derart unsinnig gegen den
Niveauübergang gefahren wäre, dass mit seinem Verhalten schlechterdings nicht
hätte gerechnet werden können.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 77 IV 178
Datum : 01. Januar 1951
Publiziert : 29. Juni 1951
Quelle : Bundesgericht
Status : 77 IV 178
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 237 Ziff. 2, 238 Abs. 2, 18 Abs. 3 StGB.a) Eisenbahnen sind auch an unbewachten...


Gesetzesregister
BStP: 268
MFV: 61
StGB: 18 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 18 - 1 Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben.
1    Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben.
2    War dem Täter nicht zuzumuten, das gefährdete Gut preiszugeben, so handelt er nicht schuldhaft.
237 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 237 - 1. Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.
238
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 238
BGE Register
57-II-428 • 71-II-117 • 76-IV-249 • 77-IV-178
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
automobil • verhalten • basel-landschaft • vortritt • weisung • strassenbahn • kassationshof • eisenbahnverkehr • eisenbahn • kausalzusammenhang • strafgesetzbuch • staatsanwalt • warnsignal • störung des eisenbahnverkehrs • sachschaden • trainer • störung des öffentlichen verkehrs • fahrender • betrug • verurteilter • wille • bundesgericht • ausserhalb • tachometer • busse
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