S. 246 / Nr. 37 Kantonales Beamtenrecht (d)

BGE 75 II 246

37. Urteil der staatsrechtlichen Kammer vem 19. Oktober 1949 i. S. Loewer
gegen Kanton Zürich.


Seite: 246
Regeste:
1. Art. 42 OG.
a) Klagen eines ehemaligen Beamten auf Weiterentrichtung des Ruhegehaltes sind
im Sinne dieser Bestimmung zivilrechtlich (Erw. 1).
b) In Ermessensfragen weicht das Bundesgericht nur vom Entscheid der
kantonalen Verwaltungsbehörde ab, wenn diese das ihr vom Gesetzgeber
eingeräumte Ermessen überschritten hat (Erw. 4).
2. Kantonales Beamtenrecht. Die Verletzung der Treuepflicht durch einen
pensionierten Beamten kann den Entzug des Ruhegehaltes rechtfertigen (Erw. 2).
Wie verhält es sich, wenn der Pensionierte politischen Nachrichtendienst
getrieben hat? (Erw. 3 und 4).
1. Art. 42 OJ.
a) Le litige dans lequel un fonctionnaire retraité demande que sa pension
continue à lui être servie est une contestation de droit civil au sens de
cette disposition (consid. 1).
b) Dans les questions d'appréciation, le Tribunal fédéral ne s'écarte de la
décision des autorités cantonales que si elles ont outrepassé les limites que
la loi leur assigne (consid. 4).
2. Statut des fonctionnaires cantonaux. La violation du devoir de fidélité par
un fonctionnaire retraité peut justifier la privation du droit à la pension
(consid. 2). Qu'en est-il lorsque l'ancien fonctionnaire s'est livré à un
service de renseignements politiques? (consid. 3 et 4).
1. Art. 42 OG.
a) Il procedimento, nel quale un funzionario pensionato domanda che la sua
pensione continui ad essergli corrisposta, è una causa di diritto civile a
norma di questa disposizione (consid. 1).
b) Nelle questioni di apprezzamento il Tribunale federale si scosta dalla
decisione delle autorità amministrative cantonali soltanto se esse hanno
oltrepassato i limiti loro imposti dal legislatore (consid. 4).
2. Statuto dei funzionari cantonali. La violazione del dovere di fedeltà da
parte d'un funzionario pensionato può giustificare la privazione del diritto
alla pensione (consid. 2). Quid, se il pensionato ha effettuato un servizio
d'informazioni politiche? (consid. 3 e 4).

A. ­ Der deutsche Staatsangehörige Earl Loewer war während 37 Jahren Professor
für Maschinenkunde am

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kantonalen Technikum in Winterthur. Am 30. September 1935 wurde er
altershalber in den Ruhestand versetzt, wobei ihm ein Ruhegehalt von Fr.
8120.­ im Jahr zugesprochen wurde.
Im Sommer 1945 wies der Bundesrat Loewer gemäss Art. 70
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 70 Sprachen - 1 Die Amtssprachen des Bundes sind Deutsch, Französisch und Italienisch. Im Verkehr mit Personen rätoromanischer Sprache ist auch das Rätoromanische Amtssprache des Bundes.
1    Die Amtssprachen des Bundes sind Deutsch, Französisch und Italienisch. Im Verkehr mit Personen rätoromanischer Sprache ist auch das Rätoromanische Amtssprache des Bundes.
2    Die Kantone bestimmen ihre Amtssprachen. Um das Einvernehmen zwischen den Sprachgemeinschaften zu wahren, achten sie auf die herkömmliche sprachliche Zusammensetzung der Gebiete und nehmen Rücksicht auf die angestammten sprachlichen Minderheiten.
3    Bund und Kantone fördern die Verständigung und den Austausch zwischen den Sprachgemeinschaften.
4    Der Bund unterstützt die mehrsprachigen Kantone bei der Erfüllung ihrer besonderen Aufgaben.
5    Der Bund unterstützt Massnahmen der Kantone Graubünden und Tessin zur Erhaltung und Förderung der rätoromanischen und der italienischen Sprache.
BV aus dem Gebiet der
Eidgenossenschaft aus. Er hielt ihm vor allem vor, ein gefährlicher, der
Schweiz feindlich gesinnter Nationalsozialist gewesen zu sein und politischen
Nachrichtendienst getrieben zu haben. Gestützt auf diesen Ausweisungsbeschluss
hob der Regierlmgsrat des Kantons Zürich mit Beschluss vom 19. Juli 1945 den
Anspruch Loewers auf Ruhegehalt mit Wirkung ab 1. Juni 1945 auf. Er berief
sich auf § 22 der Verordnung vom 10. Januar 1921 über die Dienst- und
Besoldungsverhältnisse des Lehrerpersonals der kantonalen Mittelschulen (VO),
wonach die Berechtigung zum Bezug des Ruhegehaltes jederzeit überprüft werden
kann und ganz oder teilweise erlischt, wenn die Gründe, die bei seiner
Gewährung massgebend waren, nicht mehr im vollen Umfange vorhanden sind, und
führte aus, die Entrichtung des Ruhegebaltes setze voraus, dass der Beamte dem
Staat die Treue wahre; Loewer habe die ihm obliegende Treuepflicht durch seine
die Existenz des Landes bedrohenden Handlungen schwer verletzt. Loewer stellte
ein Wiedererwägangsgesuch, wurde aber am 27. September 1945 damit abgewiesen.
B. ­ Am 20. Oktober 1948 leitete Loewer beim Bundesgericht eine Klage mit
folgendem Rechtsbegehren ein:
« Es sei der Kanton Zürich zu verpflichten dem Kläger Fr. 8120.­nebst 5 % Zins
seit dem 1. Juni 1946, Fr. 8120.­ nebst 6 % Zins seit dem 1. Juni 1947, Fr.
8120.­nebst 6 % Zins seit dem 1. Juni 1948 und monatlich ab 1. Juni 1948 Fr.
676.66 nebst 6 % Zins zu bezahlen, alles unter Kosten- und
Entschâdigungsfolgen zu Lasten des Beklagten. »
Zur Begründung wird geltend gemacht:
Bei der Festsetzung des Ruhegehaltes habe der Regierungsrat nur das
Dienstalter, die Vermögensverhältnisse und die Leistungen berücksichtigen
dürfen. § 22 VO

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verleihe ihm daher lediglich das Recht, das Ruhegehalt den jeweiligen
ökonomischen Verhältnissen des Bezügers anzupassen. Hier habe er keine solche
verwaltungstechnische Verfügung getroffen, sondern Loewer für eine angebliche
Pflichtverletzung bestraft, was unzulässig sei.
Die Klage müsse auch gutgcheissen werden, wenn das Ruhegehalt wegen
Nichterfüllung der Treuepflicht entzogen werden dürfe. Der Pensionierte stehe
nur noch in einem losen Verhältnis zum Staat. Von einer Verletzung der
Treuepflicht könne daher nur gesprochen werden, wenn er bewusst gegen die
Interessen des Staates verstosse und ihn ein schweres Verschulden treffe.
Diese Voraussetzungen seien bei Loewer nicht erfüllt. Es sei nicht bewiesen,
dass er eine strafbare Handlung gegen den Kanton Zürich begangen habe; auch
habe ihm das Bewusstsein gefehlt, seine Treuepflicht gegenüber dem Gastland zu
verletzen. Eventuell wäre hierüber ein Beweisverfahren durchzuführen.
Wenn die Tätigkeit Loewers gleichwohl von Einfluss auf das Ruhegehalt sein
sollte, so sei sein Verschulden doch nicht derart schwer, dass es sich
rechtfertige, die Pension ganz dahinfallen zu lassen.
C. ­ Der Regierungsrat des Kantons Zürich beantragt, « die Klage unter Kosten-
und Entschädigungsfolgen zulasten des Klägers im vollen Umfange abzuweisen ».
Er führt aus:
§ 22 VO wolle nicht nur die Anpassung an die ökonomischen Verhältnisse des
Bezügers ermöglichen. Er ermächtige den Regierungsrat, den Pensionierten das
Ruhegehalt auch aus andern Gründen zu entziehen, insbesondere bei einem
Verhalten, das beim aktiven Beamten zur disziplinarischen Entlassung geführt
hätte. Dieser Tatbestand liege hier vor.
Loewer habe als Vertrauensmann des deutschen Konsulates für Winterthur und
Umgebung nicht nur die in diesem Bereich wohnenden Deutschen bespitzelt,
sondern auch Berichte über Schweizerbürger hinsichtlich ihrer

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politischen Einstellung zum deutschen Reiche abgegeben. Sein Verhalten sei als
politischer Nachrichtendienst zu betrachten. Eine Anklage sei nur deshalb
nicht erhoben worden, weil er ausgewiesen worden sei und weil ein
Strafverfahren seinen Aufenthalt in der Schweiz in unerwünschter Weise
verlängert hätte. Er habe nicht nur die innere und äussere Sicherheit der
Eidgenossenschaft gefährdet, sondern sich auch verwerflich gegenüber dem
Kanton Zürich verhalten und die ihm obliegende Treuepflicht so sehr verletzt,
dass der Entzug des vollen Ruhegehaltes gerechtfertigt sei.
D. ­ Der Beklagte hat nach Beizug der Akten des bundespolizeilichen
Ermittlungsverfahren vom Mai 1945 auf ein weiteres Beweisverfahren verzichtet.
Der Kläger hat die Einvernahwe verschiedener Zeugen beantragt. Soweit sie
schon in jenem Ermittlungsverfahren einvernommen worden waren oder die
Tatsachen, über die sie aussagen sollten, unerheblich sind, ist davon Umgang
genommen worden. Die rogatorische Einvernahme von Dr. W. Wuhrmann hat nichts
von Belang ergeben.
E. ­ Nach Anhörung der mündlichen Parteivorträge vom 21. September 1949 hat
das Bundesgericht eine gütliche Verständigung angeregt. Der Regierongsrat des
Kantons Zürich hat es jedoch abgelehnt, sich mit dem Kläger auf
Vergleichsverhandlungen einzulassen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. ­ Gemäss Art. 42 OG beurteilt das Bundesgericht als einzige Instanz «
zivilrechtliche Streitigkeiten zwischen einem Kanton einerseits und Privaten
anderseits, wenn eine Partei es rechtzeitig verlangt und der Streitwert
wenigstens Fr. 4000.­ beträgt ». Diese Bestimmung führt, wie vorher Art. 48
Ziff. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 48 Verträge zwischen Kantonen - 1 Die Kantone können miteinander Verträge schliessen sowie gemeinsame Organisationen und Einrichtungen schaffen. Sie können namentlich Aufgaben von regionalem Interesse gemeinsam wahrnehmen.
1    Die Kantone können miteinander Verträge schliessen sowie gemeinsame Organisationen und Einrichtungen schaffen. Sie können namentlich Aufgaben von regionalem Interesse gemeinsam wahrnehmen.
2    Der Bund kann sich im Rahmen seiner Zuständigkeiten beteiligen.
3    Verträge zwischen Kantonen dürfen dem Recht und den Interessen des Bundes sowie den Rechten anderer Kantone nicht zuwiderlaufen. Sie sind dem Bund zur Kenntnis zu bringen.
4    Die Kantone können interkantonale Organe durch interkantonalen Vertrag zum Erlass rechtsetzender Bestimmungen ermächtigen, die einen interkantonalen Vertrag umsetzen, sofern der Vertrag:
a  nach dem gleichen Verfahren, das für die Gesetzgebung gilt, genehmigt worden ist;
b  die inhaltlichen Grundzüge der Bestimmungen festlegt.13
5    Die Kantone beachten das interkantonale Recht.14
aOG, den Art. 110 Ziff. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 110 * - 1 Der Bund kann Vorschriften erlassen über:
1    Der Bund kann Vorschriften erlassen über:
a  den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer;
b  das Verhältnis zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite, insbesondere über die gemeinsame Regelung betrieblicher und beruflicher Angelegenheiten;
c  die Arbeitsvermittlung;
d  die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen.
2    Gesamtarbeitsverträge dürfen nur allgemeinverbindlich erklärt werden, wenn sie begründeten Minderheitsinteressen und regionalen Verschiedenheiten angemessen Rechnung tragen und die Rechtsgleichheit sowie die Koalitionsfreiheit nicht beeinträchtigen.
3    Der 1. August ist Bundesfeiertag. Er ist arbeitsrechtlich den Sonntagen gleichgestellt und bezahlt.
BV aus, der die gerichtliche Erledigung
gewisser Anstände mit besonderen Garantien versehen wollte. Für den darin
verwendeten Begriff der zivilrechtlichen Streitigkeiten ist deshalb nicht die
heute herrschende Abgrenzung zwischen

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öffentlichem und privatem Recht massgebend, sondern diejenige, welche bei
Erlass jener Verfassongsvorschrift galt und der damit beabsichtigten Garantie
zugrunde lag (BGE 72 I 287; 49 II 416; BIRCHMEIER: Handbuch des OG, N. 2 zu
Art. 42). Daher sind in ständiger Prasis Klagen von Beamten auf Ausrichtung
des Gehalts oder anderer Leistungen aus dem Dienstverhältnis als
zivilrechtliche Streitigkeiten behandelt worden. Das muss auch für die
vorliegende Klage eines pensionierten ehemaligen Beamten auf sein Ruhegehalt
gelten. Da sie rechtzeitig eingereicht wurde und der Streitwert über Fr.
4000.­ beträgt, ist die Zuständigkeit des Bundesgerichtes somit gegeben.
2. ­ Die Aufhebung des Ruhegehaltes, das dem Kläger anlässlich seiner
altershalber erfolgten Entlassung aus dem Staatsdienst zugesprochen wurde, ist
auf § 22 Abs. 1 VO gegründet worden. Diese Bestimmung lautet:
« Die Berechtigung zum Bezug eines Ruhegchaltes kann jederzeit neu geprüft
werden; sie erlischt ganz oder teilweise, wenn die Gründe, die bei der
Gewährung des Ruhegehaltes massgebend waren, nicht mehr in vollem Umfange
vorhanden sind. »
Die vom Kläger vertretene Auffassung, diese Vorschrift wolle lediglich die
Anpassung der Pension an die ökonomischen Verhältnisse des Bezügers
ermöglichen, ist unzutreffend. Die ökonomischen Verhältnisse des Pensionierten
waren zwar ursprünglich ­ wie sich aus den Bestimmungen für Primar- und
Sekundarlehrer ergibt, auf die in § 20 VO verwiesen wird ­ bei der Bemessung
des Ruhegehaltes mit zu berücksichtigen, aber keineswegs a]lein massgebend.
Mochte der Revisionsvorbehalt auch sie betreffen, so war er doch sicher nicht
auf sie beschränkt. Das zeigt sich schon darin, dass er in der neuen VO von
1948 beibehalten wurde, obwohl nach dieser die ökonomischen Verhältnisse des
Bezügers bei der Festsetzung des Ruhegehaltes keine Rolle mehr spielen.
Die in § 22 VO vorgesehene Möglichkeit der Revision bezieht sich
offensichtlich auf alle Gründe, die bei der Gewährung des Ruhegehaltes
massgebend sind, vor allem

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auf dessen grundsätzliche Voraussetzungen; so muss sie insbesondere gegeben
sein, wenn die vermeintlich dauernde Unfähigkeit, das Lehramt auszuüben,
nachträglich wegfällt. Dem Wegfall positiver Gründe für die Entrichtung des
Ruhegehaltes ist der nachträgliche Eintritt von negativen gleichzustellen,
d.h. von Gründen, bei deren Vorliegen im Zeitpunkt der Beendigung des
Dienstverhältnisses das Ruhegehalt nicht gewährt worden wäre.
In diesem Sinne macht der Kanton Zürich mit Recht geltend, dass grundsätzlich
auch eine erhebliche Verletzung der Treuepflicht beim Pensionierten den Entzug
des Ruhegehaltes zu rechtfertigen vermöge. Die Auffassung, dass auch der
pensionierte Beamte noch in einem Treueverhältnis zum Staate stehe, wird vom
Kläger nicht angefochten und ist zweifellos richtig. Hält der Bezüger des
Ruhegehaltes dem Staate die Treue nicht, so kann diesem nicht ohne weiteres
zugemutet werden, das bisherige Ruhegehalt weiter zu entrichten; denn wenn
sich der Beamte schon im Zeitpunkt der Pensionierung vergangen hätte, so wäre
ihm das Gehalt gar nicht zugesprochen worden. Die weitere Auszahlung der
Pension kann derart stossend sein, dass das Bundesgericht im Urteil vom 15.
Dezember 1948 i. S. Rüegg zum Schlusse kam, wenn das Gesetz nichts anderes
vorschreibe, dürfe einem pensionierten Beamten, der ein schweres Verbrechen
gegen das Gemeinwesen begangen habe, die Pension sogar entzogen werden, wenn
in der Pensionsordnung eine entsprechende Bestimmung fehle. Der wegen
Verletzung der Treuepflicht erfolgte Entzug der Pension stellt keine
disziplinarische Bestrafung dar; denn mit der Beendigung des
Dienstverhältnisses ist die Dienstpflicht und damit die disziplinarische
Verantwortlichkeit dahingefallen. Es handelt sich um eine rein administrative
Massnahme.
Es ist nicht leicht zu entscheiden, wann der pensioniert
Beamte seine Treuepflicht derart verletzt hat, dass es sich rechtfertigt, ihm
das Ruhegehalt ganz oder teilweise zu entziehen. Die Auffassung des Beklagten,
dass jede

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Handlung genüge, welche die disziplinarische Entlassung eines aktiven Beamten
zur Folge hätte, geht zu weit. An das Verhalten eines Beamten im Ruhestand
darf nicht der gleiche Masstab angelegt werden wie an dasjenige eines aktiven
Beamten. Sein Verhältnis zum Staat ist loser, und seine Treuepflicht geht
weniger weit. Im erwähnten Urteil i. S. Rüegg hatte sich der Pensionierte ein
schweres Verbrechen gegen den Staat zuschulden kommen lassen; doch kann dem
Entscheid nicht entnommen werden, dass nur ein solches den Entzug der Pension
rechtfertige. Auch blosse Vergehen oder andere Handlungen gegen das
Gemeinwesen können unter Umständen das Treueverhältnis derart berühren, dass
eine weitere Auszahlung des Ruhegehaltes als allzu stossend dem Staate nicht
mehr zugemutet werden darf. Es ist daher im vorliegenden Falle in Würdigung
aller Verhältnisse zu prüfen, ob es sich rechtfertigte, beim Kläger eine im
Sinne von § 22 VO erhebliche Verletzung der Treuepflicht anzunehmen.
3. ­ Dem Kläger ist das Ruhegehalt ausschliesslich wegen Handlungen entzogen
worden, die er nach seiner Versetzung in den Ruhestand begangen hat. Die von
ihm seit Jahrzehnten für den Deutschen Hilfsverein ausgeübte Fürsorgetätigkeit
wird ihm nicht zur Last gelegt. Vorgeworfen wird ihm insbesondere die als
politischer Nachrichtendienst qualifizierte Bespitzelung von Schweizern und
Deutschen. Die Spitzeltätigkeit des Klägers bildete im Mai 1945 Gegenstand
eines Ermittlungsverfahrens, das in der Folge wegen der Ausweisung eingestellt
wurde. Der Kläger bestritt darin, sich strafbar gemacht zu haben. Aus den bei
ihm beschlagnahmten Akten und seinen Zugaben ergibt sich jedoch, dass er als
Vertrauensmann des deutschen Generalkonsulates in Zürich diesem und der
deutschen Handelskammer Auskünfte über deutsche und schweizerische
Staatsangehörige in Winterthur und Umgebung besorgte und dabei auch über deren
politische Einstellung, insbesondere über abfällige Äusserungen gegenüber
Deutschland und dem Nationalsozialismus, berichtete.

Seite: 253
So begutachtete er beispielsweise am 21. Februar 1942 ein Gesuch von Dr. W.
Wuhrmann um Einreisebewilligung nach Deutschland in abschlägigem Sinne, indem
er darauf hinwies, dass dessen Vater ganz gehässig gegen Deutschland
eingestellt sei und auch der Sohn hauptsächlich mit ausgesprochen
deutschfeindlichen Kollegen verkehre. Seine Behauptung, er habe damit im
Interesse von Dr. Wuhrmann gehandelt und diesen vor Schwierigkeiten in
Deutschland bewahren wollen, ist eine offensichtliche Ausrede; vielmehr war
gerade diese Denunziation geeignet, Schwierigkeiten für Dr. Wuhrmann
herbeizuführen. Die Angabe des Klägers, er habe später durch eine bessere
Auskunft dazu beigetragen, dass jener die Einreisebewilligung doch noch
erhalten habe, ist durch die Einvernahme von Dr. Wuhrmann nicht bestätigt
worden. In einer Zuschrift vom 22. August 1941 an die deutsche Handelskammer
in Zürich erwähnt der Kläger in ähnlicher Weise deutschfeindliche Äusserungen
eines Rudolf Wehrli. Am 2. Dezember 1943 forderte er Georg Edlich auf, Hiel,
dem Leiter der Reichsdeutschen Gemeinschaft in Winterthur, endlich den Bericht
abzuliefern, « in dem die aus Deutschland zurückgekehrten Volksgenossinnen,
die sich ungünstig äusserten, namentlich genannt seien ». Im Oktober 1944
erstattete er dem Generalkonsulat auf dessen Anfrage Bericht über die
«Arier-Eigenschaft » der Firma Wiegner in Winterthur. In seinen Notizbüchern
finden sich verschiedene Einträge über deutschfeindliche Äusserungen
bestimmter Personen, in einem Falle mit dem Zusatz « hat Verwandte in
Deutschland ». Der Kläger macht geltend, er habe diese Tatsachen nur für sich
notiert und nirgends gemeldet. Es ist möglich, dass er sie nicht
weitergeliefert hat, doch ist offensichtlich, dass er die Notizen zum
mindesten in der Absicht gemacht hat, sie auf Anfrage hin zu Auskünften über
die betreffenden Personen zu verwenden. Angesichts der Bedeutung, die bei
deutschen Behörden und Organisationen der politischen Einstellung,
insbesondere regimefeindlichen Äusserungen und der « Arier-Eigenschaft »

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beigemessen wurde, und der Folgen, welche die Meldungen darüber für die
Betroffenen haben konnten, erfüllt die Erstattung der genannten Auskünfte und
schon das Sammeln von Material dafür den Tatbestand des politischen
Nachrichtendienstes im Sinne von Art. 272
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 272 - 1. Wer im Interesse eines fremden Staates oder einer ausländischen Partei oder einer andern Organisation des Auslandes zum Nachteil der Schweiz oder ihrer Angehörigen, Einwohner oder Organisationen politischen Nachrichtendienst betreibt oder einen solchen Dienst einrichtet,
1    Wer im Interesse eines fremden Staates oder einer ausländischen Partei oder einer andern Organisation des Auslandes zum Nachteil der Schweiz oder ihrer Angehörigen, Einwohner oder Organisationen politischen Nachrichtendienst betreibt oder einen solchen Dienst einrichtet,
2    In schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr. Als schwerer Fall gilt es insbesondere, wenn der Täter zu Handlungen aufreizt oder falsche Berichte erstattet, die geeignet sind, die innere oder äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft zu gefährden.
StGB. Der Kläger behauptet freilich,
er habe sich als Deutscher für verpflichtet gehalten, dem Generalkonsulat die
erwähnten Berichte zu erstatten; doch konnte er darüber nicht im Zweifel sein,
dass eine solche Spitzeltätigkeit dem schweizerischen Rechte zuwiderlief.
Der politische Nachrichtendienst ist ein Vergehen und in schweren Fällen ein
Verbrechen gegen den Staat (vgl. die Überschrift zum 13. Titel des StGB),
insbesondere gegen dessen Gebietshoheit (BGE 74 IV 104). Da sich der Kläger
auf dem Gebiete und gegenüber Einwohnern des Kantons Zürich verging, richteten
sich seine Handlungen nicht nur gegen die Eidgenossenschaft, sondern auch
gegen den Kanton Zürich. Der Kläger hat daher zweifellos die ihm diesem
gegenüber obliegende Treuepflicht verletzt.
Auch wenn man annimmt, dass seine Verfehlung kein schwerer Fall im Sinne des
Art. 272 Ziff. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 272 - 1. Wer im Interesse eines fremden Staates oder einer ausländischen Partei oder einer andern Organisation des Auslandes zum Nachteil der Schweiz oder ihrer Angehörigen, Einwohner oder Organisationen politischen Nachrichtendienst betreibt oder einen solchen Dienst einrichtet,
1    Wer im Interesse eines fremden Staates oder einer ausländischen Partei oder einer andern Organisation des Auslandes zum Nachteil der Schweiz oder ihrer Angehörigen, Einwohner oder Organisationen politischen Nachrichtendienst betreibt oder einen solchen Dienst einrichtet,
2    In schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr. Als schwerer Fall gilt es insbesondere, wenn der Täter zu Handlungen aufreizt oder falsche Berichte erstattet, die geeignet sind, die innere oder äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft zu gefährden.
StGB darstelle, so kommt ihr doch erhebliches Gewicht zu. Er
hat während längerer Zeit verbotenen Nachrichtendienst getrieben und die
betroffenen Personen und deren Angehörige sehr stark gefährdet. Vor allem im
Falle einer Besetzung der Schweiz durch Deutschland, wie sie im Verlaufe des
Krieges mehr als einmal drohte (vgl. z. B. BBl 1946 I 38, 84), hätten die vom
Kläger als deutschfeindlich denunzierten oder vorgemerkten Personen mit
schwersten Sanktionen rechnen müssen. Dies alles hielt den Kläger nicht von
seiner Tätigkeit ab. Seine Einstellung gegen das Land, dem er sein Auskommen
verdankte, und dessen Bewohner zeigt seine Bemerkung in einem Briefe vom 8.
Januar 1942, wo er die Bevölkerung der Schweiz als « hasserfüllte Bande » mit
einem « Brett vor dem bisschen Hirn » bezeichnete. Der vom Kläger verübte
politische Nachrichtendienst stellt daher, auch wenn man nur auf das Bewiesene
abstellt und all das, dessen der Kläger dringend verdächtig erscheint,

Seite: 255
ausser Betracht lässt, eine im Sinne von § 22 VO erhebliche Verletzung der
Treuepflicht dar, die grundsätzlich das gänzliche oder teilweise Dahinfallen
des Ruhegehaltes zu rechtfertigen vermag. Eine vorherige Warnung des Klägers
war nicht erforderlich. Es war für ihn offenkundig, dass er mit seinen
strafbaren Handlungen gegen den Staat sein Ruhegehalt aufs Spiel setzte.
4. ­ Liegt ein Grund vor, der seiner Natur nach sowohl zum völligen wie zum
teilweisen Entzug des Ruhegehaltes führen kann, so ist es eine Ermessensfrage,
was angeordnet werden soll. Das Bundesgericht legt sich in einem solchen Falle
eine gewisse Zurückhaltung auf und weicht nur vom Entscheid der kantonalen
Verwaltungsbehörde ab, wenn diese das ihr vom Gesetzgeber eingeräumte Ermessen
überschritten hat, d. h., wenn ernsthafte Bedenken bestehen, ob ihre Verfügung
noch in den Ermessensrahmen hineingehe (vgl. KIRCHHOFRS: Die
Verwaltungsrechtspflege beim Bundesgericht, ZSR n F 49, 60).
Im vorliegenden Fall liegt keine Ermessensüberschreitung vor. Wäre der Kläger
noch aktiver Beamter gewesen, so wäre nur eine frist- und entschädigungslose
Entlassung in Frage gekommen. Wenn der Regierungsrat fand, der Kläger habe
auch die weniger weit gehende Treuepflicht eines Ruhegehaltsbezügers derart
schwer verletzt, dass dem Staate nicht mehr zuzumuten sei, auch nur einen
Bruchteil des bisherigen Ruhegehaltes weiter zu entrichten, so mag diese
Auffassung, wenn nur auf den nachgewiesenen Nachrichtendienst abgestellt wird,
angesichts der 37-jährigen Dienstzeit des Klägers, seines Alters (er ist über
80 Jahre alt) und seiner Bedürftigkeit hart erscheinen; sie fällt aber nicht
aus dem Rahmen des Ermessens, das der verantwortlichen kantonalen
Verwaltungsbehörde in solchen Dingen zugestanden werden muss, so dass die
Klage abzuweisen ist.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Klage wird abgewiesen.
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Document : 75 II 246
Date : 01. Januar 1948
Published : 19. Oktober 1949
Source : Bundesgericht
Status : 75 II 246
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : 1. Art. 42 OG.a) Klagen eines ehemaligen Beamten auf Weiterentrichtung des Ruhegehaltes sind im...


Legislation register
BV: 48  70  110
OG: 42
StGB: 272
BGE-register
49-II-404 • 72-I-282 • 74-IV-102 • 75-II-246
Keyword index
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... Don't show all
BBl
1946/I/38