S. 68 / Nr. 12 Verfahren (d)

BGE 77 I 68

12. Auszug aus dem Urteil der Il. Zivilabteilung als staatsrechtlicher Kammer
vom 22. Februar 1951 i. S. Wohnbaugenossenschaft «Uf eigenem Bode» gegen
Stahlton A.-G. und Obergericht Basel-Landschaft.

Regeste:
Staatsrechtliche Beschwerde. Fristbeginn nach Art. 891 und 2 OG. Die letztere
Bestimmung will (abweichend von der früheren Ordnung nach Art. 178 Ziff. 3
aOG) auch eine durch Bundesrecht vorgeschriebene Zustellung der Erwägungen
berücksichtigen. Auslegung dieses Artikels.
Recours de droit public. Début du délai selon l'art. 89 al. 1 et 2. Ce second
alinéa (à la différence du système prévu par l'art. 178 anc. OJ) vise aussi
une notification d'office des considérants prescrite par le droit fédéral.
Interprétation de la disposition.
Ricorso di diritto pubblico. Inizio del termine di ricorso giusta l'art. 89
cp. 1 e 2 OG. Questo secondo capoverso (a differenza del sistema previsto
dall'art. 178 , cifra 3, della vecchia OG) contempla pure una notifica
d'ufficio dei considerandi prescritta dal diritto federale. Interpretazione di
detto articolo.

Aus dem Tatbestand:
A. - Die Beschwerdeführerin liess auf ihren Liegenschaften an der
Birseckstrasse in Birsfelden Mehrfamilienhäuser erstellen. Am 7. Februar 1947
bestellte sie bei der Stahlton A.-G. in Zürich die zu diesen Neubauten
erforderlichen Stahlton-Hourdisdecken. Diese waren nach den angegebenen Massen
herzustellen und auf die Baustelle zu liefern. Nach dem Einsturz eines
Deckenfeldes im Neubau Birseckstrasse Nr. 31 bestellte die Beschwerdeführerin
eine Nachlieferung, die in den Monaten Juli bis September 1948 ausgeführt
wurde.

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B. - Am 22. Oktober 1948 bewilligte der Bezirksgerichtspräsident von Arlesheim
der Stahlton A.-G. die vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechtes
für die aus der Nachlieferung hervorgehenden Forderungen. Er bejahte in der
Urteilsbegründung die Leistung besonderer Arbeit für den Bau, da die
Stahltonbretter nach Plänen zugeschnitten worden seien, wenn auch nicht beim
Bau selbst, sondern im Betriebe der Stahlton A.-G.
C. - Am gleichen Tage erhob die Stahlton A.-G. Klage auf Bewilligung der
definitiven Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechtes. Das Bezirksgericht
Arlesheim hiess die Klage gut, ebenso das Obergericht des Kantons
Basel-Landschaft mit Urteil vom 26. Mai 1950.
D. - Gegen das den Parteien am 26. Mai 1950 sogleich mündlich eröffnete und am
5. August 1950 ausserdem schriftlich mitgeteilte Urteil des Obergerichts hat
die Beklagte neben einer Berufung am 9./10. September 1950 (mit Hinweis auf
die Gerichtsferien) die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde wegen
Verletzung von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV erhoben.
E. - Das Obergericht beantragt, auf die staatsrechtliche Beschwerde sei wegen
verspäteter Einreichung nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen.
Aus den Erwägungen:
Den Nichteintretensantrag stützt das Obergericht auf Art. 89 Abs. 1
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
OG, wonach
die staatsrechtliche Beschwerde binnen 30 Tagen «von der nach dem kantonalen
Recht massgebenden Eröffnung oder Mitteilung des Erlasses oder der Verfügung
an gerechnet» einzureichen ist. Nach dem kantonalen Recht sei die am 26. Mai
1950 unmittelbar nach der Urteilsfällung erfolgte mündliche Eröffnung
massgebend. Die nach Bundesrecht (Art. 51 Abs. 1 lit. d
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
OG) erfolgte
schriftliche Mitteilung habe auf den Beginn der Frist zur staatsrechtlichen
Beschwerde keinen Einfluss.
Diese Betrachtungsweise entspricht der Ordnung gemäss Art. 178 Ziff. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
des
früheren OG (BGE 63 I 20). Art. 89 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
des geltenden OG bestimmt jedoch:
«Werden

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von Amtes wegen nachträglich Entscheidungsgründe zugestellt, so kann die
Beschwerde noch innert 30 Tagen seit dem Eingang der Ausfertigung geführt wer
den.» Dem Wortlaut dieser Bestimmung nach fällt wie eitle durch kantonales
Recht gebotene so auch eine vom Bundesrecht verlangte schriftliche Mitteilung
des vollständigen Urteils in Betracht. Auf die allgemeine Fassung des Art. 89
Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
OG muss sich der Rechtsuchende verlassen können, sofern nicht
unabweisliche Gründe für eine einschränkende Auslegung vorliegen. Dies ist
jedoch nicht der Fall vielmehr rechtfertigt der gesetzgeberische Grund dieser
neuen Bestimmung (wenn möglich einer Beschwerdeführung ins Blaue hinaus
vorzubeugen, vgl. die Botschaft, Bundesblatt 1943 S. 140) deren Anwendung ohne
Unterschied. ob die schriftliche Mitteilung nach kantonalem Recht oder von
Bundesrechts wegen geboten ist. In BGE 74 I 169 wurde diese Frage noch offen
gelassen die oben dargelegt e Lösung jedoch bereits erwogen. Bei in
Meinungsaustausch im vorliegenden Falle hat die staatsrechtliche Kammer sie
nunmehr einhellig gebilligt. Auch darüber besteht Einigkeit, dass Art. 89 Abs.
2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
OG nur solche Urteilsmitteilungen im Auge hat, die (wie dies eben nach Art.
51 Abs. 1 lit. d
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
OG zutrifft) unbedingt und zwar an beide Parteien vorzunehmen
sind (anders als die erst nach Einlegung einer Nichtigkeitsbeschwerde und nur
an den Beschwerdeführer nach Art. 272 Abs. 1
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
Satz 2 BStP «ohne Verzug von
Amtes wegen» vorzunehmende Zustellung BGE 72 I 294).
Kann sich somit die Beschwerdeführerin auf die am 5. August 1950 erfolgte
schriftliche Zustellung (durch Anzeige, dass das Urteil zur Einsicht aufliege)
berufen, so wurde der Fristbeginn weiterhin durch die bis zum 15. August
andauernden Gerichtsferien verzögert (Art. 34
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
OG). Die am 9./10. September
eingereichte staatsrechtliche Beschwerde erweist sich damit als rechtzeitig.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 77 I 68
Datum : 01. Januar 1951
Publiziert : 22. Februar 1951
Quelle : Bundesgericht
Status : 77 I 68
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : Staatsrechtliche Beschwerde. Fristbeginn nach Art. 891 und 2 OG. Die letztere Bestimmung will...


Gesetzesregister
BStP: 272
BV: 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
OG: 2  34  51  89  178  891
BGE Register
63-I-20 • 72-I-294 • 74-I-169 • 77-I-68
Stichwortregister
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