S. 60 / Nr. 16 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (d)

BGE 77 III 60

16. Entscheid vom 16. Mai 1951 i. S. X.

Regeste:
Pfändung eines Gelddepots bei einem Dritten.
1. Was ist zu pfänden
a) bei regulärem Depot (Sachhinterlage)?
b) bei irregulärem Depot (Summenhinterlage)? Art. 481 OR.
2. Voraussetzungen der Beiziehung polizeilicher Holfe (Art. 91 Abs. 2 SchKG)
3. Rechtslage im Fall einer vom Depositar nach der Pfändung des Depots, aber
vor der Anzeige an ihn, für Rechnung des Schuldners vorgenommenen Zahlung bei
der Post. Art. 6 Abs. 4 und 36 des Postverkehrsgesetzes vom 2. Oktober 1924.
4. Berichtigung einer ungesetzlichen Massnahme. Art. 21 SchKG.
5. Die Beschwerde rechtfertigendes Interesse. Art. 17 ff . SchKG.

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Saisie d'un dépôt d'argent effectué en mains d'un tiers.
1. Que doit-on saisir:
a) s'il s'agit d'un dépôt régulier (dépôt d'une chose corporelle)?
b) s'il s'agit d'un dépôt irrégulier (dépôt d'une somme d'argent)? (Art. 481
CO.)
2. Conditions du recours à la force publique (art. 91 al. 2 LP) et de la prise
de possession (art. 98 al. 1 et 4 LP).
3. Situation juridique dans le cas d'un payement effectué à la poste par le
dépositaire pour le compte du débiteur après la saisie du dépôt mais avant que
le dépositaire ait été avisé de la saisie (art. 6 al. 4 et 36 de la loi
fédérale sur le service des postes, du 2 octobre 1924).
4. Redressement d'une mesure illégale (art. 21 LP).
5. Intérêt justifiant la plainte (art. 17 et suiv. LP).
Pignoramento di un deposito dì denaro nelle mani di un terzo.
1. Che cosa si deve pignorare:
a) quando si tratta di un deposito ordinario (deposito di una cosa)?
b) quando si tratta di un deposito irregolare (deposito di una somma di
denaro)? Art. 481 CO.
2. Presupposti del ricorso alla forza pubblica (art. 91 cp. 2 LEF) e per la
presa in possesso (art. 98 cp. 1 e 4 LEF).
3. Situazione giuridica nel caso in cui il depositario eseguisce un pagamento
alla posta per conto del debitore dopo il pignoramento del deposito, ma prima
che il depositario ne sia stato avvertito (art. 6 cp. 4 e 36 della legge
federale 2 ottobre 1924 sul servizio delle poste).
4. Riforma di un atto illegale (art. 21 LEF).
5. Interesse giustificante il reclamo (art. 17 sgg. LEF).

A. - Die Schweizerische Bankgesellschaft in Zürich (SBG) stellte im Juni 1950
gegen Hermann Thoma in Glarus ein Nachpfändungsbegehren. Das Betreibungsamt
lud hierauf den Schuldner zum Pfändungsvollzuge vor. Am 10. Juli, noch vor der
(mehrmals aus verschiedenen Gründen verschobenen) Einvernahme, begab sich der
Schuldner zu X in Glarus und übergab ihm einen Geldbetrag «zur teilweisen
Abdeckung seiner Schulden». Bei der Einvernahme auf dem Betreibungsamt am 11.
Juli abends erklärte er auf die Frage nach Barmitteln oder Wertsachen (laut
Protokoll): «Depot zugunsten der Bankgesellschaft Zürich von Fr. 2 000.- liegt
laut Auskunft bei X, Glarus, zur Zahlungsverfügung b. Mit gleicher
Umschreibung vermerkte das Betreibungsamt diesen Gegenstand in der sogleich
aufgenommenen Pfändungsurkunde.
B. - Nachdem sich der Schuldner am 12. Juli nicht

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zu der vorgesehenen Besprechung auf dem Bureau des X eingefunden hatte,
unternahm es dieser, am 13. Juli morgens zwischen 8 und 9 Uhr auf dem Postamte
Glarus Fr. 2 000.- an die SBG in Zürich einzuzahlen. Auf dem Empfangschein ist
X als Einzahlender vermerkt; auf der Rückseite steht, die Zahlung erfolge für
Rechnung des Thoma.
C. - Auf sein Bureau zurückgekehrt, erfuhr dann X telephonisch vom
Betreibungsamt, dass der Schuldner das erwähnte Depot in Pfändung gegeben
habe. Als er sich demgegenüber auf die Einzahlung berief, sah sich das
Betreibungsamt veranlasst, die Polizei aufzubieten. Doch vermochte der noch am
gleichen Vormittag bei X erschienene Kantonspolizist nur eben protokollarisch
festzuhalten, was sich aus dem ihm vorgewiesenen Empfangschein der Post ergab.
Hierauf verlangte das Betreibungsamt vom Postamte Glarus die Herausgabe der
(dem Empfänger noch nicht gutgeschriebenen) Fr. 2000.-, welchem Ansuchen das
Postamt Folge gab, unter Mitteilung an den Auftraggeber X.
D. - Dieser beschwerte sich am 21. Juli 1950 über das Vorgehen des
Betreibungsamtes, mit dem Antrag, dieses habe ihm die Fr. 2 000.- unverzüglich
zurückzuerstatten. Zur Begründung machte er geltend, das ihm vom Schuldner am
10. Juli übergebene Geld sei in sein (des X) Eigentum getreten. Er habe
übrigens Forderungen gegen den Schuldner. «Wenn das Betreibungsamt glaubte,
umgekehrt Thoma sei bei mir forderungsberechtigt, so stand ihm zu, auf solche
Forderung gesetzmässig zu greifen». Die Beschlagnahme des Betrages, den er bei
der Post eingezahlt, stelle eine gegen ihn selbst, «einen gar nicht
Betriebenen», gerichtete Betreibungshandlung dar und sei unzulässig.
E. - Der Beschwerdeantrag wurde in beiden kantonalen Instanzen abgewiesen, aus
folgenden Gründen: Gewiss hatte der Rekurrent von der Pfändung des vom
Schuldner verzeigten «Depots» keine Kenntnis, als er den Betrag von

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Fr. 2 000.- an die SBG einzahlte. Die Pfändung war aber in Wirklichkeit gültig
vollzogen. Geld ist nach Art. 98 Abs. 1 SchKG in amtliche Verwahrung zu
nehmen. Durch diese Vorschrift ist die Beschlagnahme des Betrages bei der Post
gerechtfertigt. Mit Unrecht hält der Rekurrent dafür, das ihm vom Schuldner
übergebene Geld sei in sein Eigentum getreten. Er verwechselt Eigentum und
Besitz. Er hatte dieses Geld nur zur Weiterleitung in Händen, gewissermassen
als Bote, wie dann gleichfalls die Post, die es von ihm für Rechnung des
Schuldners empfing. Ob der Rekurrent bei dieser Sachlage überhaupt ein eigenes
Interesse hat und zur Beschwerdeführung legitimiert ist (obschon er das Geld
ausgab, ohne ein Retentionsrecht geltend zu machen), kann dahingestellt
bleiben.
F. - Mit vorliegendem Rekurs gegen den oberinstanzlichen Entscheid vom 19.
April 1951 hält X an der Beschwerde fest.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.... Die kantonalen Aufsichtsbehörden gehen von Art. 98 Abs. 1 SchKG aus,
wonach das Betreibungsamt gepfändetes Geld in Verwahrung zu nehmen hat. Diese
Vorschrift findet auch Anwendung, wenn sich die betreffenden Geldstücke und
Banknoten des Schuldners bei einem Dritten befinden (selbst wenn dieser daran
ein Retentionsrecht geltend macht, wie sich aus dem Schlussabsatz von Art. 98
ergibt). Ist Geld des Schuldners in Form einer ausgeschiedenen Sachhinterlage
(etwa in einem versiegelten Umschlag oder einem verschlossenen Behältnis) bei
einem Dritten verwahrt, so greift die erwähnte Norm also in der Tat Platz. Die
Angabe des Schuldners bei der Einvernahme vom 11. Juli 1950 liess nun
jedenfalls die Möglichkeit einer derartigen beim Rekurrenten befindlichen
Sachhinterlage offen - wiewohl der Schuldner nichts von einem verschlossenen,
nicht mit dem Geld des Depositars vermischten Gelddepot sprach noch sich
irgendwie über

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dessen Zusammensetzung äusserte. Bei dieser Sachlage war zunächst ungewiss, ob
man es mit einer Sachhinterlage der erwähnten Art oder aber mit einem
Summendepot (depositum irregulare) zu tun habe, bei dem das Geld in das
Eigentum des Depositars übergeht und dieser nur zur Rückerstattung des
gleichen Betrages aus seinem eigenen (durch die Hinterlage vermehrten)
Vermögen verpflichtet ist, dem Hinterleger also nur eine Forderung gegen ihn
zusteht. Diese zweite Art von Hinterlegung ist indessen als stillschweigend
vereinbart zu vermuten, wenn dem Depositar Geld unversiegelt und
unverschlossen übergeben worden ist (Art. 481 Abs. 2 OR). Jedenfalls als sich
beim Rekurrenten ein ausgeschiedenes Depot des Schuldners, das dessen Eigentum
geblieben sein könnte, nicht feststellen liess, der Rekurrent vielmehr einen
solchen Sachverhalt verneinte und ausserdem die von ihm bei der Post bewirkte
Einzahlung von Fr. 2000. an die SBG für Rechnung des Schuldners nachwies,
blieb nur noch die Pfändung einer (bestrittenen) Forderung des Schuldners an
den Rekurrenten aus irregulärer Hinterlegung vollziehbar.
2.- Die Beiziehung polizeilicher Hilfe (vgl. Art. 91 Abs. 2 SchKG) erwies sieh
damit als unnütz: der Kantonspolizist hatte nur (wie ein Angestellter des
Betreibungsamtes) das Fehlen eines ausgeschiedenen, vom Vermögen des
Rekurrenten getrennten Sachdepots feststellen können. Es kam auch nicht in
Frage, polizeiliche Massnahmen bei der Post zu veranlassen, wo der Rekurrent
den erwähnten Betrag einbezahlt hatte. Das Betreibungsamt warf ja dem
Rekurrenten nicht etwa Veruntreuung vor, auch der Schuldner nicht.
Vollends war die auf Art. 98 Abs. 1 SchKG gestützte Beschlagnahme bei der
Post, um das Geld in Verwahrung zu nehmen, ungerechtfertigt. Diese Vorschrift
betrifft nur die Sachpfändung von Geld (Bargeld, Banknoten usw.), findet also
nur Anwendung, wenn ein möglicherweise dem Schuldner gehörender Bestand an
solchen Werten festgestellt wird. Dies war aber, wie dargetan, hier nicht der

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Fall, und was die Rechtsverhältnisse anbelangt, die der Rekurrent durch die
(nicht etwa im Namen des Schuldners vorgenommene) Einzahlung von Fr. 2000.-
bei der Post begründet hatte, so war der Schuldner an diesem Zahlungsgeschäfte
gar nicht beteiligt. Auftraggeber war der Rekurrent, Empfänger (Destinatär)
die SBG. Erst diese war angewiesen, den Betrag für Rechnung des Schuldners
entgegenzunehmen, wozu es jedoch zufolge des Einschreitens des
Betreibungsamtes bei der Post nicht gekommen ist. Wäre der Geldpostauftrag zur
Ausführung gelangt, so hätte allenfalls (neben der bestrittenen Forderung
gegen den Rekurrenten) eine Forderung gegen die SBG gepfändet werden können
(unter Vorbehalt der Verrechnung und anderer Einwendungen). Für eine
Sachpfändung von Geld und somit für eine Inverwahrungnahme nach Art. 98 Abs. 1
SchKG fehlte es dagegen an einem tauglichen Substrate.
3.- Als Auftraggeber konnte der Rekurrent bis auf weiteres den der Post
erteilten Auftrag widerrufen und eine andere Verfügung treffen, insbesondere
den Betrag herausverlangen (Art. 36 des Postverkehrsgesetzes vom 2. Oktober
1924, Art. 96 der Postordnung vom 15. August 1939; vgl. auch BGE 55 11
202-203). Ihm gegenüber hätte daher gegebenenfalls ein Guthaben gegen die Post
arrestiert oder gepfändet werden können (vgl. Art. 6 Abs. 4 des
Postverkehrsgesetzes), jenes etwa bei Zahlungsflucht (Art. 271 Abs. 1 Ziff. 2
SchKG). Dabei kann sich fragen, ob dem Betreibungsamt zugestanden wäre, auf
Grund einer Pfändung der in Frage stehenden Forderung des Thoma gegen den
Rekurrenten die Arrestbewilligung nachzusuchen (Art. 100 SchKG). Solche
Massnahmen gegen den Rekurrenten sind jedoch nicht getroffen worden, und das
Betreibungsamt behauptet übrigens nicht, es hätte gegen ihn ein Arrestgrund
vorgelegen.
4.- Die unzulässige Beschlagnahme ist gemäss dem Beschwerdeantrag rückgängig
zu machen (Art. 21 SchKG). Eigentlich hat dies in der Weise zu geschehen, dass
das Betreibungsamt den zu Unrecht von der Post herausverlangten

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Betrag wiederum an das Postamt Glarus abliefert, somit den frühern Stand der
Dinge wiederherstellt. Diese Lösung ist vom (weitergehenden) Rekursantrage
umfasst. Die Post würde dann einfach den seinerzeit erhaltenen Auftrag (sofern
nicht der Rekurrent ihn alsbald widerrufen sollte) nachträglich noch
auszuführen haben. Allein es ist dem Rekurrenten unbenommen, vom
Betreibungsamte direkt die Auszahlung an ihn selbst zu verlangen; wäre doch
die Rückgabe an die Post ein unnötiger Umweg, wenn der Rekurrent zur Rücknahme
des Betrages entschlossen ist. Zu einem solchen Begehren ist ihm eine kurze
Frist anzusetzen.
Das Betreibungsamt hat ferner die Pfändung des «Depots» im Sinne einer
Forderungspfändung, wie dargelegt, klarzustellen und dem Rekurrenten eine
entsprechende Anzeige mit dem Formular Nr. 9 zukommen zu lassen.
5.- Ein Interesse des Rekurrenten an der Beschwerde lässt sich nicht
verneinen. Beanspruchte er den bei der Post einbezahlten Betrag auch nicht für
sich selbst, so musste ihm doch daran gelegen sein, dass die Zahlung nicht
ihrem Zweck durch ungesetzliche Massnahmen des Betreibungsamtes entfremdet
werde. Ob die Ueberweisung an die SBG heute noch sinnvoll ist, steht dahin,
weshalb eben dem Rekurrenten auch eine anderweitige Verfügung (wie sie ihm zur
Zeit der betreibungsamtlichen Beschlagnahme ohnehin noch gegenüber der Post
zugestanden wäre) freizustellen ist. Und wenn die untere Aufsichtsbehörde die
Beschwerde monatelang als vermeintlich gegenstandslos liegen liess, war ihr
offenbar nicht gegenwärtig, dass sogar nach der Verteilung an die Gläubiger
eine Rückgabebeschwerde des Schuldners nicht völlig ausgeschlossen ist (wenn
er nämlich geltend macht, es habe an den betreibungsrechtlichen
Voraussetzungen für die Verteilung gefehlt; vgl. BGE 76 III 84 -85). Gleiches
gilt für die Beschwerde eines Dritten, in dessen Vermögen das Betreibungsamt
auf ungesetzliche Weise eingegriffen hat. Übrigens war der von der Post
herausverlangte Betrag damals,

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als die Beschwerde eingereicht wurde, zweifellos noch nicht verteilt (da ja
die Teilnahmefrist laut Pfändungsurkunde noch bis zum 11. August lief).
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird dahin begründet erklärt, dass das Betreibungsamt angewiesen
wird,
a) den ihm von der Post abgelieferten Betrag von Fr. 2000.- der Post oder,
wenn der Rekurrent es binnen 5 Tagen (seit Zustellung des Dispositivs dieses
Entscheides) verlangt, an ihn selbst zurückzugeben;
b) dem Rekurrenten unverzüglich mit Formular Nr. 9 anzuzeigen, dass es bei
Thoma eine (bestrittene) Forderung auf ihn im Betrage von Fr. 2000.- in vollem
Umfange gepfändet habe.
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Document : 77 III 60
Date : 01. Januar 1951
Published : 16. Mai 1951
Source : Bundesgericht
Status : 77 III 60
Subject area : BGE - Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Subject : Pfändung eines Gelddepots bei einem Dritten.1. Was ist zu pfänden2. Voraussetzungen der Beiziehung...


Legislation register
OR: 481
SchKG: 6  17  21  36  91  98  100  271
BGE-register
76-III-81 • 77-III-60
Keyword index
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debtor • prosecution office • money • property • the post • question • knowledge • banknote • right of retention • drawee • contract of deposit • debt enforcement and bankruptcy law • statement of affairs • irregular deposit agreement • repayment • payment • decision • statement of reasons for the adjudication • ensuring • communication
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