S. 22 / Nr. 5 Doppelbesteuerung (d)

BGE 77 I 22

5. Urteil vom 23. Mai 1951 i. S Straub gegen Kantone St. Gallen und Thurgau.

Regeste:
Der Aufenthaltsort als Wohnsitz.
A quelles conditions le lieu où séjourne une personne peut-il être considéré
comme étant son domicile?
A quali condizioni il luogo in cui una persona soggiorna può essere
considerato come il suo domicilio?

A. - Die Beschwerdeführerin betrieb früher zusammen mit ihrem Ehemann Ernst
Straub in Arbon das Restaurant

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z. Trischli. Auf den 1 Oktober 1949 verkaufte Straub die Liegenschaft aus
Gründen der Gesundheit. Da er in Arbon keine passende Wohnung fand, begaben
sich die Eheleute zu Frau Wwe. Zollikofer, einer Schwester der
Beschwerdeführerin, die in St. Gallen ein Einfamilienhaus bewohnt. Die
Schriften liessen sie in Arbon, weil sie beabsichtigten, dorthin
zurückzukehren, sobald sie dort eine Wohnung fänden; die Möbel lagerten sie in
einem Lagerhaus in St. Gallen ein, weil sie in Arbon ebenfalls keine passende
Lagergelegenheit gefunden hatten. Am 5. Oktober 1949 meldete sich Straub bei
der Einwohnerkontrolle der Stadt St. Gallen an und gab die Erklärung ab, er
wolle sich für etwa 3 Monate in St. Gallen aufhalten, ohne hier eine
Erwerbstätigkeit auszuüben. Er beabsichtige, später nach Arbon zurückzukehren.
Auf Verlangen der Einwohnerkontrolle hinterlegte er nach Ablauf der ersten
drei Monate einen 6 Monate zum Gäste-Aufenthalt in St. Gallen gültigen
Interimsschein, gestützt auf den ihm eine «Nebenniederlassung» erteilt wurde.
Doch bemühten sich die Eheleute nach wie vor, teils selbst, teils durch
Verwandte, um eine Wohnung in Arbon. Die Letztem fanden eine solche in
Rheineck, und Straub entschloss sich, dahin zu ziehen am 11. März 1950 schloss
er den Mietvertrag über die Wohnung in Rheineck ab. Da er jedoch die
erforderliche Wohnbewilligung vom Gemeinderat von Rheineck während längerer
Zeit nicht erhielt und zudem erkrankte, kündigte er den abgeschlossenen
Mietvertrag am 14. April 1950. Am 18. April beschloss der Gemeinderat von
Rheineck, dem Beschwerdeführer die verlangte Bewilligung zu verweigern. Nach
den Aussagen, die die Beschwerdeführerin in einer Einvernahme hierüber machte,
soll sich Straub im Hinblick auf die mögliche Verweigerung der Wohnbewilligung
durch Rheineck geäussert haben: «Dann kehren wir wieder nach Arbon zurück.» Am
18. April 1950 starb Straub in St. Gallen. Seine Ehefrau fand wenige Tage
später in Arbon eine Wohnung, die sie anfangs Juni 1950 bezog.

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In der Folge bestätigte die Einwohnerkontrolle von St. Gallen dem Notariat
Arbon, dass Straub sich zunächst besuchshalber in St. Gallen aufgehalten habe
später sei ihm für einen Gäste-Aufenthalt eine Nebenniederlassung erteilt
worden die Hauptniederlassung habe sich aber in Arbon befunden. Die st.
gallischen Steuerbehörden erklärten dagegen in der Folge, ihre Untersuchungen
hätten ergeben, dass die Eheleute Straub die Absicht gehabt hätten, nicht mehr
nach Arbon zurückzukehren und dass die Auskunft der Einwohnerkontrolle nach
den vom Erblasser getroffenen Dispositionen nicht den Tatsachen entspreche.
Arbon stellte sich auf den Standpunkt der Erblasser habe seinen Wohnsitz in
Arbon beibehalten. Das Notariat dieser Gemeinde forderte die
Beschwerdeführerin am 23. Januar 1951 auf, im Sinne von § 17 des kantonalen
Gesetzes über die Erbschafts- und Schenkungssteuern vom 6. Januar 1944 ihm
binnen Frist ein Inventar über das Vermögen sowie eine allfällig vorhandene
letztwillige Verfügung einzureichen. Die st. gallische Steuerverwaltung
forderte ihrerseits die Beschwerde -führerin am 15. Januar 1951 auf, ihr
binnen Frist zwecks Aufstellung des Nachlassvermögens sämtliche massgeblichen
Aktenstücke einzureichen, damit die Steuerveranlagung für die Zeit vom 1.
Oktober 1949 bis zum 18. April 1950 sowie die Erbschaftssteuerveranlagung
vorgenommen werden könne; bei Nichtbeachtung dieser Aufforderung würde zu
einer ermessensweisen Veranlagung geschritten.
B. - Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 29. Januar 1951 beantragt Frau Wwe.
Straub-Möhl, das Bundesgericht wolle feststellen, welcher der beiden Kantone
zur Erhebung der Steuern zuständig sei.
C. - Der Regierungsrat des Kantons Thurgau beantragt die Abweisung der
Beschwerde gegenüber dem Kanton Thurgau. Die Steuerverwaltung des Kantons St.
Gallen schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit diese sich gegen den
Kanton St. Gallen richtet.

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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- ...
2.- Zur Erhebung der Einkommens- und der Vermögenssteuern sowie der Steuern
auf dem beweglichen Nachlassvermögen ist im interkantonalen Verhältnis nach
der Rechtsprechung des Bundesgerichtes derjenige Kanton zuständig, in dem der
Pflichtige wohnt bzw. der Erblasser zur Zeit des Todes seinen Wohnsitz hatte
und wo daher der Erbgang zu eröffnen ist (BGE 59 I 211 und die hier genannten
Entscheidungen, Urteile vom 11. November 1948 i. S Kanton Genf und vom 9. Mai
1951 i. S Kanton Uri).
Der Wohnsitz einer Person befindet sich an dem Orte, wo sie sich mit der
Absicht dauernden Verbleibens aufhält (Art. 23 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 23 - 1 Der Wohnsitz einer Person befindet sich an dem Orte, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält; der Aufenthalt zum Zweck der Ausbildung oder die Unterbringung einer Person in einer Erziehungs- oder Pflegeeinrichtung, einem Spital oder einer Strafanstalt begründet für sich allein keinen Wohnsitz.23
1    Der Wohnsitz einer Person befindet sich an dem Orte, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält; der Aufenthalt zum Zweck der Ausbildung oder die Unterbringung einer Person in einer Erziehungs- oder Pflegeeinrichtung, einem Spital oder einer Strafanstalt begründet für sich allein keinen Wohnsitz.23
2    Niemand kann an mehreren Orten zugleich seinen Wohnsitz haben.
3    Die geschäftliche Niederlassung wird von dieser Bestimmung nicht betroffen.
ZGB). Massgebend ist
jedoch im Steuerrecht der wirkliche, tatsächliche Wohnsitz. Der bloss formelle
im Sinne von Art. 24 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 24 - 1 Der einmal begründete Wohnsitz einer Person bleibt bestehen bis zum Erwerbe eines neuen Wohnsitzes.
1    Der einmal begründete Wohnsitz einer Person bleibt bestehen bis zum Erwerbe eines neuen Wohnsitzes.
2    Ist ein früher begründeter Wohnsitz nicht nachweisbar oder ist ein im Ausland begründeter Wohnsitz aufgegeben und in der Schweiz kein neuer begründet worden, so gilt der Aufenthaltsort als Wohnsitz.
ZGB, der zivilrechtlich nach der Aufgabe des
tatsächlichen bis zum Erwerb eines neuen Wohnsitzes besteht, wird für das
Steuerrecht nicht als genügend erachtet, um im Verhältnis von Kanton zu Kanton
den Steuerort zu begründen (BGE 35 I 40, 52 I 23, 53 I 279, 59 I 213, nicht
veröffentlichte Urteile vom 22. November 1929 i. S. Neuenburg, vom 16.
November 1934 i. S Haldemann und vom 5. Juli 1940 i. S. Sallmann). Das Domizil
des Art. 24 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 24 - 1 Der einmal begründete Wohnsitz einer Person bleibt bestehen bis zum Erwerbe eines neuen Wohnsitzes.
1    Der einmal begründete Wohnsitz einer Person bleibt bestehen bis zum Erwerbe eines neuen Wohnsitzes.
2    Ist ein früher begründeter Wohnsitz nicht nachweisbar oder ist ein im Ausland begründeter Wohnsitz aufgegeben und in der Schweiz kein neuer begründet worden, so gilt der Aufenthaltsort als Wohnsitz.
ZGB ist eine blosse Aushilfsbestimmung, damit bei Wechsel
des Wohnsitzes in der Zwischenzeit vor Begründung eines neuen ein Ort
vorhanden ist, an den die durch den Wohnsitz bedingten zivilrechtlichen
Beziehungen angeknüpft weiden können. Bei Konkurrenz des Domizils mit dem
tatsächlichen längern Aufenthaltsort in der Schweiz ist daher an die
Anforderungen des Art. 23
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 23 - 1 Der Wohnsitz einer Person befindet sich an dem Orte, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält; der Aufenthalt zum Zweck der Ausbildung oder die Unterbringung einer Person in einer Erziehungs- oder Pflegeeinrichtung, einem Spital oder einer Strafanstalt begründet für sich allein keinen Wohnsitz.23
1    Der Wohnsitz einer Person befindet sich an dem Orte, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält; der Aufenthalt zum Zweck der Ausbildung oder die Unterbringung einer Person in einer Erziehungs- oder Pflegeeinrichtung, einem Spital oder einer Strafanstalt begründet für sich allein keinen Wohnsitz.23
2    Niemand kann an mehreren Orten zugleich seinen Wohnsitz haben.
3    Die geschäftliche Niederlassung wird von dieser Bestimmung nicht betroffen.
ZGB kein strenger Massstab anzulegen (BGE 67 I 104).
3.- Als der Erblasser Ende September 1949 von Arbon wegzog, hörten damit für
ihn und seine Ehefrau alle tatsächlichen Beziehungen zu Arbon auf, die eine
Fortdauer

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des Wohnsitzes hätten darstellen können. Die Eheleute besassen in dieser
Gemeinde weder eine Liegenschaft, noch eine Wohnung, noch auch nur Möbel. Wenn
sie beim Wohnungsamt für eine Wohnung angemeldet blieben und die Schriften
nicht zurückzogen, sind das keine Beziehungen, die den Wohnsitz bestimmen
könnten. Sie verliessen Arbon für unbestimmte Zeit, d. h. für solange, bis
sich in der Gemeinde eine passende Wohnung zeigen würde. Hatten sie auch nicht
die feste Absicht, dauernd in St. Gallen zu bleiben, sondern bestand bei ihnen
die Meinung, sie kehrten später nach Arbon zurück, so kam es doch nicht zum
Entschluss, St. Gallen auf einen bestimmten Zeitpunkt wieder zu verlassen. Wie
lange die Eheleute in St. Gallen bleiben würden, hing von durchaus unsichern
Umständen ab. In der Folge hat der Erblasser auch die Absicht, bei passender
Gelegenheit nach Arbon zurückzukehren, aufgegeben. Er tat dies damit, dass er
in Rheineck eine Wohnung mietete und um die Niederlassung für diese Gemeinde
nachsuchte. Dass er später wieder da rauf zurückkam und sich geäussert haben
soll, er werde nun doch wieder nach Arbon zurückkehren, ist für die Frage, wo
sich der Steuerwohnsitz befunden habe, bedeutungslos. Ebenso unerheblich ist
dafür, ob Beamte der st. gallischen Steuerverwaltung und der
Einwohnerkontrolle der Auffassung waren, der Erblasser habe seinen Wohnsitz
und damit auch den Steuerwohnsitz in Arbon behalten, und dass er daher die
Einkommens - und Vermögenssteuern an diesem Orte, nicht in St. Gallen
bezahlte. Als der Pflichtige anlässlich des Zuzuges erklärte, er werde
baldmöglichst wieder nach Arbon zurückkehren, mochte es den Anschein haben, es
handle sich bloss um einen ganz vorübergehenden Aufenthalt. Nachdem er sich
während verhältnismässig langer Zeit, mehr als ein halbes Jahr, tatsächlich in
St. Gallen aufgehalten hat, zu Arbon aber keine tatsächlichen Beziehungen mehr
bestanden, muss für die steuerrechtlichen Beziehungen der tatsächliche
Aufenthaltsort als Wohnsitz gelten.
4.- ...

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Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gegenüber dein Kanton St. Gallen abgewiesen, gegenüber dem
Kanton Thurgau dagegen gutgeheissen und demnach festgestellt, dass zur
Erhebung der Vermögens- und Einkommenssteuern für die Zeit vom 1. Oktober 1949
bis zum 18. April 1950 sowie für die Besteuerung des Nachlasses der Kanton St.
Gallen befugt, der Kanton Thurgau aber pflichtig ist, der Beschwerdeführerin
die vom Erblasser für die Dauer seines Aufenthaltes in St. Gallen bezahlten
Steuern zurückzuerstatten.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 77 I 22
Date : 01. Januar 1951
Published : 23. Mai 1951
Source : Bundesgericht
Status : 77 I 22
Subject area : BGE - Verfassungsrecht
Subject : Der Aufenthaltsort als Wohnsitz.A quelles conditions le lieu où séjourne une personne peut-il être...


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ZGB: 23  24
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35-I-37 • 52-I-23 • 53-I-276 • 59-I-207 • 67-I-97 • 77-I-22
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