S. 338 / Nr. 63 Motorfahrzeugverkehr (d)

BGE 77 II 338

63. Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. Dezember 1951 i. S. «Zürich»
.Allgemeine Unfall- und Haftpflichtversicherungs- A. G. gegen Fässler.


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Regeste:
1. Motorfahrzeughaftpflicht-Versicherung. Besonderheiten der Versicherung für
die Verwendung eines Kollektivfahrzeugausweises (MFV 26). Haftung des
Versicherers bei Ersatz verlorener Händlerschilder durch solche mit anderer
Nummer.
2. Auf Anträge, für welche die Berufungsschrift keine Begründung enthält, ist
nicht einzutreten (Art. 55 lit. e OG).
1. Assurance-responsabilité civile du détenteur d'un véhicule à moteur.
Particularités de l'assurance conclue en vue de l'utilisation d'un permis de
circulation collectif (art. 26 RA). Responsabilité de l'assureur dans le cas
où des plaques professionnelles perdues ont été remplacées par des plaques du
même genre munies d'un autre numéro.
2. Le Tribunal fédéral n'entre pas en matière sur des conclusions qui ne sont
pas motivées dans le mémoire de recours en réforme (art. 55 litt. e OJ).
1. Assicurazione contro la responsabilità civile del detentore d'un auto
veicolo. Particolarità dell'assicurazione conclusa in vista d'un permesso di
circolazione collettivo (art. 26 RLA). Responsabilità dell'assicuratore nel
caso in cui targhe professionali perdute sono state sostituite da placche
dello stesso genere munite di un altro numero.
2. Il Tribunale federale non esamina nel merito conclusioni che non sono
motivate nell'atto di ricorso per riforma (art. 55 lett. e OG).

A. - Der Automechaniker und Autohändler Heinrich Senn versicherte sich am 15.
September 1942 bei der Beklagten gegen die Folgen der Haftpflicht, die aus der
Benützung von Personen-, Lieferungs- und Last automobilen, Sattelschleppern
und Traktoren mit einem Händlerschild im Sinne von Art. 26 /27 MFV erwachsen
könnte. Er erhielt darauf einen Kollektiv Fahrzeugausweis mit Händlerschild ZH
254. Ziffer 3 der besondern Versicherungsbedingungen lautet
«Die Versicherung deckt lediglich die Haftpflicht aus solchen
Schadensereignissen, welche durch die Händlerschilder ZH 254

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tragende, auf der Titelseite der Police bezeichnete Motorfahrzeuge verursacht
werden...
Am 21. September 1945 verlor Senn das hintere Kontrollschild. Er meldete den
Verlust gleichen Tages beim Strassenverkehrsamt Zürich und gab das vordere
Schild ZH 254 ab. Das Amt verabreichte ihm das neue Schilderpaar ZH 579 und
schrieb den Fahrzeugausweis auf diese Nummer um. Das Schild ZH 254 wurde im
Zürcher Polizeianzeiger als kraftlos ausgeschrieben. Der Beklagten wurde von
diesen Tatsachen zunächst keine Kenntnis gegeben.
B. - Am 22. Juni 1947 führte Senn in angetrunkenem Zustande ein Auto mit den
Händlerschildern ZH 579 und verursachte einen Zusammenstoss, bei dem der
Kläger schwer verletzt wurde. Die Beklagte bestritt ihre Haftung, weil die
Police nur für Schäden gelte, die bei Verwendung der Händlerschilder ZH 254
entstehen. Das Bezirksgericht Zürich, bei dem der Kläger sie hierauf belangte,
verurteilte sie, dem Kläger Fr. 18503.25 nebst Zins zu bezahlen, und räumte
dem Kläger für die Dauer von zwei Jahren nach Rechtskraft des Urteils ein
Nachklagerecht ein. Das Obergericht des Kantons Zürich hat dieses Urteil am
29. Juni 1951 bestätigt.
C. - Gegen das obergerichtliche Urteil hat die Beklagte die Berufung an das
Bundesgericht erklärt mit dem Antrag auf Abweisung der Klage.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung.
1.- im Gegensatz zum gewöhnlichen Fahrzeugausweis im Sinne von Art. 7 MFG wird
der Kollektivfahrzeugsausweis im Sinne von Art. 26 MFV, der zu den «besondern
Ausweisen» im Sinne von Art. 69 lit. i MFG gehört, nicht für ein bestimmtes
Fahrzeug eines bestimmten Halters ausgestellt, sondern einer im
Motorfahrzeuggewerbe tätigen Person oder Firma mit Kontrollschildern (Händler-
oder Versuchsschildern) abgegeben, die zu Fahrten mit beliebigen Motorwagen
bzw. Motorrädern verwendet werden können. Streng genommen sind diese Ausweise
überhaupt

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nicht Fahrzeugausweise, da sie nicht bezeugen, dass die auf Grund dieser
Ausweise geführten Fahrzeuge im Sinne von Art. 7 MFG geprüft und
verkehrstauglich befunden worden seien, ja nicht einmal Angaben enthalten, die
es gestatten würden, die Identität der Fahrzeuge festzustellen. Eine Prüfung
und individuelle Bezeichnung der mit den Kollektivausweisen zu führenden
Fahrzeuge kommt gar nicht in Frage, weil diese Ausweise eben Fahrten mit
beliebigen Fahrzeugen der darin genannten Kategorien erlauben sollen. Es
handelt sich bei diesen Ausweisen um Blankobewilligungen, die im Vertrauen
darauf erteilt werden, dass die Inhaber sie nicht zur Führung von Fahrzeugen
missbrauchen, die vom Verkehr ausgeschlossen werden müssten. Die MFV schreibt
daher in Art. 26 Abs. 1 Satz 2 vor, die besondern Fahrzeugausweise «werden nur
an Personen und Firmen abgegeben, die für eine einwandfreie Geschäftsführung
Gewähr bieten t.
Der besonderen Natur des Kollektivfahrzeugausweises entsprechen Besonderheiten
der Haftpflichtversicherung, die der Bewerber um einen solchen Ausweis nach
Art. 26 Abs. 2 MFV abzuschliessen hat. Durch diese Versicherung wird nicht die
Haftpflicht eines bestimmten Halters für den Betrieb eines bestimmten
Fahrzeugs gedeckt, sondern die Haftpflicht der nicht zum voraus bestimmten
Halter aller Fahrzeuge, die mit dem Kollektivausweis in Verkehr gebracht
werden, und zwar je für so lange, als dies geschieht (BGE 63 II 351). Halter
dieser Fahrzeuge ist durchaus nicht immer die Person oder Firma, welcher der
Ausweis erteilt wurde sehr oft ist der Halter ein anderer, z.B. der Kunde, der
das Fahrzeug in Reparatur gegeben. Sinn der Versicherung ist es, die Haftung
aller dieser Halter zu decken, deren Identität nach einem Unfall erst
festgestellt werden muss. Der Versicherer, der durch Ausstellung eines
Versicherungsausweises die Voraussetzung für die Erteilung eines
Kollektivfahrzeugausweises schaffen hilft, übernimmt es, für alle diese
Haftpflichten einzustehen. (Ob diese Pflicht entfällt, wenn eine andere,
gerade für das

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betreffende Fahrzeug abgeschlossene Versicherung besteht, kann hier
dahingestellt bleiben).
2.- Die Beklagte bestreitet nicht, dass eine Haftpflichtversicherung dieser
Art vorliegt. Dagegen macht sie geltend, in der Police sei ausdrücklich
gesagt, die Versicherung decke nur die Haftpflicht aus Schadensereignissen,
die durch Fahrzeuge verursacht werden, welche mit den Händlerschildern ZH 254
geführt werden. Allein dieser Umstand ist nicht von entscheidender Bedeutung.
Für den Versicherer ist wesentlich, dass er auf Grund eines
Versicherungsvertrags, der sich auf einen Kollektivausweis bezieht, nicht das
Risiko aus der gleichzeitigen Benutzung mehrerer solcher Ausweise tragen muss,
sondern nur die Haftpflicht infolge von Unfällen zu decken hat, die bei
Verwendung eines bestimmten einzelnen Kollektivausweises entstehen. Darüber,
für welchen Ausweis die Versicherung gelten soll, kann ein Zweifel
vernünftigerweise nicht bestehen, selbst wenn die Police die Nummer der zum
Ausweis gehörenden Kontrollschilder nicht erwähnt: es ist der Ausweis, der dem
Versicherungsnehmer gestützt auf die in Frage stehende Versicherung erteilt
wird bzw. worden ist. Wird in der Police die Nummer der Schilder genannt, so
handelt es sich dabei also nicht um einen wesentlichen Vertragsbestandteil,
sondern um eine Angabe, die zwar die Bestimmung des Vertragsgegenstandes
erleichtert, aber hiefür nicht unentbehrlich ist und folglich bloss als
erläuternder Zusatz ohne rechtlichen Belang betrachtet werden darf. Eine
erhöhte Bedeutung kommt der Angabe der Nummer nur dann zu, wenn gestützt auf
Versicherungen, die mit verschiedenen Gesellschaften abgeschlossen wurden, zu
gleicher Zeit zwei oder mehrere Kollektivausweise erteilt werden. In einem
solchen Falle lässt sich nur mit Hilfe der Angabe der Nummern der mit den
Ausweisen verabfolgten Schilder feststellen, welche Versicherung einem jeden
Ausweis zugeordnet ist. Die Versicherer haben aber auch hier kein Interesse
daran, dass ihr Vertragspartner gerade die Nummern behält, die ihm gestützt
auf die von

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ihnen ausgestellten Versicherungsausweise abgegeben und in die Policen
eingetragen worden sind. Auf die Zahl als solche kommt gar nichts an. Ein
nachträglicher Wechsel der Nummern berührt die Versicherer in keiner Weise,
wenn sich bezüglich jeder Nummer einwandfrei feststellen lässt, welche andere
sie ersetzt. Die Behauptung, dass die in der Police angegebene Nummer der
Kontrollschilder für die Bestimmung des versicherten Risikos schlechtweg
massgebend sei, läuft also dem Sinne zuwider, der dem Versicherungsvertrage
bei vernünftiger Auslegung beizumessen ist.
Im vorliegenden Falle steht ausser Zweifel, dass die Schilder mit der Nummer
ZH 579 dem Versicherungsnehmer Senn als Ersatz für die wegen Verlusts des
hintern Schildes kraftlos erklärten Schilder mit der Nummer ZH 254 abgegeben
wurden. Nach dem Gesagten hätte also die Beklagte auf Grund der von ihr
ausgestellten Police die Haftpflicht aus der Verwendung der Schilder ZH 579
selbst dann zu decken. wenn Senn seinerzeit gestützt auf Versicherungsausweise
verschiedener Gesellschaften gleichzeitig mehrere Kollektivausweise bezogen
hätte. was nicht behauptet wird. Für die Beklagte besteht nicht etwa die
Gefahr, dass sie daneben auch noch für die Haftpflicht aus Unfällen in
Anspruch genommen werden könnte. die entstehen könnten, wenn das verlorene
Schild ZH 254 von einem dritten Finder oder nach Wiedererlangung des Besitzes
von Senn verwendet würde. Die Verwendung des Schildes ZH 254 durch diesen
letztem ist nach der Aushändigung von Ersatzschildern nicht mehr gedeckt, da
es sich bei jenem Schilde eben nicht mehr um das ihm zustehende Schild
handelt, für das die Versicherung gilt, und für die eigenmächtige Verwendung
von Händlerschildern durch einen Dritten (sei er Dieb oder Finder) haftet die
Beklagte mangels einer dahingehenden Vertragsbestimmung ohnehin nicht (STREBEL
N. 92 zu Art. 48 MFG). Dass Senn es unterlassen hat, der Beklagten die neue
Nummer mitzuteilen, bedeutet lediglich eine Ordnungswidrigkeit an die sich

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keine materiellen Folgen knüpfen. Die Beklagte hätte es nicht ablehnen können,
die Haftpflicht für die Verwendung der Ersatzschilder zu decken. Sie hätte
auch nicht vom Vertrage zurücktreten können; denn sie hatte, wie bereits
gesagt, nicht das geringste Interesse daran, ob die von ihr versicherten
Fahrzeuge mit der Nummer 254 oder mit der Nummer 579 geführt wurden wichtig
war für sie bloss, dass nur ein einziges Schilderpaar im Gebrauch war. (Sie
hat denn auch in der Berufungsschrift erklärt, sie hätte «selbstverständlich»
die Versicherungsdeckung für ZH 254 aufgehoben und zu den gleichen Bedingungen
ZH 579 versichert, wenn ihr jemals vor dem Unfall eine Mitteilung gemacht
worden wäre.) Sie bestreitet demnach ihre Haftung zu Unrecht.
3.- Mit Bezug auf die Höhe der dem Kläger zukommenden Entschädigung ist das
obergerichtliche Urteil nicht angefochten worden.
Die heute vorgebrachten Einwendungen gegen die Einräumung des Nachklagerechts
wären nicht zu hören, selbst wenn man annähme, der Antrag auf Verweigerung des
Nachklagerechts sei im Antrag auf Abweisung der Klage mitenthalten; denn in
der Berufungsschrift wurde nicht dargelegt, welche Bundesrechtssätze und
inwiefern sie durch die Einräumung des Nachklagerechts verletzt worden seien,
wie es nach Art. 55 lit. e OG erforderlich gewesen wäre (vgl. BGE 72 II 6 E.
3, 71 II 34 E. 2 und 35). Bei materieller Prüfung wären die Einwendungen der
Beklagten übrigens als unbegründet zurückzuweisen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des Kantons
Zürich vom 29. Juni 1951 bestätigt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 77 II 338
Datum : 01. Januar 1951
Publiziert : 13. Dezember 1951
Quelle : Bundesgericht
Status : 77 II 338
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 1. Motorfahrzeughaftpflicht-Versicherung. Besonderheiten der Versicherung für die Verwendung eines...


Gesetzesregister
MFV: 26  27
OG: 55
BGE Register
63-II-347 • 71-II-34 • 72-II-1 • 77-II-338
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • fahrzeugausweis • kontrollschild • versicherer • versicherungsausweis • haftpflichtversicherung • bundesgericht • benutzung • zahl • versicherungsvertrag • einwendung • versicherungsnehmer • frage • zweifel • weiler • automobil • bewilligung oder genehmigung • entscheid • zürich • begründung des entscheids
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