BGE 71 II 117
26. Urteil der II. Zivilabteilung vom 7. Juni 1945 i. S. Spiess gegen Schweiz.
Bundesbahnen.
Regeste:
Eisenbahnhaftpflcht, Art. 1 EHG.
Selbstverschulden eines 13jährigen Velofahrers, der bei der Annäherung an
einem unbewachten Niveauübergang seine Fahrt nicht verlangsamt und sich nicht
vergewissert, ob ein Zug herannahe.
Ein konkurrierendes Verschulden der Bahn liegt in casu
nicht in der Duldung der Errichtung eines Gebäudes, das die
Übersichtlichkeit der unbewachten Kreuzung verschlechtert
nicht in der Unterlassung der Anbringung einer Barriere oder einer
Blinklichtanlage,
wohl aber darin, dass der Lokomotivführer vor der unübersichtlichen Kreuzung
kein genügendes akustisches Signal
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gegeben und die Vorgänge auf der Kreuzung zu wenig beobachtet hat.
Responsabilité des entreprises de chemin de fer, art. 1er LRC.
Faute d'un cycliste âgé de 13 ans qui ne ralentit pas à l'approche d'un
passage à niveau non gardé et ne s'assure pas qu'aucun train n'arrive.
Ne constituent pas en l'espèce une faute concurrente de l'entre prise de
chemin de fer:
le fait qu'elle a laissé subsister un bâtiment qui gêne la vue du passage
le fait qu'elle n'a pas placé de barrière ni installé un appareil à feux
clignotants.
Constitue une faute en l'espèce:
le fait que le conducteur de la locomotive n'a pas donné un signal acoustique
suffisant avant d'arriver au passage à niveau et n'a pas suffisamment observé
ce qui se passait au croisement.
Responsabilità delle imprese ferroviarie, art. 1 LF 28 marzo 1905 sulla
responsabilità civile delle imprese ferroviarie.
Colpa concorrente di un ciclista di 13 anni che non rallenta nel
l'approssimità di un passaggio a livello incustodito e non presta attenzione
al treno che sta per sopraggiungere.
Non sono imputabili a negligenza dell'impresa ferroviaria, nella specie:
il fatto di aver tollerato la costruzione di un edificio che limita la visuale
del passaggio a livello,
la circostanza di aver omesso di munire il passaggio a livello di una barriera
o di un impianto di segnalazione ottica.
Costituisce invece una negligenza
il fatto che il conduttore della locomotiva non preannunciava l'arrivo del
treno con un segnale acustico sufficientemente prolungato e non prestava la
debita attenzione a quanto accadeva al passaggio a livello.
A. Mit seinem Velo auf der Fahrt vom Dorfe Hitzkirch nach seinem Wohnort
Laufenberg-Herlisberg begriffen, stiess am 4. Dezember 1941 um halb vier Uhr
nachmittags der damals 13jährige Kläger beim Niveauübergang südöstlich der
Station Hitzkirch mit einem in diese Station einfahrenden Zuge der Seetalbahn
zusammen und wurde dabei so schwer verletzt, dass ihm der rechte Arm beim
Schultergelenk abgenommen werden musste.
Die Strasse, die der Kläger benutzt hatte, verläuft mit einem Gefälle von 1
1/2 bis 2 % von Nordosten nach Südwesten und schneidet die parallel zur
Seetalstrasse von Südosten nach Nordwesten verlaufende Linie der Seetalbahn im
rechten Winkel. Sie überquert zunächst das Anschlussgeleise, das von der
Station Hitzkirch zu dem südöstlich des Niveauüberganges gelegenen Lagerhaus
der
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Landwirtschaftlichen Genossenschaft Hitzkirch führt, dann die eingleisige
Seetallinie und unmittelbar darauf die Seetalstrasse. Der Übergang ist weder
abgeschrankt noch bewacht; er ist durch das Doppelkreuz-Signal für unbewachte
Bahnübergänge gekennzeichnet.
Strassenbenützer, die sich auf der erwähnten Strasse von Nordosten her dem
Niveauübergang nähern, geniessen gegen die Station Hitzkirch hin (nach rechts)
eine gute Übersicht über das Bahngeleise. In südlicher Richtung (nach links)
ist für sie das Geleise der Seetalbahn zwischen dem Gebäude der
Landwirtschaftlichen Genossenschaft und dem etwa 40 m südöstlich davon
gelegenen Hause Fries sichtbar, wenn sie sich 62 bis 32 m vom Niveauübergang
entfernt befinden. Sinkt ihre Entfernung vom Übergang auf weniger als 32 m, so
sehen sie vom erwähnten Geleise zur Linken (südöstlich) des Überganges nur
noch das etwa 11 m messende Teilstück zwischen dem Gebäude der
Landwirtschaftlichen Genossenschaft und dem Übergang. Erst unmittelbar vor der
Einfahrt in die Kreuzung öffnet sich ihnen wieder ein weiterer Ausblick nach
Südosten. Am Unfalltage geschah dies umso später, als auf dem Anschlussgeleise
vor dem Genossenschaftsgebäude zwei gedeckte Güterwagen standen, deren einer
die Nordwestfront des Gebäudes um ein weniges überragte.
Der Kläger gewahrte den von Südosten herannahenden Zug erst, als er noch etwa
5 m davon entfernt war, und prallte, da er sein Velo nicht mehr rechtzeitig
anzuhalten vermochte, gegen den hintern Teil des Motorwagens.
B. Die kantonalen Instanzen haben die auf das EHG gestützte
Schadenersatzklage des Klägers gegen die Schweizerischen Bundesbahnen wegen
ausschliesslichen Selbstverschuldens abgewiesen, das Obergericht des Kantons
Luzern mit Urteil vom 8. März 1945. Mit seiner Berufung an das Bundesgericht
erneuert der Kläger sein Schadenersatzbegehren. Die Bundesbahnen beantragen
Abweisung der Berufung.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Da der Kläger beim Betrieb einer Eisenbahn körperlich verletzt worden
ist, haften nach Art. 1 . Abs. 1 EHG die Beklagten für den daraus entstandenen
Schaden, wenn ihre einzige Schutzbehauptung, der Unfall sei ausschliesslich
auf das Verschulden des Klägers zurückzuführen, sich nicht als richtig
erweist. Bildet das Selbstverschulden des Klägers die einzige adaequate
Ursache des Unfalls, BO entfällt die Haftung der Beklagten vollständig; hat
dagegen ein Verschulden der Bahnorgane oder eine besondere Betriebsgefahr als
Mitursache des Unfalls zu gelten, so werden sie von ihrer Haftpflicht nur
teilweise und verhältnismässig befreit (BGE 68 II 266 und dort zitierte
Entscheide).
2. Der Kläger hat sich bei der Annäherung an den ihm wohlbekannten und
übrigens am Doppelkreuz-Signal sowie am Schienenstrang selber von weither
erkennbaren Niveauübergang in keiner Weise darum gekümmert, ob ein Zug
herannahe, sondern ist, wie er selber sagt, «einfach zugefahren», bis er die
Lokomotive wenige Meter vor sich sah. Damit hat er gegen Art. 3 Abs. 1 des
Bahnpolizeigesetzes vom 18. Februar 1878 in Verbindung mit Art. 11 Abs. 2 lit.
b der Verordnung betreffend den Abschluss und die Signalisierung der
Niveaukreuzungen vom 7. Mai 1929 / 23. November 1934 verstossen, wo
vorgeschrieben ist, dass die Bahn beim Herannahen eines Zuges nicht
überschritten werden darf, und dass die Lenker von Fahrzeugen aller Art bei
unbewachten Übergängen sich unter eigener Verantwortung selber zu vergewissern
haben, ob ein Zug herannahe. Indem er es unterliess, vor dem Übergang seine
laut Feststellung der Vorinstanz «ziemlich rasche» Fahrt zu verlangsamen, hat
er ausserdem Art. 4 Abs. 2 des Bahnpolizeigesetzes verletzt, wonach Fahrzeuge
bei der Überquerung von Bahnlinien im Schritt oder jedenfalls mit so mässiger
Geschwindigkeit zu führen
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sind, dass nötigenfalls noch vor dem Geleise angehalten werden kann (BGE 69 II
156).
Da es sich bei den übertretenen Vorschriften um elementare Gebote der Vorsicht
handelt, war der Kläger, der über eine normale Intelligenz verfügt, mit dem
Velofahren vertraut war und in der Sekundarschule bereits Verkehrsunterricht
genossen hatte, trotz seinem jugendlichen Alter imstande, die in Frage
stehenden Sorgfaltspflichten und die mit ihrer Verletzung verbundenen Gefahren
zu erkennen und sich dementsprechend zu verhalten. Er besass also die
Urteilsfähigkeit, die für die Annahme eines Selbstverschuldens wie für die
Annahme eines Verschuldens im Sinne von Art. 41
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 41 - 1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet. |
|
1 | Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet. |
2 | Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt. |
44, 224; vgl. BGE 49 II 440). Wenn das Bundesgericht in BGE 66 II 201 einen
andern 13jährigen Knaben, dem Selbstverschulden vorgeworfen wurde, als nicht
voll urteilsfähig erklärt hat, so vor allem deswegen, weil es sich damals um
die weniger leicht erkennbare Gefahr der Berührung mit einer Kontaktschiene
handelte.
Bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte der Kläger den Zug, der gemäss Feststellung
der Vorinstanz mit einer Geschwindigkeit von etwa 30 Stundenkilometern gegen
den Niveauübergang fuhr, wahrscheinlich schon auf der Strecke zwischen dem
Hause Fries und dem Gebäude der Landwirtschaftlichen Genossenschaft,
jedenfalls aber unmittelbar nach dem Erscheinen des Motorwagens auf der
Strecke zwischen diesem Gebäude und dem Übergang wahrnehmen können, und bei
pflichtgemäss langsamer Fahrt hätte er noch rechtzeitig anhalten oder
ausweichen können, auch wenn er den Zug erst auf eine Entfernung von wenigen
Metern bemerkte. Wenn zu der Zeit, da der Kläger sonst regelmässig über die
Kreuzung fuhr, gerade kein Zug verkehrte, so entschuldigt dies
selbstverständlich sein unvorsichtiges Verhalten nicht.
Der Unfall ist also in erster Linie auf grobes Selbstverschulden des Klägers
zurückzuführen.
3. Ein Verschulden der Bahn erblickt der Kläger
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darin, dass sie die Errichtung des Lagerhauses der Landwirtschaftlichen
Genossenschaft an der fraglichen Stelle geduldet und in einem Zeitpunkte, da
ein Zug von Südosten her fällig war, die beiden hohen Güterwagen vor diesem
Gebäude stehen gelassen habe. Ferner macht er ihr den Vorwurf, dass sie bei
der Kreuzung kein Blinklichtsignal angebracht, und dass der Lokomotivführer
des Unfallzuges vor der Kreuzung die Zugspfeife nicht oder jedenfalls nicht
gehörig betätigt habe.
a) Nach Art. 11 Ziff. 4 Abs. 2 der Verordnung betreffend Bau und Betrieb der
schweizerischen Nebenbahnen vom 19. März 1929 ist bei unbewachten
Wegübergängen für grösstmögliche Übersichtlichkeit zu sorgen. Dass die
Erstellung des im Jahre 1935 erbauten Lagerhauses die Sichtverhältnisse beim
streitigen Übergang wesentlich verschlechterte, und dass die beiden Güterwagen
ein zusätzliches Sichthindernis bildeten, steht ausser Zweifel. Hieraus zu
folgern, dass die Bahn die Erbauung des Lagerhauses in der Nähe des
Niveauüberganges auf dem Wege der Enteignung des Bauplatzes hätte verhindern
oder wenigstens die davor stehenden Güterwagen jeweilen vor der Ankunft eines
Zuges aus jener Richtung hätte wegziehen sollen, ginge jedoch zu weit. Um der
Übersichtlichkeit eines Überganges willen Bauland zu enteignen, wäre der Bahn
nur dann zuzumuten, wenn den Strassenbenützern auf keine andere Weise
hinreichende Sicherheit geboten werden könnte. Dies trifft im vorliegenden
Falle nicht zu. Durch Signalisierung der herannahenden Züge liess sich hier
die durch Beeinträchtigung der freien Sicht geschaffene Gefahr weitgehend
ausschalten. Eine Enteignung des fraglichen Bauplatzes war daher nicht
geboten. Aus dem gleichen Grunde brauchte die Bahn aber auch die vor dem
Lagerhaus stehenden Güterwagen nicht vor jeder Zugsankunft wegzuschieben, was
übrigens wohl gar nicht durchführbar gewesen wäre. Dass Wegübergänge innerhalb
von Ortschaften in der Regel weniger übersichtlich sind als solche auf freiem
Felde, liegt in der Natur der
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Sache und kann umso eher in Kauf genommen werden, als sich dem
Strassenbenützer innerorts ohnehin die Anwendung vermehrter Vorsicht
aufdrängt.
b) Barrieren sind nach Art. 3 Abs. 2 des Bundesgesetzes über Bau und Betrieb
der schweizerischen Nebenbahnen vom 21. Dezember 1899 nur anzubringen, «wo die
Fahrgeschwindigkeit der Bahnzüge und die Sicherheit des Bahn- und
Strassenverkehrs solche durchaus erfordern». Das gleiche gilt für die
Blinklichtsignale, die gemäss Art. 4 lit. b der Verordnung über Signalisierung
der Niveaukreuzungen nur als Ersatz für Barrieren vorgesehen sind. Art. 17
Ziff. 1 der Nebenbahnverordnung vom 19. März 1929 bestimmt hiezu, auf
Nebenbahnstrecken, auf welchen die Fahrgeschwindigkeit bei durchgehend
gebremster. Zügen 60 Stundenkilometer und bei von Hand gebremsten Zügen 35
Stundenkilometer nicht übersteige, seien im allgemeinen keine solchen Anlagen
zu verlangen, doch könne mit Rücksicht auf die Sicherheit des Bahn- und
Strassenverkehrs ihre Erstellung gefordert werden, «wo die örtlichen und
Verkehrsverhältnisse dazu Anlass geben». Ob bei einer bestimmten Kreuzung eine
solche Anlage zu errichten sei, haben an sich die Verwaltungsbehörden zu
entscheiden; doch vermag ein negativer Befund derselben die Bahn nicht von
ihrer Verantwortlichkeit gegenüber Dritten zu entlasten, m.a.W. der Richter
hat selbständig nachzuprüfen, ob in concreto die gebotenen Vorsichtsmassnahmen
getroffen worden seien oder nicht (BGE 14 S. 457, 55 II 339). Der streitige
Übergang ist nun trotz der Ungunst der Sichtverhältnisse doch nicht so
beschaffen, dass es ungewöhnlicher Vorsicht bedürfte, um das Herannahen eines
Zuges von Südosten her rechtzeitig wahrzunehmen, sofern sich dieser wenigstens
durch gut hörbare akustische Signale ankündigt. Die Geschwindigkeit der
Bahnzüge wird beim fraglichen Übergang, der in der Nähe einer von allen Zügen
bedienten Station liegt, diejenige des Unfallzuges (30 Stundenkilometer) kaum
je wesentlich übersteigen. Ausserdem ist dieser Übergang nach Feststellung
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der ersten Instanz von verhältnismässig geringer Bedeutung. Von der Erstellung
einer Barriere oder einer Blinklichtanlage durfte deshalb abgesehen werden.
c) Zum Verschulden ist der Bahn dagegen anzurechnen, dass der Lokomotivführer
des Unfallzuges vor der Kreuzung kein genügendes Pfeifensignal abgegeben hat.
Wie schon in BGE 57 II 432 festgestellt, dürfen sich die Bahnen nicht ohne
weiteres darauf verlassen, dass unbewachte, lediglich durch einfache
Warnungstafeln gekennzeichnete Übergänge nur dann benützt werden, wenn dies
ohne Gefahr geschehen kann, sondern es ist von ihnen zu verlangen, dass sie
die Strassenbenützer durch akustische Signale vom Zug aus auf die im gegebenen
Zeitpunkt sich verwirklichende Gefahr hinweisen. Mit dieser Vorkehr, die an
sie keine besondern Anforderungen stellt, haben die Bahnen zur Verminderung
der Gefahren beizutragen, die an sich jeder unbewachte und gar noch
unübersichtliche Übergang mit sich bringt. Dass umso länger und kräftiger
signalisiert werden muss, je schlechter die Sichtverhältnisse bei einem
Übergang sind, versteht sich von selber. Art. 17 Ziff. 6 der
Nebenbahnverordnung vom 19. März 1929 bestimmt zudem ausdrücklich, vor
unbewachten und wenig übersichtlichen Übergängen sei in einem den örtlichen
Verhältnissen und den Höchstgeschwindigkeiten der Züge angemessenen Abstand
eine weiss-schwarz gestrichene Tafel anzubringen, bei welcher der
Lokomotivführer ein weit hörbares akustisches Signal zu geben habe, und Anhang
I zum Dienstfahrplan der Bundesbahnen gibt dem Lokomotivführer hiezu die
Wegleitung, «bei nebligem, unsichtigem Wetter und wo der Übergang vom Standort
der Pfeiftafel aus nur schlecht überblickt werden kann, das Signal länger und
möglichst kräftig, bei hellem Wetter und wo der Übergang und dessen Zufahrten
vom Standort der Pfeiftafel aus gut überblickt werden können, kürzer» zu
halten. Für die Seetallinien gilt die Weisung, vor unübersichtlichen und
unbewachten Strassen- und Wegübergängen ein Achtungssignal abzugeben, gemäss
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besonderer Bestimmung auch dort, wo keine Pfeiftafeln aufgestellt sind.
Nach den Feststellung der Vorinstanz hat der Lokomotivführer des Unfallzuges
ungefähr beim Hause Fries oder etwas näher beim Niveauübergang ein
Pfeifensignal abgegeben. Dieses Signal war jedoch, wie die Vorinstanz selber
erklärt, nur ganz kurz. Ein solcher «spitzer Pfiff» mag genügen, wenn es sich
lediglich darum handelt, Strassenbenützer, deren Reaktion der Lokomotivführer
beobachten und die er daher nötigenfalls noch ein zweites Mal warnen kann, vom
Geleise wegzuweisen; er genügt aber nicht, wenn es gilt, an unübersichtlicher
Stelle auch solche Strassenbenützer, die vom Zuge aus nicht sichtbar sind, auf
diesen aufmerksam zu machen. Hiezu ist, wie die eigenen Dienstvorschriften der
Bundesbahnen bestätigen, ein länger gehaltenes Signal erforderlich.
Der Umstand, dass vor der Kreuzung nicht lange genug signalisiert wurde, hat
als Mitursache des dem Kläger widerfahrenen Unfalls zu gelten, da angenommen
werden darf, der Kläger hätte sich durch ein Pfeifensignal von gehöriger Dauer
trotz seiner mangelhaften Aufmerksamkeit noch rechtzeitig warnen lassen.
d) Dem Lokomotivführer ist im übrigen auch noch vorzuwerfen, dass er den
Vorgängen auf der Kreuzung zu wenig Beachtung geschenkt hat. Er sah nach
seiner eigenen Darstellung auf eine Entfernung von ungefähr 70 m, wie eine
Frau mit drei Kindern das Bahngeleise überschritt. Die Radfahrerinnen, die
unmittelbar vor dem Kläger über die Kreuzung fuhren, sah er dagegen
ebensowenig wie den Kläger selber. Hätte er diese gesehen und ihretwegen das
Signal wiederholt, wie es sich gehört hätte, so wäre dadurch möglieherweise
auch der Kläger noch früh genug auf die ihm drohende Gefahr aufmerksam
geworden.
4. Trifft somit die Bahn ein Mitverschulden am Unfall, so treten doch die
dem Lokomotivführer vorzuwerfenden Unterlassungen gegenüber den vom Kläger
selber begangenen Fehlern so weit zurück, dass die Haftung der
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Bahn auf ein Viertel des noch festzustellenden Schadens zu beschränken ist.
Eine Genugtuungssumme im Sinne von Art. 8
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 41 - 1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet. |
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1 | Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet. |
2 | Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt. |
nicht.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil des Obergerichtes des
Kantons Luzern vom S. März 1945 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung
im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen wird.