S. 243 / Nr. 51 Strafgesetzbuch (d)

BGE 76 IV 243

51. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofs vom 1. Dezember 1950 i. S.
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau gegen Morgenthaler.

Regeste:
Art. 303
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 303 - 1. Wer einen Nichtschuldigen wider besseres Wissen bei der Behörde eines Verbrechens oder eines Vergehens beschuldigt, in der Absicht, eine Strafverfolgung gegen ihn herbeizuführen,
1    Wer einen Nichtschuldigen wider besseres Wissen bei der Behörde eines Verbrechens oder eines Vergehens beschuldigt, in der Absicht, eine Strafverfolgung gegen ihn herbeizuführen,
2    Betrifft die falsche Anschuldigung eine Übertretung, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.
StGB. Wer die Anschuldigung bloss für möglicherweise falsch hält,
erhebt sie nicht wider besseres Wissen.
Art. 303 CP. Celui qui admet que sa dénonciation est peut-être fausse ne sait
pas innocente la personne dénoncée.
Art. 303 CP. Chi avverte che la sua accusa è forse falsa non sporge denuncia
mendace.


Seite: 244
Aus den Erwägungen:
Nach Art. 303 Ziff. 1 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 303 - 1. Wer einen Nichtschuldigen wider besseres Wissen bei der Behörde eines Verbrechens oder eines Vergehens beschuldigt, in der Absicht, eine Strafverfolgung gegen ihn herbeizuführen,
1    Wer einen Nichtschuldigen wider besseres Wissen bei der Behörde eines Verbrechens oder eines Vergehens beschuldigt, in der Absicht, eine Strafverfolgung gegen ihn herbeizuführen,
2    Betrifft die falsche Anschuldigung eine Übertretung, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.
StGB ist strafbar, «wer einen Nichtschuldigen
wider besseres Wissen bei der Behörde eines Verbrechens oder eines Vergehens
beschuldigt, in der Absicht, eine Strafverfolgung gegen ihn herbeizuführen».
Mit den Worten «wider besseres Wissen», die auch zur Umschreibung des
Tatbestandes der Verleumdung (Art. 174
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 174 - 1. Wer jemanden wider besseres Wissen bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt,
1    Wer jemanden wider besseres Wissen bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt,
2    Ist der Täter planmässig darauf ausgegangen, den guten Ruf einer Person zu untergraben, so wird er mit Freiheitsstrafe von einem Monat bis zu drei Jahren oder Geldstrafe nicht unter 30 Tagessätzen bestraft.229
3    Zieht der Täter seine Äusserungen vor dem Gericht als unwahr zurück, so kann er milder bestraft werden. Das Gericht stellt dem Verletzten über den Rückzug eine Urkunde aus.
StGB) verwendet werden, verlangt das
Gesetz, dass der Täter sich der Unwahrheit der Beschuldigung bewusst gewesen
sei. Damit wird die Bestrafung ausgeschlossen, wenn er bloss für möglich
gehalten hat, dass die Beschuldigung falsch sei. Gewiss erfordert auch der
Vorsatz nach Art. 18 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 18 - 1 Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben.
1    Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben.
2    War dem Täter nicht zuzumuten, das gefährdete Gut preiszugeben, so handelt er nicht schuldhaft.
StGB Wissen und Willen des Täters, und dennoch
nimmt die mit BGE 69 IV 78 eingeleitete ständige Rechtsprechung an,
vorsätzlich handle schon, wer mit dem bloss als möglich vorausgesehenen
Erfolge einverstanden ist. Trotz dieser ausdehnenden Auslegung des
Vorsatzbegriffes rechtfertigt es sich aber nicht, auch den Worten «wider
besseres Wissen e den weiten Sinn zu entnehmen, den die Beschwerdeführerin
befürwortet. Wer bloss weiss, dass eine Behauptung möglicherweise falsch ist,
stellt sie nicht wider besseres Wissen auf. Die erwähnten Worte wären in Art.
303 überflüssig, wenn sie nicht etwas mehr verlangen würden, als was schon zum
Vorsatz gehört, denn dass dieser auf die Beschuldigung eines «Nichtschuldigen
e gerichtet sein muss, ergibt sich - im Gegensatz zu Art. 174 - schon aus der
Umschreibung des objektiven Tatbestandes in Verbindung mit Art. 18 Abs. 2.
Auch der Tatbestand des Art. 174 hätte einfacher umschrieben werden können,
wenn man das eventuelle Wissen um die Unwahrheit der Behauptung hätte genügen
lassen wollen, z. B. mit den Worten: «Wer jemanden wahrheitswidrig ...
beschuldigt oder verdächtigt.»
Dieser Auslegung widerspricht das von der Beschwerdeführerin angerufene Urteil
des Kassationshofes vom 15. September 1950 i. S. Füchter nicht. Dort stand
fest,

Seite: 245
dass die Täterin sich der Unwahrheit der Äusserung bewusst gewesen war, und
fragte sich bloss, ob sie sie in der Absicht getan habe, eine Strafverfolgung
gegen die Beschuldigte herbeizuführen. Nur in dieser Richtung erklärte der
Kassationshof den Eventualvorsatz (die Eventualabsicht) als genügend.
Auch kriminalpolitische Gesichtspunkte lassen sich nicht zugunsten einer
andern Auslegung anführen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts kann
eine nicht von Art. 303
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 303 - 1. Wer einen Nichtschuldigen wider besseres Wissen bei der Behörde eines Verbrechens oder eines Vergehens beschuldigt, in der Absicht, eine Strafverfolgung gegen ihn herbeizuführen,
1    Wer einen Nichtschuldigen wider besseres Wissen bei der Behörde eines Verbrechens oder eines Vergehens beschuldigt, in der Absicht, eine Strafverfolgung gegen ihn herbeizuführen,
2    Betrifft die falsche Anschuldigung eine Übertretung, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.
erfasste falsche Anschuldigung bei einer Behörde als
üble Nachrede im Sinne des Art. 173
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 173 - 1. Wer jemanden bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt,
1    Wer jemanden bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt,
2    Beweist der Beschuldigte, dass die von ihm vorgebrachte oder weiterverbreitete Äusserung der Wahrheit entspricht, oder dass er ernsthafte Gründe hatte, sie in guten Treuen für wahr zu halten, so ist er nicht strafbar.
3    Der Beschuldigte wird zum Beweis nicht zugelassen und ist strafbar für Äusserungen, die ohne Wahrung öffentlicher Interessen oder sonst wie ohne begründete Veranlassung, vorwiegend in der Absicht vorgebracht oder verbreitet werden, jemandem Übles vorzuwerfen, insbesondere, wenn sich die Äusserungen auf das Privat- oder Familienleben beziehen.
4    Nimmt der Täter seine Äusserung als unwahr zurück, so kann er milder bestraft oder ganz von Strafe befreit werden.
5    Hat der Beschuldigte den Wahrheitsbeweis nicht erbracht oder sind seine Äusserungen unwahr oder nimmt der Beschuldigte sie zurück, so hat das Gericht dies im Urteil oder in einer andern Urkunde festzustellen.
StGB strafbar sein (BGE 69 IV 115). Diese
Bestimmung wird regelmässig zutreffen, wenn der Täter zwar nicht wider
besseres Wissen, aber mit Eventualvorsatz gehandelt hat. Desgleichen können
andere unwahre ehrenrührige Äusserungen, die bloss mit Eventualvorsatz getan
werden und deshalb nicht unter Art. 174 fallen, nach Art. 173 gesühnt werden.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 76 IV 243
Datum : 01. Januar 1949
Publiziert : 01. Dezember 1950
Quelle : Bundesgericht
Status : 76 IV 243
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 303 StGB. Wer die Anschuldigung bloss für möglicherweise falsch hält, erhebt sie nicht wider...


Gesetzesregister
StGB: 18 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 18 - 1 Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben.
1    Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben.
2    War dem Täter nicht zuzumuten, das gefährdete Gut preiszugeben, so handelt er nicht schuldhaft.
173 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 173 - 1. Wer jemanden bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt,
1    Wer jemanden bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt,
2    Beweist der Beschuldigte, dass die von ihm vorgebrachte oder weiterverbreitete Äusserung der Wahrheit entspricht, oder dass er ernsthafte Gründe hatte, sie in guten Treuen für wahr zu halten, so ist er nicht strafbar.
3    Der Beschuldigte wird zum Beweis nicht zugelassen und ist strafbar für Äusserungen, die ohne Wahrung öffentlicher Interessen oder sonst wie ohne begründete Veranlassung, vorwiegend in der Absicht vorgebracht oder verbreitet werden, jemandem Übles vorzuwerfen, insbesondere, wenn sich die Äusserungen auf das Privat- oder Familienleben beziehen.
4    Nimmt der Täter seine Äusserung als unwahr zurück, so kann er milder bestraft oder ganz von Strafe befreit werden.
5    Hat der Beschuldigte den Wahrheitsbeweis nicht erbracht oder sind seine Äusserungen unwahr oder nimmt der Beschuldigte sie zurück, so hat das Gericht dies im Urteil oder in einer andern Urkunde festzustellen.
174 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 174 - 1. Wer jemanden wider besseres Wissen bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt,
1    Wer jemanden wider besseres Wissen bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt,
2    Ist der Täter planmässig darauf ausgegangen, den guten Ruf einer Person zu untergraben, so wird er mit Freiheitsstrafe von einem Monat bis zu drei Jahren oder Geldstrafe nicht unter 30 Tagessätzen bestraft.229
3    Zieht der Täter seine Äusserungen vor dem Gericht als unwahr zurück, so kann er milder bestraft werden. Das Gericht stellt dem Verletzten über den Rückzug eine Urkunde aus.
303
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 303 - 1. Wer einen Nichtschuldigen wider besseres Wissen bei der Behörde eines Verbrechens oder eines Vergehens beschuldigt, in der Absicht, eine Strafverfolgung gegen ihn herbeizuführen,
1    Wer einen Nichtschuldigen wider besseres Wissen bei der Behörde eines Verbrechens oder eines Vergehens beschuldigt, in der Absicht, eine Strafverfolgung gegen ihn herbeizuführen,
2    Betrifft die falsche Anschuldigung eine Übertretung, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.
BGE Register
69-IV-114 • 69-IV-75 • 76-IV-243
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beschuldigter • vorsatz • eventualvorsatz • kassationshof • wissen • nichtschuld • strafverfolgung • strafgesetzbuch • falsche anschuldigung • bundesgericht • aargau • kriminalpolitik • wille