BGE 76 II 177
26. Urteil der Il. Zivilabteilung vom 29. Juni 1950 i. S. E. gegen F.
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Regeste:
Vaterschaftsklage, Einrede aus Art. 315
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 315 - 1 Die Kindesschutzmassnahmen werden von der Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes angeordnet.438 |
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1 | Die Kindesschutzmassnahmen werden von der Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes angeordnet.438 |
2 | Lebt das Kind bei Pflegeeltern oder sonst ausserhalb der häuslichen Gemeinschaft der Eltern oder liegt Gefahr im Verzug, so sind auch die Behörden am Ort zuständig, wo sich das Kind aufhält. |
3 | Trifft die Behörde am Aufenthaltsort eine Kindesschutzmassnahme, so benachrichtigt sie die Wohnsitzbehörde. |
mit dem Beklagten in Gegenwart einer Drittperson geschlechtlich verkehrt hat,
vermag die Einrede des unzüchtigen Lebenswandels nicht immer zu begründen es
kommt auf die Umstände an.
Action en paternité. Inconduite. Art. 315 CC. Le fait que la mère a eu des
rapports intimes avec le défendeur en présence d'un tiers ne justifie pas
toujours l'exception d'inconduite. Cela dépendra des circonstances.
Azione di paternità. Condotta scostumata (art. 315 CC). Il fatto che la madre
ha avuto relazioni intime con il convenuto in presenza d'un terzo non
giustifica sempre l'eccezione di condotta scostumata; ciò dipende dalle
circostanze.
Josef E. und Teresa F. lernten sich am 4. Januar 1947 an einem Ball im
Kongresshaus in Zürich kennen und gingen am Tage darauf zusammen ins Kino. Im
Hinblick auf die bevorstehende Übersiedelung des Mädchens nach Lausanne
veranstalteten die beiden, er von einem Kollegen, sie von einer Freundin
begleitet, am 10. Januar einen Abschiedsabend. Nach Schluss desselben nahm E.
das Mädchen auf sein Zimmer mit, wo sie die Nacht verbrachten und
geschlechtlich verkehrten. Im Anschluss daran entwickelte sich zwischen den
beiden ein Liebesverhältnis sie wechselten Briefe und hegten Heiratspläne. Am
9. Februar 1947 besuchte E. die Freundin in Lausanne, wo er mit ihr in ihrem
Zimmer übernachtete und geschlechtlich verkehrte, während ihre Zimmergenossin
und Mitangestellte S. in ihrem Bette lag und sich schlafend stellte.
Am 8. März besuchte die Klägerin ihrerseits E. in Zürich, wobei es wiederum
zum Geschlechtsverkehr kam.
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Anfangs Mai 1947 nach Zürich zurückgekehrt, machte die Klägerin am 25. Juli
dem Beklagten von ihrer Schwangerschaft Mitteilung. Das Heiratsvorhaben wurde
mit der Familie der Kindsmutter besprochen; in der Folge zog sich jedoch der
Beklagte, angeblich infolge ungünstiger Informationen über ihr Betragen in
Lausanne, von ihr zurück. Am 25. Oktober 1947 gebar die Klägerin einen Knaben.
Im Vaterschaftsprozess anerkannte der Beklagte die dreimalige Beiwohnung in
der kritischen Zeit (29. Dezember 1946 bis 28. April 1947); er erhob jedoch
die Einreden des Mehrverkehrs und des unzüchtigen Lebenswandels, vor
Obergericht nur noch letztere. Beide Vorinstanzen haben die Klage gutgeheissen
und den Beklagten zur Zahlung der Kindbettkosten von Fr. 300. sowie
monatlicher Unterhaltsbeiträge von Fr. 60. an das Kind bis zu dessen
zurückgelegtem 18. Altersjahr verurteilt.
Mit der vorliegenden Berufung hält der Beklagte an der Einrede des Art. 315
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 315 - 1 Die Kindesschutzmassnahmen werden von der Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes angeordnet.438 |
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1 | Die Kindesschutzmassnahmen werden von der Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes angeordnet.438 |
2 | Lebt das Kind bei Pflegeeltern oder sonst ausserhalb der häuslichen Gemeinschaft der Eltern oder liegt Gefahr im Verzug, so sind auch die Behörden am Ort zuständig, wo sich das Kind aufhält. |
3 | Trifft die Behörde am Aufenthaltsort eine Kindesschutzmassnahme, so benachrichtigt sie die Wohnsitzbehörde. |
ZGB fest und verlangt Abweisung der Klage. Die Kläger tragen auf Bestätigung
des angefochtenen Urteils an.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung
Der Berufungskläger gründet den Vorwurf unzüchtigen Lebenswandels
hauptsächlich darauf, dass die Klägerin anlässlich seines Besuches in Lausanne
am 9. Februar 1947 in Gegenwart ihrer Zimmergenossin S. mit ihm den
Geschlechtsverkehr vollzogen habe, und beruft sich für diese Würdigung auf das
Präjudiz in BGE 42 11 545. In der Tat wurde hier die Hingabe zum
Geschlechtsverkehr in einem Zimmer, in welche in sich mit Wissen der Klägerin
eine Drittperson befand, als schlüssig für unzüchtigen Lebenswandel im Sinne
des Art. 315
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 315 - 1 Die Kindesschutzmassnahmen werden von der Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes angeordnet.438 |
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1 | Die Kindesschutzmassnahmen werden von der Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes angeordnet.438 |
2 | Lebt das Kind bei Pflegeeltern oder sonst ausserhalb der häuslichen Gemeinschaft der Eltern oder liegt Gefahr im Verzug, so sind auch die Behörden am Ort zuständig, wo sich das Kind aufhält. |
3 | Trifft die Behörde am Aufenthaltsort eine Kindesschutzmassnahme, so benachrichtigt sie die Wohnsitzbehörde. |
Urteilen geschehen (z. B.: 21. Mai 1941 i. S. R. c. I.). In diesen Entscheiden
ist jedoch der Tatbestand der Beiwohnung in Gegenwart einer Drittperson
keineswegs in dem Sinne
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gewürdigt worden, dass er unter allem Umständen für sich allein die Einrede
des Art. 315
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 315 - 1 Die Kindesschutzmassnahmen werden von der Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes angeordnet.438 |
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1 | Die Kindesschutzmassnahmen werden von der Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes angeordnet.438 |
2 | Lebt das Kind bei Pflegeeltern oder sonst ausserhalb der häuslichen Gemeinschaft der Eltern oder liegt Gefahr im Verzug, so sind auch die Behörden am Ort zuständig, wo sich das Kind aufhält. |
3 | Trifft die Behörde am Aufenthaltsort eine Kindesschutzmassnahme, so benachrichtigt sie die Wohnsitzbehörde. |
Fall, wenn das Verhalten der Kindsmutter auf eine solche Hemmungslosigkeit in
sexueller Hinsicht schliessen lässt, dass sich der Verdacht aufdrängt, sie
habe sich in der kritischen Zeit noch andern Männern hingegeben.
Unter diesem einzig entscheidenden Gesichtspunkt aber erscheint die
Kindsmutter in den zitierten Fällen fraglos wesentlich schwerer belastet als
im vorliegenden. Im Falle BGE 42 II 545 liess die Klägerin nach Mitternacht
halb entkleidet nach längerem Warten den Beklagten in ihr Zimmer ein und
vollzog mit ihm den Geschlechtsverkehr, indes sie den bereits bei ihr
befindlichen Dritten hinter dem Bett versteckt hielt. Im zweitgenannten Falle
nahm eine Serviertochter einen ihr bisher unbekannten Gast, der sich mit einer
Bleistiftnotiz auf einem Bierteller hiezu angemeldet hatte, zur gewünschten
Stunde ohne weiteres in ihr Zimmer, das sie mit einer Kollegin teilte, zum
Geschlechtsverkehr auf, der in der Folge während Monaten häufig in deren
Gegenwart ausgeübt wurde.
Ausgehend von dem erwähnten Grundgedanken des Art. 315
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 315 - 1 Die Kindesschutzmassnahmen werden von der Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes angeordnet.438 |
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1 | Die Kindesschutzmassnahmen werden von der Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes angeordnet.438 |
2 | Lebt das Kind bei Pflegeeltern oder sonst ausserhalb der häuslichen Gemeinschaft der Eltern oder liegt Gefahr im Verzug, so sind auch die Behörden am Ort zuständig, wo sich das Kind aufhält. |
3 | Trifft die Behörde am Aufenthaltsort eine Kindesschutzmassnahme, so benachrichtigt sie die Wohnsitzbehörde. |
Bundesgericht jedoch wiederholt trotz Geschlechtsverkehrs der Kindsmutter in
Gegenwart einer Drittperson die Einrede des Art. 315 verworfen, wenn dieser
Umstand den dringenden Verdacht anderweitigen Verkehrs derselben nicht
rechtfertigte (vgl. BGE 69 11 135 Erw. 2 in fine; Urteil vom 23. September
1948 i. S. T. e. v. E., Schweiz. Juristenzeitung Bd. 46, S. 94 f.).
Vorliegend zeugt das Verhalten der Klägerin gewiss von einem Mangel an Anstand
und Schamgefühl. Es ist ihr aber, wie die Vorinstanz zutreffend ausführt,
zugute zu halten, dass die Parteien damals die Absicht hatten, sich zu
heiraten, dass die Zimmergenossin von dieser ernsthaften Beziehung der
Klägerin zum Beklagten sowie von dessen Besuch Kenntnis hatte und dass die
beiden jene schlafend glaubten. Unter diesen Umständen kann
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aus der wenig prüden Einstellung der Klägerin nicht der Schluss gezogen
werden, es sei ihr ohne weiteres zuzutrauen gewesen, ja sogar sehr
wahrscheinlich, dass sie in der gleichen Zeit mit andern Männern intim
verkehrt habe. Sie mochte den Verkehr mit dem Beklagten, den sie als ihren
zukünftigen Ehemann betrachtete, für etwas natürliches. moralisch nicht
verwerfliches ansehen, dessen sie sich nicht zu schämen brauche, auch wenn
eine Arbeits- und Zimmergenossin etwas davon merken sollte. Der Beklagte
selber fasste offenbar ihr Verhalten nicht anders auf und betrachtete sie
deswegen nicht als zweifelhafte Person, hielt er sie doch nach dem Lausanner
Besuch immer noch für seine Geliebte und Verlobte.
Auch die weitem die Klägerin belastenden Indizien vermögen die Annahme
unzüchtigen Lebenswandels nicht zu begründen. Die Feststellung der Vorinstanz,
wonach die Klägerin zwar häufig in Herrenbegleitung ausging, jedoch immer zu
viert in Gesellschaft ihrer Freundin und eines Freundes ihres amerikanischen
Bekannten, und dass über harmlose Zärtlichkeiten hinausgehende Intimitäten mit
W. nicht nachgewiesen sind, ist tatsächlicher Natur und daher für das
Bundesgericht verbindlich. Von einer Verletzung des bundesrechtlichen Satzes,
dass für den Nachweis geschlechtlichen Verkehrs eine violenta suspicio genügt,
kann keine Rede sein. Die häufigen abendlichen Ausgänge in Herrenbegleitung
könnten, ohne den konkreten Nachweis geschlechtlichen Verkehrs, allen falls
dann in einem weniger harmlosen Lichte erscheinen. wenn aus der Zeit vor oder
nach dem Lausanner Aufenthalt der Klägerin Vorfalle bekannt wären, die zeigen
würden, dass solche Spaziergänge und Cafébesuche bei ihr gern mit einem
geschlechtlichen Abenteuer endeten. Es ist indessen gar nichts derartiges
nachgewiesen ausser dem Verkehr mit dem Beklagten nach dem Abschiedsabend am
10. Januar 1947 in Zürich, der aber sowenig als die Nacht in Lausanne einen
Monat später den Verdacht nahelegt, die Klägerin habe sich in der gleichen
Zeit noch
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mit andern Männern ähnlich eingelassen. Ist dies aber nicht der Fall, so kann
von einem unzüchtigen, d. h. geschlechtlich ausschweifenden Lebenswandel nicht
gesprochen werden.
Der Höhe nach sind die zugesprochenen Leistungen vom Berufungskläger nicht
angefochten.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons
Zürich, Il. Zivilkammer, vom 24. Februar 1950 bestätigt.