S. 183 / Nr. 31 Rechtsgleichheit {Rechtsverweigerung} (d)

BGE 77 I 183

31. Urteil vom 3. Oktober 1951 i. S. Stückelberger gegen Basel-Stadt, Kanton
und Appellationsgericht.

Regeste:
Wann verletzt die Rückwirkung eines Steuergesetzes den Grundsatz der
Rechtsgleichheit?
Quand la rétroactivité de la loi fiscale viole-t-elle le principe de l'égalité
devant la loi?
Quando la retroattività della legge fiscale viola il principio
dell'uguaglianza dei cittadini davanti alla legge.


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A. - Das basel-städtische Gesetz betreffend die direkten Steuern vom 6. April
1922 (StG) bestimmt in § 17 (Fassung vom 25. Oktober 1934):
«Steuerbar ist der Gesamtbetrag jeder Art von Einkommen, Erwerb und Gewinn,
namentlich
...
(Pos. 3) Einkommen von Zinseingängen auf Vermögensobjekten, insbesondere auf
Grundstücken und Wertpapieren und Kapitalien;
(Pos. 4) Kapitalgewinn und Kapitalzuwachs auf Vermögensobjekten, insbesondere
auf Grundstücken und Wertpapieren, sei er durch Veräusserung oder Höherwertung
erzielt, sofern dieser Mehrwert durch Realisierung oder durch die
Steuererklärung selbst oder bei einem Todesfall in Erscheinung tritt;
....»
Das basel-städtische Verwaltungsgericht hat am 26. Mai 1944 entschieden, dass
die Nennwerterhöhung von Aktien nicht steuerbares Einkommen im Sinne dieser
Bestimmungen darstelle (Entscheidungen des Appellationsgerichts Bd. 8 S. 114).
Am 21. Oktober 1948 erliess der Grosse Rat des Kantons Basel-Stadt auf Grund
eines ihm am 4. Dezember 1947 vom Regierungsrat unterbreiteten Entwurfes ein
Gesetz, durch welches § 17 Pos. 3 StG folgenden Zusatz erhielt:
«wobei den Zinseingängen alle direkten oder indirekten Ausschüttungen von
Erwerbsgesellschaften wie Dividenden, Gratisliberierungen oder unentgeltlichen
Nennwerterhöhungen von Beteiligungsanteilen aus Mitteln der Gesellschaft und
andere geldwerte Leistungen gleichgestellt sind, die nicht als Rückzahlung auf
den Kapitalanteil gewährt werden, mit der Beifügung:
Dieses Gesetz findet erstmals auf die in Jahre 1948 fällig werdenden Steuern
Anwendung».
Die schon 1946 in Angriff genommene Totalrevision des Steuergesetzes fünfte am
22. Dezember 1949 zum Erlass eines neuen, auf den 1. Januar 1950 in Kraft
tretenden Steuergesetzes, durch das dasjenige vom 6. April 1922 aufgehoben
wurde.
B. - Am 7. Juli 1947 beschloss die Generalversammlung der Ciba A.-G. in Basel,
ihr Grundkapital aus eigenen Mitteln von 40 auf 60 Millionen Franken zu
erhöhen

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unter Heraufsetzung des Nennwerts der Aktien von Fr. 1000.- auf Fr. 1500.-.
Der Beschwerdeführer Theophil Stückelberger ist Eigentümer einiger Aktien der
Ciba A.-G. Er wurde am 9. Juli 1948 gemäss seiner am 24. April 1948
abgegebenen Steuererklärung zur Einkommenssteuer für 1947 veranlagt und
entrichtete den danach geschuldeten Steuerbetrag am 31. August 1948. Am 11.
Januar 1949 teilte ihm die Steuerverwaltung unter Hinweis auf die inzwischen
in Kraft getretene Gesetzesnovelle vorn 21. Oktober 1948 mit, dass sich sein
steuerbares Einkommen für 1947 um den Betrag der Nennwerterhöhung seiner
Ciba-Aktien erhöhe, was eine Steuernachforderung von Fr. ... ergebe. Der
Beschwerdeführer erhob Einsprache und nach deren Abweisung Rekurs. Die
Steuerkommission und das Verwaltungsgericht wiesen den Rekurs ab, die
Steuerkommission mit der Begründung, sie habe die richtig angewendete
Gesetzesnovelle von 1948 nicht auf ihre Verfassungsmässigkeit zu überprüfen,
das Verwaltungsgericht durch Entscheid vom 16. März 1951 mit im wesentlichen
folgender Begründung:
a) Die Steuerverwaltung habe das Gesetz vom 21. Oktober 1948 richtig
angewendet. Der an sich anerkannte Grundsatz der materiellen Rechtskraft der
endgültigen Steuerveranlagung binde nur die Verwaltung und hindere den
Gesetzgeber nicht daran, durch die Rückwirkungsklausel die Abänderung einer
definitiven Veranlagung zu verfügen. Ein derartiges Vorgehen sei allerdings
unerwünscht und sollte vom Gesetzgeber möglichst vermieden werden, da es
geeignet sei, das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die Verfügungen der
Steuerbehörde zu erschüttern und die Steuermoral zu gefährden. Diesen Bedenken
komme jedoch hier nur geringe Bedeutung zu, da der Beschwerdeführer vor Abgabe
der Steuererklärung und vor der Veranlagung durch ein Zirkular der
Steuerverwaltung auf die Möglichkeit einer späteren Ergänzung der Veranlagung
aufmerksam gemacht worden sei.

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b) Da die kantonalen Gerichte zur Überprüfung kantonaler Erlasse auf ihre
Übereinstimmung mit der Kantonsverfassung nicht befugt seien, könne die
Rückwirkungsklausel nur unter dem Gesichtspunkt von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV überprüft
werden. Nach der Praxis des Bundesgerichts sei die Rückwirkung bei einem
Steuergesetz dann zulässig, wenn sie zeitlich angemessen begrenzt sei, sich
auf vernünftige und triftige Gründe stütze und keine rechtlichen
Unterscheidungen schaffe, für die ein vernünftiger Grund aus den tatsächlichen
Verhältnissen nicht abzuleiten sei (BGE 61 I 92 mit Zitaten).
Die Novelle sei am 21. Oktober 1948 in Kraft getreten und sollte noch auf die
im gleichen Jahre fällig werdenden Steuern für das Einkommen des Jahres 1947
Anwendung finden. Eine derartige Rückwirkung könne nicht als übermässig
bezeichnet werden und sei nach BGE 61 I 87 ff., wo die Verhältnisse in
zeitlicher Beziehung beinahe gleich lagen, nicht zu beanstanden.
Sachlich könne die Rückwirkung damit begründet werden, dass die Staatsrechnung
seit Jahren Ausgabenüberschüsse (1946:14,7 und 1947: 6,6 Millionen)
aufgewiesen habe und dass auch für 1948 ein Defizit von rund 12,6 Millionen
budgetiert gewesen sei. Der Kanton habe daher ein legitimes Interesse
verfolgt, als er durch die Rückwirkung sich vermehrte Einnahmen verschaffen
wollte. Die rückwirkende Erfassung von Nennwerterhöhungen sei sodann nicht aus
Animosität gegen die Ciba-Aktionäre, sondern aus grundsätzlichen Erwägungen
erfolgt, habe doch schon der Entwurf der Steuerverwaltung zu einem neuen StG
vom Januar 1946 diese Neuerung vorgesehen. Sie sei dann freilich im Hinblick
auf die 1947 durch die Ciba und andere Firmen vorgenommenen
Gratisliberierungen und Nennwerterhöhungen ausserhalb der Totalrevision in
einem separaten Erlass rückwirkend in Kraft gesetzt worden. Nach § 17 Abs. 1
Pos. 4 StG wären zwar diese Nennwerterhöhungen möglicherweise in einem spätern
Zeitpunkt, nämlich bei Veräusserung oder

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Neubewertung infolge Todes des Eigentümers, ohnehin der Einkommenssteuer
unterworfen worden. Im Hinblick auf die prekäre Finanzlage des Kantons sei es
aber nicht unvernünftig gewesen, sie sofort zu erfassen, wie es bei der
Wehrsteuer auch geschehe (BGE 70 I 321).
Zweifel an der Zulässigkeit der Rückwirkung ergäben sich einzig angesichts der
durch sie geschaffenen rechtlichen Unterscheidungen. Nach der Angabe des
Finanzdepartementes betrage zwar die Zahl der Ciba-Aktionäre, die zwischen der
Nennwerterhöhung und dem Erlass des Gesetzes verstorben oder aus dem Kanton
weggezogen seien und daher von der Rückwirkung nicht mehr erfasst werden, bei
insgesamt 313 in Ba sei steuerpflichtigen Aktionären mit 4860 Aktien nur 9
Aktionäre mit 160 Aktien, so dass die dadurch geschaffene Ungleichheit noch in
Kauf genommen werden könne. Erheblich schwerer ins Gewicht falle eine andere
Rechtsungleichheit. Vor Erlass der Novelle hätten Nennwerterhöhungen von
Aktien als Kapitalgewinne im Sinne von § 17 Abs. 1 Pos. 4 StG gegolten, wobei
der Steuerpflichtige den Zeitpunkt der Besteuerung (durch Veräusserung oder
Höherbewertung in der Steuerdeklaration) beliebig bestimmen konnte. Anderseits
habe es dem Steuerpflichtigen nach § 17 a StG freigestanden, in einem
beliebigen Zeitpunkt vom steuerbaren Einkommen abziehbare Kapitalverluste
herbeizuführen. Wenn die Novelle schon 1947 erlassen worden wäre und der
Beschwerdeführer Werttitel besessen hätte, deren bisheriger Steuerwert grösser
war als der vermutliche Erlös, wäre er in der Lage gewesen, durch Realisierung
von Kapitalverlusten die Nachsteuerforderung in gewissem Umfange zu vermeiden.
Diese Möglichkeit sei ihm und den übrigen Ciba-Aktionären zufolge der
Rückwirkungsklausel genommen worden, denn 1948 konnten keine
Verlustrealisationen mit Wirkung für 1947 vorgenommenen werden, was eine
Benachteiligung dieser Steuerpflichtigen gegenüber allen andern bedeute. Der
Beschwerdeführer habe zwar nicht geltend gemacht, dass er

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solche Verlustrealisationen tatsächlich hätte herbeiführen können. Das
Verwaltungsgericht habe den wesentlichen Tatbestand jedoch von Amtes wegen
festzustellen und habe daher einen ergänzenden Bericht der Steuerverwaltung
eingeholt. Aus diesem ergebe sich, dass angesichts der Verhältnisse auf dem
Wertpapiermarkt im Jahre 1947 nur eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit
bestand, dass durch Titelverkäufe eine Kompensation der Nennwerterhöhungen
angestrebt worden wäre, denn bei den 1947 noch zurückliegenden Schweizer
Titeln habe die wohl sichere Erwartung bestanden, dass sie als gute
Anlagepapiere sich in kurzer Zeit erholen würden, bei den ausländischen Titeln
dagegen die begründete Hoffnung, dass die Sperrkurse bald aufgehoben würden.
während bei den Titeln der Oststaaten der Mangel von Kaufinteressenten eine
Verlustrealisation erheblich erschwert hätte.
B. - Theophil Stückelberger hat gegen diesen Entscheid staatsrechtliche
Beschwerde erhoben mit dem Antrag, die nachträgliche Veranlagungsverfügung zur
Einkommenssteuer für 1947 aufzuheben. Als Beschwerdegrund wird Verletzung von
Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV geltend gemacht. Die Begründung dieser Rüge ist, soweit wesentlich,
aus den nachstehenden Erwägungen ersichtlich.
D. - Das Verwaltungsgericht und das Finanzdepartement des Kantons Basel-Stadt
beantragen Abweisung der Beschwerde unter Hinweis auf die Erwägungen des
angefochtenen Entscheids.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung
1.- /2. - (Prozessuales).
3.- Die Steuergesetznovelle vom 21. Oktober 1948, nach der u. a. auch die
bisher nicht unmittelbar erfassten unentgeltlichen Nennwerterhöhungen von
Aktien dem steuerbaren Einkommen des Aktionärs zuzurechnen sind, findet gemäss
ausdrücklicher Vorschrift erstmals auf die im Jahre 1948 fällig gewordenen
Steuern Anwendung. Hierin liegt eine eigentliche Rückwirkung auf einen

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bereits abgeschlossenen Tatbestand, da bei der 1948 fälligen Steuer das
Einkommen des Jahres 1947 nicht bloss Bemessungsgrundlage. sondern
Steuerobjekt ist (vgl. BGE 61 I 93 sowie 74 I 117 mit Zitaten) und zudem die
Veranlagung im Zeitpunkt des Erlasses und des Inkrafttretens der Novelle vom
21. Oktober 1948 im allgemeinen wie auch im Falle des Beschwerdeführers
bereits erfolgt war.
Da weder die Bundes- noch die basel-städtische Kantonsverfassung ausdrücklich
verbietet, einem (Steuer-) Gesetz rückwirkende Kraft beizulegen, kann es sich
nur fragen, ob die der Novelle vom 21. Oktober 1948 beigefügte
Rückwirkungsklausel vereinbar ist mit Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV, auf den sich der
Beschwerdeführer denn auch beruft...
4.- Auf Grund von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV kann das Bundesgericht gegen einen kantonalen
Gesetzeserlass nicht schon dann einschreiten, wenn dieser auf
gesetzgebungspolitischen Erwägungen beruht, die es für unzutreffend erachtet,
sondern nur dann, wenn der Erlass sich nicht auf ernsthafte, sachliche Gründe
stützen lässt, sinn- und zwecklos ist oder rechtliche Unterscheidungen trifft,
die sich durch keine vernünftige Gründe rechtfertigen lassen (BGE 61 1 92 mit
Zitaten). Nach diesen Gesichtspunkten hat das Bundesgericht jeweils auch die
einem Steuergesetz beigefügte Rückwirkungsklausel beurteilt, wenn sie unter
Berufung auf Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV angefochten war. Es hat dabei wiederholt entschieden,
dass eine solche Klausel nur dann zulässig sei, wenn die Rückwirkung in
zeitlicher Beziehung mässig sei, zu keinen stossenden Rechtsungleichheiten
führe und sich auf beachtenswerte Gründe stützen könne (BGE 47 I 15 ff., 61 I
92
ff., nicht veröffentlichte Urteile vom 6. Februar 1947 i. S. Hilfsverein
für Lungenkranke S. 5, vom 12. Juni 1947 i. S. Burckhalter S. 13 und vorn:3.
Februar 1949 i. S. Huber S. 5; vgl. auch BGE 74 I 104). Da der
Beschwerdeführer nicht geltend macht, die Rückwirkung eines Steuergesetzes
verstosse schon an sich gegen Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV, sondern lediglich das Vorliegen

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der in den genannten Entscheiden aufgestellten Voraussetzungen für die
Zulässigkeit der Rückwirkung bestreitet., kann sich das Bundesgericht bei der
Beurteilung der vorliegenden Beschwerde auf die Prüfung dieser Frage
beschränken.
5.- Hinsichtlich des zeitlichen Umfangs der Rückwirkung liegen die
Verhältnisse gleich wie im Falle BGE 61 I 87 ff.; eine in der zweiten
Oktoberhälfte erlassene Steuergesetznovelle soll auf die erst im Laufe dieses
Jahres veranlagte Steuer auf dem Einkommen des Vorjahres Anwendung finden.
Soweit eine volle Rückwirkung vorliegt (vgl. hiezu BGE 61 I 94), ist sie somit
auf eine einzige einjährige Steuerperiode beschränkt. Eine derartige
Rückwirkung erscheint entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers als mässig
und verstösst nicht schon wegen ihrer Da u er gegen Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV, zumal wenn man
berücksichtigt, dass die Öffentlichkeit schon im Dezember 1947 durch die
Presse Kenntnis von der Gesetzesvorlage erhalten hat und der Beschwerdeführer
überdies, wie im angefochtenen Entscheid ausgeführt und in der Beschwerde
nicht bestritten wird, vor der Abgabe seiner Steuererklärung durch ein
Zirkular der Steuerverwaltung auf die Möglichkeit einer nachträglichen
Ergänzung der Veranlagung aufmerksam gemacht worden ist.
6.- Die fragliche Rückwirkungsklausel, durch die 313 in Ba sei steuerbare
Aktionäre der Ciba A.-G. und, wie die Steuerverwaltung annimmt, rund 100
Aktionäre anderer Gesellschaften mit Gratisaktienausgabe betroffen werden,
führt unbestrittenermassen zu gewissen Rechtsungleichheiten.
a) Die vom Appellationsgericht angeordneten Erhebungen über die Auswirkungen
der Rückwirkungsklausel haben ergeben, dass von den 313 in Ba sei
steuerpflichtigen Aktionären mit 4860 Ciba-Aktien 4 Aktionäre mit 90 Aktien in
der Zeit zwischen der Nennwerterhöhung und dem Erlass der Novelle von Basel
weggezogen und 5 Aktionäre mit 70 Aktien in dieser Zeit gestorben sind

Seite: 191
und daher von der Rückwirkung nicht mehr erfasst werden. Wie es sich mit den
Aktionären anderer Gesellschaften mit Gratisliberierungen verhält, ist nicht
bekannt. In BGE 61 I 96, 97 ist ausgeführt worden, dass die einem Steuergesetz
beigelegte Rückwirkung kaum zulässig sein dürfte, wenn ein wesentlicher Teil
der davon Betroffenen nicht mehr erfasst werden könne; handle es sich aber um
vereinzelte Fälle, so könne dies nicht zur Aufhebung der Rückwirkungsklausel
führen, da sonst die Rückwirkung praktisch überhaupt ausgeschlossen wäre. Wenn
im vorliegenden Falle etwa 3% der Aktionäre mit wenig mehr als 3% der Aktien
nicht erfasst werden können, so handelt es sieh wohl um vereinzelte Ausnahmen,
die noch hingenommen werden könnten, zumal da bei den Todesfällen, was von
keiner Seite beachtet worden zu sein scheint, zwar nicht die Nennwerterhöhung
als solche, aber doch die damit verbundene Wertsteigerung der Aktien als
Einkommen erfasst worden sein dürfte (§17 Abs. 1 Pos. 4 in Verbindung mit § 19
Abs. 3 StG). Welches Gewicht dieser Rechtsungleichheit beizumessen ist,
braucht indessen nicht abschliessend entschieden zu werden, da die Rückwirkung
noch eine andere, weit schwerer wiegende Rechtsungleichheit zur Folge hat.
b) Wenn die Steuergesetznovelle nicht im Jahre 1948 rückwirkend für 1947,
sondern bereits im Jahre 1947 erlassen worden wäre, hätten Steuerpflichtige
mit Wertschriften, deren Verkehrswert unter dem bisherigen Vermögenssteuerwert
lag, die Möglichkeit gehabt, diese Wertschriften zu veräussern, mit dem so
realisierten Kapitalverlust die durch die Nennwerterhöhung bewirkte Steigerung
des steuerbaren Einkommens ganz oder teilweise auszugleichen und so das
infolge der Progression unter Umständen erhebliche Ansteigen der
Einkommenssteuer in gewissem Umfange abzuwenden. Diese Möglichkeit ist ihnen
durch die Rückwirkung genommen worden. Der Beschwerdeführer behauptet, er
selber hätte diese Möglichkeit auch gehabt und nennt diejenigen Wertpapiere,

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durch deren Verkauf im Jahre 1947 er Verluste hätte realisieren können. Diese
Ausführungen können jedoch nicht berücksichtigt werden, da neue Vorbringen und
Beweismittel bei staatsrechtlichen Beschwerden aus Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV grundsätzlich
ausgeschlossen sind (BGE 71 I 382 /3; 73 I 112, 181 /2). Das
Appellationsgericht hat indessen von Amtes wegen auch nach dieser Richtung
Erhebungen über die Auswirkung der Rückwirkungsklausel anstellen lassen. Die
Steuerverwaltung hat die Steuerakten von 50 der 313 in Basel steuerpflichtigen
Ciba-Aktionären näher geprüft und dabei festgestellt, dass 39 dieser 50
Aktionäre an sich die Möglichkeit solcher Verlustrealisationen gehabt hätten,
glaubt aber, sie hätten von dieser Möglichkeit sehr wahrscheinlich keinen
Gebrauch gemacht, und das Appellationsgericht hat sich dieser Auffassung
angeschlossen. Die Ausführungen, mit denen dies näher begründet wird, vermögen
jedoch, wie der Beschwerdeführer zutreffend geltend macht, nicht recht zu
überzeugen. Ob und wieviele Aktionäre im Hinblick auf die zu erwartende
Entwicklung auf dem Wertpapiermarkt und die zu erzielende Steuerersparnis es
im Jahre 1947 für angezeigt erachtet hätten, Verluste zu realisieren, lässt
sich nachträglich nicht mehr auch nur einigermassen mit Sicherheit
feststellen, dies umso weniger, als sich die von der Steuerverwaltung
vorgenommene Prüfung auf einen kleinen Teil der betroffenen Steuerpflichtigen
(1/6 der Ciba-Aktionäre und keine Aktionäre anderer Gesellschaften)
beschränkte und sehr wohl möglich ist, dass die Verhältnisse bei den übrigen
wesentlich anders liegen. Fest steht dagegen, dass eine verhältnismässig
grosse Zahl der Aktionäre die Möglichkeit zu kompensierenden
Verlustrealisationen tatsächlich gehabt hätte und des Rechts, davon Gebrauch
zu machen, infolge der Rückwirkung verlustig gegangen ist. Eine
Rückwirkungsklausel, die zu derart stossenden Rechtsungleichheiten führt, ist
mit Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV nicht mehr vereinbar.
7.- Gegen die Gutheissung der Beschwerde bestehen

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umsoweniger Bedenken, als die Gründe, welche sich für die Rückwirkung der
Steuergesetznovelle anführen lassen, weit weniger stichhaltig sind als in den
Fällen BGE 47 I 12 ff. und 61 I 87 ff. Die Kapitalerhöhung der Ciba A. -G.,
deren Aktionäre von der Rückwirkung in erster Linie betroffen worden sind,
wurde nicht vorgenommen, um der Anwendung der Steuergesetznovelle zu entgehen,
sondern bildete vielmehr erst den Anlass für deren Erlass. Wenn von der
Steuerverwaltung geltend gemacht wird, angesichts der steigenden
Wirtschaftskonjunktur sei zu erwarten gewesen, dass zahlreiche andere
Unternehmungen ebenfalls das Grundkapital aus eigenen Mitteln erhöhen würden,
so rechtfertigte dies allenfalls den Erlass eines Spezialgesetzes vorgängig
der bereits in Angriff genommenen Totalrevision, aber nicht die streitige
Rückwirkungsklausel. Diese wurde der Novelle offenbar in der Absicht
beigefügt, die im Jahre 1947 vorgenommene Kapitalerhöhung der Ciba A.-G.
nachträglich zu erfassen. Eine derart gegen eine kleine Minderheit der
Steuerpflichtigen gerichtete Massnahme drängte sieh aber angesichts der
Finanzlage des Kantons Basel-Stadt keineswegs auf. Wohl hatten die
Staatsrechnungen der Kriegsjahre mit grossen Ausgabenüberschüssen
abgeschlossen. Infolge der Nachkriegskonjunktur war aber eine rasche Besserung
eingetreten, die bereits im Jahre 1948 zu einem Einnahmenüberschuss von 6,4
Millionen Franken fünfte. Unter diesen Umständen kann nicht gesagt werden,
dass die Rückwirkung der Novelle auf das Jahr 1947, die nach der Schätzung der
Steuerverwaltung etwa eine halbe Million eintragen würde, einer dringenden
Notwendigkeit entsprach, wogegen im Falle 61 I 87 ff. die infolge der
Rückwirkung erwarteten namhaften Mehreinnahmen zweifellos geeignet waren,
wesentlich zur Sanierung des Staatshaushaltes beizutragen. Zudem wurden dort
Einkommensbeträge erfasst, die sonst der Besteuerung entgangen wären, und
gewisse Unbilligkeiten beseitigt, während es sich im vorliegenden Falle im
wesentlichen darum handelte,

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Einkommen zu erfassen, das jedenfalls teilweise in einem späteren Zeitpunkt
ohnehin besteuert worden wäre. Es fehlt somit an einem haltbaren Grunde, die
eine mit so stossenden Rechtsungleichheiten verbundene Massnahme wie die hier
streitige Rückwirkungsklausel zu rechtfertigen vermöchte.
Demnach erkennt das Bundesgericht
Die Beschwerde vom 16. Juli 1951 wird gutgeheissen und der Entscheid des
Appellationsgerichtes des Kantons Basel-Stadt vom 16. März 1951 aufgehoben.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 77 I 183
Datum : 01. Januar 1951
Publiziert : 03. Oktober 1951
Quelle : Bundesgericht
Status : 77 I 183
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : Wann verletzt die Rückwirkung eines Steuergesetzes den Grundsatz der Rechtsgleichheit?Quand la...


Gesetzesregister
BV: 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BGE Register
47-I-12 • 61-I-86 • 70-I-312 • 71-I-369 • 73-I-110 • 74-I-102 • 74-I-117 • 77-I-183
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
bundesgericht • basel-stadt • wertpapier • zitat • totalrevision • zahl • realisierung • staatsrechtliche beschwerde • staatsrechnung • von amtes wegen • kantonsverfassung • richtigkeit • frage • gewicht • kapitalgewinn • entscheid • rechtsgleiche behandlung • verlust • mehrwert • kenntnis • beschwerdegrund • steuermass • ertrag • begründung des entscheids • konkursdividende • berechnung • kauf • eintragung • beurteilung • kantonales rechtsmittel • veranlagungsverfügung • ausmass der baute • veranlagungsverfahren • umfang • inkrafttreten • minderheit • wiese • steuerwert • ausserhalb • geldwerte leistung • regierungsrat • erholung • steuerobjekt • zweifel • neuerung • vermutung • presse • materielle rechtskraft • beweismittel • tod • hilfsverein
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