S. 169 / Nr. 38 Strafgesetzbuch (d)

BGE 77 IV 169

38. Urteil des Kassationshofes vom 10. Juli 1951 i. S. X. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau.

Regeste:
Art. 191 Ziff. 1 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person in Kenntnis ihres Zustandes zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft.
, Art. 213
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 213 - 1 Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Minderjährige bleiben straflos, wenn sie verführt worden sind.
3    ...275
StGB. Begriff des Beischlafes.
Art. 191 ch. 1 al. 1 et 213 CP. Notion de l'acte sexuel.
Art. 191 cifra 1 cp. 1 e art. 213 CP. Nozione della congiunzione carnale.

A - X. hat sich im Jahre 1950 wiederholt mit seiner 13-jährigen Halbschwester
geschlechtlich vergangen, indem er sein erregtes Glied zwischen ihre
Oberschenkel stiess und damit etwas in ihren Scheidenvorhof eindrang.
B. - Am 2. Mai 1951 sprach ihn das Kriminalgericht des Kantons Aargau der
wiederholten Unzucht mit einem Kinde (Art. 191 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person in Kenntnis ihres Zustandes zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft.
und 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person in Kenntnis ihres Zustandes zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft.
je Abs. 1 StGB)
in Idealkonkurrenz mit wiederholter Blutschande (Art. 211 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person in Kenntnis ihres Zustandes zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft.
StGB, in
einem Falle § 501 Abs. 1 österr. StGB) schuldig und verurteilte ihn zu einer
bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von 7 Monaten.

Seite: 170
C. - Der Verurteilte führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, er sei nur
der wiederholten Unzucht mit einem Kinde schuldig zu erklären, dagegen von der
Anklage der wiederholten Blutschande freizusprechen und demgemäss milder zu
bestrafen. Er macht geltend, das blosse Einführen des Gliedes zwischen die
äusseren Schamlippen falle nicht unter den Begriff des Beischlafes im Sinne
des Art. 213
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 213 - 1 Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Minderjährige bleiben straflos, wenn sie verführt worden sind.
3    ...275
StGB. Nur das Eindringen in die eigentliche Scheide könne als
Beischlaf gewertet werden.
D. - Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau beantragt die Abweisung der
Nichtigkeitsbeschwerde.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.- Beischlaf ist nach der Rechtsprechung des Kassationshofes des
Bundesgerichtes die naturgemässe Vereinigung der Geschlechtsteile (nicht
veröffentlichter Entscheid vom 14. Juli 1944 i. S. Peter). Wie weit das
männliche Glied in den weiblichen Geschlechtsteil eindringt und ob der Samen
in die Scheide ausgestossen wird, ist demnach unerheblich; es genügt, wenn das
Glied so weit eindringt, dass die Scheide den Samen aufnehmen könnte.
Bei dieser Begriffsumschreibung handelte es sich allerdings um die Anwendung
des Art. 191 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person in Kenntnis ihres Zustandes zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft.
StGB. Allein es ist kein zwingender Grund ersichtlich,
den Begriff des Beischlafes unter dem Gesichtspunkte des Art. 213
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 213 - 1 Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Minderjährige bleiben straflos, wenn sie verführt worden sind.
3    ...275
StGB anders
zu fassen, umso weniger, als diese Bestimmung trotz des Randtitels
«Blutschande» jedenfalls nicht bloss die Reinheit des Blutes und der Rasse
schützen will, sondern vor allem auch die Reinheit der Geschlechtsbeziehungen
innerhalb einer Familie wahren und damit auch Gefahren einer schweren Störung
des Familienfriedens abwenden soll (HAFTER: Besonderer Teil Il, S. 427, 429).
Diesem Schutzzweck würde die Rechtsprechung nicht gerecht, wenn als Beischlaf
im Sinne des Art. 213
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 213 - 1 Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Minderjährige bleiben straflos, wenn sie verführt worden sind.
3    ...275
StGB nur das Eindringen in die eigentliche Scheide
anerkannt würde. Wie zum Schutze der Kinder im Bereiche der Sittlichkeit
gemäss Art. 191 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person in Kenntnis ihres Zustandes zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft.
StGB wegen Missbrauches zum Beischlaf

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schon eingeschritten werden kann, ohne dass eine vollständige Vereinigung der
Geschlechtsteile stattgefunden hätte, muss auch unter dem Gesichtspunkt der
Wahrung der Reinheit der Geschlechtsbeziehungen innerhalb einer Familie für
die Annahme des Beischlafes genügen, dass eine Vereinigung der
Geschlechtsteile überhaupt wenn auch noch so lose - eingetreten ist. Denn im
einen wie im andern Falle ist das geschützte Rechtsgut schon damit verletzt.
Dazu kommt, dass jede andere Lösung zu unüberwindlichen Beweisschwierigkeiten
führen und die Strafbestimmung auch des Art. 213
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 213 - 1 Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Minderjährige bleiben straflos, wenn sie verführt worden sind.
3    ...275
StGB entwerten würde.
Wenn daher im vorliegenden Falle feststeht, dass der Beschwerdeführer mit
seinem Gliede in den Scheidenvorhof eingedrungen ist, so war das eine
Vereinigung der Geschlechtsteile, die genügt, um als Beischlaf betrachtet zu
werden (nicht veröffentlichter Entscheid des Kassationshofes vom 25. November
1950 i. S. Solothurn c. Glutz) und somit den Tatbestand der Blutschande zu
erfüllen. Ob der Beschwerdeführer eine vollständige Vereinigung der
Geschlechtsteile anstrebte - was er verneint oder nicht, ist unerheblich; es
genügt für die Verurteilung nach Art. 213
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 213 - 1 Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Minderjährige bleiben straflos, wenn sie verführt worden sind.
3    ...275
StGB, dass er die vollzogene
partielle Vereinigung wollte, und dies bestreitet er selber nicht.
2.- Demgegenüber ist auch der Hinweis auf BGE 76 IV 108 unbehelflich, da die
Erwägungen dieses Entscheides nicht bezweckten, die beischlafsähnliche
Handlung vom Beischlaf zu unterscheiden, sondern jene gegen gewöhnliche
Unzuchtshandlungen abzugrenzen. Wenn somit bei Einführung des männlichen
Gliedes in eine andere als die geschlechtliche Körperöffnung gesagt wurde,
dass die Innigkeit der Vereinigung in solchen Fällen für eine
beischlafsähnliche Handlung spreche, so ist damit über den für die Annahme von
Beischlaf erforderlichen Grad der Vereinigung der Geschlechtsteile noch nichts
festgelegt.
Zutreffend weist die Beschwerde darauf hin, dass der Kassationshof in BGE 70
IV 159
und 71 IV 191 angenommen habe, es liege eine beischlafsähnliche
Handlung vor,

Seite: 172
wenn der Täter versuche, mit seinem Gliede in die Scheide eines Mädchens
einzudringen, ihm dies jedoch nicht gelinge, weil das Mädchen nicht genügend
entwickelt ist. Aber auch diese beiden Entscheide stehen der Annahme von
Beischlaf im vorliegenden Falle keineswegs entgegen, da es - anders als hier -
weder im einen noch im andern dieser beiden Fälle von beischlafsähnlichen
Handlungen zu einer, wenn auch nur losen, Verbindung bzw. Vereinigung der
Geschlechtsteile gekommen ist; jedenfalls lässt sich den angeführten
Entscheiden nicht entnehmen, dass der Täter mit seinem Gliede auch nur in den
Scheidenvorhof eingedrungen sei.
Entgegen der Annahme des Beschwerdeführers wird auch der Begriff der
beischlafsähnlichen Handlung nicht gegenstandslos, wenn schon die lose
Vereinigung - nicht aber die äusserliche Berührung der Geschlechtsteile als
Beischlaf betrachtet wird. Es bleibt dann immer noch übrig, das Einführen des
Gliedes in eine andere Körperöffnung, das Stossen inter femora und die blosse
Berührung der Geschlechtsteile als beischlafsähnliche Angriffe zu verfolgen,
während ohne diesen Begriff die eben erwähnten Verfehlungen als einfache
Unzuchtshandlungen gelten müssten.
3.- Die Anwendung von Art. 213
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 213 - 1 Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Minderjährige bleiben straflos, wenn sie verführt worden sind.
3    ...275
StGB verletzt also eidg. Recht nicht.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 77 IV 169
Datum : 01. Januar 1951
Publiziert : 10. Juli 1951
Quelle : Bundesgericht
Status : 77 IV 169
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 191 Ziff. 1 Abs. 1, Art. 213 StGB. Begriff des Beischlafes.Art. 191 ch. 1 al. 1 et 213 CP...


Gesetzesregister
StGB: 191 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person in Kenntnis ihres Zustandes zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft.
211  213
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 213 - 1 Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer mit einem Blutsverwandten in gerader Linie oder einem voll- oder halbbürtigen Geschwister den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Minderjährige bleiben straflos, wenn sie verführt worden sind.
3    ...275
BGE Register
70-IV-157 • 71-IV-190 • 76-IV-107 • 77-IV-169
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
kassationshof • aargau • geschlecht • verurteilter • familie • innerhalb • strafgesetzbuch • entscheid • solothurn • verurteilung • idealkonkurrenz • wille • monat • anklage • geschütztes rechtsgut • bundesgericht • sprache • weiler • rasse