S. 280 / Nr. 41 Erbrecht (d)

BGE 75 II 280

41. Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. November 1949 i. S. Müller und
Konsorten gegen Wwe. Müller.

Regeste:
1. Erbschaft eines Sehweizerbürgers mit ausländischem Wohnsitz. Ist nach Art.
28 Ziff. 2
SR 211.435.1 Verordnung vom 8. Dezember 2017 über die Erstellung elektronischer öffentlicher Urkunden und elektronischer Beglaubigungen (EÖBV)
EÖBV Art. 28 Inkrafttreten - Diese Verordnung tritt am 1. Februar 2018 in Kraft.
NAG schweizerisches Recht anwendbar so handelt es sich nicht um
Ersatz für fremdes Recht.
2. Testamentsanfechtung wegen Motivirrtums. Art. 469
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 469 - 1 Verfügungen, die der Erblasser unter dem Einfluss von Irrtum, arglistiger Täuschung, Drohung oder Zwang errichtet hat, sind ungültig.
1    Verfügungen, die der Erblasser unter dem Einfluss von Irrtum, arglistiger Täuschung, Drohung oder Zwang errichtet hat, sind ungültig.
2    Sie erlangen jedoch Gültigkeit, wenn sie der Erblasser nicht binnen Jahresfrist aufhebt, nachdem er von dem Irrtum oder von der Täuschung Kenntnis erhalten hat oder der Einfluss von Zwang oder Drohung weggefallen ist.
3    Enthält eine Verfügung einen offenbaren Irrtum in Bezug auf Personen oder Sachen, und lässt sich der wirkliche Wille des Erblassers mit Bestimmtheit feststellen, so ist die Verfügung in diesem Sinne richtig zu stellen.
und 519
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 519 - 1 Eine Verfügung von Todes wegen wird auf erhobene Klage für ungültig erklärt:
1    Eine Verfügung von Todes wegen wird auf erhobene Klage für ungültig erklärt:
1  wenn sie vom Erblasser zu einer Zeit errichtet worden ist, da er nicht verfügungsfähig war;
2  wenn sie aus mangelhaftem Willen hervorgegangen ist;
3  wenn ihr Inhalt oder eine ihr angefügte Bedingung unsittlich oder rechtswidrig ist.
2    Die Ungültigkeitsklage kann von jedermann erhoben werden, der als Erbe oder Bedachter ein Interesse daran hat, dass die Verfügung für ungültig erklärt werde.
ZGB.
a) Tat- und Rechtsfrage. Beweislast des Anfechtenden. Betrachtung nach
allgemeiner Lebenserfahrung und praktischer Vernunft beim Fehlen konkreter
Beweise. Wie weit geht die Überprüfungsbefugrus des Bundesgerichtes 7 Art. 8
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet.

ZGB, 63 Abs. 2 OG.
b) Die Anfechtung wegen Motivirrtums ist nur begründet wenn die irrtümliche
Annahme von bestimmendem Einfluss

Seite: 281
war und es sich zudem als wahrscheinlich erweist, dass der Erblasser bei
Kenntnis der wirklichen Sachlage die VerfÜgung eher aufheben als unverändert
fortbestehen lassen möchte.
1. Succession d'un citoyen suisse dont le domicile est à l'étranger. Lorsque
le droit suisse est applicable conformément à l'art. 28 ch. 2 LRDC, ce n'est
pas en lieu et place du droit étranger.
'2. Contestation de la validité du testament pour erreur sur les motifs. Art.
469 et 519 CC.
a) Question de fait et question de droit. Fardeau de la preuve incombant à
l'auteur de la Contestation. Considérations tirées de l'expérience générale de
la vie et de la raison pratique à défaut de preuves concrètes. Etendue du
pouvoir d'examen du Tribunal fédéral. Art. 8 CC, 63 al. 2 OJ.
b) La contestation pour erreur sur les motifs n'est fondée que si l'erreur a
été décisive et si, en outre, il apparaît vraisembable que, connaissant la
situation réelle, le testateur aurait préféré annuler son acte de disposition
plutôt que de le laisser subsister sans changements.
1. Successione d'un cittadino svizzero, il cui domicilio si trova all'estero.
Quando il diritto svizzero è applicabile conformemente all'art. 28, cifra 2
LRDC, non lo è come succedaneo del diritto estero.
2. Contestazione della validità del testamento per errore sui motivi. Art. 469
e 519 CC.
a) Questione di fatto e questione di diritto. Onere della prova che incombo a
colui che ha sollevato la contestazione. Considerazioni tratte dall'esperienza
generale della vita e dalla ragiono pratica in caso di mancanza di prove
concrete. Estensione del sindacato del Tribunale federale. Art. 8 CC, 63 cp. 2
OG.
b) La contestazione per errore sui motivi è fondata soltanto se l'errore è
stato decisivo e se, inoltre, appare verosimile che, ove avesse conosciuto la
reale situazione, il testatore avrebbe preferito annullare il testamento
anzichè lasciarlo sussistere senza modificazioni.

A. ­ Der Kaufmann Alois Müller, geboren 1901, von Wallenstadt, wohnte in
Zagreb (Jugoslawien) und war dort an einer Fabrikationsunternehmung zu 40%
beteiligt. Am 11. April 1944 errichtete er folgendes eigenhändige Testament:
« Zagreb, 11. April 1944.
Verfügung.
Sollte ich durch Krieg, Revolution oder Unglücksfall frühzeitig sterben, so
verfüge ich über folgendes:
Nach meinem Tode soll meine Frau Lina von meinem Vermögen den Pflichtteil
erhalten, d. h. 1/4, 3/4 meines Vermögens sollen an meine Familie fallen.
Ferner soll erstere als Nutzniessung 50 %

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des Gewinnes meines Anteils an der Fabrik (40 %) und die anderen 50 % fallen
meiner Familie zu. Als Nachfolger und Leiter bestimme ich Bruder Ernst und
soll Bruder Eduard die Kontrolle meines Teiles überwachen.
Bei etwaigem Austritt aus der Firma ist mein Vertrag mit der Firma massgebend.
Meine Hinterlagen beim Konsulat, Schmuck und Bankguthaben sollen ebenfalls wie
oben verfügt verteilt werden (d. h. 1/4 3/4).
Falls meine Frau eine zweite Ehe eingeht, fällt die Nutzniessung weg.
Die Wohnungseinrichtung gehört meiner Frau, ausser Speisezimmer mit Kristall
und Tafelservice sowie Perserteppiche, das von mir gekauft wurde, ebenfalls
sämtliche Ölgemälde, sollen der von mir gewünschten Teilung erfolgen.
Frl. Marija Jaklin soll, wenn sie zur Zeit meines Ablebens noch im Betriebe
tätig ist, eine monatliche Unterstützung von einem zweiten Gehalte zukommen.
Dieses Testament unterzeichne eigenhändig, sowie die ganze Verfügung von mir
geschrieben wurde.
sig. Alois Müller. »
Der Erblasser hatte beim erzbischöflichen Ehegericht in Zagreb Klage «auf
Scheidung von Tisch und Bett » angehoben. Die Klage wurde mit Urteil vom 18.
April 1944 abgewiesen, das in Rechtskraft erwuchs. Die Ehe war und blieb
kinderlos. Unter «meiner Familie » verstand der Testator, was unbestritten
ist, seine Mutter und seine Geschwister.
B. ­ Er wurde im Januar 1946 wegen kriegswirtschaftlicher Vergehen verhaftet.
Am 15. März 1946 starb er im Spital von Zagreb an den Folgen einer Vergiftung,
die er sich beigebracht hatte.
C. ­ Die jugoslawischen Behörden verfügten am 10. April 1946 die Konfiskation
des Vermögens des Erblassers. Sein Geschäftsanteil von 40% belief sich laut
einer Bilanz vom 14. September 1946, worüber das schweizerische Konsulat von
Zagreb am 29. Juni 1948 berichtete, auf Din. 617728.50, nach Abzug einer
Schuld auf netto Din. 169912.­. Dabei ist die ihm auferlegte
Kriegsgewinnabgabe von Din. 1900000.­ nicht in Rechnung gestellt.
Das in der Schweiz befindliche Nachlassvermögen beträgt nach amtlicher
Feststellung netto Fr. 33320.­ .
D. ­ Gegen Mutter und Geschwister des Erblassers

Seite: 283
hat die Witwe beim Bezirksgericht Sargans auf Ungültigkeit des Testamentes
wegen Motivirrtums geklagt. « Damals war das ganze Vermögen des Testators noch
frei », heisst es in ihrer Nachtragseingabe an das Bezirksgericht, « und er
ging bei der Testamentserrichtung davon aus, dass die Klägerin den ihr
testierten Teil des Vermögens der Nutzniessung erhalten werde. Nachdem nun
aber das ganze Vermögen in Zagreb konfisziert und vom Staat eingezogen wurde,
die Klägerin also diesbezüglich leer ausgeht, ist das Testament wegen Irrtum
ungültig und die Erbfolge richtet sich nach Gesetz ».
E. ­ Das Bezirksgericht Sargans hat die Klage abgewiesen. Das Kantonsgericht
von St. Gallen hat sie dagegen mit Urteil vom 18. März 1949 gutgeheissen und
das Testament als ungültig erklärt.
F. ­ Gegen dieses Urteil richtet sich die vorliegende Berufung der Beklagten
(ausser der Frau Ruckstuhl, die bereits am 10. November 1948 die Klage
anerkannt hatte) mit dem erneuten Antrag auf Abweisung der Klage.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. ­ Nach Art. 28 Ziff. 2
SR 211.435.1 Verordnung vom 8. Dezember 2017 über die Erstellung elektronischer öffentlicher Urkunden und elektronischer Beglaubigungen (EÖBV)
EÖBV Art. 28 Inkrafttreten - Diese Verordnung tritt am 1. Februar 2018 in Kraft.
NAG untersteht diese erbrechtliche Streitigkeit dem
schweizerischen Recht, sofern die Gesetzgebung des jugoslawischen Wohnsitzes
des Erblassers nicht die Anwendung des dort geltenden Rechtes verlangt. Das
Kantonsgericht nimmt an, letzteres sei nicht der Fall. Es stützt sich dabei
gemäss Art. 117 Abs. 2
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 117 Anspruch - Eine Person hat Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn:
a  sie nicht über die erforderlichen Mittel verfügt; und
b  ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint.
der kantonalen ZPO auf die übereinstimmende
Stellungnahme der Parteien, die sich beide auf das schweizerische Erbrecht
berufen. Dabei muss es für das Bundesgericht sein Bewenden haben. Über den
Inhalt ausländischer Kollisionsnormen hat das Bundesgericht ebensowenig zu
befinden wie über materielles ausländisches Recht (Art. 43
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 117 Anspruch - Eine Person hat Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn:
a  sie nicht über die erforderlichen Mittel verfügt; und
b  ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint.
OG).
2.­ Die Klägerin hält die Berufung für unzulässig, weil schweizerisches Recht
nur als Ersatz für ausländisches angewendet worden sei. Das trifft jedoch
nicht zu. Wohl

Seite: 284
räumt Art. 28
SR 211.435.1 Verordnung vom 8. Dezember 2017 über die Erstellung elektronischer öffentlicher Urkunden und elektronischer Beglaubigungen (EÖBV)
EÖBV Art. 28 Inkrafttreten - Diese Verordnung tritt am 1. Februar 2018 in Kraft.
NAG bei ausländischem Wohnsitze von Schweizerbürgern den dort
geltenden Kollisionsnormen den Vorrang ein. Unterstellen aber diese Normen den
Streitfall nicht dem ausländischen Recht, so gilt schweizerisches nicht als
vermuteter Inhalt des ausländischen Rechtes, sondern als solches, gleich als
ob der Erblasser zuletzt in der Schweiz gewohnt hätte.
3. ­ Bei Verfügungen von Todes wegen richtet sich die Auslegung, wie allgemein
anerkannt ist, nach dem wirklichen Willen des Erblassers. Die bei
Rechtsgeschäften unter Lebenden massgebende Vertrauenstheorie spielt hiebei
keine Rolle. Dementsprechend ist auch für die Anfechtung wegen Irrtums die
wirkliche Auffassung des Erblassers zu berücksichtigen; der Irrtum braucht
kein wesentlicher im Sinne der Art. 23 ff
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 23 - Der Vertrag ist für denjenigen unverbindlich, der sich beim Abschluss in einem wesentlichen Irrtum befunden hat.
. OR zu sein, insbesondere ein
Motivirrtum kein Grundlagenirrtum gemäss Art. 24 Ziff. 4
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 24 - 1 Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher:
1    Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher:
1  wenn der Irrende einen andern Vertrag eingehen wollte als denjenigen, für den er seine Zustimmung erklärt hat;
2  wenn der Wille des Irrenden auf eine andere Sache oder, wo der Vertrag mit Rücksicht auf eine bestimmte Person abgeschlossen wurde, auf eine andere Person gerichtet war, als er erklärt hat;
3  wenn der Irrende eine Leistung von erheblich grösserem Umfange versprochen hat oder eine Gegenleistung von erheblich geringerem Umfange sich hat versprechen lassen, als es sein Wille war;
4  wenn der Irrtum einen bestimmten Sachverhalt betraf, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet wurde.
2    Bezieht sich dagegen der Irrtum nur auf den Beweggrund zum Vertragsabschlusse, so ist er nicht wesentlich.
3    Blosse Rechnungsfehler hindern die Verbindlichkeit des Vertrages nicht, sind aber zu berichtigen.
OR. Vielmehr fällt
jeder Motivirrtum in Betracht, sofern er für die Verfügung von bestimmendem
Einfluss war. Das ergibt sich aus der weiten Fassung der Art. 469
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 469 - 1 Verfügungen, die der Erblasser unter dem Einfluss von Irrtum, arglistiger Täuschung, Drohung oder Zwang errichtet hat, sind ungültig.
1    Verfügungen, die der Erblasser unter dem Einfluss von Irrtum, arglistiger Täuschung, Drohung oder Zwang errichtet hat, sind ungültig.
2    Sie erlangen jedoch Gültigkeit, wenn sie der Erblasser nicht binnen Jahresfrist aufhebt, nachdem er von dem Irrtum oder von der Täuschung Kenntnis erhalten hat oder der Einfluss von Zwang oder Drohung weggefallen ist.
3    Enthält eine Verfügung einen offenbaren Irrtum in Bezug auf Personen oder Sachen, und lässt sich der wirkliche Wille des Erblassers mit Bestimmtheit feststellen, so ist die Verfügung in diesem Sinne richtig zu stellen.
und 519
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 519 - 1 Eine Verfügung von Todes wegen wird auf erhobene Klage für ungültig erklärt:
1    Eine Verfügung von Todes wegen wird auf erhobene Klage für ungültig erklärt:
1  wenn sie vom Erblasser zu einer Zeit errichtet worden ist, da er nicht verfügungsfähig war;
2  wenn sie aus mangelhaftem Willen hervorgegangen ist;
3  wenn ihr Inhalt oder eine ihr angefügte Bedingung unsittlich oder rechtswidrig ist.
2    Die Ungültigkeitsklage kann von jedermann erhoben werden, der als Erbe oder Bedachter ein Interesse daran hat, dass die Verfügung für ungültig erklärt werde.
ZGB
und entspricht bewährter Lehre (vgl. die Erläuterungen zum Vorentwurf, Art.
494, S. 385 der 2. Auflage). Und wie zur Auslegung auch ausserhalb des
Testamentes oder Erbvertrages liegende Momente herangezogen werden können,
soweit sie dazu dienen, den Sinn der in gesetzlicher Form getroffenen
Verfügungen klarzustellen (BGE 64 II 187, 69 II 382, 70 II 13), SO sind auch
zur Ermittlung der Beweggründe ausserhalb der Urkunde liegende Umstände zu
beachten (BGE 72 II 233 Erw. 4).
4. ­ Hievon geht das Kantonsgericht zutreffend aus, und es ist ihm auch darin
beizustimmen, dass für den Erblasser unter Umständen die Erwartung künftiger
Ereignisse von bestimmendem Einflusse sein kann und somit derartige
Erwartungen als Beweggrund in Betracht fallen können (BGE 67 II 15). Das ist
in § 2078 Abs. 2 des deutschen BGB ausdrücklich vorgesehen und hat auch in den
erwähnten weit gefassten Bestimmungen des

Seite: 285
schweizerischen Erbrechtes Raum. Um von Irrtum sprechen zu können, muss man es
indessen mit bestimmten, vom Erblasser als verlässlich betrachteten
Erwartungen ZU tun haben (vgl. zur allgemeinen Irrtumslehre v. TUHR,
Allgemeiner Teil des schweizerischen OR, § 23 II; zur vorliegenden Frage
speziell OTTO FISCHER, Der Fehlschlag von Erwartungen bei Verfügungen von
Todes wegen, in Iherings Jahrbüchern für die Dogmatik des bürgerlichen
Rechtes, Band 71, 187 ff.). Sind es blosse Wünsche, Hoffnungen, Befürchtungen,
die sich dann nicht verwirklichen, so kann von einem die Anfechtung
rechtfertigenden Willensmangel nicht gesprochen werden. War der Erblasser sich
der Ungewissheit seiner Vorstellungen über die (mutmassliche) Zukunft bewusst,
und traf er die Verfügung dennoch, ohne sie an Bedingungen zu knüpfen und
allenfalls durch Eventualverfügungen zu ergänzen, so nahm er eben die
Entwicklung der Dinge in Kauf. Eine Frage für sich ist, ob auch unbewusste
Erwartungen, insbesondere das Nichtbedenken aussergewöhnlicher Ereignisse, die
dann eintreten, einen Motivirrtum zu begründen vermögen. Die Rechtsprechung zu
§ 2078 des deutschen BGB hat diese Frage früher bejaht, später, grundsätzlich
wenigstens, verneint (vgl. die Entscheidungen des Reichsgerichtes in
Zivilsachen 77, 165; 86, 206; Juristische Wochenschrift 1925 I 356 N. 10; dazu
Fussnote von KIPP). Dieses Problem stellt sich zwar auch im vorliegenden
Falle, es braucht jedoch nicht gelöst zu werden. Gleichgültig wie die Antwort
zu lauten hätte, ist hier ein die Ungültigerklärung rechtfertigender
Motivirrtum entgegen dem vorinstanzlichen Urteil zu verneinen.
5. ­ Was den Erblasser zu seiner Verfügung bewog, ist allerdings an und für
sich Tatfrage (BGE 69 II 75; F. GUISAN, Bemerkungen hiezu im Journal des
Tribunaux 1943 I 398, stösst sich an der Wendung « phénomène psychique », die
jedoch auf ungenauer Übersetzung des Textes « psychischer Vorgang » beruht).
Gleichwie bei der Auslegung von Erklärungen ist aber das Bundesgericht

Seite: 286
auch bei Ermittlung von Beweggründen nicht gemäss Art. 63 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 519 - 1 Eine Verfügung von Todes wegen wird auf erhobene Klage für ungültig erklärt:
1    Eine Verfügung von Todes wegen wird auf erhobene Klage für ungültig erklärt:
1  wenn sie vom Erblasser zu einer Zeit errichtet worden ist, da er nicht verfügungsfähig war;
2  wenn sie aus mangelhaftem Willen hervorgegangen ist;
3  wenn ihr Inhalt oder eine ihr angefügte Bedingung unsittlich oder rechtswidrig ist.
2    Die Ungültigkeitsklage kann von jedermann erhoben werden, der als Erbe oder Bedachter ein Interesse daran hat, dass die Verfügung für ungültig erklärt werde.
OG an die «
Feststellungen » des kantonalen Urteils gebunden, soweit dieses sich nicht auf
konkrete, den gegebenen Sachverhalt betreffende Beweise, sondern auf
Überlegungen allgemeiner Art, mit andern Worten auf die praktische Vernunft
und auf die Lebenserfahrung stützt (BGE 69 II 204 und 322). Hier liegen keine
Äusserungen des Erblassers über seine Beweggründe vor. Weder im Testamente
selbst noch sonstwie hat er solche bekundet. Aus dem Eingang des Testamentes,
woran die vorinstanzlichen Ausführungen mit Stillschweigen vorbeigehen, möchte
man folgern, er sei sich der Unsicherheit der Zukunft einigermassen bewusst
gewesen, sei also kaum von verlässlichen Erwartungen als bestimmender
Grundlage seiner Verfügungen ausgegangen. Dass ein nachgelassenes Vermögen den
Erben (längere Zeit) erhalten bleibe, kann denn auch naturgemäss nur
gewünscht, gehofft werden, aber nicht wohl als sicher gelten. Jedenfalls ist
der Beweislast, welche nach Art. 8
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet.
in Verbindung mit Art. 519
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 519 - 1 Eine Verfügung von Todes wegen wird auf erhobene Klage für ungültig erklärt:
1    Eine Verfügung von Todes wegen wird auf erhobene Klage für ungültig erklärt:
1  wenn sie vom Erblasser zu einer Zeit errichtet worden ist, da er nicht verfügungsfähig war;
2  wenn sie aus mangelhaftem Willen hervorgegangen ist;
3  wenn ihr Inhalt oder eine ihr angefügte Bedingung unsittlich oder rechtswidrig ist.
2    Die Ungültigkeitsklage kann von jedermann erhoben werden, der als Erbe oder Bedachter ein Interesse daran hat, dass die Verfügung für ungültig erklärt werde.
ZGB die Klägerin
trifft, Rechnung zu tragen. Wenn das Kantonsgericht einfach aus dem Inhalte
der testamentarischen Verfügungen schliesst, der Erblasser müsse von einer
bestimmten Erwartung der erwähnten Art beherrscht gewesen sein, so kann dem
nur beigestimmt werden, falls eine solche Erwartung bei vernünftiger
Betrachtung und nach der Lebenserfahrung geradezu die unerlässliche, ohne
weiteres anzunehmende Voraussetzung letztwilliger Verfügungen des vorliegenden
Inhaltes bildet. Das ist jedoch nicht der Fall. Wer die Ehefrau als Erbin
neben Verwandten des elterlichen Stammes auf den Pflichtteil setzt und ihr
lediglich an einem bestimmten Vermögenskomplex, zudem mit auflösender
Bedingung, eine teilweise Nutzniessung einräumt, nimmt damit, sofern er keinen
andern Willen bekundet, den Wegfall der Nutzniessung wie auch der andern am
betreffenden Vermögenswert vorgesehenen Rechte beim Untergang oder Verlust
dieses Wertes in Kauf. Davon geht auch Art. 484 Abs. 3
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 484 - 1 Der Erblasser kann einem Bedachten, ohne ihn als Erben einzusetzen, einen Vermögensvorteil als Vermächtnis zuwenden.
1    Der Erblasser kann einem Bedachten, ohne ihn als Erben einzusetzen, einen Vermögensvorteil als Vermächtnis zuwenden.
2    Er kann ihm eine einzelne Erbschaftssache oder die Nutzniessung an der Erbschaft im ganzen oder zu einem Teil vermachen oder die Erben oder Vermächtnisnehmer beauftragen, ihm Leistungen aus dem Werte der Erbschaft zu machen oder ihn von Verbindlichkeiten zu befreien.
3    Vermacht der Erblasser eine bestimmte Sache, so wird der Beschwerte, wenn sich diese in der Erbschaft nicht vorfindet und kein anderer Wille des Erblassers aus der Verfügung ersichtlich ist, nicht verpflichtet.


Seite: 287
ZGB aus, der mindestens analog anwendbar ist, in dem Sinne, dass ein
abweichender Wille des Erblassers, wenn auch allenfalls nicht notwendig aus
dem Testamente selbst, so doch sonstwie als individueller, tatsächlicher Wille
bewiesen werden müsste. Davon ist hier nicht die Rede. Übrigens stand ja der
Erblasser mit der Klägerin in einem Ehetrennungsprozess, und er nahm bis zu
seinem Tode keine Veranlassung, das Testament aufzuheben oder zu ergänzen,
obwohl die Zukunft mittlerweile noch unsicherer geworden war.
6. ­ Stünde das Bundesgericht vor verbindlichen Tatsachenfeststellungen, so
wäre übrigens die Klage gleichwohl nicht hinreichend begründet. Das
Kantonsgericht umschreibt die ursächliche Bedeutung der von ihm angenommenen
Erwartungen des Erblassers dahin, dieser hätte, wäre er nicht von solchen
Erwartungen ausgegangen, « eine andere Verfügung zu Gunsten der Klägerin
getroffen,». In welchem Sinne, steht aber dahin. Ob etwa der Erblasser im
Hinblick auf einen völligen Verlust des Geschäftsanteils eine teilweise
Nutzniessung der Klägerin am übrigen Vermögen hätte vorsehen wollen, oder ob
er von einer solchen Beschränkung der Erbansprüche der ja durch den
Geschäftsverlust mitbetroffenen Beklagten abgesehen hätte, ist ungewiss.
Selbst wenn man indessen eine derartige Verfügung in Betracht ziehen wollte,
liesse sich nicht bestimmen, in welchem Masse er den Beklagten immerhin freies
Eigentum belassen hätte Nun rechtfertigt sich die Anfechtung eines Testamentes
wegen Motivirrtums aber nur, wenn als wahrscheinlich dargetan ist, dass der
Erblasser bei Kenntnis der Sachlage die angefochtene Verfügung lieber aufheben
als unverändert fortbestehen lassen möchte. (Sie den nun bekannten Tatsachen
anzupassen, ist ja nach seinem Tode nicht mehr möglich, soweit die Auslegung
keine Hilfe bietet). Diese Betrachtungsweise kommt soweit wie möglich dem
Grundgedanken der Anfechtung wegen Motivirrtums entgegen, wonach ungülltig
eine solche letztwillige Verfügung sein soll, die

Seite: 288
der Erblasser selbst verwerfen würde, wenn er sich noch aussprechen könnte
(DERNBURG, System des römischen Rechtes § 468 Ziff. 2). Nach einer andern
Auffassung wäre allerdings das Testament als ungültig zu erklären, sobald
feststeht, dass der Erblasser beim Wegfall des Irrtums « nicht so » verfügt
hätte, wie er es getan. Dabei könne der Frage nicht nachgegangen werden, was
er, wenn er nicht im Irrtum befangen gewesen wäre, getan hätte (Reichsgericht
in Zivilsachen 59, 33 ff., besonders 40, Mitte). Dem ist jedoch für das
schweizerische Recht in solcher Allgemeinheit nicht beizustimmen. Der Wille
des Erblassers muss weitergehend als Richtschnur der Entscheidung dienen. Es
ist darauf zu achten, ob eine Ungültigerklärung seinen Absichten gerecht würde
oder ihnen zuwiderliefe. Dieser Gesichtspunkt liegt auch dem Art. 469 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 469 - 1 Verfügungen, die der Erblasser unter dem Einfluss von Irrtum, arglistiger Täuschung, Drohung oder Zwang errichtet hat, sind ungültig.
1    Verfügungen, die der Erblasser unter dem Einfluss von Irrtum, arglistiger Täuschung, Drohung oder Zwang errichtet hat, sind ungültig.
2    Sie erlangen jedoch Gültigkeit, wenn sie der Erblasser nicht binnen Jahresfrist aufhebt, nachdem er von dem Irrtum oder von der Täuschung Kenntnis erhalten hat oder der Einfluss von Zwang oder Drohung weggefallen ist.
3    Enthält eine Verfügung einen offenbaren Irrtum in Bezug auf Personen oder Sachen, und lässt sich der wirkliche Wille des Erblassers mit Bestimmtheit feststellen, so ist die Verfügung in diesem Sinne richtig zu stellen.

ZGB zugrunde.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Kantonsgerichtes des Kantons
St. Gallen vom 18. März 1949 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 75 II 280
Datum : 01. Januar 1948
Publiziert : 18. November 1949
Quelle : Bundesgericht
Status : 75 II 280
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 1. Erbschaft eines Sehweizerbürgers mit ausländischem Wohnsitz. Ist nach Art. 28 Ziff. 2 NAG...


Gesetzesregister
EÖBV: 28
SR 211.435.1 Verordnung vom 8. Dezember 2017 über die Erstellung elektronischer öffentlicher Urkunden und elektronischer Beglaubigungen (EÖBV)
EÖBV Art. 28 Inkrafttreten - Diese Verordnung tritt am 1. Februar 2018 in Kraft.
OG: 43  63
OR: 23 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 23 - Der Vertrag ist für denjenigen unverbindlich, der sich beim Abschluss in einem wesentlichen Irrtum befunden hat.
24
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 24 - 1 Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher:
1    Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher:
1  wenn der Irrende einen andern Vertrag eingehen wollte als denjenigen, für den er seine Zustimmung erklärt hat;
2  wenn der Wille des Irrenden auf eine andere Sache oder, wo der Vertrag mit Rücksicht auf eine bestimmte Person abgeschlossen wurde, auf eine andere Person gerichtet war, als er erklärt hat;
3  wenn der Irrende eine Leistung von erheblich grösserem Umfange versprochen hat oder eine Gegenleistung von erheblich geringerem Umfange sich hat versprechen lassen, als es sein Wille war;
4  wenn der Irrtum einen bestimmten Sachverhalt betraf, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet wurde.
2    Bezieht sich dagegen der Irrtum nur auf den Beweggrund zum Vertragsabschlusse, so ist er nicht wesentlich.
3    Blosse Rechnungsfehler hindern die Verbindlichkeit des Vertrages nicht, sind aber zu berichtigen.
ZGB: 8 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet.
469 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 469 - 1 Verfügungen, die der Erblasser unter dem Einfluss von Irrtum, arglistiger Täuschung, Drohung oder Zwang errichtet hat, sind ungültig.
1    Verfügungen, die der Erblasser unter dem Einfluss von Irrtum, arglistiger Täuschung, Drohung oder Zwang errichtet hat, sind ungültig.
2    Sie erlangen jedoch Gültigkeit, wenn sie der Erblasser nicht binnen Jahresfrist aufhebt, nachdem er von dem Irrtum oder von der Täuschung Kenntnis erhalten hat oder der Einfluss von Zwang oder Drohung weggefallen ist.
3    Enthält eine Verfügung einen offenbaren Irrtum in Bezug auf Personen oder Sachen, und lässt sich der wirkliche Wille des Erblassers mit Bestimmtheit feststellen, so ist die Verfügung in diesem Sinne richtig zu stellen.
484 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 484 - 1 Der Erblasser kann einem Bedachten, ohne ihn als Erben einzusetzen, einen Vermögensvorteil als Vermächtnis zuwenden.
1    Der Erblasser kann einem Bedachten, ohne ihn als Erben einzusetzen, einen Vermögensvorteil als Vermächtnis zuwenden.
2    Er kann ihm eine einzelne Erbschaftssache oder die Nutzniessung an der Erbschaft im ganzen oder zu einem Teil vermachen oder die Erben oder Vermächtnisnehmer beauftragen, ihm Leistungen aus dem Werte der Erbschaft zu machen oder ihn von Verbindlichkeiten zu befreien.
3    Vermacht der Erblasser eine bestimmte Sache, so wird der Beschwerte, wenn sich diese in der Erbschaft nicht vorfindet und kein anderer Wille des Erblassers aus der Verfügung ersichtlich ist, nicht verpflichtet.
519
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 519 - 1 Eine Verfügung von Todes wegen wird auf erhobene Klage für ungültig erklärt:
1    Eine Verfügung von Todes wegen wird auf erhobene Klage für ungültig erklärt:
1  wenn sie vom Erblasser zu einer Zeit errichtet worden ist, da er nicht verfügungsfähig war;
2  wenn sie aus mangelhaftem Willen hervorgegangen ist;
3  wenn ihr Inhalt oder eine ihr angefügte Bedingung unsittlich oder rechtswidrig ist.
2    Die Ungültigkeitsklage kann von jedermann erhoben werden, der als Erbe oder Bedachter ein Interesse daran hat, dass die Verfügung für ungültig erklärt werde.
ZPO: 117
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 117 Anspruch - Eine Person hat Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn:
a  sie nicht über die erforderlichen Mittel verfügt; und
b  ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint.
BGE Register
64-II-186 • 67-II-13 • 69-II-202 • 69-II-373 • 69-II-71 • 70-II-7 • 72-II-225 • 75-II-280
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
erblasser • testament • motivirrtum • bundesgericht • irrtum • kantonsgericht • schweizerisches recht • frage • erbrecht • wille • ausländisches recht • beklagter • familie • tod • geschwister • kenntnis • zivilsache • mutter • beweislast • verfügung von todes wegen
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